Sackgasse Islamwissenschaft?

Bonner Studierende enttäuscht über Studienorganisation – Der Bachelor- Studiengang „Islamwissenschaft“ soll seine Absolventen zu Kennern des Nahen Ostens ausbilden. Durch einen Passus in der Prüfungsordnung können sie jetzt aber gar nicht für den Master zugelassen werden. Studierende machen ihr Institut dafür verantwortlich. Der Abteilungsleiter der Islamwissenschaft sieht das Problem hingegen in der Bologna-Reform.

Von Sophie Leins

ISLM WEB

Ich fühle mich getäuscht und bin enttäuscht – und das von meiner Alma Mater!“ erklärt Christina Baetzel in einer Lernpause in der ULB.  Gerade bereitet sich die Bachelorstudentin, die im fünften Semester den Zwei-Fach-Bachelor „Islamwissenschaft/Nahostsprachen“ studiert, auf ihre letzte Klausur vor. Im sechsten Semester folgt nur noch die Abschlussarbeit, danach sollte der Master folgen – am selben Institut, dem Institut für Orient- und Asienwissenschaften (IOA). Doch vor einigen Wochen hat Christina aus Zufall erfahren, dass aus diesem Plan nichts werden wird. Denn ihr Bachelor-Abschluss qualifiziert sie dafür nicht.
Doch wo liegt überhaupt das Problem? Wie kann es sein, dass die Uni einen Bachelor anbietet, der nicht für den aufbauenden Master am selben Institut qualifiziert? Und wieso hat die Studentin davon erst inmitten ihres Studiums erfahren?
Der Master setzt voraus, was man im Bachelor nicht einmal freiwillig erreichen kann

Die Fakten: Im Wintersemester 2012/2013 wurden an der Universität Bonn Zwei-Fach-Bachelor-Studiengänge eingeführt. Das Konzept erlaubt es, zwei Fächer der Philosophischen Fakultät im gleichen Verhältnis zueinander zu studieren. In beiden Fächern belegen die Studierenden 78 ECTS-Punkte, dazu kommt die Bachelor-Arbeit. Das macht zusammen 180 Punkte.Die Prüfungsordnung der Philosophischen Fakultät der Uni Bonn setzt für den Masterstudiengang „Asienwissenschaften“ mit dem Schwerpunkt Islamwissenschaft eine Sprachpraxis in Arabisch oder Persisch im Umfang von mindestens 72 Punkten voraus. Alternativ kann eine Mischung aus beiden Sprachen als Zugangsvoraussetzung anerkannt werden. De facto sind durch den Zwei-Fach-Studiengang aber beide Optionen nicht erreichbar, da im Studienverlaufsplan nur drei Basismodule in einer Fremdsprache (insgesamt 36 ECTS-Punkte) vorgesehen sind.
„Die Informationspolitik des Institus war eine Katastrophe“

Mehr als eine Nahost-Sprache zu lernen, ist ebenso nicht vorgesehen, auch wenn der Plural im Namen des Studiengangs diesen Eindruck vermittelt. Wie die akut bereits in der Ausgabe Nr. 334 berichtete, ist es aufgrund der geringen Sprachkursplätze für Studierende des Zwei-Fach-Studiengangs nicht garantiert, überhaupt einen Platz im Arabisch-Kurs zu bekommen.
Lange Rede, absurder Sinn: Der Zwei-Fach-Bachelor „Islamwissenschaft/Nahostsprachen“ qualifiziert zwar für den Master „Asienwissenschaften“, jedoch nur für die Schwerpunkte „Kunstgeschichte“, „Religionswissenschaft Südostasien“ und „Religionswissenschaft“, hingegen nicht für den aufbauenden Schwerpunkt „Islamwissenschaft“. Wegen mangelnder Sprachkenntnisse qualifiziert er seine Absolventen außerdem auch für fast keinen islamwissenschaftlichen Master anderer Universitäten. Eine Kommilitonin von Christina im dritten Semester hatte schon ein Drittel ihres Bachelors absolviert, als ihr klar wurde, dass sie sich mit dem Weg, den sie eingeschlagen hatte, in einer Sackgasse befand, da sie keinen Zutritt zu den Vertiefungsmodulen in den islamwissenschaftlich relevanten Fremdsprachen bekommen würde. Nach mehreren Beratungsgesprächen entschied sie sich dazu, das Zwei-Fach-Modell aufzugeben. „Ich kann nun inoffiziell an den Kernfach-Veranstaltungen teilnehmen und mich im Sommersemester dann offiziell ins Kernfach umschreiben lassen.“ Für die Fünftsemesterin Christina kam diese Möglichkeit zu spät. Sie überlegt nun, ob sie überhaupt einen Master machen soll.
Beide fühlen sich vom Institut nicht ausreichend informiert. „Die Informationen des IOA waren eine einzige Katastrophe. Der ins Internet eingestellte Studienverlaufsplan für den 2-Fach-B.A. „Islamwissenschaft“ war fehlerhaft, sodass sämtliche Kommilitonen und ich eine böse Überraschung erlebten“, erklärt die Studentin, die lieber anonym bleiben will. „Das Institut hat ganz klar hinsichtlich seiner Beratungs- und Informationspolitik versagt.“
Fehlkommunikation zwischen Institut und Prüfungsamt

Professor Dr. Stephan Conermann, Leiter der Abteilung für Islamwissenschaft am IOA, findet die ganze Situation genau so absurd wie die betroffenen Studierenden. „Natürlich macht es grundsätzlich keinen Sinn, einen Zwei-Fach-B.A. anzubieten, für den es keinen passenden Master gibt“ gibt er zu. Doch wie konnte es dann dazu kommen? Durch Fehlkommunikation zwischen seiner Abteilung und dem Prüfungsamt der Philosophischen Fakultät, erklärt Conermann. Erstere bekam bei der Einführung der Bologna-Reform den Auftrag, einen abgespeckten Bachelor-Studiengang für das Zwei-Fach-Modell zu konzipieren. Der erste Entwurf hätte zwar für den Master qualifiziert, bestand jedoch ausschließlich aus Sprachmodulen. Dieser Vorschlag wurde vom Prüfungsamt nicht akzeptiert. Mindestens die Hälfte des Curriculums sollte aus inhaltlichen Modulen zu Religion, Geschichte und Gesellschaft des Nahen Ostens bestehen. So wurde es dann gemacht und in die Prüfungsordnung gepackt. Nur fiel dabei niemandem auf, dass das Ergebnis nicht mehr ausreichte, um die Studierenden für den Master-Studiengang zu qualifizieren.
Dabei gäbe es nach Ansicht Conermanns eine praktische Lösung: Die Studierenden könnten die nötigen Sprachkursmodule freiwillig und über ihr reguläres Curriculum hinaus abschließen. Die entsprechenden Dozierenden könnten ihnen dafür wie früher einen „Schein“ ausstellen und das Prüfungsamt diesen dann anerkennen. Doch „vollkommen vernünftige Lösungen“ seien wegen einer „durch den Bologna-Prozess verursachten systemischen Sklaverei“ nicht möglich. Freiwillige Leistungen, die über die obligatorischen 180 Leistungspunkte hinausgehen, können im Transcript of Records nicht festgehalten werden. Conermann findet es unglaublich, „dass es engagierten Studierenden verboten wird, freiwillige Leistungen zu dokumentieren“. Betroffenen empfiehlt er, die Kurse trotzdem zu belegen, sich zusammen zu tun und mit Hilfe der Fachschaft eine „selbstorganisierte, sachliche Auseinandersetzung mit dem Prüfungsamt“ anzustreben.
„Durch den Bologna-Prozess verursachte systemische Sklaverei“

Die andere Möglichkeit, das Problem zu beheben – durch einen Antrag auf Änderung der Master-Prüfungsordnung durch das Institut – hält er für wenig realistisch. Die nächste und auch vorerst letzte Möglichkeit hierfür wäre das Sommersemester 2015, doch am Institut selbst sei nach wie vor umstritten, ob die Anforderungen für den Master gesenkt werden sollten. Allerdings überarbeitet das IOA für die nächste Reakkreditierung im Jahre 2018 zurzeit das gesamte Studienangebot grundlegend. Die Tendenz geht zu 2-Fach-Bachelorprogrammen für alle Disziplinen, die dann selbstverständlich für einen Master in dem jeweiligen Fach qualifizieren. Eine Lösung, die für aktuelle Studierende natürlich zu spät kommt.
Zum Abschied versucht Prof. Dr. Conermann noch einmal zu erklären, wie es so weit kommen konnte. Der Bologna-Prozess sei für alle Beteiligten eine völlig neue Herausforderung gewesen und man befinde sich noch immer in einer Übergangsphase. „Uns wurde etwas vorgegeben, wir sollten uns dann etwas ausdenken. Nicht nur die Studierenden, auch meine Kollegen und ich fühlen uns seit acht Jahren ein wenig wie Versuchskaninchen.“¬

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