Interview mit Kissinger-Professor Dr. James Bindenagel
Heiß umstritten, nun bald da: Zum Wintersemester 14/15 erfolgt erstmals eine Besetzung der Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur für Governance und Internationale Sicherheit – durch Prof. Dr. Bindenagel. Welche Motivation ihn an die Uni treibt und wie er zu den Vorwürfen Kissinger gegenüber steht, hat er im Interview beschrieben. Die Übersetzung erfolgte durch Stefanie Oymann, Assistenz Ambassador Bindenagel.
Was gilt für Sie als Motivation, an einer Universität zu lehren?
Eine Universität ist ein einzigartiger Ort, der intellektuelle Debatten, rigorose Analyse, Kritik und einen freien Meinungsausstausch fordert und fördert und sie in einem geschützten Raum stattfinden lässt. Ich komme in der Erwartung nach Bonn, mich mit den Studierenden, der Fakultät und der Universität auszutauschen. Und ich freue mich darauf! In meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als Diplomat habe ich mehr als 30 Jahre damit verbracht, mich mit Deutschland auseinanderzusetzen. Mit diesem Erfahrungswert kann ich einen wertvollen Beitrag leisten, was den Umgang mit Diplomatie und Verhandlungen angeht. Ich kann Studierenden helfen, sich in dieses sehr komplexe und schwierige Arbeitsumfeld und die damit verbundenen Herausforderungen im Bereich der internationalen Sicherheit einzufinden, denen sie sich ja stellen müssen, wenn sie den Abschluss ihres Studiums erreicht haben und in diesem Feld arbeiten wollen. Dabei geht es meines Erachtens einerseits um die Rolle der Diplomatie in Fragen der Konfliktprävention und -bewältigung, andererseits aber auch um die Analyse konkreter Situationen und die damit einhergehende Frage, welche Fähigkeiten erforderlich sind, um eine Situation beurteilen zu können und sich eindringlich für die Verteidigung demokratischer Prinzipien einzusetzen. Das immer vor dem Hintergrund der Tatsache, dass solche Entscheidungen selten in entspannter Atmosphäre, sondern eigentlich immer unter großer Anspannung und undurchsichtiger Problemlagen zwischenmenschlicher Konflikte gefunden werden müssen. Diese Auseinandersetzung wird für die Studierenden aber sicherlich sehr hilfreich für ihren weiteren Lebens- und Arbeitsweg sein.
Was gilt für Sie als Motivation zur Annahme der Kissinger Professur?
Meine erste Anstellung in Deutschland war die eines US-Army-Offiziers. Ich war in der Nähe des sogenannten „Fulda-Gap“ bei Coburg eingesetzt, um unsere westdeutschen Verbündeten bei der Verteidigung gegen einen drohenden, durch die Sowjetunion vorgetragenen, Angriff zu unterstützen. Nachdem ich diesen Einsatz in der Army vollbracht hatte, entschied ich mich für einen beruflichen Werdegang im Bereich der Diplomatie, um einen Beitrag zu leisten, solche Konflikte zu lösen, beziehungsweise sie bestenfalls zu verhindern. Während meiner beruflichen Laufbahn war ich als Repräsentant der Vereinigten Staaten in Bonn und Ost-Berlin auf beiden Seiten des geteilten Deutschland und geteilten Europa tätig. Nach dem Fall der Mauer kehrte ich durch mein Amt als amerikanischer Botschafter nach Bonn zurück. Während dieser geschichtsträchtigen Zeit, als Deutschland noch geteilt war und Ost-Europa von einem kommunistischen Regime kontrolliert wurde, habe ich mich intensiv mit der Konfrontation zwischen Westdeutschland und der Sowjetunion auseinandergesetzt. Ich habe den USA in meiner Funktion als Diplomat über die Ereignisse rund um die demokratische Revolution in der DDR und den damit einhergehenden den Fall der Berliner Mauer 1989 berichtet, habe mit Deutschland und Europa an der Etablierung des Euro und der NATO Mitgliedschaft für Deutschlands Nachbarländer gearbeitet, die heute einen Schutzraum für die Baltischen Länder und Polen gewährleisten und mich für eine nachträgliche Entschädigung der Holocaust-Opfer und Zwangsarbeiter eingesetzt. In diesem Zusammenhang habe ich mit Frankreich, Deutschland und Österreich drei Abkommen verhandelt. Zusätzlich habe ich mich erfolgreich für ein globales Verbot für den Handel mit sogenannten Blutdiamanten eingesetzt, die dazu dienten, die Rebellen in den Bürgerkriegsregionen in Liberia, Sierra Leone und Angola zu finanzieren. Eine Konfliktlösung, die zur damaligen Zeit niemand für möglich gehalten hätte. Diese Punkte des deutsch-amerikanischen Verhältnisses überschneiden sich mit der Rolle von Dr. Henry Kissinger als Außenminister und seinen Beiträgen im Bereich der Diplomatie und der Debatte um Strategische Sicherheit.
Wie ist Ihre Haltung gegenüber den Vorwürfen bezüglich der Namensgebung/-widmung zu Ehren Kissingers?
Eine Universität ist ein Ort um zu lernen, es ist kein Gerichtssaal voll mit Staatsanwälten und Anklägern – und es gibt auch keine Verteidiger. Bei der Untersuchung des Vermächtnisses und den historischen Errungenschaften von Dr. Kissinger, die sich über eine sehr lange, sehr ereignisreiche und vor allem sehr schwierige Phase geschichtlicher und politischer Ereignisse zieht, sollten die Studierenden genauestens die historischen Hintergründe, Problemlagen und Rückschlüsse, die zur damaligen Zeit möglich waren, in Betracht ziehen – ebenso wie die Prozesse der Entscheidungsfindung, so wie es auch in allen ernsthaften Nachforschungen immer der Fall ist. Nur so kann man sich ein nachträgliches, fundiertes Urteil erlauben, anstatt ein Vorurteil zu fällen, dass sich auf eine oder zwei Episoden bezieht, die nicht vollumfänglich untersucht wurden. Natürlich ist es dabei wichtig, ein Verständnis für moralischen und ethischen Überlegungen zu entwickeln, aber die Realität, mit der man sich bei der politischen Entscheidungsfindung konfrontiert sieht, ist unglaublich undurchsichtig und verwirrend. Die entscheidende Frage ist: Was ist die klügste Vorgehensweise, wenn man alle Überlegungen und möglichen Szenarien in Betracht zieht und dabei vorhersehbare Konsequenzen erwägt, die ein Handeln oder auch Nicht-Handeln nach sich ziehen. Für Studierende – und für Praktiker – ist es wichtig, die Komplexität der politischen Entscheidungsfindung zu verstehen und daraus Theorien sowie praktische Handlungsweisen zu entwickeln, um Konflikten vorzubeugen oder sie zu lösen, ohne dabei die eigenen Prinzipien zu verraten.
Hinzu kommt, dass die Namenswidmung durch Deutschland und die Bonner Universität auch dem persönlichen Leben von Henry Kissinger Rechnung trägt. Als geborener Deutscher flüchtete er vor dem nationalsozialistischen Regime und dessen Ziel der Auslöschung der Juden aus Europa. Er hat seine Laufbahn der Weiterentwicklung der liberalen Demokratie verschrieben. Unvollkommene oder auch fehlerhafte Entscheidungen in schwer beherrschbaren Situationen, die sich durch zwangsläufig eingeschränkte Zeithorizonte und politische Handlungsspielräume kennzeichnen, sind kein ausreichender Grund, um einen Mann zu verurteilen, der sich zeitlebens für den Frieden, die Verhinderung des Ausbruchs eines Nuklearkriegs und die Verteidigung unterdrückter Menschen eingesetzt hat. Diese positiven Errungenschaften in Verbindung mit der Beendigung des Vietnamkriegs, seinem Beitrag zum Friedensprozess im Mittleren Osten und der Öffnung eines friedlichen Aufstiegs Chinas, sind der Grund – trotz möglicherweise berechtigter Kritik an manchen seiner Entscheidungen – warum Henry Kissinger der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Einige der heutigen Spannungen zwischen Vietnam und China oder auch die verfahrenen Probleme im Mittleren Osten zeigen doch, wie komplex und schwierig der Umgang mit menschlichen Erfahrungen in oft sehr irrationalen Konflikten ist – trotz der gutgläubigen Bemühungen wohlwollender Verhandlungspartner (so wie John Kerry im Camp David).
Der Universität wird vorgeworfen, auch zur Errichtung einer Putinprofessur bereit zu sein, sollte eine solche gestiftet werden. Wie stehen Sie dazu?
Es gibt weder eine moralische noch eine andere Vergleichbarkeit zwischen dem feindseligen Verhältnis zwischen der EU und Russland und den transatlantischen Beziehungen mit geteilten Wertvorstellungen, denen ich mich verschrieben habe und zu dem damit verbundenen Erhalt von Frieden und Prosperität in Westeuropa und dem heutigen vereinten Europa ich beigetragen habe. Ich würde die Frage stellen, weshalb eine ähnliche Position Präsident Putin honorieren sollte, der die liberale demokratische Grundordnung herausgefordert hat, die seit 1945 den Grundstein für Frieden in Europa bildet und dabei friedliche Abkommen der Sicherheitskonferenzen in Helsinki untergräbt. Mit der Verschiebung von Grenzen durch die Anwendung von Gewalt, ohne Respekt für international geltendes Recht und Abkommen, denen auch Russland zugestimmt hat, mit der Zersplitterung und gebietsweisen Annektierung von Teilen der Ukraine, durch die Errichtung eines Prinzips des ethnischen Nationalismus, mit dem Russland der Ukraine droht und der Destabilisierung der Baltischen Staaten und Zentralasiens, bringt er das gesamte Europa in eine äußerst riskante und schwierige Situation. Die Europäer können sich noch gut daran erinnern, zu welchen Kosten und mit welchem Aufwand Frieden, wirtschaftlicher Wohlstand und geltendes Recht errungen wurden. Visionäre der europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft und des Europavertrags, der die Vereinigten Staaten und den Marshallplan unterstützt, haben damals eine Garantie für Frieden erreicht, die mit jahrzehntelangen Bedingungen verknüpft waren. Unterstützt das Verhalten Putins diese hart erarbeiteten Prinzipien der Europäischen Union, die sich für friedvolle Konfliktlösungen und die Weiterentwicklung der ökonomischen Wohlstands einsetzen? Russland und Europa sollten nach einem friedlichen, konstruktiven Verhältnis streben. Die unter Ihnen, die nach der Wiedervereinigung von Europa 1990 geboren wurden, wurden in eine Zeit des demokratischen Friedens hineingeboren. Aber dieser Frieden kam erst zustande, nachdem den Kriegen Europas vor hundert Jahren eine gesamte Generation junger Menschen zum Opfer fiel. Vor 70 Jahren haben die Amerikaner gekämpft und gelitten – darunter mein Vater – viele sind gestorben, damit Sie und auch ich heute in Frieden leben können. Ich kam nach Deutschland als amerikanischer Offizier, um Westdeutschland gegen die sowjetische Bedrohung zu verteidigen, die Osteuropa besetzt hatte und 17 Millionen Menschen mit einer Diktatur unterdrückte, die eingeschlossen waren hinter einer Mauer und erschossen wurden, wenn sie flüchten wollten. Vor 25 Jahren hat die chinesische Regierung demonstrierende Studierende niedergeschossen. Ich war in Ost-Berlin eingesetzt, als einige Monate später mutige Deutsche in der DDR dabei geholfen haben, die Berliner Mauer zu stürzen – aber ohne die Anwendung von Gewalt! Danach haben sich die Vereinigten Staaten in Zusammenarbeit mit Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion dafür eingesetzt, Deutschland in Frieden zu vereinigen. Die Verfassung der Vereinigten Staaten beginnt mit den Worten: „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Seit 70 Jahren arbeiten die Vereinigten Staaten mit ihren europäischen Verbündeten daran, diese Errungenschaften auch für Europa zu erhalten – und Henry Kissinger hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Das ist unser Vermächtnis. Es war mit großen Belastungen für die transatlantischen Partner verbunden, für Amerikaner und Europäer. Das dürft ihr niemals vergessen! Es ist an Euch, es zu beschützen.
Was sind Ihre Hoffnungen, Ziele und Sorgen bezüglich Ihrer Zukunft in Bonn?
Ich hoffe, dass ich mit der Fakultät der Universität Bonn einen Beitrag leisten kann, Deutschlands Rolle im Spannungsfeld internationaler Sicherheit zu debattieren. Eine Debatte, die Bundespräsident Gauck und die Minister von der Leyen und Steinmeier initiiert haben und bei der es insbesondere um die Bedeutung von Deutschlands Verantwortung in diesem Bereich geht.
Haben Sie einen persönlichen Bezug zur Stadt Bonn?
Ich habe einige Jahre in Bonn gelebt, während ich für die Amerikanische Botschaft tätig war und freue mich darauf, nun ein drittes Mal nach Bonn zurück zu kehren. Ich habe schon oft beobachtet, dass der Ausspruch zutrifft: „It‘s an honor to be a Bonner!“ Ich mag es, am Rhein entlang zu radeln und durch die Altstadt in der Nähe der Bonner Universität zu schlendern.
Haben Sie eine Botschaft an die Studierenden?
Ich dränge die Studierenden dahingehend, sich bestmöglich anzustrengen, um von ihren Professoren zu lernen, dabei Fragen zu stellen und die besondere Möglichkeit zu nutzen, Ideen zu erforschen. Außerdem sollten sie auf jeden Fall Spaß haben!