Studieren in schwarz-weiß

UNI-ALLTAG IN DEN 50ERN  Heute belesene Rentnerin. Davor engagierte Lehrerin für Englisch und Geschichte. Und vor 60 Jahren war sie genau da, wo wir heute sind: Frau Lohmann. Warum nicht alles besser – und gar nicht so viel anders war.

VON ALINA SABRANSKY

Ohne Turmhelme – das Hauptgebäude Ende der 1950er Jahre (Foto: Unbekannt / Archiv der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität)

Ohne Turmhelme – das Hauptgebäude Ende der 1950er Jahre (Foto: Unbekannt / Archiv der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität)

Wen interessiert das denn?«, war Frau Lohmanns erste Reaktion, als ich ihr von meiner Idee erzählte, für die AKUT einen Artikel über ihre Zeit an der Uni zu schreiben. Ich aber machte mich freitags nachmittags trotzdem auf den Weg zu ihr nach Hause in Essen, vorbereitet mit einigen wenigen Stichpunkten, und auch noch ungewiss, in welche Richtung sich das Gespräch genau entwickeln würde. Ich wusste lediglich, dass sie auch hier in Bonn studiert hat, und zwar die gleichen Fächer wie ich, Germanistik und Anglistik. Wie sich allerdings gleich zu Beginn herausstellte, stimmte nur Ersteres. Von 1951 bis 1957 studierte sie zwar anfänglich Germanistik, jedoch gefiel ihr das Studium nicht allzu gut. Schon in den 50iger Jahren schienen Linguistik und Mediävistik, das Übersetzen und Lesen von Mittelhochdeutschen Texten, nicht gerade die beliebtesten Seminare unter den Studenten zu sein. Bis heute hat sich dieses Phänomen kaum gewandelt. Da belegte sie lieber Geschichte, Anglistik und Religionswissenschaften. Dazu noch Französisch und einige Kurse in Philosophie. »Wie, alles auf einmal?« hakte ich nach. »Ja, denn wie man seine Kurse richtig sortiert und wählt, hat einem damals keiner gezeigt. Ich habe einfach alles belegt, was mich interessierte und so stand ich an meinem ersten Unitag in einem riesen Haufen anderer Erstsemester vor dem schwarzen Brett und musste mir meine Seminare zusammen suchen. Ansprechpartner gab es keine und ich war heillos überfordert«, erzählte sie mir. Das Gefühl kann ich nachvollziehen! Ich fühlte mich am Anfang auch ziemlich orientierungslos, und das trotz, oder vielleicht auch wegen, BASIS.

Besonders gute Professoren hätte sie in Geschichte gehabt, erinnert sie sich weiter. Stephan Skalweit zum Beispiel lehrte Neuere Geschichte. Über ihn gibt es sogar einen Wikipedia-Artikel, genau wie über Gustav Mensching. »Er war der allererste Professor für vergleichende Religionswissenschaften in Bonn  und lehrte von 1936 bis 1972. Durch ihn wurde das Fach entschieden geprägt.« Bis heute ist sein Name den fachinternen Studenten ein Begriff, manchen allerdings auch aufgrund seiner mutmaßlichen NSDAP-Mitgliedschaft, wegen der  ihm kurz nach Kriegsende sein Lehrstuhl für zwei Jahre entzogen wurde. Überhaupt hatte der noch nicht allzu lang zurückliegende zweite Weltkrieg einige Auswirkungen auf das Unileben. Das Fach Anglistik wurde zu einem der begehrtesten Studienfächer, denn nach 1945 fiel Bonn unter die britische Besatzungszone, sodass sich besonders unter den jungen Leuten ein großes Interesse an der englischen Sprache entwickelte. »Muttersprachliche Dozenten gab es allerdings keine«, erzählte sie, » denn welcher Brite oder Amerikaner wollte schon freiwillig nach Deutschland«. Ich kann dazu nur sagen, dass bis heute die Zahl der von Geburt an Englisch sprechenden Dozenten und Professoren  höchstens minimal gestiegen ist. Im Jahre 2015, genau 70 Jahre nach Kriegsende, ist das ein ziemlich miserables Ergebnis. In Französisch gab es deutlich mehr Muttersprachler, da Frankreich politisch viel enger mit Deutschland verbunden war. Am prägnantesten in Erinnerung geblieben ist ihr ein Seminar über den französischen Schriftsteller François Rabelais. Ich musste ihn allerdings erst einmal googlen und habe dabei herausgefunden, dass die Uni Bonn mit einer gewissen Universität François Rabelais in der französischen Stadt Tours eine Erasmusbeziehung pflegt. Damals natürlich noch nicht, denn Auslandssemester waren erstens finanziell und zweitens politisch, man bedenke immer noch die Zeit, kaum möglich. Mich interessierte außerdem, wie Frau Lohmann sich als Frau unter den ganzen männlichen Kommilitonen gefühlt hat, denn ich ging davon aus, dass der Frauenanteil an den Universitäten in den 50igern bestimmt nicht allzu hoch ausfallen würde. »Unter all den Männern? Die waren doch fast alle tot«, antwortete sie darauf. Zwar gab es kaum Professorinnen, aber unter den Studierenden herrschte ein relativ ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. »Jura war natürlich schon damals eine Männerdomäne«!

Frau Lohmanns Studienbuch (Foto: Alina Sabransky / AKUT)

Frau Lohmanns Studienbuch (Foto: Alina Sabransky / AKUT)

Um den Krieg aber mal Krieg sein zu lassen, versuchte ich das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken und erkundigte mich nach Studentenpartys. In der Form wie wir sie heute kennen, gab es sie jedoch kaum. »Außer in den Verbindungen. Die waren immer auf der Suche nach Mädchen für ihre Partys«, erinnerte sich Frau Lohmann. Generell war das Verhältnis der Studenten untereinander ein ganz anderes als wir es heute kennen. Feste Kontakte hatte Frau Lohmann nur etwa zehn, da es kaum Möglichkeiten und Stätten gab um sich zu treffen, außer in der Cafeteria im Unihauptgebäude, die wir heute als Café Unique kennen. Auch, dass sie und ihre Kommilitonen sich untereinander gesiezt haben, erstaunte mich sehr und kann ich mir in einer Zeit, in der selbst einige meiner Dozenten sich gerne duzen lassen wollen, kaum vorstellen. Aber die Bindungen, die sie damals in Bonn geknüpft hat, sind lange geblieben. Noch bis zu 40 oder 50 Jahre lang. Als ich nun erfahren hatte, wie die Beziehung unter den Studenten selbst war, wollte ich auch wissen, wie denn das Verhältnis zwischen Professoren und Studenten aussah. »Es gab keines«, war ihre schlichte Antwort. Die Seminare wurden im trockenen Frontalunterricht durchgezogen, ohne irgendeine Form von Kursdiskussion und wenn man eine Frage hatte, musste man nach der Stunde schnell zum Professor eilen, da damals von Sprechstunden nicht allzu viel gehalten wurde. Durch basis und ecampus haben wir heute ja sogar in der unifreien Zeit die Möglichkeit, mit unseren Dozenten Kontakt aufzunehmen. Frau Lohmann findet, dass das Internet, zumindest in diesem Punkt, einige Vorteile und Erleichterungen für die Kommunikation birgt. An ein Erlebnis aus einem Geschichtsseminar erinnerte sie sich besonders lebhaft. Eine ihrer Kommilitoninnen befasste sich in ihrer Hausarbeit mit Bismarck, jedoch schrieb sie den ersten deutschen Reichskanzler durchweg mit »k« anstatt mit »ck«. Der Professor nahm es sich daraufhin zur Aufgabe, sie vor dem gesamten Kurs mehrere Minuten bloßzustellen und sie zu demütigen. Es sei generell nicht unüblich gewesen, Seminararbeiten vor allen anderen, anstatt in einem persönlichen Vier-Augen-Gespräch zu besprechen. Dass man heute sogar Dozenten duzen soll, findet sie zwar übertrieben, aber die Distanz sollte auch nicht zu groß sein. »Ein bisschen mehr menschliches Feingefühl von Seiten des Lehrpersonals hätte nicht geschadet«.

Mich interessierte noch, wie und wo sie damals gewohnt hat. Das Konzept von Wohngemeinschaften war noch nicht ausgereift und es war üblich, ein Zimmer bei einer Familie zu bewohnen. »Mein erstes Zimmer war in einer ganz kleinen Wohnung einer Familie, an die mein Vater  Geld für die Kohle zum Heizen zahlen musste. Bis auf ein Bett und einen winzigen Schreibtisch, stand dort nichts drin. Mein zweites Zimmer lag in der Rosenstraße, also ganz in Rheinnähe, ebenfalls bei einer Familie. Zum Glück aber diesmal außerhalb von deren Wohnung«, erzählte sie, denn sie fühlte sich immer verpflichtet, kein Angebot zum Kaffee oder einem Gespräch abzulehnen. Gegessen hat sie in der Mensa, denn die Küche durfte sie nicht mitbenutzen. Deren Konzept hat sich übrigens bis heute kaum geändert, wie wir beide belustigt festgestellt haben. Unten gab es »Blechnäpfe mit Suppen und Eintöpfen« für 1,5 DM und oben war es teurer, dafür aber um einiges besser.

Am Ende, nach fast zweieinhalb Stunden Gespräch und mehreren Tassen Tee, fragte mich Frau Lohmann noch, ob ich wüsste was ein Studienbuch sei. Ich verneinte und sie legte vor mir ein kleines, ziemlich gut erhaltenes Heftchen auf den Tisch. Das Studienbuch besteht aus einer Führung über ihr gesamtes Vorlesungsverzeichnis. Nach Ende eines jeden Semesters musste man sich beim Professor eine Unterschrift abholen, die die Teilnahme bestätigen sollte. Sogar Professor Menschings persönliche Signatur entdeckten wir beim Durchblättern. Außerdem war in der rechten Spalte fein säuberlich der Preis für die jeweilige Vorlesung eingetragen, der meistens um die 10 DM betrug.

Kurz bevor ich gehen will, bemerkte Frau Lohmann dann noch einmal, dass das ja wirklich keiner lesen wolle. Das muss sie aber dann doch mir überlassen, fand ich und bedankte mich für das sehr interessante Gespräch.

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