Hinter den Kulissen

SO EIN THEATER  »All hail, Macbeth!«, schreibt Shakespeare in seinem Schottland-Drama. Die Bonner Shakespeare Company hat im Dezember ihre eigene Inszenierung aufgeführt. Und das Drama fand nicht nur auf der Bühne statt – über die letzten Tage vor der Premiere.

VON PHILIPP BLANKE

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Die Schuhsohlen von Marian Blok quietschen auf dem schwarzen Gummiboden, als er das Studio der Beueler Brotfabrik betritt. Der 22-Jährige sieht zufrieden aus, als er seine Kollegen von der Bonn University Shakespeare Company (BUSC) begrüßt. Bei der aktuellen Produktion von »Macbeth« ist er der Regisseur – und heute die letzte Hauptprobe.

Trotz kalter Temperaturen und dem kühlen Charme der Industriehalle ist es eine herzliche Atmosphäre. Die meisten der etwa 30 Schauspieler, Requisiteure und Helfer sind anwesend. Unter ihnen ist auch Christine Lehnen, die eine der drei Hexen in Shakespeares Drama spielt. »Die dürfen machen was sie wollen«, erzählt die 25-Jährige begeistert. »Das macht sehr viel Spaß!« Immer mehr Leute trudeln ein, begrüßen ihre Kollegen und fangen an, ihre Kostüme anzuziehen. Auf einem rechteckigen Holztisch liegen Hemden und Gürtel, daneben Theatermesser auf einer silbernen Waffenkiste, sowie Sektgläser und ein Silbertablett. »Wo ist meine Hose?«, fragt jemand kurz bevor ein anderer »Vorne könnt ihr euch Kaffee machen« durch den Saal ruft.

Marian steht im Raum und geht seine Notizen durch. Es ist eine Ansammlung loser Blätter, die mit einem Kugelschreiber beschrieben worden sind. Neben ihm steht Ina Habermann mit dem Drehbuch – DIN A4-Format, Spiralheftung, Maschinenschrift – und gibt ihm Infos zu einzelnen Szenen. Sie ist bei der Produktion die Souffleuse und hilft bei Textfragen aller Art. Als Marian alles notiert hat, ruft er »Alle bitte einen Kreis bilden«, und geht ans andere Ende des Raumes. »Versucht alle Sachen, die ich euch mal gesagt habe, anzuwenden«, beginnt er. Marian spricht einige Szenen an, bei denen er sich noch ein paar Verbesserungen wünscht: »Der Aufgang muss da schneller gehen. Wir sind zu langsam.« Während seiner Ansprache wird es immer mal wieder unruhig im Kreis, weil manche dazwischen reden. Durch ein »Pscht!« wird es aber wieder still.

Vor Probenbeginn übernimmt Janine Lockwood das Aufwärmen. Mit ihren 50 Jahren ist die gebürtige Britin eine der ältesten Mitglieder des Teams. Sie bereitet ihre jüngeren Kollegen selbstbewusst auf die Probe vor. »Centre yourself«, sagt sie zu Beginn und es wird eine Minute lang ganz still im Raum. Dann ruft sie »Move your shoulders. Up and down«, und 30 Menschen folgen ihr. Nach lautem Stampfen, Nackenbewegungen, tiefem Ein- und Ausatmen, und einer Sprechübung, bereiten sich alle auf die erste Szene vor.

Marian und Ina sitzen auf zwei Stühlen und schauen auf die Probebühne. Ein dritter Stuhl bleibt leer. »Normalerweise sitzt hier noch Anthea, unsere Producerin. Aber die kann heute nicht«, sagt Marian. Für die erste Szene stehen nun alle bereit. Ein Schauspieler kommt kurz zu Marian und zeigt ihm seine braunen Budapester. »Sind die Schuhe okay?«, fragt er. »Ja, ja, die sind gut«, erwidert Marian und blickt wieder auf seine Notizen. Sein Gesicht wirkt angestrengt. Bis auf das Geräusch der Bahn, die ein paar Meter weiter vorbeirauscht, ist es jetzt ruhig. Christine und die beiden anderen Hexen stehen für die erste Szene bereit. »Es wird konfus werden«, murmelt Marian, »da bin ich mir sicher.«

Uniformen, Stiefel, Federboas

Zwei Tage später steht Marian gestresst und verschwitzt im Theater in der Brotfabrik. Das Ensemble zieht heute vom Studio in den Aufführungssaal – doch die Leute fehlen. Um 16.00 Uhr hatten sie sich verabredet, doch noch ist niemand zu sehen. Nach einer Viertelstunde fahren zwei BUSC-Mitglieder auf einer Sackkarre ein schweres Bühnenelement durch die Toreinfahrt der Brotfabrik. Einer der beiden, Michael Bohacz, erzählt schnaufend aber stolz, dass das Holzpodest Handarbeit ist: »Wir haben das in unserem Fundus gebaut.« Der Fundus ist eine große Garage in Beuel, die die BUSC gemietet hat. Dort liegen nahezu alle Requisiten und Bühnenelemente der letzten Jahre.

Als Marian das Podest sieht, ist er etwas kritisch: »Ist das wirklich 60 cm hoch?« Michael bejaht, und nachdem Marian mehrfach das Podest bestiegen hat, ist er mit der Höhe zufrieden. Doch das Ungetüm passt nicht in den Lastenaufzug des Theaters. Man ist etwas konsterniert und beschließt erstmal eine Pause zu machen. »Lass warten, bis mehr Leute da sind«, sagt Michael.

Anthea Petermann, die Producerin, ist heute wieder da und muss direkt den Maskenplan neu organisieren. »Eine die schminken sollte, hat kurzfristig abgesagt«, sagt die 25-Jährige etwas verärgert. »Ich verstehe ihre Absage, das ist echt nachvollziehbar. Aber im ersten Moment nervt es einen natürlich.« Anthea ist für den reibungslosen organisatorischen Ablauf der Produktion verantwortlich – für Probenpläne, Verhandlungen mit der Brotfabrik und die Maske. Sie selbst sei eine Art »Supervisor« und die rechte Hand von Marian, erzählt sie. Macbeth ist bereits ihre siebte Produktion bei der BUSC.

Wenig Platz, viel zu tun – Christine Lehnen in der Maske (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Wenig Platz, viel zu tun – Christine Lehnen in der Maske (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Während zwei Arbeiter die Bühne umbauen und schwarzen Gummiboden verlegen, werden im Backstagebereich die ersten Accessoires eingeräumt. Die Räume bestehen aus einem ca. zehn Quadratmeter großen Maskenraum, einem schmalen Gang direkt hinter der Bühne, und einem verwinkelten Flur. Im Maskenraum stapeln sich Damenschuhe und Soldatenstiefel, Uniformen, Barette und Federboas – nach Schauspieler sortiert und auf einer Garderobenstange hängend. Für die Kostüme und einen Teil der Requisiten ist Jean Lavalette verantwortlich. Privat habe er um die 100 Einzelstücke: »Ich schaue immer mal wieder bei E-Bay und biete für Uniformen. Meistens interessiert sich dafür keiner, und dann bekomme ich sie sehr günstig.« Rechnet man alle Kostüme und Accessoires der BUSC zusammen, dann seien es ca. 400 Stück, erzählt er.

Auf zwei Tischen, die im schmalen Gang hinter der Bühne stehen, bereitet Christine Decker Zeitungen, ein altes Bündel Reichsmark, Kerzenständer und eine Wokpfanne vor. Die 22-Jährige ist seit einem Jahr bei der BUSC und kümmert sich um die Requisiten und das Stage Management. »Ich bin für alles zuständig, was die Schauspieler benutzen und in der Hand haben«, erzählt sie. Die meisten Requisiten kämen dabei von Leuten, die ihre Sachen zu Hause einfach nicht mehr brauchen. Bei dem Reichsmark-Bündel habe man aber einfach ins Internet geschaut. Welche Requisiten es am Ende auf die Bühne schaffen, entscheidet Marian als Regisseur. »Es ist so, dass ich die meisten Vorgaben direkt von ihm bekomme«, erklärt Christine. Doch auch die Schauspieler würden sich zu ihren Texten bereits überlegen, was sie gut gebrauchen könnten. »Meine Aufgabe ist dann zu schauen, was geht, und was nicht.«

Pizza und Licht

Am Tag der Generalprobe riecht es im Innenhof der Brotfabrik nach Lack. Auf dem geteerten Boden liegen vier weiße lange Stoffbahnen, die mit goldenem Lack besprüht werden. Nach und nach tragen alle vier Banner eine Königskrone. Drinnen im Saal ist es sehr ruhig. Ein paar Schauspieler essen Pizza, während über der Bühne ein Beamer den Schriftzug »Order Unity Progress« auf eine weiße Fläche projiziert. An den Seiten stehen bereits die vier hohen Traversen, an denen später die besprühten Banner befestigt werden sollen. Hinten im Maskenraum ist es zwischen den Kostümen und zahlreichen Schminkdosen sehr eng. In der offenen Tür sitzt Johannes Schwerin auf einem kleinen Hocker und versucht eine Pizza Calzone zu essen. Es ist etwas umständlich, so dass kleine Stücke der Kruste auf dem Boden landen.

Am anderen Ende des Saales sitzen Marian, Anthea und Florian, Techniker der Brotfabrik, hoch oben im Regieraum. Sie probieren verschiedene Lichteinstellungen für die Bühne aus. »Eine Idee mehr von dem kalten«, sagt Marian und Florian dreht ein bisschen am Regler, bis das Licht hell genug ist. Von der Bühne kommen laute Geräusche. »Was ist denn da los?«, fragt Marian halb interessiert, halb genervt. Anthea erhebt sich kurz von ihrem Stuhl, blickt herunter auf die Bühne und stellt fest: »Da wird getackert; das ist der schwarze Stoff für das Podest.« Alle drei wenden sich wieder dem Licht zu. Wenig später steht Anthea unten vor der Bühne und schaut dem langsam einsetzenden Trubel zu. Gleich beginnt die Generalprobe, und sie ist zufrieden: »Ist ein guter Tag heute.«

Pscht, es wird ernst!

Der Premierentag beginnt in der Brotfabrik angenehm ruhig. Marian und Anthea sitzen wieder oben im Regieraum und besprechen letzte Details. Auf der Bühne spricht Thomas Pähler, der die Hauptrolle spielt, Auszüge seines Textes und probt eine Kampfszene. Christine prüft hinter der Bühne die Requisiten. Wenig später hört man durch die offenen Saaltüren metallischen Lärm aus dem Foyer. Peter Schild, Vorsitzender und Gründungsmitglied der BUSC, fährt vier Bierkästen auf einer Sackkarre hinein. Hinter ihm schiebt Ina, die Souffleuse, einen Einkaufswagen mit Sekt und Orangensaft hinterher. Peter steuert zielstrebig auf eine Tür zu. »Schließ mir mal hinten den Notausgang auf. Ich muss das Bier kühlen«, sagt er zu Florian, und verschwindet mit ihm durch die Tür nach draußen. Kurze Zeit später kommen Peter und Ina erneut herein – mit großen Brötchentüten und einigen kleinen Wasserflaschen. »Für die Premierenfeier«, erklärt Anthea.

Im schmalen verwinkelten Flur hinter der Bühne probiert Christine Lehnen mit ihren Hexenkollegen schwarze Augenmasken an. Sie sind aus halbtransparentem Stoff, so dass die Augen verdeckt sind, man aber immer noch hindurchschauen kann. Janine, die Britin, hat so ihre Probleme damit. »I have bad night vision – and already glasses!«, seufzt sie. Christine ist mit ihrer Maske zufrieden. »Der Stoff wird jetzt mit Wimpernkleber fixiert. Das hält ganz gut«, erklärt sie.

Zettelwirtschaft – Marian Blok und seine Notizen (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Zettelwirtschaft – Marian Blok und seine Notizen (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Im Maskenraum ist es sehr heiß geworden. Die Schauspieler werden geschminkt und ziehen ihre Kostüme an. Ein kleiner schwarzer Standventilator neben der Eingangstür versucht kühle Luft zu zu spenden. Als Johannes Neubert, der von allen nur Jupp genannt wird, kommt, zieht er eine Duftspur hinter sich her. Sie riecht nach Pommes und Mayonnaise. Einer ruft ihm zu: »Boah, Jupp, bist du geil!« Alle lachen.

Thomas steht in seiner schwarzen Uniform mittendrin und experimentiert mit zwei Hosenträgern. Die sollen nachher als Accessoire an seiner Jacke hängen. Der 27-Jährige befestigt die Träger an seinem weißen breiten Gürtel. Jean ist noch nicht überzeugt. »Hast du in der Szene Zeit das anzuknipsen?«, fragt er. Thomas überlegt kurz, wiegelt dann aber ab: »Da ist eh Chaos.«

Im Foyer des Theaters warten derweil die ersten Zuschauer. Ina sitzt dort an einem kleinen Tisch und verkauft Programmhefte. Sie trägt eine deutlich sichtbare rote Schärpe. Trotzdem werden nicht viele Hefte gekauft – gerade einmal 13 Stück. Das sei aber normal, sagt sie.

Es ist kurz vor halb Acht, als Marian zum Aufwärmen brüllt. Man ist etwas hinter dem Zeitplan, denn in zehn Minuten sollen die Türen schon geöffnet werden. »Wir haben Premiere. Jetzt wird es ernst«, sagt Marian, als sich alle in einem Kreis aufgestellt haben. »Denkt daran, was wir besprochen haben. Gerade die Aufgänge – schnell! Das zieht sonst zu viel Zeit!«, erinnert er. Einige albern ein wenig herum, es folgt ein »Pscht«, und es ist wieder ruhig. Nach dem Aufwärmen durch Janine werden die Türen geöffnet. Die Zuschauer betreten den Saal. Im Flur hinter der Bühne steht noch ein Bügelbrett. »Das muss weg«, ruft einer und klappt es dann zusammen. Im Maskenraum ist es noch heißer als vor zwei Stunden. Als die drei schweren schwarzen Eisentüren, die Flur, Maskenraum und Bühne voneinander trennen, geschlossen werden, sind es nur noch wenige Minuten bis zur Aufführung.Oben im Regieraum stehen Marian und Anthea. Als alle Zuschauer ihre Plätze eingenommen haben, gibt Marian ein Zeichen – das Saallicht geht aus. Ein Spot wird auf den Saaleingang gerichtet, in dem Peter auftaucht. Er erinnert die Zuschauer daran, ihre Handys auszuschalten und während des Stückes nicht zu reden. Es wird wieder dunkel.

Marian und Anthea sitzen jetzt auf der Schwelle zwischen Regieraum und Treppenaufgang. Es sieht von hinten so aus, als ob zwei Schulkinder auf einer Mauer sitzen und schauen, was in weiter Ferne passiert. »Kannst du genug sehen?«, fragt Anthea Marian. Sie rücken beide noch ein bisschen zusammen. Das Bühnenlicht geht an. Die Schauspieler stehen auf der Bühne. Macbeth hat begonnen.

Mehr Fotos von den Proben gibt’s auf der AKUT-Facebookseite!

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