Something wicked this way comes

Achtung: Schusswaffengebrauch auf der Bühne! – Macbeth in der Brotfabrik. Von Florian Eßer

(Foto: Jella Ritzen)

(Foto: Jella Ritzen)

Ein vermummter Gefangener kniet auf dem Boden, links und rechts flankiert von Terroristen mit Skimasken und Sturmgewehren. Ein Newsticker verkündet die neuesten Eilmeldungen und Aktienkurse. Sieht aus wie eine ganz normale Nachrichtensendung auf N24. Bis drei Hexen auf die Bühne kommen und den Geiselnehmern die Hälse brechen. So was sieht man auf N24 nicht. Willkommen bei Macbeth.

Jene Hexen sind es auch, die Hauptcharakter Macbeth (Thomas Pähler) prophezeien, dass er bald König von Schottland werde – wofür der aktuelle König, Duncan (Marc Erlhöfer), jedoch den Platz räumen muss. Angestachelt von Lady Macbeth (Imke Lichterfeld) zieht ihr Gatte los, um Duncan zu erstechen: Dolche, Mord und Kunstblut.

Weitere Verbrechen folgen, weder Freund noch Feind sind vor dem zunehmend von Macht und Paranoia getriebenem Macbeth sicher. Er wird zum verrückten Despoten, zum unbarmherzigen Kim Jong-un Schottlands – und schließlich zur Gefahr für sich und sein Reich. Wie einst der Gier, verfällt er nun dem Wahnsinn. Halluzinationen vermischen sich mit der Realität: Macbeth begegnet dem Geist seines Freundes Banquo (Ben Heering), der auf seinen Befehl hin von Attentätern getötet wurde, und schließlich auch seinem Schicksal.

Soweit, so Shakespeare.

Was dem alten Klassiker aber neue Frische verschafft, ist die fabelhafte Umsetzung der Bonn University Shakespeare Company (BUSC), die das »Schottische Stück« auf der Bühne des Kulturzentrums »Brotfabrik« in eine moderne Dystopie verwandelt. Da kommen Mobiltelefone und Schusswaffen zum Einsatz, die – durch realistische Effekte – für den ein oder anderen Schreckmoment in den Zuschauerreihen sorgen. Kostüme und Licht, sowie das Bühnenbild, schaffen eine düstere Atmosphäre, die durch die gute Schauspielleistung noch verstärkt und auch außerhalb des Stückes fortgesetzt wird. Nachdem Duncan etwa den Königstod gestorben ist, kann man während der Pause im Foyer seine Gedenktafel studieren – oder Plakate, die für die fiktive »Duncan-Cola« werben. Schöne Details.

Orientiert wird sich auch an reellen Diktaturen, wie dem Dritten Reich: Die Soldaten Macbeths tragen charakteristische Stahlhelme und Armbinden, ein riesiges Porträt des Tyrannen propagiert den Führerkult. Und wenn Macbeth schließlich, unterstützt von einem knarrendem Mikrophon, zu seiner letzten großen Rede ansetzt, glaubt man tatsächlich, Darsteller Thomas Pähler sei ein hauptberuflicher Diktator, der zwischen zwei Staatsbanketten sich selber mimt.

Vor diesem Hintergrund – Maschinenpistolen, Handys, Cola-Werbung – wirkt die altenglische Originalsprache des Stückes teilweise zwar etwas ulkig, niemals aber fehl am Platz. Die Vermischung all dieser großen und kleinen Aspekte, von Tradition und moderner Inszenierung, trägt zum Eigencharakter des Stückes bei. Bloß kann die Sprache bei einer Dauer von knapp drei Stunden etwas anstrengend werden. Für die Zuschauer, wie sicherlich auch für die Schauspieler. Die lassen sich das aber überhaupt nicht anmerken.

Dialoge wechseln sich mit Action-Szenen ab, die aber niemals nur Mittel zum Zwecke der Unterhaltung sind. Da wird gebrüllt und geeifert, geschossen und gekämpft wie in einem Martial-Arts-Film: Treten, ducken, schlagen, werfen – und am Ende heißt es dann: »justice will be done«.

Hinter den Kulissen

SO EIN THEATER  »All hail, Macbeth!«, schreibt Shakespeare in seinem Schottland-Drama. Die Bonner Shakespeare Company hat im Dezember ihre eigene Inszenierung aufgeführt. Und das Drama fand nicht nur auf der Bühne statt – über die letzten Tage vor der Premiere.

VON PHILIPP BLANKE

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Die Schuhsohlen von Marian Blok quietschen auf dem schwarzen Gummiboden, als er das Studio der Beueler Brotfabrik betritt. Der 22-Jährige sieht zufrieden aus, als er seine Kollegen von der Bonn University Shakespeare Company (BUSC) begrüßt. Bei der aktuellen Produktion von »Macbeth« ist er der Regisseur – und heute die letzte Hauptprobe.

Trotz kalter Temperaturen und dem kühlen Charme der Industriehalle ist es eine herzliche Atmosphäre. Die meisten der etwa 30 Schauspieler, Requisiteure und Helfer sind anwesend. Unter ihnen ist auch Christine Lehnen, die eine der drei Hexen in Shakespeares Drama spielt. »Die dürfen machen was sie wollen«, erzählt die 25-Jährige begeistert. »Das macht sehr viel Spaß!« Immer mehr Leute trudeln ein, begrüßen ihre Kollegen und fangen an, ihre Kostüme anzuziehen. Auf einem rechteckigen Holztisch liegen Hemden und Gürtel, daneben Theatermesser auf einer silbernen Waffenkiste, sowie Sektgläser und ein Silbertablett. »Wo ist meine Hose?«, fragt jemand kurz bevor ein anderer »Vorne könnt ihr euch Kaffee machen« durch den Saal ruft.

Marian steht im Raum und geht seine Notizen durch. Es ist eine Ansammlung loser Blätter, die mit einem Kugelschreiber beschrieben worden sind. Neben ihm steht Ina Habermann mit dem Drehbuch – DIN A4-Format, Spiralheftung, Maschinenschrift – und gibt ihm Infos zu einzelnen Szenen. Sie ist bei der Produktion die Souffleuse und hilft bei Textfragen aller Art. Als Marian alles notiert hat, ruft er »Alle bitte einen Kreis bilden«, und geht ans andere Ende des Raumes. »Versucht alle Sachen, die ich euch mal gesagt habe, anzuwenden«, beginnt er. Marian spricht einige Szenen an, bei denen er sich noch ein paar Verbesserungen wünscht: »Der Aufgang muss da schneller gehen. Wir sind zu langsam.« Während seiner Ansprache wird es immer mal wieder unruhig im Kreis, weil manche dazwischen reden. Durch ein »Pscht!« wird es aber wieder still.

Vor Probenbeginn übernimmt Janine Lockwood das Aufwärmen. Mit ihren 50 Jahren ist die gebürtige Britin eine der ältesten Mitglieder des Teams. Sie bereitet ihre jüngeren Kollegen selbstbewusst auf die Probe vor. »Centre yourself«, sagt sie zu Beginn und es wird eine Minute lang ganz still im Raum. Dann ruft sie »Move your shoulders. Up and down«, und 30 Menschen folgen ihr. Nach lautem Stampfen, Nackenbewegungen, tiefem Ein- und Ausatmen, und einer Sprechübung, bereiten sich alle auf die erste Szene vor.

Marian und Ina sitzen auf zwei Stühlen und schauen auf die Probebühne. Ein dritter Stuhl bleibt leer. »Normalerweise sitzt hier noch Anthea, unsere Producerin. Aber die kann heute nicht«, sagt Marian. Für die erste Szene stehen nun alle bereit. Ein Schauspieler kommt kurz zu Marian und zeigt ihm seine braunen Budapester. »Sind die Schuhe okay?«, fragt er. »Ja, ja, die sind gut«, erwidert Marian und blickt wieder auf seine Notizen. Sein Gesicht wirkt angestrengt. Bis auf das Geräusch der Bahn, die ein paar Meter weiter vorbeirauscht, ist es jetzt ruhig. Christine und die beiden anderen Hexen stehen für die erste Szene bereit. »Es wird konfus werden«, murmelt Marian, »da bin ich mir sicher.«

Uniformen, Stiefel, Federboas

Zwei Tage später steht Marian gestresst und verschwitzt im Theater in der Brotfabrik. Das Ensemble zieht heute vom Studio in den Aufführungssaal – doch die Leute fehlen. Um 16.00 Uhr hatten sie sich verabredet, doch noch ist niemand zu sehen. Nach einer Viertelstunde fahren zwei BUSC-Mitglieder auf einer Sackkarre ein schweres Bühnenelement durch die Toreinfahrt der Brotfabrik. Einer der beiden, Michael Bohacz, erzählt schnaufend aber stolz, dass das Holzpodest Handarbeit ist: »Wir haben das in unserem Fundus gebaut.« Der Fundus ist eine große Garage in Beuel, die die BUSC gemietet hat. Dort liegen nahezu alle Requisiten und Bühnenelemente der letzten Jahre.

Als Marian das Podest sieht, ist er etwas kritisch: »Ist das wirklich 60 cm hoch?« Michael bejaht, und nachdem Marian mehrfach das Podest bestiegen hat, ist er mit der Höhe zufrieden. Doch das Ungetüm passt nicht in den Lastenaufzug des Theaters. Man ist etwas konsterniert und beschließt erstmal eine Pause zu machen. »Lass warten, bis mehr Leute da sind«, sagt Michael.

Anthea Petermann, die Producerin, ist heute wieder da und muss direkt den Maskenplan neu organisieren. »Eine die schminken sollte, hat kurzfristig abgesagt«, sagt die 25-Jährige etwas verärgert. »Ich verstehe ihre Absage, das ist echt nachvollziehbar. Aber im ersten Moment nervt es einen natürlich.« Anthea ist für den reibungslosen organisatorischen Ablauf der Produktion verantwortlich – für Probenpläne, Verhandlungen mit der Brotfabrik und die Maske. Sie selbst sei eine Art »Supervisor« und die rechte Hand von Marian, erzählt sie. Macbeth ist bereits ihre siebte Produktion bei der BUSC.

Wenig Platz, viel zu tun – Christine Lehnen in der Maske (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Wenig Platz, viel zu tun – Christine Lehnen in der Maske (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Während zwei Arbeiter die Bühne umbauen und schwarzen Gummiboden verlegen, werden im Backstagebereich die ersten Accessoires eingeräumt. Die Räume bestehen aus einem ca. zehn Quadratmeter großen Maskenraum, einem schmalen Gang direkt hinter der Bühne, und einem verwinkelten Flur. Im Maskenraum stapeln sich Damenschuhe und Soldatenstiefel, Uniformen, Barette und Federboas – nach Schauspieler sortiert und auf einer Garderobenstange hängend. Für die Kostüme und einen Teil der Requisiten ist Jean Lavalette verantwortlich. Privat habe er um die 100 Einzelstücke: »Ich schaue immer mal wieder bei E-Bay und biete für Uniformen. Meistens interessiert sich dafür keiner, und dann bekomme ich sie sehr günstig.« Rechnet man alle Kostüme und Accessoires der BUSC zusammen, dann seien es ca. 400 Stück, erzählt er.

Auf zwei Tischen, die im schmalen Gang hinter der Bühne stehen, bereitet Christine Decker Zeitungen, ein altes Bündel Reichsmark, Kerzenständer und eine Wokpfanne vor. Die 22-Jährige ist seit einem Jahr bei der BUSC und kümmert sich um die Requisiten und das Stage Management. »Ich bin für alles zuständig, was die Schauspieler benutzen und in der Hand haben«, erzählt sie. Die meisten Requisiten kämen dabei von Leuten, die ihre Sachen zu Hause einfach nicht mehr brauchen. Bei dem Reichsmark-Bündel habe man aber einfach ins Internet geschaut. Welche Requisiten es am Ende auf die Bühne schaffen, entscheidet Marian als Regisseur. »Es ist so, dass ich die meisten Vorgaben direkt von ihm bekomme«, erklärt Christine. Doch auch die Schauspieler würden sich zu ihren Texten bereits überlegen, was sie gut gebrauchen könnten. »Meine Aufgabe ist dann zu schauen, was geht, und was nicht.«

Pizza und Licht

Am Tag der Generalprobe riecht es im Innenhof der Brotfabrik nach Lack. Auf dem geteerten Boden liegen vier weiße lange Stoffbahnen, die mit goldenem Lack besprüht werden. Nach und nach tragen alle vier Banner eine Königskrone. Drinnen im Saal ist es sehr ruhig. Ein paar Schauspieler essen Pizza, während über der Bühne ein Beamer den Schriftzug »Order Unity Progress« auf eine weiße Fläche projiziert. An den Seiten stehen bereits die vier hohen Traversen, an denen später die besprühten Banner befestigt werden sollen. Hinten im Maskenraum ist es zwischen den Kostümen und zahlreichen Schminkdosen sehr eng. In der offenen Tür sitzt Johannes Schwerin auf einem kleinen Hocker und versucht eine Pizza Calzone zu essen. Es ist etwas umständlich, so dass kleine Stücke der Kruste auf dem Boden landen.

Am anderen Ende des Saales sitzen Marian, Anthea und Florian, Techniker der Brotfabrik, hoch oben im Regieraum. Sie probieren verschiedene Lichteinstellungen für die Bühne aus. »Eine Idee mehr von dem kalten«, sagt Marian und Florian dreht ein bisschen am Regler, bis das Licht hell genug ist. Von der Bühne kommen laute Geräusche. »Was ist denn da los?«, fragt Marian halb interessiert, halb genervt. Anthea erhebt sich kurz von ihrem Stuhl, blickt herunter auf die Bühne und stellt fest: »Da wird getackert; das ist der schwarze Stoff für das Podest.« Alle drei wenden sich wieder dem Licht zu. Wenig später steht Anthea unten vor der Bühne und schaut dem langsam einsetzenden Trubel zu. Gleich beginnt die Generalprobe, und sie ist zufrieden: »Ist ein guter Tag heute.«

Pscht, es wird ernst!

Der Premierentag beginnt in der Brotfabrik angenehm ruhig. Marian und Anthea sitzen wieder oben im Regieraum und besprechen letzte Details. Auf der Bühne spricht Thomas Pähler, der die Hauptrolle spielt, Auszüge seines Textes und probt eine Kampfszene. Christine prüft hinter der Bühne die Requisiten. Wenig später hört man durch die offenen Saaltüren metallischen Lärm aus dem Foyer. Peter Schild, Vorsitzender und Gründungsmitglied der BUSC, fährt vier Bierkästen auf einer Sackkarre hinein. Hinter ihm schiebt Ina, die Souffleuse, einen Einkaufswagen mit Sekt und Orangensaft hinterher. Peter steuert zielstrebig auf eine Tür zu. »Schließ mir mal hinten den Notausgang auf. Ich muss das Bier kühlen«, sagt er zu Florian, und verschwindet mit ihm durch die Tür nach draußen. Kurze Zeit später kommen Peter und Ina erneut herein – mit großen Brötchentüten und einigen kleinen Wasserflaschen. »Für die Premierenfeier«, erklärt Anthea.

Im schmalen verwinkelten Flur hinter der Bühne probiert Christine Lehnen mit ihren Hexenkollegen schwarze Augenmasken an. Sie sind aus halbtransparentem Stoff, so dass die Augen verdeckt sind, man aber immer noch hindurchschauen kann. Janine, die Britin, hat so ihre Probleme damit. »I have bad night vision – and already glasses!«, seufzt sie. Christine ist mit ihrer Maske zufrieden. »Der Stoff wird jetzt mit Wimpernkleber fixiert. Das hält ganz gut«, erklärt sie.

Zettelwirtschaft – Marian Blok und seine Notizen (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Zettelwirtschaft – Marian Blok und seine Notizen (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Im Maskenraum ist es sehr heiß geworden. Die Schauspieler werden geschminkt und ziehen ihre Kostüme an. Ein kleiner schwarzer Standventilator neben der Eingangstür versucht kühle Luft zu zu spenden. Als Johannes Neubert, der von allen nur Jupp genannt wird, kommt, zieht er eine Duftspur hinter sich her. Sie riecht nach Pommes und Mayonnaise. Einer ruft ihm zu: »Boah, Jupp, bist du geil!« Alle lachen.

Thomas steht in seiner schwarzen Uniform mittendrin und experimentiert mit zwei Hosenträgern. Die sollen nachher als Accessoire an seiner Jacke hängen. Der 27-Jährige befestigt die Träger an seinem weißen breiten Gürtel. Jean ist noch nicht überzeugt. »Hast du in der Szene Zeit das anzuknipsen?«, fragt er. Thomas überlegt kurz, wiegelt dann aber ab: »Da ist eh Chaos.«

Im Foyer des Theaters warten derweil die ersten Zuschauer. Ina sitzt dort an einem kleinen Tisch und verkauft Programmhefte. Sie trägt eine deutlich sichtbare rote Schärpe. Trotzdem werden nicht viele Hefte gekauft – gerade einmal 13 Stück. Das sei aber normal, sagt sie.

Es ist kurz vor halb Acht, als Marian zum Aufwärmen brüllt. Man ist etwas hinter dem Zeitplan, denn in zehn Minuten sollen die Türen schon geöffnet werden. »Wir haben Premiere. Jetzt wird es ernst«, sagt Marian, als sich alle in einem Kreis aufgestellt haben. »Denkt daran, was wir besprochen haben. Gerade die Aufgänge – schnell! Das zieht sonst zu viel Zeit!«, erinnert er. Einige albern ein wenig herum, es folgt ein »Pscht«, und es ist wieder ruhig. Nach dem Aufwärmen durch Janine werden die Türen geöffnet. Die Zuschauer betreten den Saal. Im Flur hinter der Bühne steht noch ein Bügelbrett. »Das muss weg«, ruft einer und klappt es dann zusammen. Im Maskenraum ist es noch heißer als vor zwei Stunden. Als die drei schweren schwarzen Eisentüren, die Flur, Maskenraum und Bühne voneinander trennen, geschlossen werden, sind es nur noch wenige Minuten bis zur Aufführung.Oben im Regieraum stehen Marian und Anthea. Als alle Zuschauer ihre Plätze eingenommen haben, gibt Marian ein Zeichen – das Saallicht geht aus. Ein Spot wird auf den Saaleingang gerichtet, in dem Peter auftaucht. Er erinnert die Zuschauer daran, ihre Handys auszuschalten und während des Stückes nicht zu reden. Es wird wieder dunkel.

Marian und Anthea sitzen jetzt auf der Schwelle zwischen Regieraum und Treppenaufgang. Es sieht von hinten so aus, als ob zwei Schulkinder auf einer Mauer sitzen und schauen, was in weiter Ferne passiert. »Kannst du genug sehen?«, fragt Anthea Marian. Sie rücken beide noch ein bisschen zusammen. Das Bühnenlicht geht an. Die Schauspieler stehen auf der Bühne. Macbeth hat begonnen.

Mehr Fotos von den Proben gibt’s auf der AKUT-Facebookseite!

Was wird aus Viktoria?

BAUPROJEKT BEERDIGT  Der Bonner Stadtrat hat sich dem Bürgerbegehren gegen das Einkaufszentrum angeschlossen und eine Bürgerbeteiligung zur weiteren Gestaltung des Viertels einberufen. Jetzt beginnen die Diskussionen: Was wird aus dem Viktoriakarree?

VON ANNIG HELD

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

»Mehr Wohnraum und eine Kita!«, fordert der Eine, während die Nächste von einem Club im ehemaligen Viktoriabad träumt: »Das wäre cool.« Wieder ein Anderer plädiert für eine Markthalle – oder doch lieber ein großes Kulturveranstaltungszentrum für Jung und Alt? »Hauptsache nicht noch ein Friseur«, resümiert der Letzte und eine Stimme witzelt, dass sich das Grundstück doch eigentlich ganz gut für ein Einkaufszentrum anbiete.

Die erfolgreiche Verhinderung der Shoppingmall bildet schließlich den Ausgangspunkt für die Diskussion um die Zukunft des Viktoriaviertels: dem seit letztem Sommer stark umstrittenen Gebiet zwischen Rathausgasse, Franziskanerstraße, Stockenstraße und Belderberg. Hatte der Bonner Stadtrat im Juni noch mit mehrheitlichem Beschluss für den Verkauf der städtischen Flächen an eine Tochtergesellschaft der SIGNA votiert, zeigte sich nun in einer Sondersitzung am 30. November eine kaum noch für möglich gehaltene Kehrtwende im Geschehen. Mit der knappen Mehrheit von 42 zu 41 Stimmen wurde das Bürgerbegehren gegen das Projekt bewilligt, das zuvor mit 16.414 gültigen Unterschriften die Entscheidung des Rats angezweifelt hatte (s. AKUT Nr. 339).

Das monatelange Tauziehen um das Gelände hat damit ein Ende. Es wird keinen Bürgerentscheid mehr geben, stattdessen steht fest: Das Areal wird nicht an den Investor verkauft. Zusätzlich folgte der Rat dem SPD-Antrag nach »eine(r) Bürgerbeteiligung in Form einer Bürgerwerkstatt« zur weiteren Gestaltung des Geländes. Ihre Ergebnisse sollen anschließend in einem »nicht-vorhabenbezogenen Bebauungsplan« berücksichtigt werden – so die Pressemitteilung der Stadt Bonn. Das schließt jegliche Zusammenarbeit mit einem Investor und bereits anvisierten Plänen aus.

Tabula Rasa also im Viertel, alle Zeiger stehen wieder auf Null. Doch beginnen sie bereits zu ticken und einen neuen Prozess in Gang zu setzen. Das Grundstück erstreckt sich plötzlich fast mystisch neben der Uni und fragt: Was geschieht mit mir? Verändere ich mich, wie verändere ich mich, muss ich mich überhaupt verändern?

Da winkt das Schwimmbad und lädt ein in seine goldenen Hallen. »Schau, was sich aus mir machen lässt«, sagt es, indessen sich gegenüber die große Pforte eines Cafés öffnet und den Eintritt in ungeahnte Welten verspricht.

Das Viktoriaviertel als Wunderland: Hängt diese Metapher wirklich mit dem Wort der »Bürgerbeteiligung« zusammen? Ist es ein Synonym für die Akkumulation hanebüchener Phantasien, die niemals zu einer konkreten Umsetzung gelangen? So zumindest formulieren es Gegner des Konzepts, die bereits einen ›Dornröschenschlaf‹ für das Viertel voraussagen. Dabei verweisen sie auf die Bürgerwerkstatt von 2005 zur Neugestaltung des Bonner Bahnhofsvorplatzes, deren Ideen letztendlich nie realisiert wurden.

Seitdem hat sich jedoch einiges getan. Bonn scheint zu einer Art Vorreiter in Sachen Bürgerbeteiligung avanciert zu sein – oder möchte es gerne sein: 2009 richtete die Stadt einen Ausschuss und eine Projektstelle zu dem Sujet ein; seit 2011 werden Einzelkonzepte durchgeführt. Dirk Lahmann, Ansprechpartner für Bürgerbeteiligung bei der Stadt Bonn, hat eine Präsentation zum Thema erstellt, die sich im Internet einsehen lässt. Darin erklärt er: »Bürgerbeteiligung ist in Bonn der Oberbegriff für alle Maßnahmen und Initiativen, die eine aktive Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen sollen.«

2014 hat Bonn dafür als eine der ersten Städte überhaupt Leitlinien für die Form der Bürgerbeteiligung beschlossen. Diese fordern vor allem die frühzeitige Einbindung und das Mitspracherecht der Bonner Bürger sowie transparente Gestaltung und Ergebnisoffenheit im Partizipationsprozess. Kriterien, deren Umsetzung im Geschehen rund um das Viktoriaviertel bisher noch fragwürdig erscheinen.

Die Bürgerbeteiligung für das Viertel steckt jedenfalls noch ganz in ihren Anfängen. Ideen gäbe es bereits, sagt Lahmann, die konkrete Ausarbeitung geschehe aber erst in den nächsten Wochen.

Dass sie tatsächlich erfolgt und Bonn seiner Rolle als Musterkommune für Bürgerbeteiligung gerecht wird, darauf möchte die »Viva Viktoria!«- Initiative achten. Sie war es, die das Bürgerbegehren anmeldete, wöchentliche Demos organisierte und letztendlich fast 20.000 Unterschriften gegen das Einkaufszentrum sammelte. Motiviert durch ihren Erfolg, sieht sich die Gruppe auch jetzt in der Mitverantwortung, die Bürger in den weiteren Gestaltungsprozess des Viertels einzubinden. So präsentierten ihre Mitglieder gleich ein paar Tage nach dem Ratsbeschluss ein erstes Konzept zur Umsetzung der Bürgerbeteiligung: entwickelt von Politikwissenschaftlern und Architekten und bereits der Stadtverwaltung als Diskussionsgrundlage vorgelegt. Denn ideal, so findet die Initiative, wäre eine Zusammenarbeit zwischen Stadt und »Viva Viktoria!«. Um diese auf Augenhöhe gestalten zu können, möchte »Viva Viktoria!« nicht lediglich von der Finanzierung der Stadt abhängig sein, sondern durch Crowdfunding eine Co-Finanzierung aufstellen. Damit könne man bereits auf dieser Ebene eine Beteiligung der Bürger schaffen, die kleine eigenständige Projekte sowie eine schnellere Handlungsdurchführung ermögliche.

»Viva Viktoria«-Verteter Axel Bergfeld (Foto: NIKOLAS.MUELLER.ART)

»Viva Viktoria«-Verteter Axel Bergfeld (Foto: NIKOLAS.MUELLER.ART)

Ziel des »Viva Viktoria!«-Konzeptes ist ein ganz bestimmtes: der Masterplan. Mit ihm rechnet die Gruppe bereits im nächsten Sommer. Zuvor aber werden drei Phasen durchlaufen, nämlich die der Information, der Ideensammlung und der Konkretisierung. In ihnen soll es sowohl öffentliche Veranstaltungen als auch eine Online-Plattform geben, die es allen interessierten Bürgern ermöglicht, aktiv Ideen einzubringen und sich im gegenseitigen Austausch an der Gestaltung zu beteiligen. Axel Bergfeld, Vertretungsberechtigter von »Viva Viktoria!«, ist es dabei zum einen wichtig, die 2014 aufgestellten Leitlinien zur Bürgerbeteiligung auf ihre praktische Umsetzbarkeit zu prüfen. Zum anderen geht es ihm aber auch um Fortschritt. Die Bürgerbeteiligung soll zu realistischen Ergebnissen gelangen, die anschließend im Bebauungsplanverfahren schrittweise umgesetzt werden können. Auf die Frage, wie Bergfeld selbst sich den Masterplan für das Viktoriaviertel wünscht, antwortet er: »Wir haben keine Vorstellung, es geht uns gerade um Ergebnisoffenheit. Statt des Einkaufszentrums wäre aber eine kleinteilige und individuelle Einzelhandelsentwicklung denkbar, bei der die alteingesessenen Institutionen erhalten bleiben können.«

Ob sich die Stadt auf den Konzeptvorschlag sowie eine generelle Zusammenarbeit mit »Viva Viktoria« einlässt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Der erste konkrete Schritt der Initiative soll nun zunächst ein Info-Container an einem öffentlichen Platz sein. Ab Januar können sich die Bürger in ihm über das Viktoriaviertel und seine Möglichkeiten erkundigen, bevor es zur Phase des Ideenaustausches kommt.

Zwar lässt sich zu diesem Zeitpunkt weder Erfolg noch Niederlage der Bürgerbeteiligung für das Viktoriaviertel voraussagen. Trotzdem verspricht das Projekt, spannend zu werden. Schließlich vereint es Menschen in einem gemeinsamen Vorhaben und bietet ihnen die Möglichkeit eines direkten Mitgestaltens an kommunalpolitischen Prozessen. »Partizipation gehört zu den zentralen Grundlagen von Demokratie«, heißt es in Lahmanns Präsentation. Damit sagt er nicht zuletzt das aus, was das Bürgerbegehren gerade geschafft hat: Dass die Bewohner Bonns mit viel Engagement und Willenskraft Veränderungen in Politik und Verwaltung schaffen können. Vielleicht bleibt das Viertel wie es ist – eigen und nicht von jedem geliebt. Vielleicht erfährt es aber auch seine persönliche Aschenputtel-Geschichte und gelangt zu ganz neuer Schönheit.

Instaview

FOTOGRAFIE  Unter seinem Pseudonym »thatkidfrombonn« findet man Joseph Strauch vor allem bei Instagram. Er ist 21, angehender Mediengestalter und lebt in Bonn. Wir haben ihn um ein spezielles Interview gebeten – mit Fragen und Antworten, aber ohne Worte.

INTERVIEW PHILIPP BLANKE 

 instaview

Ich sehe was, was du nicht siehst

BLICK AUF BONN  Etliche Jahre lebt man in einer Stadt – und kann die einfache Frage nach deren sehenswertesten Ecken dann doch nicht beantworten. Ob als Tourist oder als Einwohner – wie man eine Stadt wahrnimmt, kann sehr unterschiedlich sein. Alles eine Frage der Perspektive.

VON DOMINIQUE MÜLLER

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Was muss man hier in der Stadt mal gesehen haben?«, oder auch: »Was kann man denn hier so unternehmen?« Wer kennt sie nicht, diese Fragen? Sei es von Verwandten, die zu Besuch kommen oder von Kommilitonen aus anderen Städten. Als mich neulich ein Arbeitskollege fragte, was man in Bonn alles so machen könne und mal gesehen haben sollte, wusste ich spontan keine passende Antwort. Erneut wurde mir bewusst, wie schwer das zu beantworten ist. Und das, obwohl ich schon seit fast 23 Jahren – also mein ganzes Leben – in Bonn wohne. Man nimmt die eigene Stadt einfach anders wahr.

Es ist komisch: Zum Teil kann ich von Städten, die ich schon öfter besucht habe, intuitiv und spontan besser Auskunft über Sehenswertes geben. Denn, bevor man in den Urlaub fährt und andere Städte und Länder bereist, informiert man sich in der Regel, was man alles ansehen sollte. Beim Besuchen einer anderen Stadt hält man die Augen viel weiter offen als in der Heimatstadt. Man ist viel empfänglicher für alle möglichen Details, die man in der eigenen Stadt übersehen würde.

Wieso ist das so? Das zu beantworten ist schwierig. Im Zweifelsfall liegt es einfach daran, dass man sich keine Zeit nimmt, aufmerksam zu sein. Oder man interessiert sich schlichtweg nicht für die Besonderheiten der eigenen Stadt. Vielleicht ist es einem auch nicht bewusst, was die eigene Stadt zu bieten hat. Es ist schade, dass man in der eigenen Heimatstadt recht uninteressiert ist an Sehenswürdigkeiten. Schlimmer noch, teilweise empört man sich über die nervigen Touristen, ihre Fotoapparate und Selfie-Sticks.

Dabei sind es doch meist die Kleinigkeiten, die man sich schnell mal zwischendurch anschauen könnte – und dennoch einfach außer Acht lässt. Zum Beispiel den »Weg berühmter Persönlichkeiten«, der seit 2005 existiert. Er befindet sich unter anderen in der Bonngasse und der Friedrichstraße. Er besteht aus Bildern, die in den Boden eingelassenen sind und Persönlichkeiten zeigen, die in Bonn geboren wurden oder in enger Beziehung zur Stadt stehen. Seit Mai 2015 sind es 23 an der Zahl. Unter ihnen befinden sich Ernst Moritz Arndt, Konrad Adenauer, Willy Brandt und – natürlich, wie könnte es anders sein – Ludwig van Beethoven. Diese recht kleinen Bodentafeln sind ein gutes Beispiel dafür, dass man als Bewohner der Stadt Bonn schnell mal seine Umgebung vergisst und oft in Eile einfach daran vorbei läuft. Wäre ich Tourist in Bonn, würde ich mir jede einzelne der Persönlichkeiten einmal genauer anschauen und in Erfahrung bringen wollen, in welcher Beziehung sie zur Stadt stehen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Beethovenhaus. Ob es sich lohnt, hineinzugehen, darüber lasst sich streiten. Doch wer Bonn besucht, sollte es einmal gesehen haben. Beethoven hat ja bekanntlich nicht sehr viel Lebenszeit in Bonn verbracht – die Stadt ist trotzdem sichtlich stolz darauf, dass er hier geboren wurde. Ich bin am Beethovenhaus schon etliche Male vorbei gelaufen, habe es aber erst vor kurzem geschafft es zu besuchen.

Es ist definitiv schade, dass man in der Heimatstadt, oder generell wenn man in einer Stadt nicht mehr neu und neugierig ist, nicht mehr genau hinsieht. Es lohnt sich auch in der eigenen Stadt, mit etwas offeneren Augen durch die Straßen zu gehen. In der letzten Ausgabe haben wir darüber berichtet, wie Bonn sich verändert. Nichtsdestotrotz hat die Stadt am Rhein einiges zu bieten. Sei es die Museumsmeile, das alte Regierungsviertel, oder auch das Siebengebirge, obwohl das ja strenggenommen zu Königswinter gehört. Bonn ist und bleibt klein aber fein, wie man so schön sagt.

Humanoide Professorin

RUBRIK BONN, DEINE LEHRENDEN  Prof. Dr. Maren Bennewitz ist die Herrscherin der humanoiden Roboter – zumindest im Institut für Informatik VI. Im AKUT-Gespräch verrät die zweifache Mutter, wie die menschenartigen Maschinen auch im Kinderzimmer helfen können.

INTERVIEW ALEXANDER GRANTL

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Prof. Maren Bennewitz: »Die Naos sehen einfach süß aus« (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

AKUT   Sie sind seit 2014 an der Universität Bonn Professorin für Humanoide Roboter. Vorher waren Sie 6 Jahre Juniorprofessorin in Freiburg. Welche Uni ist robotermäßig vorne?

BENNEWITZ   Das kann man so natürlich gar nicht beantworten. (lacht) Freiburg hat jedenfalls eine sehr große Robotikgruppe – dort gibt’s definitiv mehr Doktoranden und Forschende, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Allerdings haben wir in Bonn mittlerweile auch drei Robotikgruppen: Eine, die sich mit autonomen intelligenten Systemen befasst; meine Gruppe, die viel mit humanoiden Robotern arbeitet und eine Gruppe im Institut für Geodäsie, die sich neben Luftbildmessungen auch etwa mit Outdoorrobotik beschäftigt. Es gibt in Bonn also drei starke Gruppen, doch im direkten Vergleich liegt sicher Freiburg vorne. Aber wir holen auf.

AKUT   Was fasziniert Sie an humanoiden Robotern?

BENNEWITZ   Zunächst einmal sehen die Naos, mit denen wir arbeiten, einfach süß aus. Viele Menschen können sich dadurch schnell mit ihnen emotional anfreunden. Wir arbeiten aber auch noch mit anderen Robotern, etwa Plattformen, die Räder haben. Die sind natürlich nicht ganz so niedlich. Warum mich Robotik fasziniert? Weil man in der Robotik sofort sieht, ob ein Algorithmus funktioniert oder nicht. Man überlegt sich erst eine Problemstellung, dann implementiert man eine Lösung und probiert das Programm direkt aus. Das kann man teilweise auch in Simulation machen, aber wenn man es mit dem Roboter ausprobiert, weiß man sofort, ob das System robust ist oder nicht. Leider ist es das sehr oft nicht direkt der Fall, sodass man das System weiterentwickeln muss. Aber genau das finde ich spannend, weil man nie auf Anhieb weiß, wie ein System sich in allen möglichen Situationen verhält. Anders, als in anderen Gebieten der Informatik, die beispielsweise Algorithmen entwickeln, um Datenbanken zu durchforsten.

Humanoider Roboter Nao (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Humanoider Roboter Nao (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

AKUT   Warum sollten Roboter überhaupt humanoid sein?

BENNEWITZ   Die Idee dahinter war, dass menschenartige Roboter von echten Menschen eher akzeptiert werden, als eine Maschine, die nicht menschlich aussieht. Natürlich ist das eine Gratwanderung, denn sehen die Maschinen zu menschlich aus, erwartet man viel eher, dass sie auch intelligente Dinge tun. Natürlich aber hilft ihnen die Menschenähnlichkeit auch dabei, sich in für Menschen gedachten Umgebungen zu bewegen: Beine zum Treppensteigen, Arme zum Greifen und Halten.

AKUT   Gibt es eine Grenze zur »Menschenähnlichkeit«, die man nicht überschreiten sollte?

BENNEWITZ   Man sollte in jedem Fall erkennen können, ob es ein Mensch oder eine Maschine ist. Besonders in Japan gibt es Forscher, die sich hauptsächlich auf die Hardware beschränken. Die haben dann sehr menschlich aussehende Systeme, die sich aber gar nicht so menschlich verhalten. Das finde ich wirklich nicht schön und das ist auch nicht unser Ziel. Unsere Systeme sollen sich intelligent verhalten, wir fokussieren uns auf die Software. Der Nao-Roboter, den wir nutzen, ist eine Standardplattform eines französischen Herstellers. Zudem gibt es die These des »Tals der Ähnlichkeit«, nach welcher zu menschliche Maschinen eher beängstigend auf Menschen wirken. Wo genau diese Grenze liegt, ist aber schwer zu sagen.

AKUT   Ihre Roboter können Treppensteigen, auch Wendeltreppen, Dinge greifen, tragen, Schere-Stein-Papier spielen – was noch?

BENNEWITZ   Na, das ist doch schon eine ganze Menge! In einem aktuellen Projekt arbeiten wir mit einer Plattform, die Räder und einen Greifarm hat – die soll beim Aufräumen von Kinderzimmern helfen. Einer meiner Doktoranden versucht, dass der Roboter dabei mit den Kindern interagiert. Wichtig ist, dass der Roboter den Kindern nicht alles abnimmt, sondern spielerisch mit ihnen umgeht: Etwa können die Kinder dem System beibringen, an welche Stelle die Spielsachen gehören. Dann räumen sie in Zusammenarbeit auf. Bei diesem Projekt haben wir uns zwar erstmal auf Kinderzimmer und Kindertagesstätten konzentriert – die gleichen Methoden ließen sich aber auch zum Aufräumen von Hotelzimmern anwenden.

AKUT   Und diese Problemstellungen kommen direkt aus dem »echten Leben«…?

BENNEWITZ   Ja. Zumindest konnte jeder, dem ich von diesem Projekt erzählte, sofort etwas mit dem Problem anfangen. Tatsächlich entstand diese Idee aber zwischen Kollegen, die keine kleinen Kinder mehr hatten.

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

AKUT   Inwiefern können Ihre Roboter eigentlich selbstständig lernen?

BENNEWITZ   Bis zu einem gewissen Schwierigkeitsgrad können sie Vorgänge schon lernen, aber vieles muss noch vorgegeben werden. Ein Beispiel: Der Roboter steht im Türrahmen und soll ein Objekt mitten im Raum greifen. Er bekommt nicht den Befehl »ein Schritt nach vorne, noch ein Schritt nach vorne, ein Schritt nach rechts, …« – sondern man gibt die Zielposition des Objekts vor. Die Bewegungen zum Objekt hin plant er dann selbstständig. Ist das Objekt aber sehr schwer oder schwierig zu greifen, ist er auf Hilfe angewiesen. Allerdings wird es wohl nie eine Maschine geben, die allgemein irgendwelche Dinge lernt und sich selbst immer weiter verbessert.

AKUT   Sie gehen davon aus, dass Roboter, die Endverbraucher im Alltag unterstützen, in ein paar Jahren marktreif sind. Wem werden die alles nützen?

BENNEWITZ   Nun, Staubsaug- und Rasenmähroboter gibt es schon. Das sind allerdings auch Systeme, bei welchen keine Interaktion notwendig ist. Die erledigen ihre Aufgabe: saugen, wischen, mähen – Autofahren können sie auch schon. Den persönlichen Haushaltsassistenten, der Tische ab- und Geschirrspüler einräumt, wird es aber erst in etwa 20 Jahren geben. Es dauert, bis er so dynamisch und robust ist, um in diesen Umgebungen zu funktionieren.

AKUT   Sie sind zudem eine von fünf Prorektorinnen und Prorektoren der Uni Bonn, Ihr Ressort ist Informationstechnologie und Wissenstransfer. Was bedeutet das konkret? Und wie unterstützen Sie die humanoiden Roboter dabei?

BENNEWITZ   Die können dabei leider gar nicht helfen! Aber meine vier Kollegen und ich treffen uns wöchentlich mit dem Rektor und dem Kanzler – da besprechen wir alle möglichen Themen: Anträge zum Schaffen oder Verlängern von Stellen, Berufungen, Liegenschaften… Es ist sehr kollegial und die Arbeit macht Spaß. Ich bin für das Ressort Informationstechnologie und Wissenstransfer zuständig. Da geht es darum, die IT-Infrastruktur der gesamten Uni Bonn weiter zu entwickeln und wettbewerbsfähig zu halten. Vor allem für die Mitarbeiter und die Verwaltung. Es soll eine Infrastruktur sein, in denen sie effizient arbeiten können. Im Bereich »Wissenstransfer« halten wir Kontakt zu Unternehmen und Institutionen in der Umgebung – denn die Erkenntnisse unserer Forschung sollen ja irgendwann zu marktreifen Produkten werden.

AKUT   Noch ein Wort zum Abschluss, bitte.

BENNEWITZ   Seit ich als Professorin an der Uni Bonn bin, wo ich Informatik studiert habe, hat sich für mich ein Kreis geschlossen. Ich bin sehr froh, wieder im Rheinland zu sein. Die Mentalität hier ist einfach einzigartig und die Uni Bonn verkörpert ein tolles Zusammengehörigkeitsgefühl. 

Selber Schuld?

GEISTESWISSENSCHAFTEN  Sie haben es nicht einfach: kaum feste Stellen, schwammige Perspektiven und dauernd: »Was soll mal aus dir werden?« Zu ihrer Lage tragen Geisteswissenschaftler selber bei – sagt der Bonner Lehrbeauftragte Alexander Kleinschrodt.

VON SOHIEL PARTOSHOAR

Fotomontage: Sohiel Partoshoar / AKUT

Fotomontage: Sohiel Partoshoar / AKUT

»Ich habe vierzehn Semester studiert!« Alexander Kleinschrodt wirkt nicht beschämt ob dieser Aussage. Im Gegenteil: »Ich habe vierzehn Semester ganz intensiv studiert.« Dabei ist es gerade einmal zehn Jahre her, dass er in Bonn sein Magisterstudium der Musikwissenschaften, Kunstgeschichte und Germanistik begann. Er wurde studentische Hilfskraft, stieg nach dem Abschluss in eine Promotion ein und sammelte reichlich Erfahrung als Dozent. Insofern ist nachvollziehbar, wenn er betont, dass jedes einzelne Semester sinnvoll gewesen sei.

Zehn Jahre können die Welt bedeuten – wer heute eine zweistellige Semesterzahl vorweisen kann, wird offener mit Argwohn betrachtet. Das Stichwort Bologna bezeichnet der 30-Jährige etwas abschätzig als »Gemeinplatz« und gibt doch im Hinblick auf die deutlich kürzeren Regelstudienzeiten im Bachelorstudium zu bedenken: »Bedenklich finde ich, dass die Vorgaben für das Studieren und die realen Bildungskarrieren nach meiner Wahrnehmung oft genug auseinanderdriften.« Kleinschrodt hat sich allen Debatten zum Trotz nicht von seiner Überzeugung abbringen lassen, dass eine individuelle Laufbahn fernab willkürlicher Fristen und Einschränkungen doch noch erstrebenswert sein könnte.

Dies scheint er beispielhaft vorzuleben: Im Fach Musikwissenschaften/Sound Studies hat er im Laufe einiger Jahre Seminare geleitet, in denen er die Beziehungen zwischen sogenannter ernster und populärer Musik sowie das Spannungsfeld zwischen Musik und Klang ausgelotet hat. Inzwischen konzentriert er sich auf interdisziplinär ausgerichtete Optionalmodule; im Wintersemester 2015/16 etwa mit dem Kurs »Umwelt und Nachhaltigkeit als Gegenstand der Geistes- und Kulturwissenschaften«. Er engagiert sich seit Jahren in der Werkstatt Baukultur Bonn, einem kunsthistorisch geprägten Bonner Kollektiv, das öffentliche Debatten zu Architektur, Städtebau und Denkmalpflege anregen und bereichern möchte. Zudem hat er für eine Lokalredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers vorwiegend Konzertkritiken geschrieben – »und alles andere«, was auch Berichte zu Karnevalsumzügen einschließt.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Kleinschrodt im Kern Kulturwissenschaftler sei, was er allerdings präzisiert wissen möchte: »Ich sehe meinen Platz zunehmend zwischen der reinen Wissenschaft und der Öffentlichkeit.« Die Herausforderung bestehe darin, die eigene fachliche Spezialisierung im Berufsleben beizubehalten und sie konstruktiv einzubringen, was insbesondere einigen Geisteswissenschaftlern schwerzufallen scheint. Etwa im Journalismus werde noch oft eingeworfen: »›Wissenschaft und Journalismus muss man sprachlich trennen, man muss alles von der Uni vergessen‹ – das halte ich für ein ganz übles Klischee.«

Hierbei stellt er die Frage: »Warum gelingt es zum Beispiel Neurowissenschaftlern so viel besser, ihre Themen zu platzieren? Warum gilt es anscheinend nicht als attraktiv, einen Germanisten oder Musikwissenschaftler zu befragen, wenn ein Expertenstatement gebraucht wird?« Den Einwurf, dass die Geisteswissenschaften ein Imageproblem haben könnten und sich der öffentliche Diskurs auf die sogenannten MINT-Fächer als Fortschrittsbringer fixiert habe, lässt er bestenfalls eingeschränkt zu. Er sieht das Problem an anderer Stelle: »Wieso gilt es denn als Makel, etwa im Feuilleton am öffentlichen Diskurs teilzunehmen?« Dabei paraphrasiert er den Sozialpsychologen Harald Welzer, der den Geisteswissenschaftsbetrieb vielfach in die Mangel genommen hat: »Es gibt da eine selbstverschuldete Marginalisierung, aus der man aussteigen muss. Ich finde da hat Welzer völlig Recht.«

Die Geisteswissenschaften stünden in der Pflicht, die Ursachen dieser »selbstverschuldeten Marginalisierung« zu beheben. Kleinschrodt sieht den Zeichen- und Kulturtheoretiker Umberto Eco als ein Vorbild: »Ich war eine Zeit lang fasziniert von seiner Einführung in die Semiotik. Das Thema ist an sich kompliziert und nicht so leicht zu greifen, aber hier wird es wirklich für den Leser entfaltet.« Und: »Man kann aus unseren Fächern heraus die Themen vermitteln – nicht nur die Gegenstände, sondern auch die Methoden.«

Doch erwartet man das überhaupt von den Geisteswissenschaften? Angesprochen auf die Erwartungshaltung vieler, denen mit Einleitungen wie »Wissenschaftler haben herausgefunden, dass…« klare Antworten auf komplizierte Fragen versprochen werden, präzisiert Kleinschrodt zunächst die Erwartungshaltungen aus seiner Sicht: »Entweder es gibt ein Problem, man forscht und hat dann irgendwann eine Lösung – oder man entdeckt etwas. Diese beiden Erwartungen gibt es. Geisteswissenschaftler machen das aber nicht.«

Am Beispiel der gemeinhin kontroversen Gender Studies erklärt er, wozu Geistes- und Kulturwissenschaftlern tatsächlich imstande sind: »Egal, was man davon hält – das Bewusstsein für solche Fragestellungen hat sich in kurzer Zeit extrem ausgebreitet. Plötzlich verändert sich eine öffentliche Debatte total, weil auf einmal bestimmte Begriffe in der Welt sind, wie eben ›Gender‹.«

Letztlich sieht Kleinschrodt seine Aufgabe darin, Begriffe für fremdartige Phänomene zu finden und sie im wissenschaftlichen Diskurs, aber auch gezielt in der Öffentlichkeit zu platzieren. »Man muss selbstbewusst mit den Mitteln, die Geisteswissenschaftler qua Ausbildung haben, etwas machen. Man muss sie zeigen und nutzen.«

Der junge Wilde

RUBRIK BEKANNTE ABSOLVENTEN  Norbert Röttgen war Bundesumweltminister und ist nun Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Im E-Mail-Interview berichtet er über sein Studium in Bonn, den Weg nach Berlin und die Herausforderungen der Außenpolitik.

INTERVIEW SOPHIE LEINS

CDU-Politiker Röttgen »Ich habe nicht geplant, Politik zum Beruf zu machen« (Foto: WOLFGANG HENRY / CC BY-SA 3.0 de)

CDU-Politiker Röttgen »Ich habe nicht geplant, Politik zum Beruf zu machen« (Foto: WOLFGANG HENRY / CC BY-SA 3.0 de)

AKUT   Herr Röttgen, 1984 machten Sie ihr Abitur in Rheinbach, dann studierten Sie Rechtswissenschaften in Bonn. Warum war Bonn für Sie als Studienstadt attraktiv? Was hat Bonn, was Berlin nicht hat?

RÖTTGEN   Bonn ist eine tolle Stadt mit einem ganz besonderen Flair; die Uni hatte und hat einen ausgesprochen guten Ruf. Als Rheinländer war Bonn für mich deshalb als Studienstadt erste Wahl. Zu Ihrer letzten Frage: Berlin fehlt der Rhein; und den Berlinern ganz eindeutig die rheinische Mentalität.

AKUT   Sie sind schon als Schüler in die Junge Union eingetreten. Ab wann hatten Sie das Ziel, in die Politik zu gehen?

RÖTTGEN   Mir hat die Arbeit in der JU und später in der CDU schon als Schüler und Student Freude gemacht. Aber ich habe nicht geplant, Politik zum Beruf zu machen. Dies hat sich erst später ergeben.

AKUT   Sie gelten als ehrgeizig und haben sich in der Politik bis nach ganz oben hochgearbeitet. Waren Sie ein strebsamer Student? Wie sah Ihr Studentenleben aus?

RÖTTGEN   Die Studienzeit war eine tolle Zeit! Mein Studium hat mir Freude gemacht und, anders als von den Studenten heute vielfach beklagt, war daneben noch genug Zeit für andere Dinge. Ich habe zum Beispiel viel Sport getrieben.

AKUT   Inwiefern hat sie das Jurastudium auf Ihre Karriere als Politiker vorbereitet?

RÖTTGEN   Ich habe im Studium gelernt, mit juristischen Texten umzugehen, aber auch, mir Sachverhalte analytisch zu erschließen und strukturiert Lösungsansätze zu erarbeiten. Das hilft mir heute sehr.

AKUT   Wie verlief letztlich Ihr Weg vom Studium in Bonn zur Bundespolitik?

RÖTTGEN   Nach dem Zweiten Staatsexamen hat mich mein Weg in eine Kölner Anwaltskanzlei geführt. Kurz danach stand ich vor der Entscheidung, mich für die CDU um die Bundestagskandidatur in meinem Heimatwahlkreis zu bewerben, weil Franz Möller nicht erneut kandidieren wollte. Ich habe mich dann zunächst der parteiinternen Auswahl gestellt und bin 1994 zum ersten Mal als Wahlkreisabgeordneter in den Deutschen Bundestag gewählt worden.

AKUT   Ihr Erstes Staatsexamen machten Sie 1989, das Referendariat Anfang der 1990er. Wie fühlte es sich an, als die Bundeshauptstadt dann vom heimatlichen Bonn nach Berlin verlegt wurde?

RÖTTGEN   Der Umzugsbeschluss fiel am 20. Juni 1991 im Wasserwerk in Bonn. Ich erinnere mich sehr genau an diesen Tag. In Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis herrschte »Weltuntergangsstimmung«. Glücklicherweise haben sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet. Unsere Region hat den notwendigen Strukturwandel gut bewältigt. Aber das war und ist leider auch weiterhin mit viel Arbeit verbunden.

AKUT   Ende der 1990er gehörten Sie einer Gruppe innerhalb der CDU an, die als »Junge Wilde« bezeichnet wurde, weil sie gegen die Parteiführung von Helmut Kohl aufbegehrte. Viele dieser jungen Wilden, z.B. Christian Wulff, Peter Altmaier, Ronald Pofalla und auch Sie sind damals ein Risiko eingegangen, haben es dann aber in hohe Positionen geschafft. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt?

RÖTTGEN   Der Sinn politischer Arbeit ist nach meinem Verständnis nicht, ein Amt zu bekleiden. Wir sind damals mit ganz konkreten inhaltlichen Zielen angetreten. Es ging uns z.B. um eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und eine stärkere Beteiligung der Mitglieder an parteiinternen Entscheidungsprozessen. Dafür haben wir gekämpft – gegen erhebliche Widerstände. Aber letztlich waren wir in den zentralen Punkten erfolgreich, auch wenn es einige Zeit gedauert hat.

Norbert Röttgen im NRW-Landtagswahlkampf 2012 (Foto: TIM RECKMANN / CC BY-SA 3.0 de)

Norbert Röttgen im NRW-Landtagswahlkampf 2012 (Foto: TIM RECKMANN / CC BY-SA 3.0 de)

AKUT   Braucht die Merkel-CDU von heute wieder einmal ein paar junge Wilde, die wagen zu rebellieren?

RÖTTGEN   … ein bisschen Rebellion schadet einer Partei wohl nie.

AKUT   Sie trafen sich damals unter anderem mit Vertretern der Grünen in Bonner Pizzerien, um Gemeinsamkeiten zwischen ihren Parteien auszuloten. Das Ganze wurde als »Pizza-Connection« bekannt. Welche Bonner Pizzeria können Sie uns empfehlen?

RÖTTGEN   Damals haben wir uns stets im gleichen Restaurant getroffen. Inzwischen weiß ich aber, dass es in Bonn und in der Region noch sehr viel mehr gute Restaurants gibt 😉

AKUT   2001 promovierten Sie an der Universität Bonn zum Dr. jur. – hatten und haben Sie eine enge Bindung zu Ihrer Alma Mater?

RÖTTGEN   Ja. Mir ist ein enger Kontakt bis heute wichtig. So habe ich mich sehr gefreut, im Herbst gemeinsam mit dem Rektor der Uni, Herrn Professor Hoch, die Präsidentin des German Marshall Fund zu einem Gespräch in der Uni begrüßen zu können.

AKUT   Mittlerweile sind Sie Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Was sehen Sie momentan als größte außenpolitische Herausforderung für Deutschland?

RÖTTGEN   Leider ist die Liste der außenpolitischen Herausforderungen derzeit sehr lang – und jede für sich fordert eigentlich unsere ganze Kraft. In dieser Situation zeigt sich besonders deutlich, wie existenziell wichtig ein starkes und einiges Europa ist. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, die europäische Krise, in der wir stecken, rasch zu überwinden. Ebenso, wie wir im Hinblick auf den internationalen Terrorismus mit einer Sprache sprechen, muss es gelingen, auch in der Flüchtlingspolitik europäische Lösungen zu finden.

AKUT   Wie schätzen Sie die Notwendigkeit eines militärischen Einsatzes Deutschlands in Syrien ein?

RÖTTGEN   Der Kampf gegen den sogenannten »Islamischen Staat« kann nicht mit militärischen Mitteln ohne ein politisches Konzept gewonnen werden. Aber ohne eine militärische Präsenz des Westens im Mittleren Osten wird die Diplomatie keine Chance haben. Der Einsatz der Bundeswehr, den der Deutsche Bundestag beschlossen hat, liegt im Interesse unserer eigenen Sicherheit, der Sicherheit in Europa. Aber es sind die Menschen in Syrien und im Irak, die am allermeisten unter dem Terror leiden. Für sie sind die Gräueltaten von ISIS schrecklicher Alltag. Jeden Tag werden Mädchen verkauft und misshandelt, damit der Terror finanziert werden kann.

Wir können die Opfer, die unter der Brutalität und Menschenverachtung des ISIS-Terrors leiden, nur beschützen, indem wir handeln – auch militärisch.

AKUT   Mit Ihren 50 Jahren haben Sie das politische Leben in Deutschland schon aus vielen Perspektiven kennen gelernt: Vorsitzender der Jungen Union NRW, Mitglied des Bundestages, Bundesminister, Spitzenkandidat für den Posten des Ministerpräsidenten NRW, Ausschussvorsitzender – was geben Sie den Bonner Studierenden mit auf den Weg?

RÖTTGEN   Wichtig ist aus meiner Sicht, für sich persönlich herauszufinden, was einem Freude macht, was einem liegt, wofür man sich einsetzen möchte. Und dann sollte man auch den Mut haben, dies zu tun. 

Platzangst

PHILOLOGISCHE BIBLIOTHEKEN  Die »Shopping Mall« im Viktoriakarree kommt nicht. Ein Gewinn für das Bürgerbegehren und Bonns Stadtbild – ein Rückschlag für die Uni Bonn. Diese muss bis 2018 Platz für tausende Bücher finden. Ideen gibt es schon – Räume nicht.

VON EVA FÜRST

Wenig Platz für AKUT-Redakteurin Eva (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Wenig Platz für AKUT-Redakteurin Eva (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Um die Dringlichkeit des Projektes philologische Bibliothek zu verstehen, geht man am besten acht Jahre zurück, an den Ursprung der Idee. Klar war: Das Hauptgebäude muss saniert werden. Was nicht klar war, ist die riesige Fläche, die im Hauptgebäude von verschiedenen Institutsbibliotheken in Anspruch genommen wird, obwohl die meisten Standorte denkbar ungeeignet sind: Überdurchschnittlich breite Flure und fehlender Platz für Zuwachs. Vollgestopfte Regale und ewig lange Bücherschläuche sind für viele Studierende Bibliotheksalltag. Es musste also über provisorische Lösungen nachgedacht werden: Wohin mit den Büchern während der Sanierung? Dann wurde klar: Provisorische Lösungen allein reichen nicht. Die Statik des Hauptgebäudes wird im Zuge der Sanierung nicht verstärkt, und seit dem Brand am Düsseldorfer Flughafen sind die Brandschutzbestimmungen so verschärft worden, dass die Bibliotheken nicht wieder zurück an ihre alten Standorte ziehen dürfen. Die bisherigen Bibliotheksflächen wurden offiziell für ungeeignet erklärt, es musste zwangsläufig ein neuer Standort her. Die Idee, die betroffenen Institutsbibliotheken des Hauptgebäudes zu einer großen philologischen Bibliothek zusammenzuschließen, lag nahe. Wie vom Himmel geschickt kam das Viktoria-Projekt der Stadt Bonn – die Lage perfekt durch die Nähe zum Hauptgebäude, die Gelegenheit günstig wie nie. Die Uni klinkte sich in das Projekt mit ein und begann mit der Planung der philologischen Bibliothek.

Um allen Parteien gerecht zu werden, wurde ein Beirat aus Universitäts- und Institutsangehörigen gegründet und ein Studierendenworkshop durchgeführt, in dem die Hauptnutzer der Bibliotheken ihre Ideen und Wünsche äußern und in die Planung mit einbringen konnten. Unter der Leitung von Dr. Alice Rabeler sollte mit Input von allen Seiten ein Konzept entwickelt werden. Während von der Seite der Institute einige Sorge um ihre Selbstständigkeit und ihren Einfluss auf die Bestände kam, war die Stimmung beim Studierendenworkshop positiv und dem Projekt zugewandt. Nach vielen Gesprächen im Beirat wurde die Idee eines Zusammenschlusses immer reizvoller. Die Vision eines modernen, gut organisierten Standorts mit vielen Arbeitsmöglichkeiten nahm Form an.

Wie also sieht die Vision genau aus? Die philologische Bibliothek soll nicht nur aus den Institutsbeständen im Hauptgebäude (ausgenommen die Kunstgeschichte, die sich im Erdgeschoss befindet und bleiben wird) bestehen, sondern auch die kompletten Orient- und Asienwissenschaften mit aufnehmen. Damit wird den Studierenden und den Wissenschaftlern die Nutzung der zurzeit wild verstreuten Bestände erheblich erleichtert. Grundlegend wird die Bibliothek in zwei Teile aufgeteilt: die westlichen Philologien wie Germanistik mit Skandinavistik, Anglistik mit Keltologie und der Romanistik; und die »IOA«-Abteilung (Institut für Orient- und Asienwissenschaften). Die Institutsbibliotheken werden allerdings nicht einfach nur an einen anderen Ort verpflanzt und genau so weiter geführt wie bisher. Besonders bei den Literatur- und Kulturwissenschaften gibt es Werke, die nicht nur für eine Sprache nützlich sein können. Es wird daher eine Universalaufstellung geben, die nach Thema des Buches, nicht nach Institut sortiert wird. So findet man alle vorhandenen Werke zu einem bestimmten Thema, zum Beispiel romantische Dichtung, an einem Ort gebündelt. Mit dieser neuen Systematik geht eine weitere Änderung einher: Die Signaturen. Um einen einheitlichen Bestand einfach und sinnvoll zu ordnen, wird eine einheitliche Signaturensystematik eingeführt. Die IOA-Bestände werden nach der Dewey Decimal Classification (DDC) beschriftet, die westlichen Philologien dagegen nach der Regensburger Verbundklassifikation (RVK). Das bedeutet, dass bei allen Büchern der betroffenen Bestände die alten Signaturen gelöscht und vom Büchrücken entfernt werden, dann die neuen katalogisiert und draufgeklebt werden müssen. Selbst wenn die Umstellung zunächst Arbeit und Umgewöhnung bedeutet: Man wird anhand der neuen Signaturen weiterhin erkennen können, um welches Thema oder Fachgebiet es sich handelt, wie es in den Institutsbibliotheken Gang und Gäbe ist.

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(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Geplant sind um die 500 Lese- und Arbeitsplätze. Ein großer Teil davon soll ein ruhiger Lesesaal sein, wie in der ULB. Gruppenarbeitsräume, Räume für Video- und Tonanalyse, Präsentations- und Kolloquiumsräume sind in Planung. Neue Ideen, die von den Studierenden des Workshops eingebracht wurden, sind zwei Eltern-Kind-Räume sowie eine »mobile Fläche«, wo ganz nach den Bedürfnissen der Nutzer Beamer, Computer, Raumtrenner etc. dazugeholt oder weggestellt werden können. Die Räume sollen online reservierbar sein. Zur Ausstattung gehören weiterhin Scanner, Kopierer und Netzdrucker, sowie um die 600 Schließfächer.

Eine der größten Fragen, die bisher noch nicht abschließend geklärt werden konnte, ist die der Ausleihbarkeit. Zunächst soll die Bibliothek ein Präsenzbestand bleiben, obwohl Kurzausleihe über Nacht gestattet wird. Um das übersichtlich zu organisieren, wird eine elektronische Verbuchung eingeführt, ebenfalls nach dem Vorbild der ULB. Hier sehen viele Professoren ein Privileg bedroht – bisher haben viele einen Schlüssel für die Institutsbibliothek und können so schnell vor oder nach dem Unterricht Bücher mitnehmen oder zurückbringen – oder eben auch nicht. Ein Problem vieler Bibliotheken ist, dass manche Dozenten sich Werke ausleihen und jahrelang nicht zurückbringen, auch nach mehrfacher Ermahnung der Bibliothekare. Studierende kommen teilweise nicht an die nötige Fachliteratur für ihre Hausarbeiten und haben keine Möglichkeit, die Bücher sicher einzufordern. Dieses Problem würde es mit der elektronischen Verbuchung nicht mehr geben.

So weit, so gut. Die Vision der philologischen Bibliothek klingt fast zu schön um wahr zu sein – und genau da ist der Knackpunkt. Sie ist eben noch nicht wahr. Und seit das Bürgerbegehren das Signa-Projekt im Viktoriakarree gestoppt hat, stagniert die Planung. Die Sanierung muss bald kommen und die Bibliotheken dürfen nicht bleiben. Es müssen Alternativen gefunden werden. Die Bibliothek soll in nächster Nähe des Hauptgebäudes stehen, doch wo gibt es noch Platz? Kanzler Lutz brachte im Generalanzeiger das Zurich-Gebäude an der Poppelsdorfer Allee ins Gespräch sowie das Juridicum gegenüber der ULB. Doch wo sollen die Juristen hin? Eine Überlegung ist die ehemalige Kinderklinik, doch liegt da eine Entscheidung noch in weiter Ferne. Selbst wenn sofort ein Gebäude gefunden würde, müsste die Statik eingehend geprüft und vermutlich verbessert werden, es müsste Umbaumaßnahmen geben um eine für den Bibliotheksbetrieb sinnvoll strukturierte Fläche zu schaffen, die Institutsbibliotheken müssten mit der Umsystematisierung beginnen und der Umzug müsste organisiert werden. Eine Fertigstellung der philologischen Bibliothek rückt in weite Ferne, sie wird mit großer Wahrscheinlichkeit bis 2018 nicht beendet werden können.

Was nun? Wird das Hauptgebäude trotzdem saniert? Werden die Institutsbibliotheken in Container gesteckt bis eine Lösung gefunden wird? Oder sollen die Bibliotheken während der Sanierung im Baulärm auf eine Rettung warten? Was wird aus den alten Räumen der Institutsbibliotheken im Hauptgebäude? Wo können die Studierenden ihre Ideen und Gedanken einbringen? All diese Fragen sind jetzt noch offen.

Professor Hoch motiviert

AKUT-GESPRÄCH  Der Entwicklungsbiologe Prof. Dr. Michael Hoch ist der Rektor der Universität Bonn. Im AKUT-Gespräch erklärt er, wie er die Last von Sparmaßnahmen positiv nutzen möchte und wie viel Einfluss er auf das Sprachkursangebot und auf den Anteil an Professorinnen hat.

INTERVIEW ALEXANDER GRANTL & SVEN ZEMANEK

Strahlt mit der Sonne um die Wette: Prof. Dr. Michael Hoch (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

AKUT   Sie sind nun seit Mai Rektor der Universität Bonn. Wie hat sich seitdem Ihr Kontakt zu den Studierenden verändert?

HOCH   Ich habe andere Gruppen von Studierenden kennengelernt. Früher hatte ich schon ein ganz intensives Verhältnis zu unseren Studierenden im Fachbereich molekulare Biomedizin, aber durch meine neue Tätigkeit habe ich viel mehr Termine mit verschiedenen Studierenden. Zum Beispiel habe ich den AStA besucht – zu dem hatte ich früher gar keinen Kontakt. Und ich war bei den Fachschaften – und habe dort auch gehört, mit welchen Fragen man sich dort beschäftigt. Ich denke, dass ich da einen ganz guten Kontakt habe.

AKUT   Sie haben auch viele neue Aufgaben bekommen. Gibt es etwas, das Sie besonders gerne machen? Etwas, das Sie gar nicht gerne machen?

HOCH   Den Kontakt zu den verschiedenen Gruppen zu pflegen, mache ich besonders gerne. Die Studierenden haben Sie schon angesprochen: Es macht mir große Freude, mit ihnen zu sprechen und zu hören, was sie so bewegt. Aber auch der Kontakt zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist mir natürlich besonders wichtig. Auch jetzt, wo wir vor einer neuen Runde der Exzellenzinitiative stehen und dazu viele Gespräche stattfinden. Das macht große Freude. Außerdem habe ich alle Dezernate in der Verwaltung besucht und mich mit den Mitarbeitern dort intensiv ausgetauscht. Wir treffen uns nun regelmäßig mit den Dezernaten, um uns informell auszutauschen. Was mir auch große Freude macht, ist der Außenkontakt. Unter anderem habe ich den neuen Oberbürgermeister Bonns besucht und auch den Landrat des Rhein-Sieg-Kreises. Zudem habe ich mich mit verschiedenen Gruppen aus der Stadtgesellschaft unterhalten, um die Uni auch dort noch präsenter zu machen. Das ist zurzeit sehr wichtig.

AKUT   Was macht nicht so viel Spaß?

HOCH   Ich kann – ganz ehrlich – eigentlich gar nichts identifizieren, was mir keinen Spaß machen würde. Natürlich gibt es auch Problemsituationen, die man bewältigen muss. Daran hat man nicht unbedingt Spaß, aber das sind Sachen, die man im Alltag eben abarbeiten muss. Wenn es um Personen geht, versuche ich etwa herauszufinden, wie ich die Beteiligten so motiviere, dass das Problem irgendwo gelöst werden kann. Und das ist auch gleichzeitig wieder eine positive Herausforderung.

AKUT   Stichwort Herausforderung: Sparen und andere zum Sparen anhalten – erlebt die Universität ihre 200-Jahr-Feier 2018 noch?

HOCH   (lacht) Ich hoffe schon! Sparen ist natürlich eine der unangenehmsten Thematiken. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir heute in Zeiten leben, in denen wir uns Gedanken machen sollten, wie wir überhaupt mit Überflusssituationen umgehen. Das ist auch eine Frage an die Gesellschaft. Etwa anhand der Flüchtlingsthematik: Wir sollten uns in einem ganz anderen Kontext Gedanken machen, wie gut es uns geht – besonders im Vergleich zu denen, die ihre Heimat verloren und Gewalt und Tod erlebt haben. Aber zurück zur Universität: Natürlich macht Sparen keinen Spaß. Der entscheidende Punkt ist, wie wir uns mithilfe dieser Sparmaßnahmen neu aufstellen können, ja vielleicht befreien können von Zwängen. Das ist hier die positive Herausforderung: Wie kann ich die Situation so organisieren, dass Forschung und Lehre erhalten bleiben und gleichzeitig eine neue Perspektive daraus resultiert? Das ist eine schwierige Aufgabe, aber es macht Freude, sich auch darüber Gedanken zu machen.

AKUT   Haben Sie ein konkretes Beispiel, wie Sie etwa Institute dabei unterstützen?

HOCH   Das Thema Energie, zum Beispiel. Da haben wir momentan noch viel Glück, weil die Energiekosten nicht besonders hoch sind. Aber sie werden womöglich steigen. Und wir geben schon jetzt viel Geld für Energie aus, also für Heizung, Strom und Kühlung. 17 Millionen Euro im Jahr. Da stellt sich die Frage, ob wir irgendwo sparen können. Hier in der Verwaltung gibt es da schon gute Konzepte, die ich noch ein wenig weitertreiben möchte. Wir überlegen, wie wir die Institute, in denen aus wissenschaftlichen Gründen viel Energie verbraucht wird, dazu bekommen, kreativ über das Energiesparen nachzudenken.

AKUT   »Kreativ nachdenken« klingt noch sehr vage…

HOCH   Ich kann das mal konkretisieren: Wenn ein Institut eine Idee hat, wie es Energie sparen kann, sollte ein Teil genau dieser Einsparung wieder an das Institut zurückkommen. Sodass man letztlich ein positives Anreizmodell hätte, das Institute zum Sparen anhalten könnte. Man müsste natürlich überlegen, wie viel der Einsparungen wieder an das Institut zurückgingen, aber man hätte dann vielleicht eine Triebkraft, nochmal ganz anders über das Thema Energiesparen nachzudenken.

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

AKUT   Etwas anderes: Im Januar wird ein neues Studierendenparlament gewählt, es gibt auch zwei Urabstimmungen. Wie genau verfolgen Sie solche Entwicklungen?

HOCH   Ich verfolge die Entwicklungen, indem ich immer mal wieder über anstehende Termine und ähnliches informiert werde. Ich selber habe mir zwar vorgenommen, zu einer Sitzung des Studierendenparlaments zu kommen, habe es aber bisher noch nicht geschafft. Das nehme ich mir aber für 2016 vor. Bisher habe ich mich, wie gesagt, schon mehrmals mit dem AStA und den Fachschaften getroffen, aber bis zum Studierendenparlament habe ich es noch nicht geschafft.

AKUT   Im Senat hingegen waren Sie schon. Der hat neulich eine neue Grundordnung beschlossen – finden Sie die Gruppenparität im Senat nun gut umgesetzt?

HOCH   Das ist eine Sache, die nun demokratisch entschieden wurde und ich möchte mich dazu eigentlich gar nicht äußern. Das Verfahren hat auch dazu geführt, dass die Gruppen sehr miteinander gerungen haben. Und dann war es an einen Punkt gekommen, an welchem es eine klare Abstimmung gab. Und die nehme ich nicht nur zur Kenntnis, sondern glaube, dass man hier einen guten Weg für die Zukunft gefunden hat.

AKUT   Wünschen Sie sich, das auf andere Gremien – etwa Fakultätsräte – auszuweiten?

HOCH   Ich wünsche mir, dass die verschiedenen Gruppen auch weiter an der Fortentwicklung der Universität beteiligt sind. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für mich. Auch wichtig ist, dass man ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt. Die Gruppen müssen das Gefühl haben, dass sie einbringen können, was ihnen am Herzen liegt. Dass man dabei manchmal nicht seine Maximalposition erreichen kann, muss man akzeptieren. Bisher ist es immer gelungen, im Widerstreit der Ideen und Standpunkte doch Kompromisslösungen zu erzielen, die für alle Seiten positiv waren. Ich bin zuversichtlich, dass man diese Paritätsthematiken unproblematisch wird lösen können. Das ist mein Grundvertrauen, auch in die Kolleginnen und Kollegen, die Studierenden und die Mitarbeiter der Gremien.

AKUT   Seit kurzem wissen Sie, dass Sie die philologischen Bibliotheken nicht im Viktoriakarree unterbringen können. Was für Alternativen haben Sie nun?

HOCH   Nachdem dieser Prozess 2007 initiiert wurde, haben wir nun eine klare Entscheidung. Wir als Rektorat brauchen eine Lösung bis Mitte 2018, weil uns hier Statik und Brandschutz herausfordern. Nun möchten wir zunächst mit den Nutzern sprechen: Wie ist der Bedarf? Muss justiert oder moduliert werden? Es ist ja nun einiges an Zeit vergangen. Und wir müssen mit der ULB sprechen, weil diese auch beteiligt ist. Dazu werden wir gleich 2016 diese Gruppen zusammenrufen, um den Bedarf zu klären und die räumlichen Möglichkeiten zu beurteilen. Erst dann können wir entscheiden, ob es vielleicht einen Umzug oder einen Neubau braucht.

AKUT   Kommen wir noch zu den Professorinnen: Schon in Ihrer Antrittsrede hatten Sie angekündigt, dass Sie den Professorinnen-Anteil »signifikant erhöhen« wollten. Der liegt in Bonn unter dem ohnehin niedrigen NRW-Durchschnitt. Wie tun Sie das? Was haben Sie schon getan?

HOCH   Da haben wir in den letzten Jahren doch einiges erreicht. Die Anzahl der Professorinnen ist schon deutlich gestiegen. Das ist ganz wesentlich der Aktivität des Gleichstellungsbüros und der Gleichstellungsbeauftragten geschuldet. Als Rektor bin ich auch Vorsitzender der Gleichstellungskommission. Hier versuchen wir zu überlegen, wie wir in Berufungssituationen den Professorinnen-Anteil erhöhen können. Schlussendlich hängt das aber wesentlich von den Fakultäten ab, die unterschiedlich erfolgreich beim Erreichen dieser Ziele sind. Wir im Rektorat versuchen, aktiv Einfluss auf die Fakultäten auszuüben, sodass sie in den Berufungskommissionen dieses Thema im Auge haben.

AKUT   Wünschen Sie sich, hier mehr Einfluss haben zu können?

HOCH   Hier geht es letztlich darum, ein Vertrauensverhältnis zwischen Rektorat und Dekanen zu erzeugen. Das entwickelt sich in den letzten Monaten sehr positiv. Wir arbeiten sehr gut zusammen und ich bin optimistisch, dass wir über den guten Kontakt zu Dekanen und Fakultäten das Ziel, den Professorinnen-Anteil zu erhöhen, in den nächsten Jahren erreichen werden.

AKUT   Mitglieder des AStA werfen Ihnen vor, Sie würden die Universität zu »ökonomisch« sehen. Im AStA-Heftchen »Friedrichs Wilhelm« wurde Ihre Rede zur Eröffnung des akademischen Jahres kritisiert. Etwa, dass Sie vom Wettbewerb der Universitäten gesprochen hätten. Was entgegnen Sie dieser Kritik?

HOCH   Ich bin natürlich für Meinungsfreiheit und halte es für absolut legitim, dass jemand eine andere Meinung dazu hat. Allerdings sehe ich die Situation anders. Ich glaube, dass wir als Universitäten natürlich im Wettbewerb stehen – nicht nur um finanzielle Ressourcen, sondern auch um Köpfe und Talente – also Studierende und Wissenschaftler. Wir stehen also in einer Wettbewerbssituation und müssen überlegen, wie wir Schwerpunkte setzen, um erfolgreich zu sein.

AKUT   Wie gut steht Bonn in diesem Wettbewerb der Universitäten und Hochschulen denn da?

HOCH   Wir stehen sehr gut da. Das sehen wir an einigen Kennzahlen, etwa, dass wir seit Jahren auf Platz 1 sind, was die Förderung der Naturwissenschaften durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG betrifft. Auch bei internationalen Uni-Rankings sind wir sehr gut, in den letzten Jahren häufig unter den ersten 100, mit nur wenigen anderen deutschen Universitäten. Diese Zahlen sind deswegen wichtig, weil Wissenschaftler und Studierende oft anhand dieser Kennzahlen entscheiden, ob sie an die Uni Bonn kommen oder an eine andere Universität gehen. Sie sind sicher auch stolz, einer sehr guten Universität anzugehören. Und das zieht sich weiter in Ihr Leben, später im Beruf und alles, was nach dem Studium kommt. Und es ist doch einfach spannend, wenn man talentierte, kreative Professoren hat und davon lange profitieren kann.

Es ist also ganz wichtig, dass wir im Wettbewerb gut positioniert sind. Doch es ist auch noch Luft nach oben, etwa, weil wir keine Exzellenzuniversität sind, wie Köln und Aachen. Wir haben hervorragende Voraussetzungen, auch diesen Schritt noch zu schaffen. Wir bereiten uns darauf vor.

AKUT   Wir haben mal einige Studierende gefragt, welche Fragen sie Ihnen stellen würden. Da kam beispielsweise »Warum schaffen Sie nicht mehr Sprachkurse?« Wie viel Einfluss haben Sie eigentlich auf so etwas?

HOCH   Im Alltag nicht besonders viel. Aber wenn ich das zum Thema, zur Aufgabe mache, können wir im Rektorat natürlich schon einiges bewegen. Die Frage, warum es nicht mehr Sprachkurse gibt, ist letztendlich eine Ressourcenfrage. Wir müssen mit unseren Ressourcen ökonomisch umgehen – auch in diesem Bereich. Hier gehen wir schon ans Maximum. Wenn wir dort mehr Sprachkurse schaffen, müssen wir woanders etwas wegnehmen.

AKUT   Haben Sie den Eindruck, die Studierenden wissen, was Sie als Rektor tun oder tun können?

HOCH   Ich denke, dass viele Studierende das nicht wissen. Aber das halte ich für ganz normal – jeder ist zunächst in seiner eigenen Welt gefangen. Ich kam aus der Welt des Wissenschaftlers im Institut. Nun bin ich hier im Rektorat und habe viele neue Dinge kennengelernt. Wir haben am Anfang ja darüber gesprochen: Kontakt zu allen möglichen Gruppen, Fragestellungen allgemeiner Natur – oft muss man sich da erstmal ein Bild machen. So ist es bei den Studierenden auch, die natürlich primär in ihrer Welt leben. Das ist auch richtig so, denn auch dort muss man sich konzentrieren. Das ist ganz normal, denke ich.