Der Kaiser des Weltalls

Protokoll einer Begegnung mit dem Alle-mal-malen-Mann

Montagabend im James Joyce, in dem Pub ist noch nicht viel los. An den schwach ausgeleuchteten Tischen sitzen vereinzelt Menschen, viele Studierende. Wir sitzen an einem Tisch am Fenster und warten. Wir warten auf jemand ganz besonderen.
Ein alter Mann mit wirrem, weißem Haar kommt rein. Er trägt ein verwaschenes, ockerfarbenes Sakko. Das ordentlich gebügelte Hemd steckt in der zu weiten Anzughose. Um die Körpermitte spannt es ein bisschen. In der Hand trägt er eine alte Ledertasche, deren Riemen über den Boden schleift. Er schaut sich um und sagt in das Schummerlicht hinein: „Alle mal malen, hier?!“ Jetzt wissen wir: Das ist unser Mann.
Wir wollen ein Bild, und eine gute Geschichte hören, von einem Mann, den jeder und doch niemand kennt. Wir winken ihn heran, er setzt sich zu uns. Wir erzählen ihm, dass wir einen Artikel für die studentische Zeitschrift „akut“ schreiben und fragen ihn, ob er etwas trinken möchte. Er lehnt ab. Er holt seinen Block und einen Bleistift raus und stellt klar, dass er auf keinen Fall lesen will, dass er ein „Bonner Original“ ist. Alle schmissen mit dem Begriff um sich und die meisten wüssten überhaupt nicht, was ein „Original“ eigentlich sei. Und er käme ja nicht einmal aus Bonn. Kein „Bonner Original“ also. Aber wer ist dieser Mensch eigentlich?
„Ich habe schon mit elf gemalt, mein Vater hat auch gemalt,“ beginnt er zu erzählen.
Er heißt Jan Loh, erwähnt es aber nicht selbst. Der Alle-mal-malen-Mann spricht nicht gern über sich, aber über die Kunst des Lebens und die Philosophie.
Und er spricht über seine Arbeit, das Malen. „Ich male das Charakteristische der Menschen. Ob sie introvertiert oder extrovertiert, negativ oder positiv sind. Ich suche mir immer das Besondere raus und male. Der seelische Herzensausdruck, der sich im Gesicht spiegelt ist wichtig, nicht das Äußere. Kleidung ist unwichtig. Es ist egal, ob sie eine Hose oder ein Kleid tragen, oder ob sie nackt sind.“
Der Alle-mal-malen-Mann malt nicht den ganzen Tag, obwohl sein Name den Eindruck erweckt, dass es sich bei ihm um eine Tätigkeit handele, die niemals vollendet sein kann. Er schläft immer lange, und dann überfliegt er die Zeitungen — aber nur die „guten“ — nach den wissenschaftlichen Besonderheiten, denn die Zeitungen bringen das schneller und verständlicher als die entsprechenden Magazine, sagt er. Abends macht er immer einen langen Spaziergang, dann besucht er die Bonner Kneipen, um Menschen zu malen. Für seine Bilder hat er keine Preise, nur ein Symbolentgeld. Auch er weiß, dass diese Arbeit ihn nicht reich macht. Doch auch, wenn er im Lotto gewänne: „Ich würde alles so weiter machen, wie bisher. Ich gewinne aber auch nicht. Ich spiele ja gar kein Lotto!“
Doch wenn nicht Geld, was könnte dann für diesen Menschen im Leben besonders wichtig sein? „Ich kategorisiere nicht. Am Leben ist alles bedeutend. Man darf nichts zu ernst nehmen, aber man muss alles wichtig nehmen. Das Leben ist ein Geheimnis, eine Kombination von Zwang und Notwendigkeit.“
Immer wieder drängt er darauf, weiter zu gehen. Er müsse Geld verdienen. „Das Leben besteht aus Zwängen. Wir müssen essen, trinken, arbeiten…“ Er setzt sich wieder hin, überlegt kurz und fragt dann: „Kennen sie Thomas von Aquin? Der hat mal gesagt: ‚Reife ist die Fähigkeit, seinen natürlichen Neigungen zu folgen.‘ Ich habe immer versucht, meinen persönlichen Neigungen zu folgen. Man sollte immer nach Perfektion streben, aber erreichen wird man sie nie.“
Reife und Perfektion — der Alle-mal-malen-Mann hat für sich erkannt: Die meisten Erwachsenen finden sich nicht schön. Jedoch gibt es seiner Meinung nach nur schöne Menschen und schlechte Geschmäcker. Zu uns sagt er: „Ich hoffe, sie haben ihre Schönheit erkannt!“ Wir schmunzeln über diesen charmanten, alten Mann. Er spricht weiter: „Glücklich und Zufrieden ist man erst im Verhältnis. Wir empfinden aus dem Gegensatz!“
Ob er wohl wunschlos glücklich ist? Er sagt lachend: „Ich wollte immer schon der Kaiser des Weltalls sein!“
Der Pub füllt sich langsam und es wird immer lauter. Der alte Mann schaut sich nach den nächsten Interessenten um und verschwindet zwischen den Gästen. Zurück lässt er einige abgedroschene, aber auch interessante Lebensweisheiten — und natürlich eine Bleistiftzeichnung.

Ein Mann, der weiß, worauf es ankommt. Und worauf nicht: „Kleidung ist unwichtig. Es ist egal. ob sie eine Hose oder ein Kleid tragen, oder ob sie nackt sind.“

Ein Mann, der weiß, worauf es ankommt. Und worauf nicht: „Kleidung ist unwichtig. Es ist egal, ob sie eine Hose oder ein Kleid tragen, oder ob sie nackt sind.“

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