Treffen sich zwei Völker

»Bogida«-Demo und Gegenprotest in Bonn – Zwei Mal trafen sich im Dezember Frauen und Männer in Bonn, um gegen eine »Islamisierung des Abendlandes« zu demonstrieren. Sie hatten zahlreiche weitere Forderungen mitgebracht. Noch zahlreicher war allerdings der Gegenprotest. Und der hatte nur eine Forderung: »Nazis raus!«

Text & Fotos: Alexander Grantl

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In der Kölnstraße besprechen sich Polizeibeamte während der zweiten „Bogida“-Demo im Dezember. Kurz zuvor hatten dort Gegendemonstranten eine Polizeiabsperrung überwunden und sich der „Bogida“-Kundgebung genähert.

„Nee“, beantwortet der Polizist die Frage knapp, ob er heute gerne hier sei. Mehr will er nicht sagen, was seine Antwort nur glaubwürdiger macht. Der Kollege neben ihm ist etwas gesprächiger. Schon seit ein paar Minuten unterhält er sich mit einem jungen Mann über Karrieremöglichkeiten bei der Polizei, mittlerweile duzen die beiden sich. Ja, gibt der Beamte danach zu, ihm sei ein wenig langweilig, aber das gehöre eben dazu.

Etwa 600 Polizistinnen und Polizisten sind an diesem kalten Montagabend im Dezember in Bonn. Nicht alle sind so entspannt, dass sie sich auf Gespräche mit Passanten einlassen. Die obere Hälfte des Kaiserplatzes, direkt am Uni-Hauptgebäude, haben sie zu allen Seiten abgeschottet, Schulter an Schulter stehen sie dort und bilden eine robuste Sperre. Weit hinter ihnen sieht man, wen sie schützen: Ein kleiner Haufen Menschen hat sich dort versammelt, um unter der Bezeichnung „Bonn gegen die Islamisierung des Abendlandes“ gegen eine Vielzahl von Dingen zu demonstrieren. Einige von ihnen haben große Deutschlandfahnen in den Händen. Ein paar fuchteln damit ganz schön wild herum, aber die Gefahr, dass sie jemanden verletzen, ist gering, denn sie haben genug Platz. Anders als die Teilnehmer des Gegenprotests „Bonn stellt sich quer“. Hier ist es eng, hier ist es laut. Nur wer nahe an der Polizeiabsperrung steht, kann manchmal hören, was die „Bogida“-Redner verkünden. Als dort Akif Pirinçci das Wort ergreift, reagieren die Gegendemonstranten mit Pfeifen, Brüllen und Skandieren.

Pirinçci ist einer der prominentesten Redner an diesem Abend. „Prominent“, weil er mit seinem teils menschenverachtenden Buch über den „irren Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ 2014 viel Aufmerksamkeit bekam. Von seinem Vortrag ist bei den Gegendemonstranten nichts mitzubekommen. Zwischen 1700 und 3000 Menschen sollen sich versammelt haben, um den 300 Teilnehmern von „Bogida“ entgegenzutreten. Und wenn von diesen doch mal ein entschlossenes „Wir sind das Volk!“ zu den Gegendemonstranten herüberdringt, erheben diese ihre Stimmen erneut – bis zur Heiserkeit.

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Nicht nur inhaltlich getrennt – auch räumlich fanden Gegendemonstranten (Vordergund) und „Bogida“ nicht zusammen (hier bei der zweiten „Bogida“-Demo im Dezember)

Demonstrantin Sarah „Wir sollten alle Antifaschisten sein“

Demonstrantin Sarah „Wir sollten alle Antifaschisten sein“

Sarah ist noch nicht heiser. Für die 21-Jährige ist es nicht die erste Demo, aber eine wichtige. Sie studiert in Bonn, saß für die Grüne Hochschulgruppe im Studierendenparlament, engagiert sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit und ist selbst Muslima. Immer wieder blickt sie an diesem Abend auf ihr Handy, telefoniert, spricht sich ab, organisiert. Denn die „Bogida“-Demonstranten sollen eigentlich gar nicht auf dem Kaiserplatz verharren, sondern einen „Spaziergang“ durch Bonn machen. Und das will Sarah in jedem Fall verhindern. „Ich glaube, man muss denen einfach richtig zeigen, dass ihr Gedankengut in Deutschland von einer Mehrheit eben nicht toleriert wird“. Wenn nötig, will Sarah an einer Sitzblockade teilnehmen, um den Aufzug zu behindern. Dass sie sich damit in eine rechtliche Grauzone begibt, nimmt sie in Kauf. „Es ist das Recht jedes Menschen, seine Religion friedlich und frei auszuleben und damit akzeptiert zu werden. Wer Muslime in einen Topf mit Radikalen wirft, für den habe ich kein Verständnis! Natürlich verurteile ich so etwas wie den ‚Islamischen Staat‘. Aber der hat mit unserer friedlichen Religion, dem Islam, nichts zu tun. Wem diese Differenzierung nicht gelingt, der hat ein großes Problem.“

„Wir sind die Friedlichen hier“, schallt es währenddessen von den „Bogida“-Demonstranten herüber. Die Anmelderin der Demo, Melanie Dittmer, musste den Teilnehmern gerade mitteilen, dass es heute zu keinem Spaziergang mehr kommen werde. Die Polizei wolle die Situation nicht unnötig verschärfen, indem sie die zahlreichen Gegendemonstranten vertreibe, die sich rundherum versammelt haben. Dittmer ist im Landesvorstand der rechtsextremen Kleinpartei „ProNRW“. Zuvor war sie bei den „Jungen Nationaldemokraten“ aktiv, der offiziellen Jugendorganisation der NPD. Und von dieser rechtsextremen Vergangenheit will sie sich auch nicht distanzieren, teilt sie den Anwesenden an diesem Abend mit. Diese tragen immer wieder Sprechchöre vor, von „Ahu, ahu!“ – einem bei Hooligans beliebten Kampfschrei – bis zu „Wir sind das Volk!“

Aber was will es eigentlich, dieses „Volk“? Nun, keine Islamisierung des Abendlandes, das verrät ja schon der Name der Zusammenkunft. Dabei ist es offenbar auch egal, wie sehr Wissenschaft und Medien sich bemühen, der falschen Behauptung von einer Islamisierung mit Fakten zu begegnen – bei „Bogida“ stößt man auf taube Ohren. Denn: Neben etablierten Parteien misstrauen viele Demonstranten auch den Journalisten. Oder anders gesagt: „Die Journalisten sind mit den Gewerkschaften und den Linksparteien – ganz vorne dabei sind die Grünen – die Totengräber des deutschen Volkes! Sie wollen uns Deutsche ausrotten“, so schreit es jedenfalls einer der Redner auf der Bogida-Kundgebung ins Mikrofon. Etwas später möchte er feststellen, dass es im Jahr 2014 bereits 53 Millionen Muslime in Deutschland gegeben habe. Die Gegendemonstranten hören davon nichts. Es ist vielleicht besser so.

„Bloß ein Kugelfisch“ – Pappschild eines Gegendemonstranten während der ersten „Bogida“-Demo Mitte Dezember

„Bloß ein Kugelfisch“ – Pappschild eines Gegendemonstranten während der ersten „Bogida“-Demo Mitte Dezember

Wenn man Sarah fragt, was das für Menschen sind, die sich, obwohl in beeindruckender Unterzahl, als „das Volk“ bezeichnen, denkt sie einen Moment nach. Sie selbst hat immerhin nicht gezögert, sich den „Nazis raus“-Rufen anzuschließen. Aber ist es so einfach? „Ich glaube, es sind viele Mitläufer. Leute, die sich von dieser Stimmungsmache schnell angesprochen fühlen. Und es gibt eindeutig Rechtsextreme, Nazis, die diese Versammlungen ausnutzen.“
Die Leute dort ließen sich von etwas Angst einjagen, das es faktisch gar nicht gäbe. Bestätigt sieht sich Sarah in den Zahlen aus Dresden: An der dortigen „Pegida“-Demonstration nahmen zuletzt 25.000 Menschen teil, während Muslime 2010 weniger als 0,1% der sächsischen Bevölkerung ausmachten. „Wer mit Nazis marschiert, darf sich nicht wundern, zu eben solchen gezählt zu werden“, rechtfertigt sich Sarah.

Welche Einstellungen die Teilnehmer der „Bogida“-Demo tatsächlich haben, lässt sich jedoch nicht endgültig sagen. Ebenso wenig, wie man die Teilnehmer des Gegenprotests einordnen könnte. Zwar sind politische Parteien, ihre Hochschulgruppen und Gewerkschaften vertreten, aber „Krawallmacher“, sagt Sarah, „die gibt es auf beiden Seiten. Leute, die einfach rumschreien oder mit Sachen werfen wollen und auf Gewalt aus sind. Davon halte ich nichts.“ An diesem Abend bleibt es aber friedlich. Und weil der geplante Spaziergang ausfällt, braucht Sarah auch an keiner Sitzblockade teilzunehmen. Einer ihrer Freunde findet es dennoch „beachtenswert, wenn junge Menschen so viel riskieren, um auf Missstände aufmerksam zu machen“. Selbst wollte er sich aber an keiner Sitzblockade beteiligen.

Gegen 20.30 Uhr bewegt sich die lebendige Polizeiabsperrung dann plötzlich. Die Beamten der Einsatzhundertschaften marschieren in Kleingruppen zu ihren Einsatzfahrzeugen. Es ist vorbei. Die Teilnehmer des gescheiterten „Bogida“-Aufzugs waren zuvor zu ihren Pkw, Bussen oder zur Stadtbahn-Haltestelle eskortiert worden.

„Es war richtig gut. Es war ein Erfolg“, findet Sarah. So mutig habe sie Bonn nicht eingeschätzt. Dass sie viele junge Menschen, viele Studierende aber auch ältere Leute getroffen habe, freue sie besonders. „Das ist ein Thema, das unsere ganze Gesellschaft spalten kann. Jeder muss sich damit auseinandersetzen.“
Und das tut Sarah auch eine Woche später wieder, zwei Tage vor Heiligabend, dieses Mal auf dem Bonner Marktplatz. Wieder hat Melanie Dittmer einen „Bogida“-Spaziergang angemeldet. Wieder stehen etwa 300 Teilnehmer rund 3000 Gegendemonstranten gegenüber. Der Spaziergang gelingt dieses Mal, gesichert durch über 900 Polizeikräfte.

Vorerst soll es keine weiteren „Bogida“-Veranstaltungen geben. Im Januar trennte sich „Pegida“ von Melanie Dittmer und distanzierte sich von den „Bogida“-Demonstrationen in Bonn.

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