Platzangst

PHILOLOGISCHE BIBLIOTHEKEN  Die »Shopping Mall« im Viktoriakarree kommt nicht. Ein Gewinn für das Bürgerbegehren und Bonns Stadtbild – ein Rückschlag für die Uni Bonn. Diese muss bis 2018 Platz für tausende Bücher finden. Ideen gibt es schon – Räume nicht.

VON EVA FÜRST

Wenig Platz für AKUT-Redakteurin Eva (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Wenig Platz für AKUT-Redakteurin Eva (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Um die Dringlichkeit des Projektes philologische Bibliothek zu verstehen, geht man am besten acht Jahre zurück, an den Ursprung der Idee. Klar war: Das Hauptgebäude muss saniert werden. Was nicht klar war, ist die riesige Fläche, die im Hauptgebäude von verschiedenen Institutsbibliotheken in Anspruch genommen wird, obwohl die meisten Standorte denkbar ungeeignet sind: Überdurchschnittlich breite Flure und fehlender Platz für Zuwachs. Vollgestopfte Regale und ewig lange Bücherschläuche sind für viele Studierende Bibliotheksalltag. Es musste also über provisorische Lösungen nachgedacht werden: Wohin mit den Büchern während der Sanierung? Dann wurde klar: Provisorische Lösungen allein reichen nicht. Die Statik des Hauptgebäudes wird im Zuge der Sanierung nicht verstärkt, und seit dem Brand am Düsseldorfer Flughafen sind die Brandschutzbestimmungen so verschärft worden, dass die Bibliotheken nicht wieder zurück an ihre alten Standorte ziehen dürfen. Die bisherigen Bibliotheksflächen wurden offiziell für ungeeignet erklärt, es musste zwangsläufig ein neuer Standort her. Die Idee, die betroffenen Institutsbibliotheken des Hauptgebäudes zu einer großen philologischen Bibliothek zusammenzuschließen, lag nahe. Wie vom Himmel geschickt kam das Viktoria-Projekt der Stadt Bonn – die Lage perfekt durch die Nähe zum Hauptgebäude, die Gelegenheit günstig wie nie. Die Uni klinkte sich in das Projekt mit ein und begann mit der Planung der philologischen Bibliothek.

Um allen Parteien gerecht zu werden, wurde ein Beirat aus Universitäts- und Institutsangehörigen gegründet und ein Studierendenworkshop durchgeführt, in dem die Hauptnutzer der Bibliotheken ihre Ideen und Wünsche äußern und in die Planung mit einbringen konnten. Unter der Leitung von Dr. Alice Rabeler sollte mit Input von allen Seiten ein Konzept entwickelt werden. Während von der Seite der Institute einige Sorge um ihre Selbstständigkeit und ihren Einfluss auf die Bestände kam, war die Stimmung beim Studierendenworkshop positiv und dem Projekt zugewandt. Nach vielen Gesprächen im Beirat wurde die Idee eines Zusammenschlusses immer reizvoller. Die Vision eines modernen, gut organisierten Standorts mit vielen Arbeitsmöglichkeiten nahm Form an.

Wie also sieht die Vision genau aus? Die philologische Bibliothek soll nicht nur aus den Institutsbeständen im Hauptgebäude (ausgenommen die Kunstgeschichte, die sich im Erdgeschoss befindet und bleiben wird) bestehen, sondern auch die kompletten Orient- und Asienwissenschaften mit aufnehmen. Damit wird den Studierenden und den Wissenschaftlern die Nutzung der zurzeit wild verstreuten Bestände erheblich erleichtert. Grundlegend wird die Bibliothek in zwei Teile aufgeteilt: die westlichen Philologien wie Germanistik mit Skandinavistik, Anglistik mit Keltologie und der Romanistik; und die »IOA«-Abteilung (Institut für Orient- und Asienwissenschaften). Die Institutsbibliotheken werden allerdings nicht einfach nur an einen anderen Ort verpflanzt und genau so weiter geführt wie bisher. Besonders bei den Literatur- und Kulturwissenschaften gibt es Werke, die nicht nur für eine Sprache nützlich sein können. Es wird daher eine Universalaufstellung geben, die nach Thema des Buches, nicht nach Institut sortiert wird. So findet man alle vorhandenen Werke zu einem bestimmten Thema, zum Beispiel romantische Dichtung, an einem Ort gebündelt. Mit dieser neuen Systematik geht eine weitere Änderung einher: Die Signaturen. Um einen einheitlichen Bestand einfach und sinnvoll zu ordnen, wird eine einheitliche Signaturensystematik eingeführt. Die IOA-Bestände werden nach der Dewey Decimal Classification (DDC) beschriftet, die westlichen Philologien dagegen nach der Regensburger Verbundklassifikation (RVK). Das bedeutet, dass bei allen Büchern der betroffenen Bestände die alten Signaturen gelöscht und vom Büchrücken entfernt werden, dann die neuen katalogisiert und draufgeklebt werden müssen. Selbst wenn die Umstellung zunächst Arbeit und Umgewöhnung bedeutet: Man wird anhand der neuen Signaturen weiterhin erkennen können, um welches Thema oder Fachgebiet es sich handelt, wie es in den Institutsbibliotheken Gang und Gäbe ist.

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(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Geplant sind um die 500 Lese- und Arbeitsplätze. Ein großer Teil davon soll ein ruhiger Lesesaal sein, wie in der ULB. Gruppenarbeitsräume, Räume für Video- und Tonanalyse, Präsentations- und Kolloquiumsräume sind in Planung. Neue Ideen, die von den Studierenden des Workshops eingebracht wurden, sind zwei Eltern-Kind-Räume sowie eine »mobile Fläche«, wo ganz nach den Bedürfnissen der Nutzer Beamer, Computer, Raumtrenner etc. dazugeholt oder weggestellt werden können. Die Räume sollen online reservierbar sein. Zur Ausstattung gehören weiterhin Scanner, Kopierer und Netzdrucker, sowie um die 600 Schließfächer.

Eine der größten Fragen, die bisher noch nicht abschließend geklärt werden konnte, ist die der Ausleihbarkeit. Zunächst soll die Bibliothek ein Präsenzbestand bleiben, obwohl Kurzausleihe über Nacht gestattet wird. Um das übersichtlich zu organisieren, wird eine elektronische Verbuchung eingeführt, ebenfalls nach dem Vorbild der ULB. Hier sehen viele Professoren ein Privileg bedroht – bisher haben viele einen Schlüssel für die Institutsbibliothek und können so schnell vor oder nach dem Unterricht Bücher mitnehmen oder zurückbringen – oder eben auch nicht. Ein Problem vieler Bibliotheken ist, dass manche Dozenten sich Werke ausleihen und jahrelang nicht zurückbringen, auch nach mehrfacher Ermahnung der Bibliothekare. Studierende kommen teilweise nicht an die nötige Fachliteratur für ihre Hausarbeiten und haben keine Möglichkeit, die Bücher sicher einzufordern. Dieses Problem würde es mit der elektronischen Verbuchung nicht mehr geben.

So weit, so gut. Die Vision der philologischen Bibliothek klingt fast zu schön um wahr zu sein – und genau da ist der Knackpunkt. Sie ist eben noch nicht wahr. Und seit das Bürgerbegehren das Signa-Projekt im Viktoriakarree gestoppt hat, stagniert die Planung. Die Sanierung muss bald kommen und die Bibliotheken dürfen nicht bleiben. Es müssen Alternativen gefunden werden. Die Bibliothek soll in nächster Nähe des Hauptgebäudes stehen, doch wo gibt es noch Platz? Kanzler Lutz brachte im Generalanzeiger das Zurich-Gebäude an der Poppelsdorfer Allee ins Gespräch sowie das Juridicum gegenüber der ULB. Doch wo sollen die Juristen hin? Eine Überlegung ist die ehemalige Kinderklinik, doch liegt da eine Entscheidung noch in weiter Ferne. Selbst wenn sofort ein Gebäude gefunden würde, müsste die Statik eingehend geprüft und vermutlich verbessert werden, es müsste Umbaumaßnahmen geben um eine für den Bibliotheksbetrieb sinnvoll strukturierte Fläche zu schaffen, die Institutsbibliotheken müssten mit der Umsystematisierung beginnen und der Umzug müsste organisiert werden. Eine Fertigstellung der philologischen Bibliothek rückt in weite Ferne, sie wird mit großer Wahrscheinlichkeit bis 2018 nicht beendet werden können.

Was nun? Wird das Hauptgebäude trotzdem saniert? Werden die Institutsbibliotheken in Container gesteckt bis eine Lösung gefunden wird? Oder sollen die Bibliotheken während der Sanierung im Baulärm auf eine Rettung warten? Was wird aus den alten Räumen der Institutsbibliotheken im Hauptgebäude? Wo können die Studierenden ihre Ideen und Gedanken einbringen? All diese Fragen sind jetzt noch offen.

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