Interview mit Frau Dr. Jasmin Khosravie
Frau Dr. Khosravie, im Fokus Ihrer Forschungsarbeit steht die islamische Welt. Haben Sie eine besondere Verbindung zu diesem Raum?
Ja, im Mittelpunkt meiner Arbeit steht vor allem iranische Geschichte. Mein Zugang zu diesem Raum hat einen persönlichen Hintergrund – mein Vater kommt aus dem Iran. Ich habe mich aus mehreren Gründen entschieden, Islamwissenschaft zu studieren: Einer davon war, dass mir in meiner Schulzeit die Geschichte über den muslimisch geprägten Raum viel zu kurz kam. Ein andere war meine Leidenschaft fürs Sprachenlernen. Vor allem habe ich mich von Neugier und Interesse leiten lassen, als ich diese Entscheidung getroffen habe.
Sie lehren seit mehreren Jahren an der Universität Bonn und sind dort 2010 promoviert worden. Derzeit arbeiten Sie an Ihrer Habilitation. Was hat Sie motiviert, sich für eine wissenschaftliche Karriere zu entscheiden?
Ich habe mich für eine wissenschaftliche Karriere entschieden, als ich meine Doktorarbeit geschrieben habe. Es war von Anfang an klar, dass ich nach der Promotion weiter machen werde. Mir macht es wahnsinnig viel Spaß, mich intensiv mit einem Themenkomplex zu beschäftigen und tief in ein Thema einzutauchen.
Was schätzen Sie an Ihrer Tätigkeit als Forscherin an der Uni, welche Nachteile bringt diese Beschäftigung mit sich?
Was ich sehr schätze, ist die Freiheit. Die Freiheit, so arbeiten zu können, wie ich das möchte. Was ich ebenfalls schätze, ist der inspirierende Austausch und die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen – darauf möchte ich nicht verzichten. Außerdem ist die Uni ein Umfeld, in dem man ständig dazu lernt – auch abseits meines Fachs, das gefällt mir sehr.
Natürlich gibt es auch Nachteile. Als Mutter eines kleinen Kindes ist es immer kompliziert, Vollzeit Karriere zu machen. Es ist nicht immer einfach, überall präsent zu sein, zum Beispiel bei abendlichen Vorträgen oder an internationalen Konferenzen teilzunehmen. Andererseits erlaubt mir meine Forschungsarbeit flexibel zu sein, was die Kinderbetreuung wiederum auch einfacher macht.
Kann man von einem gewissen Druck sprechen, wenn man in der Forschung tätig ist?
Der Druck ist auf jeden Fall da. Druck, zu veröffentlichen, Druck, in der Fachwelt präsent zu sein, Druck, sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten zu hangeln und Anträge zu schreiben. Bei einer wissenschaftlichen Karriere hat man nie wirklich Feierabend. Man hat zwar viel Freiheit, aber die Frage ist: Wie geht man mit der Freiheit und dem gleichzeitigen Druck um?
Was inspiriert bzw. motiviert Sie bei der Forschungsarbeit?
Was mich inspiriert oder motiviert sind die Personen oder die Themenkontexte mit denen ich mich beschäftige. Ich bin fasziniert von meinen Forschungsobjekten bzw. -themen!
Sie sind die Leiterin des Projektes „Europa von außen gesehen – Formationen nahöstlicher Ansichten aus Europa auf Europa“. Das Projekt untersucht nahöstliche Perspektiven auf Europa in den Berichten von Reisenden vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie kam die Idee für dieses Forschungsvorhaben zustande?
Die Idee dazu kam durch meinen Kollegen Dr. Bekim Agai, der jetzt eine Professur an der Goethe-Universität Frankfurt hat. Er hat sich schon im Vorfeld des Projektes intensiv mit orientalischen Reiseberichten auseinandergesetzt. Als die Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für ein Forschungsprojekt mit dem Thema „Europa von außen“ bekannt wurde, hat er ein Konzept dafür erstellt. Wir wollen die heterogenen Bilder von Europa aus der nahöstlichen Perspektive betrachten. Dabei steht die Frage „warum“ im Mittelpunkt. Warum haben die Reisenden aus dem Nahen Osten genau diese Sachen über Europa geschrieben? Welche Funktion erfüllten diese Reiseberichte in der Heimat? Welche narrativen Strukturen lassen sich erkennen?
Bei der Analyse der Reiseberichte arbeitet unsere Projektgruppe mit arabischen, persischen, osmanischen und türkischen Texten.
Dieses Forschungsprojekt wird seit 2010 gefördert. Ist mittlerweile Ihr Forschungsteam zu der Ansicht gelangt, dass man von einer „nahöstlichen Sicht“ auf Europa sprechen kann, oder sind der Nahe und Mittlere Osten kulturell, politisch und historisch betrachtet viel zu heterogen dafür?
Man kann Gemeinsamkeiten an einer nahöstlichen Perspektive auf Europa aufzeigen, aber man muss in der Tat differenzieren. Eine Gemeinsamkeit wäre etwa das Bild von Europa als ein Ort der Zivilisation, des technischen Fortschrittes, der Mobilität.
Das bedeutet, Europa wurde als Modell betrachtet?
Ja, als ein Modell für militärischen und technischen Fortschritt sowie auch für das Bildungssystem. Die politischen Systeme Europas wurden von den Reisenden ebenfalls thematisiert und bewertet. Manch persischer Reisender bewunderte die konstitutionelle Monarchie in England, kritisierte aber das politische System Frankreichs. Dennoch, das Bild von Europa war sehr zwiespältig. Viele ägyptische Reisende etwa haben Europa zwar für moderne Technologien geschätzt, aber es gleichzeitig als Kolonialmacht wahrgenommen, als Unterdrücker.
Wie wurden die Gesellschaftssysteme Europas betrachtet?
Das Gesellschaftssystem ist unterschiedlich bewertet worden, was vor allem damit zusammenhing, aus welcher sozialen Schicht bzw. aus welchem Milieu die Reisenden kamen. Die persönliche, religiöse oder politische Haltung spielt dabei auch eine Rolle. Es gab sehr konservative Reisende, es gab auch Personen, die sehr liberal eingestellt waren. Es gab Reisende, die bei der Betrachtung Europas sagten: „Genauso sollen wir das machen“, es gab aber auch viel Kritik und Ablehnung, im Hinblick auf Moral etwa. Hier muss dann immer geschaut werden, wer die Reisenden waren und welche Funktion die übermittelten Europabilder zu Hause erfüllen sollten.
Überwiegt in diesem Zusammenhang ein bestimmtes Bild von Europa, das durch Europareisende aus dem Nahen Osten geschaffen wurde?
Eine positive Wahrnehmung Europas überwiegt. Man kann das aber nicht an den Ländern festmachen, aus denen die Reisenden kommen. Die soziale Schicht ist wichtig und die Kreise in denen man sich in Europa bewegt hat, nicht unbedingt das Land, aus dem man kommt.
Haben Sie eine Vermutung, inwieweit sich das aktuelle nahöstliche Europabild von dem Europabild der Reisenden aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg unterscheidet?
Es ist sehr viel passiert in den letzten Jahrzehnten – um diese Frage zu beantworten, wäre ein eigenes Forschungsprojekt nötig. Aber meine Vermutung ist, dass bestimmte Sachen unverändert geblieben sind. Auf Deutschland speziell bezogen, ist besonders die Begeisterung der Iraner für die deutsche Technik unverändert geblieben. Auch das Bild der westlichen Frau ähnelt bisweilen nach wie vor den Aussagen von Reisenden des frühen 20. Jahrhunderts, wenig reflektiert und verhaftet in Stereotypen.
Was vermissen Sie in der westlichen medialen Auseinandersetzung mit dem Iran?
Ich vermisse den Willen, sich wirklich ernsthaft damit zu beschäftigen, was dort passiert. Journalisten greifen allzu oft auf Altbekanntes zurück, schließlich ist es einfacher, das zu schreiben, was andere auch schreiben. Das Hauptproblem sehe ich darin, dass man immer noch versucht, die nahmittelöstlichen Gesellschaften durch die Brille der Religion verstehen zu wollen oder Erklärungsansätze für bestimmte Phänomene im Islam zu suchen. Zudem wird zu wenig auf die kulturelle Heterogenität des Raumes und auch des Islam eingegangen. Der Islam in Marokko ist anders als der Islam in Libanon, Iran oder gar Indonesien.
Ihr Forschungsfeld umfasst ebenfalls Genderfragen in der islamischen Welt beziehungsweise in Iran. Was an diesem Forschungsfeld interessiert Sie besonders?
Ich interessiere mich für die Geschichte der Frauenbewegung und für die Kontexte Geschlecht, Macht und Sexualität. Ich finde die Entwicklungen in den jeweiligen Ländern sehr spannend. Bezüglich der iranischen Frauenbewegung interessieren mich die Anfänge der Bewegung, der soziale und politische Kontext, in dem die Bewegung arbeitete und wie sie was erreicht hat.
Gab es bisher Erkenntnisse mit Bezug auf die Frauenrolle in der iranischen Gesellschaft, die Sie überrascht haben?
Eigentlich nicht. Ich hatte von Anfang an kulturelle Einblicke, die andere so vermutlich nicht haben. In meiner Forschung bin ich eher in meiner Wahrnehmung bestätigt worden. Interessant ist, dass mein Publikum oft erstaunt ist, wenn ich durch meine Vorträge zeigen kann, dass die westlichen Stereotypen wenig Bestand haben und dass es unzählige Grauschattierungen zwischen dem Schwarz und Weiß in den Köpfen gibt. Diese Stereotypen sagen mehr über „uns“ aus als über die „anderen“.
Zum Schluss möchten wir Sie noch fragen, ob Sie eine Botschaft für die Bonner Studierenden haben?
Ich möchte meinen Studenten sagen, dass eine längere Reise, ein Semester im Ausland oder eine Sprachreise nie verlorene Zeit sein kann. Ich rate den jungen Studenten, schaut euch die Welt an. Widmet euch der Fremde, reist und redet mit den Menschen!