»Sinnflut« für die Fußgängerzone

Bürgerinitiative – Drei Studentinnen wehren sich gegen das Café-Sterben in der Bonner Innenstadt – nicht nur mit einer Facebookseite. Die ehemaligen Mitarbeiterinnen des Café Goldbraun haben Größeres im Sinn.

von Sophie Leins

Sarah Waschke, Vesna Schierbaum und Julia Ihde vor dem geschlossenen Café Goldbraun (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Sarah Waschke, Vesna Schierbaum und Julia Ihde vor dem geschlossenen Café Goldbraun (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Wer derzeit aus dem Hauptgebäude in Richtung Fußgängerzone auf die gegenüberliegende Fürstenstraße blickt, dem präsentiert sich in der ehemaligen Flaniermeile ein trauriges Bild: links die leerstehende Buchhandlung Bouvier, dahinter eine Baustelle und rechts die zugeklebten Scheiben des Café Goldbrauns, eines weiteren privaten Cafés (nach dem Göttlich), das dicht machen musste. Mit der verwaisten Fürstenstraße, die wegen Baulärm und Franchise-Ketten kaum noch zum Verweilen einlädt, stirbt ein weiteres Stück Kaffeekultur in der Bonner Innenstadt. Immer mehr kleine, individuelle Cafés und Geschäfte können bei den steigenden Mieten nicht mehr mithalten und werden durch unpersönliche Ketten, Klamottenriesen und austauschbare Backshops verdrängt.

Kulturcafé statt Konsumdrang
Doch genau diese Entwicklung wollen drei Bonner Studentinnen, die bis vor kurzem noch im Café Goldbraun hinter der Theke standen, nicht mehr hinnehmen und gründeten deshalb die Bürgerinitiative »Freie Kaffeekultur Bonn«. Diese prangert die kulturelle Verarmung der Bonner Innenstadt an und will ihr entgegentreten – durch die Gründung eines individuellen Cafés mit Charme. Mit ihrer Initiative haben Vesna Schierbaum, Julia Ihde und Sarah Waschke einen Nerv getroffen. Seit August hat ihre Facebook-Seite über 1000 Likes bekommen, der General-Anzeiger und die WDR Lokalzeit berichteten.

An einem grauen Oktoberabend treffen sich Vesna, Julia und Sarah mit der AKUT im Café Blau, eine der letzten Café-Alternativen, direkt um die Ecke ihres ehemaligen zweiten Zuhauses. Die drei jungen Frauen erzählen, wie es zu der Idee kam. Als sie im Sommer erfahren haben, dass das Goldbraun schließe, seien sie und ihr Freundeskreis – allesamt Mitarbeiterinnen oder Stammkundschaft des Cafés – nicht nur total niedergeschlagen, »sondern auch ein bisschen wütend« gewesen über das, was da gerade passiere, erklärt Julia. Sie ist Master-Studentin der Philosophie, 24 Jahre alt und so eloquent, dass man ihr gut und gerne einen Posten als Pressesprecherin zutraut.

Vor allem stand für die Gruppe aber die Frage im Raum, wo sie denn in Zukunft überhaupt noch gemeinsam abhängen sollten. Nach der Schließung der günstigen Studi-Cafés Göttlich und Goldbraun sei schließlich selbst unser Treffpunkt, das Café Blau, durch den geplanten Abriss des Viktoriaviertels bedroht. Aber warum ging das beliebte Café Goldbraun überhaupt pleite, wo es sich doch in idealer Lage zwischen Uni und Fußgängerzone befand?

Vesna, 23 Jahre, studiert in Köln Medienkulturwissenschaft und hat bereits das Auftreten einer selbstsicheren Geschäftsfrau. Sie nennt folgende Hauptgründe für die Schließung des Goldbrauns: Erstens sei die Straßensituation durch den Baulärm und den Wegfall von Bouvier immer weniger attraktiv geworden. Zweitens sei aber auch ihr ehemaliger Arbeitgeber mitschuldig, der eine lange Liste an Fehlern begangen habe. So habe das Goldbraun zum Beispiel lange keine Außengastronomie gehabt – und das an einem Traumstandort. Außerdem hätte man nach dem Schluss vom Göttlich durch den Verkauf von Alkohol und längere Öffnungszeiten dessen Publikum binden müssen.

»Wir wollen eine Institution werden«
Doch die drei wollen sich nicht beschweren, sondern es stattdessen einfach besser machen. Die Bürgerinitiative soll nämlich nicht nur über den traurigen Trend berichten, sondern hat ein ganz konkretes Ziel: die Eröffnung eines alternativen Kunst- und Kulturcafés mit dem Namen »Café Sinnflut«. Bei aller Kritik wollen sie dabei eines genauso beibehalten wie im Café Goldbraun: »Wir wollen richtig, richtig guten Kaffee machen – nach Latte-Art«, meint Julia, denn das sei in der Bonner Innenstadt eine Lücke. Das Konzept unterscheidet sich ansonsten aber deutlich vom Goldbraun.

Das neue Café Sinnflut soll auch abends geöffnet sein und eine Plattform für unbekannte Künstler und Musiker darstellen. Tagsüber wird es Ausstellungen geben und abends sind Konzerte, Jamsessions, Lesungen und Diskussionen geplant, erklärt Sarah. Die 23-jährige Kunstgeschichte-Studentin näht in ihrer Freizeit Stoff-Vulven. Auch viele ihrer Freunde sind Teil der jungen kreativen Szene Bonns. An Tatendrang und Motivation fehlt es ihr und ihren beiden Mitstreiterinnen also nicht. »Jeden Tag kommen uns neue megageile Ideen«, meint Vesna begeistert. Für das Café Sinnflut hat sie eine Vision: »Wir wollen eine richtige Institution werden.«

70.000 € Startkapital – dank Crowdfunding könnte es klappen
Gute Ideen sind ja eine schöne Sache, aber damit allein kann man noch lange kein Café eröffnen. Das wissen auch die drei Ex-Kolleginnen. Um ein Café in bester Bonner Lage zu eröffnen, bräuchten sie zunächst einmal mindestens 70.000 € Startkapital. Doch woher nimmt man die als Gruppe idealistischer, aber »armer« Studentinnen?

An dieser Stelle setzen die drei auf die Macht der Masse, oder besser auf deren Finanzkraft. Per Crowdfunding wollen sie auf der Seite www.startnext.com mindestens 40.000 € einsammeln.

Aber 40.000 € sind ja schon eine gewaltige Summe. Ist das nicht ein bisschen naiv? Sarah findet: »Das Gute an Crowdfunding ist ja, dass, wenn viele mitmachen, jeder nicht so viel geben muss.« Die restlichen 30.000 € könnten die drei Freundinnen mit diesem Geld als Absicherung dann zur Not als Kredit bei der Bank aufnehmen. Außerdem gebe es jetzt schon Interessenten, die als stille Investoren teilhaben wollten.

»Viele denken, die spinnen da romantisch vor sich hin«
Aber was ist mit den Cafégründerinnen selbst? Wissen sie überhaupt, was sie da tun? Immerhin ist es etwas anderes, nebenher im Café zu jobben, als selbst eines zu betreiben. Bisher hatten die drei Geisteswissenschaftlerinnen mit Unternehmensgründung und Betriebswirtschaft schließlich gar nichts am Hut. Doch die drei wollen sich nicht als Naivlinge abstempeln lassen. Sie wissen, dass ihr Café rentabel sein muss, denn es soll ja keine Eintagsfliege werden. »Viele denken, die spinnen da romantisch vor sich hin, aber wir meinen das ernst«, meint Julia überzeugt. Ihnen sei bewusst, dass das ein »Vollzeitjob-Plus« sei, doch sie seien dazu bereit. Sehr motivierend sei es, wie viele Leute von der Initiative begeistert seien und ihnen ihre Hilfe angeboten hätten. So steht dem Gründerinnen-Team nun ein Unternehmenscoach beratend zur Seite und auch mit einer Arbeitsjuristin haben sie schon gesprochen. Darüber hinaus wachsen die drei mächtig an ihren Herausforderungen. Mittlerweile kennen sie sich aus mit Rechtsformen und Business-Plänen. Plötzlich müssen die jungen Frauen mit Maklern und Investoren verhandeln, professionelle Statements abgeben und dabei so auftreten, dass sie bei all dem Idealismus trotzdem ernst genommen werden. Aber: »Wenn man ’ne Idee hat, muss man auch Wege gehen, die einem nicht gefallen«, so Vesna.

»Jetzt zeigen wir es euch erst recht!«
Es hängt jetzt erst einmal alles vom Erfolg des Crowdfundings ab, das seit Ende Oktober online ist und noch bis zum 26. Januar 2016 läuft. Danach warten neue Hürden wie die Suche nach einer passenden Location und jede Menge Bürokratie. Doch Vesna, Julia und Sarah treibt ihr Idealismus, die Aussicht auf ein sinnstiftendes Lebensprojekt und auch die Liebe zu Bonn, die sie noch nicht aufgeben wollen. Sie können sich sogar vorstellen, es selbst dann zu probieren, wenn das Crowdfunding scheitert. In keinem Fall wollen sie sich vom vermeintlichen Realismus der Zweifler abschrecken lassen, erklärt Julia: »Jedes Mal, wenn wir hören, dass das Ganze nicht klappen wird, denken wir uns: Jetzt zeigen wir es euch erst recht!«

 

MEHR INFOS

Weitere Informationen zur Bürgerinitiative gibt’s im Internet unter
 freiekaffeekultur.de
 facebook.com/fkkbonn
 startnext.com/cafesinnflut

 

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