„Da ist eins zum anderen gekommen“

Die Situation im Studierendenparlament eskaliert

Jusos und RCDS wollen die Mehrheit in den SP-Ausschüssen. Geht nicht, findet der Ältestenrat. Geht doch, finden die Jusos. Geht doch nicht, findet das Verwaltungsgericht Köln. Grüne, Piraten und Liberale finden, der SP-Präsident müsse abtreten. Und der findet, er habe doch alles richtig gemacht.

Michael Fengler hat das Zeug zum Karriere-Sozi. Er studiert Jura, beherrscht Smalltalk und schulterklopfende Gemütlichkeit. Michael ist Chef der Jusos in Bonn Hardtberg und Mitglied in der Juso-Hochschulgruppe. Er macht bei internationalen Wettbewerben mit, schaut ernst mit Anzug und verschränkten Armen in die Kamera. Er rettet als Vereinsvorsitzender ein Schwimmbad am Platz und gibt Zeitungsinterviews. Er arbeitet als studentische Hilfskraft in einer Kanzlei, hat ein gut gepflegtes Xing-Profil und einen festen Händedruck. Michael Fengler ist einer von denen, die ihren Weg gehen werden, die wohl keine Fehler machen. Und doch ist im Bonner Studierendenparlament (SP) die Hölle los, seit Michael dort zum Präsidenten gewählt worden ist. Inzwischen läuft ein Verfahren gegen die Bonner Studierendenschaft vor dem Verwaltungsgericht Köln, die Stimmung im SP ist vergiftet, ein Misstrauensvotum gegen Präsident Michael gescheitert. Und der sagt, er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen.
Der SP-Präsident, auch erster Sprecher genannt, ist die Galionsfigur des Studierendenparlaments. Er leitet die Sitzungen und repräsentiert das SP – „unparteiisch und sachgemäß“, so schreibt es die Geschäftsordnung vor. Für Michael bedeutete die Wahl zum Präsidenten Ende Januar Neuland. War er im Jahr zuvor noch „normales“ Mitglied der Juso-Fraktion im SP und hatte, wie er sagt, als „einer der Wortführer“ gern auch mit Verve gestritten, saß er nun in der Funktion des unparteiischen Organisators am SP-Mikrofon. Das sei aber genau das, „was [er] persönlich für eine Fähigkeit von [sich] halte, nämlich dass [er] sehr gut so organisatorisch, sachlich und einfach verwaltungsmäßig arbeiten kann“, sagt Michael.
Das sehen einige Mitglieder des SP inzwischen ganz anders. Denn in der konstituierenden Sitzung des neuen Studierendenparlaments Ende Januar peitschten Jusos und der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) einen Antrag durch, der ihnen in den Ausschüssen des Parlaments die absolute Mehrheit sicherte: Statt fünf Mitgliedern sollten die meisten Ausschüsse nun sieben Mitglieder haben, Jusos und RCDS hätten statt mit je einem dann mit je zwei Abgesandten dort gesessen – also die Mehrheit der Ausschussmitglieder gestellt. Das Problem bei der Sache: In der Satzung des Studierendenparlaments steht eindeutig: Fünf Mitglieder.
Jusos und RCDS argumentierten, sie hätten im SP laut Wahlergebnis gemeinsam eine Mehrheit von einem Sitz, in den Ausschüssen spiegele sich diese Mehrheit bei gestellten zwei von fünf Mitgliedern aber nicht wieder. Das sei, so die Jusos, verfassungswidrig und müsse sich ändern. Und so erweiterten Jusos und RCDS kurzerhand die Ausschüsse im Handstreich um zwei Mitglieder – gegen die Satzung. Ob es wirklich RCDS- und Juso-Stimmen waren, die den Antrag mit einer Stimme Mehrheit durch die geheime Abstimmung brachten, kommentiert Michael so: „Jeder kann sich ausrechnen, wie es gewesen sein könnte.“

„Quis ut deus?“ – Michael Fengler von der Juso-Hochschulgruppe ist der Präsident des Bonner Studierendenparlaments.

„Quis ut deus?“ – Michael Fengler von der Juso-Hochschulgruppe ist der Präsident des Bonner Studierendenparlaments.

Die anderen Hochschulgruppen liefen zunächst Sturm, und dann zum Ältestenrat. Dieser ist das interne Streitschlichtungsgremium der verfassten Studierendenschaft und eigentlich genau für solche Streitfälle zuständig. Der Ältestenrat urteilte: „Der Beschluss des Studierendenparlaments verstößt eindeutig“ gegen die Satzung der Studierendenschaft und sei damit aufgehoben. Und wer die Satzung verändern will, braucht eine Zweidrittelmehrheit im Parlament – für Jusos und RCDS allein unerreichbar. Das Urteil des Ältestenrats war somit eine Klatsche für die beiden Hochschulgruppen, und Fünfer-Ausschüsse blieben zunächst Fünfer-Ausschüsse.
Der RCDS, dessen zusätzliche Stimme im Ausschuss auf diese Weise gekippt wurde, bezeichnete den Gang zum Ältestenrat als „angemessenen Rahmen“ für die Kontroverse und beugte sich dem Urteil. Die Jusos hingegen reagierten vergrätzt: Man habe die übrigen Hochschulgruppen im Vorhinein über die eigenen rechtlichen Bedenken informiert, dass es verfassungswidrig sei, wenn die Ausschüsse nicht die Parlamentsmehrheiten widerspiegelten. Alle hätten über den Juso-Plan Bescheid gewusst. Zwar habe man – abgesehen vom RCDS – keine Einigung erzielen können, aber mit einer Beschwerde beim Ältestenrat hätten die Jusos nicht gerechnet, besonders nicht vom eigenen Koalitionspartner, den Grünen. Schließlich habe dann der Ältestenrat „mit einer für uns juristisch absolut nicht nachvollziehbaren Begründung“ den SP-Beschluss aufgehoben, sagt Frederik Traut, Fraktionssprecher der Jusos.
Dann ging auf einmal alles ganz schnell: Innerhalb weniger Tage nach der Bekanntgabe des Ältestenratsbeschlusses holten die Jusos zum Rundumschlag aus – diesmal allerdings vor Gericht. Die Juso-Fraktion im SP klagte vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln gegen den Beschluss des Ältestenrats. Und damit das ganze schneller geht, beantragten sie auch noch den „Erlass einer einstweiligen Sicherungsanordnung“, um sich ihr zusätzliches Ausschussmitglied sofort zu verschaffen. Gegner des Antrags waren der Ältestenrat, das SP – und gleich die gesamte Bonner Studierendenschaft.
Selbst die älteren Semester im Studierendenparlament haben Mühe, sich an eine solche politische Auseinandersetzung zu erinnern, die die Hochschulgruppen vor Gericht austrugen. Dementsprechend fielen auch die Reaktionen aus: Die Piraten-Hochschulgruppe verurteilte die Juso-Aktion „auf das Schärfste“, der RCDS sprach von einer „Schlammschlacht“, die Lust bemängelte das „machtpolitische Hickhack“, das die Grünen „unnötig und unsinnig“ nannten.
Juso-Fraktionschef Traut sagt, man habe das eigene Anliegen der Juso-RCDS-Mehrheit in den Ausschüssen als viel zu wichtig erachtet, „als dass wir uns mit der Begründung des ÄR hätten zufrieden geben können“. Die Zeit habe gedrängt und das Verwaltungsgericht sei die „einzige Möglichkeit [gewesen], noch weiter zu handeln“. Er sieht auch beim AStA-Vorsitz Verantwortung für die Eskalation – der habe die Kompetenz gehabt, die Abstimmung als rechtswidrig zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht jedenfalls lehnte den Juso-Antrag krachend ab und stärkte dem Ältestenrat den Rücken: Die Fraktionen im SP könnten nicht einfach „mit einfacher Mehrheit die in der Satzung der Studierendenschaft grundsätzlich vorgegebene Größe der Ausschüsse so zu modifizieren, bis das Ergebnis ‚passt‘“, heißt es im Gerichtsbeschluss. Und mit Blick auf die vermutete Verfassungswidrigkeit der SP-Satzung: Die Juso-Hochschulgruppe „unterliegt einem Irrtum, wenn sie meint, die Verfassungsmäßigkeit einer Norm könne je nach Zusammensetzung des Studierendenparlaments variieren“.
Ein zusätzliches Geschmäckle bekommen Klage und Antrag der Jusos dadurch, dass sie aus der Feder ihres unparteiischen SP-Präsidenten Michael Fengler stammen. Jener Michael Fengler, den eine parteiübergreifende Mehrheit im Parlament kurz zuvor noch zum ersten Sprecher gewählt hatte, verfasste wenig später den Schriftsatz, um eben dieses Parlament zu verklagen, dessen oberster Repräsentant er ist. Michael sieht das entspannt: „Ich habe eben einen Schriftsatzentwurf geschrieben, und der Fraktionssprecher konnte den übernehmen oder auch nicht.“ Spaß mache ihm das nicht, er habe aber „aufgrund [s]einer juristischen Vorkenntnisse keine Hemmungen, da zu sagen: Gut, wenn wir uns nicht einigen können, dann müssen wir uns eben streiten.“
Er finde es zwar wichtig, dass sich auch politische Gremien mit derartigen Konflikten auseinandersetzen, sagt Michael. Doch das habe „natürlich einen Riesen-Nachteil, denn politische Willensbildung muss nicht unbedingt dem entsprechen, was das eigene Rechtsempfinden ist. […] Ich glaube einfach, dass man sich an der Stelle nicht darauf verlassen kann, dass die Politik es schon richten wird.“ So wählten die Jusos den Gang zum Gericht. Eine Einstellung, mit der er sich aus Sicht der anderen Fraktionen „als Mitglied des Präsidiums, erst recht als 1. Sprecher, untragbar gemacht“ habe, wie etwa die Grünen erklären. Es habe den Anschein, dass Michael weniger an konstruktiver Arbeit des SP interessiert sei, sondern „sein ganzes Handeln – nicht nur in dieser Angelegenheit – eher daran orientiert, irgendwelche Mätzchen abzuziehen“, heißt es aus der Liberalen Hochschulgruppe.
Vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzung war schließlich der Versuch, Michael durch einen neuen SP-Präsidenten zu ersetzen. Ronny Bittner von der Piraten-Hochschulgruppe ließ sich aufstellen, erhielt auch die relative Mehrheit der Stimmen. Doch die absolute Mehrheit aller Stimmen wäre nötig gewesen – und Michael Fengler blieb SP-Präsident. „Offensichtlich waren tatsächlich einige Mitglieder […] des Hauses der Ansicht, dass vielleicht ein anderer SP-Sprecher besser wäre. Das ist eine Botschaft, die ich wahrgenommen habe“, sagt er, bezeichnet die Abstimmung aber als „politisches Manöver“. Auch einen Rücktritt lehnt er ab, „weil ich nicht einräumen werde, etwas falsch gemacht zu haben – weil ich nichts falsch gemacht habe. […] Die politische Bewertung ist natürlich immer eine zweite Sache, aber ich sage mal: Die rein formale, da habe ich alles richtig gemacht und mache nach wie vor alles richtig.“
Michael setzt nach dem gescheiterten juristischen Versuch nun doch ganz auf eine politische Lösung: „Da muss jede Seite auf den anderen zugehen.“ Es wäre besser gewesen, die Ausschussbesetzung bei der konstituierenden Sitzung zu verschieben, um erst mit den anderen Hochschulgruppen „nochmal intensiv zu reden und so zu reden, dass man auch eine Lösung findet“, sagt er. Erst durch die Ausschussbesetzung sei der Zeitdruck entstanden, der die Jusos zur Klage gezwungen habe. „Da ist eins zum anderen gekommen.“
Die Jusos jedenfalls haben nun einen Antrag beim AStA gestellt: Sie hoffen, dass sie als Teil des Parlaments die Kosten für das verlorene Gerichtsverfahren nicht selbst zahlen müssen, sondern die gesamte Studierendenschaft die Rechnung übernimmt.

Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert