Sozialistischer Kindergarten

JUSO-STREIT  Das Studierendenparlament beruft den AStA-Finanzreferenten ab, obwohl er eigentlich eine Mehrheit hinter sich haben sollte. Offenbar sind ihm Mitglieder der eigenen Hochschulgruppe in den Rücken gefallen – kurz vor der SP-Wahl ein ungünstiges Zeichen.

VON ALEXANDER GRANTL

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Ex-Finanzreferent Alois »Ich bin enttäuscht« (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Anne Will hat es mal gesagt, Maybrit Illner auch: Klartext reden Politiker oft erst dann, wenn die Kameras nicht mehr laufen und die Ansteckmikrofone nicht mehr angesteckt sind. In diesem Punkt können die Studierenden, die in Bonn Hochschulpolitik machen, gut mithalten. Wie es tatsächlich zur unerwarteten Abberufung von Finanzreferent Alois Saß kam, erfährt man nur abseits offizieller Gespräche.

In der Juso-Hochschulgruppe, der Alois angehört, reagierten viele mit Unverständnis, als der Antrag zur Abberufung plötzlich auf der Tagesordnung stand. Seit Mitte 2013 war Alois Finanzreferent im AStA, »stand jederzeit mit wertvollen Ratschlägen und viel Erfahrung zur Seite«, wie AStA-Vorsitzende Lillian Bäcker (Juso-HSG) sagt, »und ist ein echter Freund geworden. Er ist unersetzlich.« Dass der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), der die Abwahl beantragte, Alois kritisiert, war nicht ungewöhnlich. Dass er ihn abzuberufen versucht, schon. Denn: Die Oppositionslisten RCDS und LHG haben zusammen nicht genug Stimmen, um AStA-Referenten zu stürzen. Warum sollten sie also einen solchen aussichtslosen Antrag stellen?

Als das Studierendenparlament (SP) Mitte November zusammentritt, um über die Abberufung zu beraten, kommt es zu einer bizarren Situation: Zunächst legen Matthias Rübo und Chiara Mazziotta (RCDS) dar, warum sie den Finanzreferenten für nicht länger tragbar halten. Alois habe es der Opposition bewusst erschwert, den AStA und seine Handlungen zu kontrollieren. Matthias, der dem Kassenprüfungsausschuss (KPA) vorsitzt, erklärt es konkreter: »Was das Fass zum Überlaufen gebracht hat«, sagt er, »ist der E-Mail-Verkehr zwischen dem Finanzreferenten und mir.« Dort weigere sich Alois, dem KPA jene Unterlagen zu übergeben, die zur Kassenprüfung nötig seien. Alois widerspricht Matthias’ Darstellung – ein Streitgespräch beginnt. Im Laufe der Debatte einigen sich die beiden dann darauf, dass der E-Mail-Verkehr dem SP vorgelesen werden soll – doch bevor es dazu kommt, beantragt Matthias plötzlich eine sofortige Abstimmung über die Abberufung. Das SP stimmt sofort ab – ohne den E-Mail-Verkehr zu kennen. »In diesem Moment war mir klar, wie das Ergebnis enden wird«, sagt Alois ein paar Tage später. »Als das SP der sofortigen Abstimmung zugestimmt hat, wusste ich, dass das Ergebnis schon im Vorfeld feststand.« Mit 23 Stimmen wird Alois abberufen – die Abstimmung ist geheim. Die Opposition hat zusammen nur 17 Stimmen.

»Ich bin enttäuscht. Nicht von der Opposition – die soll den AStA ja kritisieren – aber von den sechs Mitgliedern der eigenen Koalition, die den Antrag unterstützt haben«, sagt Alois. AStA-Vorsitzende Lillian sei überrascht gewesen: »Ich habe mich sehr gewundert, dass Parlamentarier, die lange nicht so eng und so häufig mit Alois zusammengearbeitet haben wie ich, davon überzeugt waren, dass er seinen Job nicht ordentlich macht.«

Wer in der Koalition aus Juso-HSG, LUST und Piraten-HSG für Alois’ Abberufung gestimmt hat, lässt sich wegen der Geheimheit der Abstimmung nicht ermitteln. Die AStA-Vorsitzende hat eine Befürchtung: »Ich halte es für möglich, dass alle sechs Stimmen von Jusos kommen.« Mehrere Jusos erklären gegenüber der AKUT, dass Michael Fengler, selbst für die Juso-HSG im Parlament, in den eigenen Reihen massiv für die Abberufung geworben hätte. Öfters fallen die Namen fünf weiterer Mitglieder der Juso-HSG, die geplant hätten, die Abberufung zu unterstützten. »Es war eine geheime Abstimmung und ich spekuliere nicht, wie einzelne Personen abgestimmt haben«, entgegnet Michael, wenn man ihn mit den Vorwürfen aus seiner Hochschulgruppe konfrontiert. Dass er bei anderen für die Abberufung geworben hätte, kommentiert er – nicht: »Zu solchen unbestätigten Verdächtigungen will ich mich nicht äußern.« Er sei selbst vom Ergebnis der geheimen Abstimmung überrascht gewesen. »Wenn irgendwer in der Koalition gegen den Koalitionsvertrag verstößt, dann verurteile ich das. Man hätte die Kritik besser vorher kommunizieren sollen«, sagt Michael. Der Kritik des RCDS stimmt er aber in Teilen zu: »Ohne nachtreten zu wollen: Alois hat viele der Routinearbeiten gut gemacht – andere Punkte seiner Arbeit halte ich aber für kritikwürdig – besonders sein Umgang mit dem Kassenprüfungsausschuss, dem ich auch angehöre.«

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Michael (Juso-HSG) – seine Gruppe macht ihm Vorwürfe (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Der E-Mail-Verlauf zwischen dem KPA und Alois, auf den der RCDS in der SP-Sitzung verwies, liegt der AKUT vor. Darin bittet Matthias Rübo als Vorsitzender des KPA darum, dass Alois »die notwendigen Unterlagen« zur Kassenprüfung zur Verfügung stellt. Alois erklärt daraufhin, dass der KPA beschließen müsse, welche Unterlagen er genau zur Verfügung stellen soll. Würde er selbst bestimmen, welche »notwendig« seien und welche nicht, bestimme er unerlaubt den Umfang der Prüfung. Dem widerspricht Matthias gegenüber der AKUT: »Mit einer vergleichbaren Aufforderung wurden bei der vorherigen Kassenprüfung von Alois alle benötigten Unterlagen zur Verfügung gestellt.« Der Umgangston in den E-Mails ist auf beiden Seiten jederzeit höflich und sachlich.

Der KPA beschließt letztlich, welche Unterlagen er prüfen möchte – schon ein paar Tage vor Alois Abberufung. »Matthias und ich haben kein besonders herzliches Verhältnis zueinander – dafür gibt es mehrere Gründe, vieles liegt schon länger zurück«, so Alois. Matthias kommentiert die Beziehung knapp: »Angespannt.« Beide sind auch als Vertreter der Studierenden Mitglieder im Senat, schon früher haben sie im SP Wortgefechte geführt. Aber auch Kritik innerhalb der Koalition und der Juso-HSG ist für Alois nichts Neues. Während für einige Jusos eine Koalition mit dem RCDS durchaus denkbar ist, lehnt Alois sie grundsätzlich ab.

Doch nicht nur politisch, auch persönlich gibt es Differenzen: »Als der Abwahl-Antrag auf der Tagesordnung auftauchte, haben wir ihn in der Hochschulgruppe besprochen«, erzählt Alois, »da wurde nicht nur Kritik an meinem Verhalten, sondern auch an meiner Person geäußert. Ich bin sicher keine einfache Person und streitbar.« Er sei Jurist und das präge auch seine Art und Weise zu schreiben und zu sprechen. Im AStA wisse man, dass seine Auftritte manch einen befremden, erklärt Lillian: »Er hat halt Ahnung – und das lässt er Menschen spüren, die er nicht mag. Doch aus diesem Grund hat er niemandem die Zusammenarbeit verweigert – höchstens auf Spitzfindigkeiten hingewiesen.« Sein Verhalten sei nie behindernd, sondern immer konstruktiv. Und manchmal anstrengend.

Anstrengend ist es auch für Simon Merkt: Der Vorsitzende der Juso-HSG bemüht sich darum, ein geschlossenes Bild seiner Gruppe zu zeichnen. Immerhin haben die Jusos kurz vor der Wahl nicht nur das Amt des Finanzreferenten verloren, sondern gehen auch davon aus, dass sich die Verursacher dafür in den eigenen Reihen befinden. Mehr noch: »Ich denke, diesen Schachzug haben die Drahtzieher zuvor mit dem RCDS abgesprochen«, teilt ein Mitglied der Juso-HSG der AKUT mit. Der RCDS bestreitet das und bezeichnet die Koalition als gescheitert. Nach der Verfassung seiner Gruppe kurz vor der Wahl gefragt, gibt Simon sich optimistisch: »Ich glaube, dass wir uns davon erholt haben, die Ursachen beseitigt haben und uns – wie gehabt – mit einer geschlossenen Gruppe für die Belange der Studierendenschaft einsetzen können.« Die Ursachen habe man beseitigt – was Simon damit meint, lässt er offen. Möglicherweise das: Mitte Dezember lehnt die Mehrheit der Juso-HSG ab, dass Michael Fengler für die Jusos bei der SP-Wahl im Januar kandidiert – ein beispielloser Vorgang. Fragt man Simon warum, erklärt er nur allgemein: »Auf einer regulären Sitzung wählt die Gruppe diejenigen auf unsere Liste, denen sie ihr Vertrauen schenkt.« Das Vertrauen der Juso-HSG hat Michael offenbar nicht mehr. Später erhält der Wahlausschuss eine Bewerbung von »Die Moderaten / Liste für die UniCard«, für welche Michael kandidiert. Aus persönlichen Gründen habe die Liste ihre Bewerbung jedoch wieder zurückgezogen. Wenn im Januar ein neues SP gewählt wird, werde Michael in den hochschulpolitischen Ruhestand treten – unter anderem möchte er sich auf seine erste juristische Staatsprüfung vorbereiten. Alois will seine Ämter als Senator und Mitglied im Verwaltungsrat des Studierendenwerks bis zum regulären Ende wahrnehmen. Auch für das SP kandidiert er wieder.

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