Es war einmal ein Festspielhaus

Beethoven! – Dies war die Geschichte eines Festspielhauses. Ursprünglich. Jetzt ist es die Geschichte keines Festspielhauses. Sie ist Märchen, Krimi, Theaterstück, Posse und Trauerspiel in einem. Vielleicht auch eine kleine Abhandlung über Geld. Und Kultur. Und Beethoven.

von Laura Breitkopf

(Foto: 1ZWO3 / http://1zwo3.tumblr.com/)

(Foto: 1ZWO3 / http://1zwo3.tumblr.com/)

Sommer 2007. Es ist schwülwarm in Bonn, die Luft steht. Später wird man feststellen, dass 2007 das zweitwärmste und feuchteste Jahr der Region seit Beginn der Wetteraufzeichnung ist. Kein guter Zeitpunkt, um gewichtige Entscheidungen zu treffen. Gedanken plätschern träge dahin, sind nur schwer in der Lage, die eh schon behäbigen bürokratischen Mühlen anzutreiben. Am 13. Juli gelingt es der Stadt Bonn dennoch, ein Millionenprojekt anzuschieben. Ihrem Kulturrat sitzt die Zeit im Nacken, ein Geburtstag, jedem Bonner wichtiger als Mutters Goldhochzeit, rückt bedrohlich nahe. Im Dezember 2020 wird Beethoven, bekannteste Sohn der Stadt, 250 Jahre alt. Grund genug, ihm das gesamte Jahr zu widmen. Und ein neues Haus zu bauen, genauer, ein Festspielhaus, welch prachtvolle Idee. Finden anscheinend nicht nur die Bonner Ratsleute – Deutsche Post DHL, Deutsche Telekom und Postbank möchten die Baukosten übernehmen, zu Beginn ist die Rede von rund 100 Millionen Euro. Eine Betreiberstiftung soll Geld von Bund, Sparkasse und Rhein-Sieg-Kreis erhalten, der Bundestag sagt gar 39 Millionen Euro zu. Jubel, Trubel, Heiterkeit im Stadthaus.

Aber wohin mit dem neuen Ding? Diskussion. Man wählt das Areal der alten Beethovenhalle. Schön mit Blick aufs Siebengebirge, das hätte Herrn Beethoven sicher gefallen. So weit, so gut. Und wohin mit der Beethovenhalle, dem alten Ding? Wieder Diskussion. Es ist inzwischen Sommer 2009, auch dieser Sommer ist wärmer als normal. Zwei prämierte Architekturentwürfe beinhalten den Abriss der Beethovenhalle – die seit 1990 unter Denkmalschutz steht. Sie »verkörpert baugeschichtlich die Richtung des ›organischen Bauens‹, die sich vom ›funktionalen Bauen‹ abhebt. Auch hat sie schützenswerte Inneneinrichtung. Na gut. Aber was nun? Laut Denkmalschutzgesetz dürfte bei einem »überwiegende[n] öffentliche[n] Interesse« trotzdem umgebaut oder abgerissen werden. Kann der Rat hier entscheiden? Müssen die Bürger befragt werden? Oder setzen wir das Festspielhaus einfach neben die Telekom?

Wieder Diskussion. Bis Mitte 2010 wird überlegt, vorgeschlagen, verworfen, gezankt. Der zunächst geneigte Leser ist ermüdet? Die beteiligten Parteien ebenso, Oberbürgermeister Nimptsch und die Sponsoren beschließen, dass das »Projekt vorerst nicht weiterverfolgt werden« soll. Beethoven stöhnt entnervt in die Dunkelheit seiner Wiener Grabstätte: »Freunde, ich werde auch nicht jünger!« Woher diese Zurückhaltung? Politische Grabenkämpfe? Ist der SPD-Bürgermeister es leid, gegen die schwarz-grüne Ratskoalition anzulaufen? Oder packt Nimptsch immer noch das nackte Grauen, wenn er das Wort »Großprojekt« hört?

WCCB, geistert es durch den Raum, World Conference Center Bonn – der größte Bauskandal der Stadtgeschichte und zugleich ein packender Wirtschaftskrimi. Der General-Anzeiger veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Berichte und Folgen seiner inzwischen preisgekrönten Serie »Die Millionenfalle«. Auch hier beginnt alles mit dem frommen Wunsch, nach Abzug des Regierungssitzes nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Um weltweit geachtete UN-Stadt zu werden, benötigt Bonn jedoch noch ein Konferenzzentrum, groß genug, um darin UNO-Konferenzen ausrichten zu können. Ein teurer Traum. Bevor er verworfen wird, erscheint engelsgleich der koreanische Investor Man-Ki Kim auf der Bühne, Begründer der Firma SMI Hyundai. Ohne weitere Kontrolle darf losgebaut werden, voller Sehnsucht nach dem neuen Tagungszentrum. Liebe macht bekanntlich blind. Es folgt eine Verkettung unglücklichster Umstände. Die Baukosten explodieren; um zu sparen, hatte man auf Fachleute verzichtet. Und SMI Hyundai ist leider kein Teil eines großen koreanischen Autokonzerns und besitzt kein Eigenkapital im Millionenbereich. Der Krimi nimmt Fahrt auf und die Staatsanwaltschaft Ermittlungen, 2013 geht das Projekt mit all seinen Kosten auf die Stadt über. Es steht heute immer noch aus, wer den Kredit der Sparkasse Köln-Bonn an den betrügerischen Investor über 100 Millionen Euro zurückzahlen muss – die Stadt hatte mehrere Bürgschaften übernommen. Es ist daher nur allzu verständlich, dass man nur zögerlich ein neues Großprojekt unterstützen möchte und sich ungern einen weiteren weißen Elefanten in den Garten stellt.

Monate vergehen und den Lichtern des Leuchtturmprojekts wird langsam der Sauerstoff abgedreht. Telekom und Post springen ab. Das ist 2011. Muss Beethoven in einer maroden Mehrzweckhalle geehrt werden? Organisch gebaut, aber mit dem Charme einer Provinzmusikschule? Auftritt Wolfgang Grießl, Unternehmer und Präsident der IHK Bonn/Rhein-Sieg. Grießl&Friends krempeln die Ärmel hoch und gründen einen Förderverein mit dem Ziel, 5000×5000 Euro für das Festspielhaus einzuwerben. Es ist bereits die vierte Initiative pro Festspielhaus. Man mag von dem Projekt halten was man will, der Einsatz ist bewundernswert. Der Deutschlandfunk beschreibt Grießl als bald »missionarisch«, vielleicht ein wenig »verrückt«, auf jeden Fall »beeindruckend«. An seiner Seite engagierte Freunde und Partner – Anhänger Beethovens, versammelt euch! Unter anderem Wolfgang Clement, Wolfgang Schäuble, die berühmten Dirigenten Paavo Järvi und Kurt Masur, Hoteliers und Gastronomen sprechen sich für das Festspielhaus aus. Und auch Leon, 12, scheint verzweifelt: »Von meinen Mitschülern kennt fast keiner Musik von Beethoven. Das muss sich doch ändern!« Potz Blitz, hier packen uns die Fest.Spiel.Haus.Freunde in unserem bildungsbürgerlichen Ehrgeiz! Traurig fügt die 11-jährige Konstanze hinzu: »Menschen sind so: Das Neue lehnen sie immer erst mal ab. Auch Beethoven haben sie ja zuerst abgelehnt.« Nein, wollen wir rufen, neeein, wir verschließen uns doch nicht dem Fortschritt. Nein nein. Lasst uns schnell einem bald 250-jährigen toten Komponisten ein millionenteures Haus bauen! Warum möchten Leon und Konstanze eigentlich keinen Skatepark?

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Anfang 2015 wird immer noch diskutiert. Die Stadt ist wieder an Bord, frischer Mut wurde geschöpft, Brust raus, Schultern nach hinten. Die Post hat schon einen zweiten Architekturwettbewerb veranstaltet, es liegen drei Entwürfe auf dem Tisch. Am 25. März 2015 lädt der General-Anzeiger zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion. Das Festspielhaus wird laut Businessplan im Bau 70 Millionen Euro kosten. Grießl betont, dass dieses Geld von privaten Sponsoren stammen wird, die Stadt stellt lediglich das baufertige Grundstück. Klingt zunächst gut. Aber kann das funktionieren? Hat so etwas je funktioniert?

Was passiert, wenn die Rechnung nicht aufgeht? Wenn die Kosten unerwartet steigen? Wenn der Bauherr insolvent wird? Würde die Stadt ein Festspielhaus in bester Lage einfach halbfertig stehenlassen? Ein Betongerippe, von Vertretern der Bonner Subkultur schnell liebevoll mit Graffiti verziert, als Mahnmal kleinstädtischer Höhenflüge? Oder würde der Hauptsponsor, die Post, sich der Kosten annehmen? Offiziell ist alles abgesichert, die privaten Träger haften. Aber Unbehagen bleibt. Louwrenz Langevoort, Intendant der benachbarten Kölner Philharmonie, kann sich nicht vorstellen, dass mit 70 Millionen Euro ein Weltklassesaal gebaut werden kann. Damit spricht er aus, was viele Kritiker denken – auch der vorgelegte Businessplan wird als überoptimistisch angesehen, er umfasse unter anderem unrealistische oder wenig wünschenswerte Kannibalisierungseffekte mit anderen Kulturangeboten und -institutionen. Hat man sich hier klassisch verschätzt? Verträumt? Oder wird einfach Zwietracht gesät? Auf dem Podium wird die Stimmung hitzig. Direkt auf die nachbarliche Konkurrenz und die Dominanz des »Kölner Platzhirsches« angesprochen verbittet Grießl sich den »süffisanten Unterton« gegenüber seinem »kleinen aber feinen Festspielhaus« und gibt sich überzeugt, es sei »Platz genug für beide Häuser«.

Der Psychologe und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Daniel Kahneman würde bei der ganzen Debatte wohl vom klassischen Fall eines »Planungsfehlschlusses« sprechen. Die Innensicht eines (emotional) involvierten Planers auf ein Projekt würde oftmals relevante Informationen von eigentlich bekannten Referenzpunkten – wie etwa Erfahrungen vergleichbarer Projekte – vernachlässigen. Die objektive Außensicht gäbe zumeist eine weitaus verlässlichere Basisprognose als die verständlicherweise »überoptimistische Vorhersage« des Befürworters. Diese Basisprognose bezüglich Kosten und Erfolgschancen könne dann durch das Einbeziehen individueller Besonderheiten des aktuellen Projektes erweitert und korrigiert werden.

Beethovenhalle – Bonns Tempel am Rhein: organisch, praktisch, gut? (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Beethovenhalle – Bonns Tempel am Rhein: organisch, praktisch, gut? (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Klingt logisch, ist intuitiv sofort nachvollziehbar, ja geradezu absurd klar. Wer würde bestreiten wollen, dass in vielen Situationen der Wunsch Vater eines Gedankens ist, und dass Fürsprecher einer Idee dazu neigen, sich ein optimales Szenario vorzustellen, während vor kritischem Auge ein Horrorstreifen abgespult wird? Ursache vieler unplanmäßiger Kostenexplosionen ist also ein irrationaler Ausgangsplan, gerne gepaart mit im Verlauf der Projektrealisation neu aufkommenden Wünschen. Und mit Pech. Ganz ohne tektonische Plattenverschiebung entsteht so ein Schuldenberg.

Am 15. Juni 2015 steigt die Post als Sponsor aus. Gefehlt habe seit Beginn der »Schulterschluss innerhalb der Stadt«, das zermürbt den willigsten Geldgeber. Mit dem Ausstieg ist das Projekt Festspielhaus gescheitert. Fassungslosigkeit und Bestürzung herrscht in den Reihen der Freunde und Förderer, Oberbürgermeister Nimptsch bedauert den Schritt gar »außerordentlich«. Vorhang zu.

Was sich liest wie ein spannendes Politstück, ist nur für den schadenfrohen Zuschauer wirklich erheiternd. Schon in der Phase vor der konkreten Planung wurden hier Zeit verschenkt und Gelder versenkt.

Reißerisch gefragt: Was hätten wir allein damit nicht schon alles Schönes anstellen können? Etwa die ZFS, Zentrale für Freiraum und Subkultur. 4,4 Millionen Euro hätte die Bereitstellung des baufertigen Grundstücks die Stadt zudem gekostet. 20 Jahre lang sollten jährlich 500.000 Euro ins Kapital der Betriebsstiftung fließen. Dieses Stiftungskapital hätte zwar nicht angetastet werden dürfen, 10 Millionen Euro wären jedoch auf Jahre gebunden gewesen. Und wenn finanzielle Schwierigkeiten aufgekommen wären, hätte die Stiftung gehaftet. Mäxchen Müller reibt sich an dieser Stelle perplex die Augen, das sind zusammen schon bald 15 Millionen Euro. Im Lichte des Leuchtturmprojektes stellt sich eine beliebte Grundsatzfrage des Feuilletons: Was ist fördernswerte Kunst?

Beethoven und die klassische Musik zu bewahren ist aller Ehren wert, ein wichtiger und schöner Bestandteil der Kulturlandschaft. Dass von einem solch teuren Projekt der Hochkultur allerdings vor allem ein kleiner, elitärer Kreis von Anhängern der ohnehin schon subventionierten ernsten Musik und Oper profitieren würde, liegt auf der Hand. Bonn würde für (betuchte) Touristen attraktiver, sicher. Aber was ist mit den Einwohnern? Welche Angebote machen eine Stadt besonders lebenswert – die mit der besten Lobbyarbeit, den verwurzeltsten Liebhabern, dem schrillsten Publikum, den lautesten Fürsprechern, der homogensten Anhängerschaft? Leon und Konstanze hätten wir mit dem Festspielhaus gewonnen. Was ist mit denjenigen, die sich einen Skatepark wünschen?

Ach ja, es steht im Raum, die 39 Millionen Euro vom Bund in die Sanierung der Beethovenhalle fließen zu lassen, sollte dieser zustimmen. Das würde der ganzen Debatte nachträglich – quasi posthum – noch einen Sinn bescheren.

Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Textes hieß es, dass Beethoven 2019 250 Jahre alt würde. Dies haben wir korrigiert.

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