Zum Fernsehen ins Museum

Ausstellung – Von Heidi Klum über Andy Warhol bis hin zu genagelten Fernsehgeräten. Das Bonner Kunstmuseum zeigt mit der Ausstellung »TeleGen« das spannende Verhältnis von Kunst und Fernsehen. Es gibt allerhand zu entdecken!

von Dominique Müller

(Foto: Dominique Müller / AKUT)

(Foto: Dominique Müller / AKUT)

Auch wenn die Ausstellung auf den ersten Blick recht überschaubar wirkt, sollte man definitiv Zeit mitbringen. Seit dem ersten Oktober kann man sich im Kunstmuseum anschauen, wie sich verschiedenste Künstler – insgesamt stolze 45 an der Zahl – mit dem Thema Fernsehen auseinander gesetzt haben. Angefangen in den 1960er Jahren bis in die Gegenwart, begibt sich der Museumsbesucher auf eine Art Rundgang durch die Geschichte. Die Ausstellung ist so konzipiert, dass es sieben verschiedene Raumkapitel gibt, jedes mit einem anderen Namen versehen. Von Once Upon A Time, welches den Beginn darstellt, bis Talk Talk Talk und Switchover – die Titel sind Programm.

Wer vor dem Besuch der Ausstellung erwartet, ausschließlich Fernsehapparate vorzufinden, wird schnell eines Besseren belehrt. Natürlich sind sie anzutreffen, die Fernseher und das nicht zu knapp. Jedoch findet man bereits im ersten Raum ebenfalls eine fotografische Arbeit von Dennis Hopper, sowie einen Siebdruck von Andy Warhol, die sich beide mit John F. Kennedys Tod auseinandersetzen. Die gesamte Ausstellung ist gattungsübergreifend angelegt. Man trifft auf Fotografie und Skulptur, aber auch auf Malerei und Installation. So unterschiedlich diese Genres und ihre Künstler auch sein mögen, in allen Werken ist der Bezug zum Fernsehen zu finden. Im historischen Teil zu Beginn der Ausstellung sind die frühen Arbeiten aus den 1960er Jahren untergebracht. Diese beschäftigen sich noch sehr mit dem Medium Fernseher, genauso wie dem »Apparat als Objekt«. Schlug doch Günther Uecker beispielsweise 1963 zahlreiche Nägel in ein brandneues Fernsehgerät.

Da sich in den 1970/80er Jahren hauptsächlich mit der Videokunst auseinandergesetzt wird, werden diese bewusst ausgespart und die Ausstellung setzt wieder in den 1990er Jahren ein. In diesem zweiten Teil der Ausstellung gibt es verschiedenste Arbeiten, die auf verschiedenste Fernseh-Genres, wie Talkshows, Serien oder Nachrichten eingehen. Dort können wir unter anderem lernen, dass durch die stetige Wiederholung von grausamen Kriegsbildern in den Nachrichten nach und nach eine gewisse Distanzierung und Abstumpfung erreicht wird, oder können uns Heidi Klums wohl berühmtesten Satz »Ich habe heute leider kein Foto für dich« in Dauerschleife anhören.

Insgesamt möchte die »TeleGen«-Ausstellung nicht ausschließlich Kritik am Fernsehen und unserem Umgang damit äußern. Laut Kuratoren kann sie uns auch die Augen öffnen »für Dinge die wir schon scheinbar kennen, aber nicht bewusst wahrgenommen haben«, da Fernsehen mittlerweile selbstverständlich geworden ist und man vielleicht nicht mehr allzu genau hinsieht.

Da die Ausstellung nicht nur zum Anschauen, sondern auch zum Anfassen gemacht ist, wirklich viel Abwechslung bereithält und der Eintritt für Studierende, wie immer, erschwinglich ist, sei an dieser Stelle noch nicht alles vorweggenommen, sondern ich fordere euch nur auf: Schaut euch die Ausstellung selbst an und bildet euch dann eine eigene Meinung!

Löwen im Rheinland

Soziales Engagement – Gerhard Bigalke ist Distrikt-Governor der Lions Rheinland-Süd und damit Vertreter von rund 2700 Ehrenamtlichen. In der AKUT gibt der pensionierte Bundeswehr-Oberst einen Einblick in die Strukturen und die Arbeit der Lions.

Interview Phillipp Blanke

(Foto: Privat)

(Foto: Privat)

AKUT   Nach welchem Motto helfen Sie?
BIGALKE   Unser Prinzip lautet »We Serve«. Viele übersetzen es mit »dienen«, ich sage lieber »helfen«. Das ist unser Hauptanliegen. Ich habe das in meinen Wahlspruch »Freude durch Helfen« aufgenommen, weil es mir wichtig ist, zu zeigen, dass beide Aspekte einander dienen.

AKUT   Wie helfen Sie denn konkret?
BIGALKE   Wir haben zum Beispiel in meinem Club Meckenheim-Wachtberg immer große Freude bei unserer Weihnachtsaktion. Kinder aus finanziell schwachen Elternhäusern können Wunschzettel schreiben. Die Wünsche kommen dann zu uns und wir erfüllen sie zu 99%. Damit können wir immer rund 100 Kindern eine Freude machen. Das alles geht natürlich nur mit der tatkräftigen Hilfe der Club-Mitglieder.

AKUT   Woher wissen Sie, welche Kinder Ihre Hilfe brauchen?
BIGALKE   Das ist natürlich schwierig. Jedes Mitglied hat hier und da offene Ohren, oder kennt jemanden, der weiß, wo Hilfe besonders nötig ist. So baut sich langsam ein Netzwerk auf, durch das wir gezielt helfen können.

AKUT   Wie sind die Lions im Rheinland organisiert?
BIGALKE   Der Distrikt Rheinland war mit 144 Clubs der viertgrößte Distrikt der Welt. Das war aber einfach nicht mehr zu organisieren. Also haben wir uns 2012 geteilt, einmal in Rheinland-Nord und Rheinland-Süd. Köln, Aachen und Bonn gehören seitdem zum südlichen Distrikt.

AKUT   Wie viele Clubs gibt es zur Zeit in Ihrem Distrikt?
BIGALKE   Wir haben momentan 79 Clubs, Tendenz wachsend. Die Clubs unterscheiden sich in Herren-, Damen- und gemischte Clubs, sowie unsere jungen Leo-Clubs. Erfreulicherweise konnten wir in den letzten Jahren unseren Frauenanteil auf jetzt 15% steigern.

AKUT   Warum gibt es eine Unterscheidung nach Geschlechtern?
BIGALKE   Das hat historische Gründe. Die Geschichte der Lions beginnt 1917 mit dem Zusammenschluss einiger amerikanischer Business-Clubs, die nur aus Männern bestanden. 1987 haben sich die Lions-Clubs für Frauen geöffnet. Damit gib es nunmehr drei Clubformen.

AKUT   Welches Klischee begegnet Ihnen am häufigsten?
BIGALKE   Meistens, dass wir alte Herren seien, die Zigarre rauchen und Rotwein trinken. Aber das stimmt nicht! Allein in meinem Kabinett, vergleichbar mit einem Präsidium, sind ein Drittel Frauen. Und im Distrikt haben wir insgesamt vier reine Damenclubs.

AKUT   Wie sind die Lions global strukturiert?
BIGALKE   Wir haben einen International President, dann kommen die Distrikt-Governor und dann schon die Club-Präsidenten. Also eine dreistufige Führungsstruktur die ganz einfach und unkompliziert aufgebaut ist. Dazwischen gibt es natürlich Beauftragte und Stellvertreter, aber im Kern ist das eine sehr straffe Organisation.

AKUT   Wie helfen sie weltweit?
BIGALKE   Wir engagieren uns in vielen Bereichen. Unter anderem auch in der »Sight-First«-Kampagne um vermeidbare Blindheit zu bekämpfen. Hier gibt es eine bemerkenswerte Möglichkeit: Wenn wir in Deutschland bis zum 19. November 500.000 Euro an Spendengeldern erreichen, verdoppelt die RTL-Stiftung bei ihrer Spendengala diese Summe – und das Bundesentwicklungshilfeministerium (BMZ) verdreifacht das Geld nochmals. Also ist hier eine große Chance gegeben, Gutes zu erreichen. 

Sternzeichen: Löwe

Soziales Engagement – Der Bonner Leo-Club engagiert sich seit knapp 30 Jahren für soziale Projekte. Die Mitglieder sind vielfältig – vom Veganer bis zum Jäger ist alles dabei. Alle eint das Engagement für die gute Sache; getreu dem Motto: Vor Ort helfen und Gutes tun.

von Philipp Blanke

Bernadette und Johanna sehen gar nicht aus wie Raubtiere (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Bernadette und Johanna sehen gar nicht aus wie Raubtiere (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Es ist der Dienstagmittag vor dem kalendarischen Herbstanfang. Ich versuche Johanna Lutter, die ehemalige Präsidentin der Bonner Leos zu erreichen. Wir verabreden uns für den kommenden Donnerstag in der Studikneipe, um über die Bonner Leo-Organisation zu sprechen.

Ich treffe Johanna gemeinsam mit Bernadette Ditges, der derzeitigen Vize-Präsidentin der Bonner Leos. Da die Studikneipe wohl schon früh Winterschlaf hält und nicht aufmachen will, gehen wir ein paar Straßen weiter.

Im Butcher’s bestellen wir zwei Biere und einen Salbei-Tee. Ich frage: Wer sind die Leos? Johanna überlegt kurz und beantwortet dann meine Standard-Frage erwartungsgemäß mit einer Standard-Antwort: »Leos sind Jugendliche zwischen 16 und 30 Jahren, die sich in einem Club zusammenfinden und sich für soziale Dinge aller Art engagieren.«

Die Leos sind die Jugendorganisation der Lions. Das Kürzel Leo steht für Leadership Experience Opportunity. 1970 gründete sich der erste Leo-Club in Deutschland, weltweit gibt es um die 6600. In den Clubs sind Schüler, Studierende, Auszubildende und Berufstätige ehrenamtlich organisiert. Jedes Jahr wählen sie einen Club-Vorstand, der wie in einem Verein aus einem Vorsitzenden, einem Stellvertreter und einigen Beauftragten besteht. Bei den Leos heißt das in Anlehnung an die amerikanischen Wurzeln der Organisation Präsident, Vize-Präsident, Clubmaster und Activity-Beauftragter.

Während meiner Recherche stoße ich häufig auf den Begriff »Activity«. Dies sei aber nur ein anderes Wort für eine Veranstaltung eines Leo-Clubs, erklärt mir Johanna. Ein Beispiel sei die »Ein-Teil-mehr-Aktion«: »Das heißt, wir stehen vor Supermärkten und bitten die Leute ein Teil mehr zu kaufen. Konserven, Zahnpasta, Nudeln, alles was haltbar ist.« Die gesammelten Waren werden dann gespendet. Eine andere klassische Leo-Activity sei auch die Car Wash-Aktion. »Dabei stellen sich Leos an die Tankstelle, und für fünf bis zehn Euro saugen sie dann das Auto«, erklärt Bernadette. Bei diesen Activities kommen neben den Sachspenden schon mal 500 Euro zusammen, die Initiativen wie der Bonner Tafel, dem Kinderhospiz, oder der Aktion »Humor hilft heilen« von Eckart von Hirschhausen zu Gute kommen.

Im Butcher’s sind mittlerweile die Fernseher angemacht worden. Da in der 2. Bundesliga Englische Woche ist, läuft die Übertragung des Spiels Leipzig gegen Freiburg. Am Nebentisch pokern acht Mann sehr lebhaft. Johanna erzählt von den Club-Abenden der Leos. Die könne man sich in etwa wie ein ganz normales Mitgliedertreffen vorstellen. »Es ist sehr unterschiedlich wie viele Leute kommen. Das hängt davon ab, ob Semesterferien sind oder nicht«, sagt sie. Normalerweise seien es zwischen 10 und 20 Leute – ganz bunt gemischt. »Wir haben eine Veganerin und mehrere Jäger bei uns – und es läuft!«, ergänzt Bernadette schmunzelnd. Wie bei vielen ehrenamtlichen Organisationen gibt es bei den Leos starke und schwache Jahre. Es habe eine Zeit gegeben, in der man mit nur vier Leuten Aktionen organisieren musste. Seit dem letzten Jahr gehe es aber stark aufwärts. »Gerade in den letzten Monaten sind wir sehr zusammengewachsen«, berichtet Bernadette. Mit vielen Leuten über längere Zeit arbeiten zu können, würde auch bei der Suche nach neuen Mitgliedern helfen. Sich als Team zeigen zu können, sei einfach eindrucksvoller.

Während wir uns weiterhin zwischen einem Mix aus Fußball-Übertragung und Pokerspiel unterhalten, kommt die Bedienung. Wir bestellen noch zwei Biere und einen Tee. Freiburg schießt gerade das 0:1. Manchmal sei es problematisch, Leos und Lions auseinanderzuhalten, merke ich an. Beide kennen das Problem. »Wenn wir erklären wollen, wer wir sind, dann sagen wir schnell ›Wir sind die kleinen Lions‹«, erzählt Johanna. Der große Unterschied zu den Lions sei jedoch, dass jeder mitmachen könne. »Keiner muss wie bei den Lions erst gefragt werden!«, betont Bernadette.

Ich frage, ob man sie als Leos denn schon mal als elitär oder arrogant bezeichnet hätte. Beide verneinen. »Ich glaube, wenn man uns kennenlernt, sind die Vorbehalte schnell verflogen«, meint Johanna. »Wenn man mal an einem Club-Abend teilnimmt, würde es mich sehr wundern, wenn man seine Vorurteile bestätigt sieht«, ergänzt Bernadette.

Generell sei es wichtig, durch die Activities zu zeigen, wer man ist und was man tut. So ließen sich Vorurteile am besten aus dem Weg räumen. Ich frage, wie man denn jetzt genau die Leos kennenlernen könne. »Der schnellste Weg ist, einfach auf unsere Homepage zu gehen und uns eine Mail zu schreiben«, erklärt Johanna. Am besten sei es, wenn man kurz sagt, warum man mitmachen will und wie man von den Leos erfahren habe. Im nächsten Schritt folge dann eine Einladung zum nächsten Club-Abend, oder einer Activity. »Unsere Club-Abende finden immer am ersten Mittwoch im Monat statt«, sagt Johanna. Man müsse auch nicht zwangsläufig Mitglied werden, um sich einzubringen. Als Gast könne man jederzeit vorbeischauen.

Beton für die Rheinaue

Skatepark – Jugendkultur als Hochkultur? Die Initiatoren des Fundraising-Projekts »Beton für Bonn« träumen von einem Skatepark in der Rheinaue. Das Projekt soll die Jugend wieder vor die Tür bringen – ganz ohne Beethoven.

von Mirjam Schmidt

(Foto: © STEFAN NEUMANN FOTOGRAFIE)

(Foto: © STEFAN NEUMANN FOTOGRAFIE)

Zu jeder Stadt gehört ihre Jugend. Doch was, wenn diese die Stadt nicht mehr attraktiv findet? Zum Feiern geht’s nach Köln, zum Skaten nach Koblenz und zum Abhängen ins Ruhrgebiet.

Es stimmt schon, Bonn hat viel zu bieten: viele Museen, viele Theater, viel Oper, viel Kunst. Und natürlich viele aktive Bürger, die sich für das Kulturangebot in Ihrer Stadt einsetzen, wie die jüngste Initiative für ein Festspielhaus und das Viktoriakarree gezeigt haben. All dies ist sehr lobenswert.

Aber wo bleibt da die Jugend mit ihren Bedürfnissen? Werden diese noch durch die kulturellen Angebote der Stadt gedeckt? Was wünscht sich eigentlich diese Jugend? Die Initiatoren von »Beton für Bonn« sagen, sie wünscht sich ein Skatepark. Und diesmal bitte einen richtigen, aus Beton, damit all jene jungen Menschen, die auf ihren Rädern und Rollen durch die Stadt unterwegs sind, endlich ein festes Gelände haben. Die Nachfrage besteht, denn die Skaterszene, mit BMX-Rädern, Skateboards, Longboards und Inlinern, gehört schon länger zum Stadtbild. Nicht ganz so lang wie Beethoven oder die Bundesbehörden, doch lange genug, um einen eigenen Verein zu haben.

Der in den 80er Jahren gegründete Verein »Subculture Bonn e. V.« setzt sich in Bonn und Umgebung für »Rollsport« ein und verbindet dies mit sozialem Engagement. Federführend warb er 1992 für den Bau der ersten Rampe in der Rheinaue und 2012 für deren Wiedereröffnung.

Damals hatte die alte Rampe dem natürlichen Witterungs- und Abnutzungsverfall nicht mehr standhalten können – Einsturzgefahr. Für ihre Erneuerung sammelten die Mitglieder von Subculture Spenden und schafften es, mit sieben Benefizkonzerten regionaler Bands, T-Shirt- und Getränkeverkauf, Tombolas und einem Spendenaufruf 10.000 € einzunehmen. Bei so viel Einsatz zog damals die Stiftung Jugendhilfe der Sparkasse in Bonn mit und finanzierte den Rest der Kosten, immerhin 70.000 €. Verglichen mit einem Festspielhaus wirkt das wie ein Schnäppchen. Verglichen mit den Kosten für die neueste Initiative leider auch.

Nach der erfolgreichen Wiedergeburt steckt der Subculture Verein seit 2014 seinen Aktivismus in ein neues Fundraising-Projekt, »Beton für Bonn«. Was bei den meisten eher negative Assoziationen und Bilder von formlosen, hässlichen Gebäuden hervorruft, ist in diesem Fall ein durchdachter Entwurf eines betonierten Skateparks in den Rheinauen. Die 44 m  22 m große Fläche hat die Initiative schon von der Stadt gestellt bekommen, einen alten Sportplatz in der Rheinaue. Mit perfekten Startvoraussetzungen dank bereits versiegeltem Boden fehlen jetzt nur noch die 250.000 € Baukosten für die Elemente. Also legen die Mitglieder des Vereins mal wieder los mit dem, was sie in den letzten Jahren schon geübt haben: Kreativität und Aktivismus! So veranstalteten sie im Juli zum Beispiel eine Rolldemo, mit wirklich allem was rollen konnte – auch eine Rikscha war dabei. Doch bei einer solchen Summe braucht es neben Kreativität und Aktivismus leider auch Geldgeber, am besten einen Großsponsor. Und der konnte bisher noch nicht gefunden werden.

Zu der Zukunft Bonns gehört gerade seine Jugend. Wenn sich die Bonner also die Frage stellen, was förderungswürdige Kunst oder Projekte in einer Stadt sind oder welche Angebote sie besonders lebenswert machen, sollte eine Initiative mit so viel Enthusiasmus nicht vergessen werden. Besonders wenn Sie es nebenbei noch schafft, die Jugend wieder vor die Tür und von der Straße runter zu bringen.

Kauderwelsch: Kaffee und Küken

KOMMENTAR • von Florian Eßer

(Illustration: Florian Eßer / AKUT)

(Illustration: Florian Eßer / AKUT)

Man spiele »Stadt-Land-Fluss«, ersetze die Begriffe »Land« und »Fluss« durch »Kultur« und »Entwicklung« und stoppe beim Buchstaben »B«. B wie Bonn, B wie bedroht und B wie bergab. So, fertig. Trotzdem kriege ich jetzt nicht mehr Punkte als meine imaginären Mitspieler, da alle fünf zu denselben drei Lösungen gekommen sind. Klar. Die liegen ja auch nahe, wenn man sich die kulturelle Entwicklung Bonns (und jeder anderen Stadt) einmal genauer anschaut.

In einem Land vor unserer Zeit jedoch, als das Gras noch grüner und der Kaffee noch aromatischer war, konnten auch kleinere Buchhandlungen und Kaffeehäuser überleben. Ihre Umgebung wies genügend Ressourcen für ein Leben nebeneinander auf und die Welt war in Ordnung. Sicher, ab und an kam es auch dazu, dass ein kleiner Laden von einem Größeren gefressen wurde, aber unterm Strich blieb die ganze Sache im Gleichgewicht. Dann aber kam es zum kulturellen Kometeneinschlag und zum großen Sterben der Schwächeren. Für viele der kleinen Betriebe brach ab diesem Punkt nämlich die Eiszeit an. Hauptsächlich waren es Konsum-Kakerlaken wie Starbucks, Backwerk und Amazon, die überlebten, die Herdentiere der schnellen und unpersönlichen Abfertigung.

Quantität statt Qualität heißt es da, denn die pure Anzahl der Filialen reicht aus, um den alteingesessenen Platzhirschen das Geweih zu stutzen. Man stelle sich eine sterbende Heuschrecke vor, die von einer Legion von Ameisen nach und nach zerlegt wird. Die Natur kann grausam sein – der Einzelhandel ebenfalls.

Darunter leiden dann aber in erster Linie diejenigen Endverbraucher, die auf familiäre Atmosphäre und sonstige Gesellschafts-Esoterik Wert legen. Wer aber nach der ZDFneo-Perle »Hauptsache wach und Hackbraten« lebt, dem kann’s natürlich egal sein.

Ein Coffee-to-go für die Strecke zwischen Primark und dem Infostand von UNICEF, oder sich bei Mäcces zur fünften Todsünde hinreißen lassen – wer kennt das nicht? Ich möchte nicht den ersten Stein werfen, sondern lediglich feststellen, dass man die Zukunft der kulturellen Entwicklung nicht aus dem Kaffeesatz eines Backwerk-Cappuccinos zu lesen braucht, wenn man sich einfach mal umgucken und fragen würde: Was soll der Quatsch?

Bei aller Bequemlichkeit und den praktischen Aspekten des konsumorientierten Ketten-Karussells, muss ich mir eingestehen, dass aus leichtem Schwindel schnell wahre Übelkeit werden kann, falls sich das Ding im selben Tempo noch weiterdrehen sollte. Denn: Dein Vorname auf dem Kaffeebecher wird überflüssig, wenn dich die Leute im Café mit selbigem kennen und ansprechen. Ein nettes Gespräch mit der gegenderten Buchhändler_In macht mehr Spaß als ein rascher Mausklick und individuelle Geschäfte verschönern das Stadtbild mehr, als die x-te Neonreklame irgendeines kulturlosen Retorten-Klons.

Man kommt ohnehin nicht drumherum, kriminelle Großkonzerne zu unterstützen, sei es, weil man Fußballfan ist, oder Coca-Cola super schmeckt. Allerdings kann man darauf achten, dass vom Aussterben bedrohte Kleinhändler nicht gänzlich aus dem Stadtbild getilgt werden. Das tilgt wiederum nicht die Mitarbeiterausbeutung und die großflächige Verkleisterung mit Billigprodukten von unserem Planeten, aber unterstützt die regionale Wirtschaft und die kulturelle Vielfalt in unserer direkten persönlichen Umgebung.

Schön wär’s, aber vielleicht ist es auch eine utopische Vorstellung, denn die Realität sieht schließlich anders aus: Mehr, mehr, mehr und das am besten in solch einem Tempo, dass die Küken schon frittiert aus dem Schredder purzeln, oder im Idealfall bereits zu Nuggets verarbeitet aus den Eiern schlüpfen, die ihre mit Antibiotikum verseuchte Hühnermama in den Käfig gepupst hat.

David gegen Goliath

Bürgerinitiative – Fast jeder Bonner Studierende saß schonmal im Café Blau, hat im Blow Up gefeiert oder eine Hausarbeit in einem Copy-Shop im Viktoriakarree drucken lassen. Das könnte bald vorbei sein, wenn dort ein Einkaufszentrum entsteht. Doch: Die Anwohner wehren sich.

von Johanna Dall’Omo

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Kleine Geschäfte mit Herz oder große Konsumketten? Diese Frage stellt sich in Bonn zurzeit an fast jeder Ecke. Zuerst musste die Buchhandlung Bouvier schließen, dann verlor Bonn sein traditionsreiches Schreibwarengeschäft Carthaus, das Café Göttlich und vor kurzem auch das Café Goldbraun. Die Gründe für die Schließungen mögen unterschiedlich gewesen sein und doch tragen sie dazu bei, dass das Bonner Stadtbild sich wandelt. Die nächste große Veränderung, in unmittelbarer Nähe zu unserer Uni, soll das Einkaufszentrum »Kaufhaus Viktoria« sein, das im Viktoriakarree entstehen könnte. Dieser Fall spaltet seit Monaten die Gemüter. Insbesondere zeigt er aber, was Bürger bewegen können, wenn sie sich für ihren Lebensraum, ihre Geschäfte und ihre Existenz einsetzen.

Begonnen hat alles am 18.06.2015, als der Bonner Stadtrat mit mehrheitlichem Beschluss für den Verkauf der städtischen Grundstücke des Viktoriakarrees an eine Tochtergesellschaft der SIGNA stimmte. Diese plant dort eben jenes »Kaufhaus Viktoria«. Problematisch ist, dass die SIGNA die Ausschreibung für dieses Bauprojekt mit nur 2,5 von 6 Punkten gewonnen hat. In der Uni wäre man damit gnadenlos durchgefallen. Da keiner der beiden Bewerber die Erwartungen des Rates voll erfüllte, sprachen sich u. a. die Grünen, die dagegen stimmten, für eine Aufhebung der Ausschreibung aus. Aber die SIGNA bekam den Zuschlag, so war sie wohl von den Beiden das kleinere Übel. Im Folgenden gab es Anschuldigungen der Grünen, die Stadt hätte dem Verkauf und somit der Mall schon seit Jahren zugearbeitet. Hierfür spricht, dass die SIGNA schon seit 2012 auf ihrer Internetseite das »Kaufhaus Viktoria« bewirbt. Auch früher geriet Österreichs größtes privat geführtes Immobilienunternehmen immer wieder in die Schlagzeilen. Die undurchsichtigen Strukturen der Firma, der unter anderem die Karstadt Warenhaus GmbH gehört, sorgen immer wieder für Verdächtigungen. So sollen z.B. innerhalb der SIGNA-Gruppe Immobilien gewinnbringend hin- und hergeschoben werden. Nachzuweisen ist jedenfalls, dass die SIGNA Steuern über Luxemburg hinterzogen und so gespart hat. 2012 wurde Gründer René Benko außerdem wegen Korruption verurteilt, er hatte versucht ein Gerichtsverfahren mit Schmiergeldern zu seinen Gunsten zu manipulieren. Man kann nicht genau sagen, was passiert ist, aber dieses Projekt bietet definitiv Konfliktpotenzial.

Um das Einkaufszentrum zu verhindern und das Viertel zu retten, gründeten die Menschen, die dort leben und arbeiten, die »Viva Viktoria!«-Initiative. Es gehe ihnen hierbei nicht nur um die bloße Ablehnung des Einkaufszentrums, sondern um die Tatsache, dass die Bonner Bürger an dieser Entscheidung in keiner Weise beteiligt wurden. Um dies nachzuholen hat die Gruppe ein Bürgerbegehren angemeldet. Mit einer bestimmten Anzahl an Stimmen aus der Bevölkerung, in diesem Fall knapp 10.000 Unterschriften, kann die Entscheidung des Rates angezweifelt werden. Ziel ist es, dass der Rat seinen Entschluss zurücknimmt und anschließend, gemeinsam mit den Bürgern, an neuen Konzepten für das Viktoriakarree arbeitet. Sollte der Rat dennoch daran festhalten, kommt es zu einem Bürgerentscheid, bei dem alle Wahlberechtigten Bonns über die Zukunft des Viertels entscheiden könnten.

Und so wurden die letzten Wochen fleißig Unterschriften gesammelt, es gab wöchentlich Demos, eine Internet- und eine Facebookseite mit allen wichtigen Informationen. Sogar ein Lied wurde zu Ehren des Viktoriakarrees gedichtet. Die Melodie dazu kommt vom bekannten Karnevalslied »Viva Colonia«: »Da simmer dabei, dat is priima, Viva Viktoria! Wir lieben das Blow Up, das Bergfelds und das Blau! Wir brauche’ keine Shopping Mall, dat wisst ihr janz jenau!«

Die letztendlich 18.828 gesammelten Unterschriften beweisen, dass viele Bonner hinter der Idee von »Viva Viktoria!« stehen. Nach dem Einreichen der Dokumente bittet ein offener Brief den Stadtrat, den Stimmen der Bürger nachzukommen und gemeinsam an einer Zukunft des Viktoriakarrees zu arbeiten. Hierfür tüftelt die Initiative mit einer Projektgruppe schon an einem neuen Konzeptvorschlag. Der Brief soll aber auch die Entschlossenheit der Initiative zeigen, im Ernstfall auch den Bürgerentscheid anzugehen.

Neben der Tatsache, dass die Bürger bei diesem Verkauf nicht einbezogen wurden, geht es »Viva Viktoria!« auch um das, was das »Kaufhaus Viktoria« für das Viertel bedeuten würde. In einer Pressemitteilung der Gruppe heißt es: »Wir wenden uns gegen eine Totalüberbauung des gesamten Viertels und seine radikale Durchkommerzialisierung auf Kosten der jetzigen NutzerInnen.«

Argumente für oder gegen ein Einkaufszentrum in Sichtweite der Universität gibt es viele. So soll die Uni dort beispielsweise eine große neue philologische Bibliothek bekommen. Damit will SIGNA der Bedeutung Bonns als Studierendenstadt nachkommen. Unter dem Karree soll außerdem eine Tiefgarage entstehen, die mit der Marktplatzgarage verbunden werden soll. Die Kosten dafür soll zum großen Teil der Investor tragen. So kann der Verkehr auf der Stockenstraße und der Rathausgasse reduziert werden. Eine neue Ladenpassage, neue Wohnungen und viele neue Läden, wie die zu erwartende Elektronikmarktkette mit dem Planetennamen, klingen für manche erst einmal verlockend. Und doch gibt es laut »Viva Viktoria!« auch viele Nachteile. Ein solcher Komplex werde das Bild der Uni und deren Umgebung deutlich verändern. Der Grüne Politiker Hartwig Lohmeyer gab schon beim Verkauf die Höhe der geplanten Mall zu bedenken: diese werde das Uni-Hauptgebäude um einiges überragen. Auch das studentische Leben würde sich verändern. Statt im Café Blau mit Kommilitonen in der Sonne zu sitzen, gäbe es einen Coffee to go bei einer anonymen Café-Kette. Mit dem Blow Up verschwindet eine weitere Möglichkeit mit Freunden abends wegzugehen, ausgerechnet in Bonn, wo das Nachtleben für Studenten schon jetzt wenig zu bieten hat. Solche studentischen Institutionen müssten anderen Geschäften weichen.

Die Pläne der Shoppingmall sehen außerdem vor, dass 27 der 70 Wohnungen im Viertel wegfallen sollen. Schwierig im so schon hart umkämpften Wohnungsmarkt der Innenstadt. Es ist abzusehen, dass auch der Einzelhandel in der Innenstadt darunter leiden wird, wenn man die Shopping Mall dank Tiefgarage und großem Angebot nicht mal mehr verlassen muss. Es sind dann wohl weitere Schließungen in der Innenstadt zu befürchten. Dieser Meinung ist auch Grünen-Politiker Lohmeyer. Die Realisierung des SIGNA-Entwurfes würde die Bonner Innenstadt nicht attraktiv erweitern, sondern stattdessen eine stadtinterne Konkurrenz bedeuten, die den Einzelhändlern in der City zusätzlich das Leben schwer macht.

Das Viktoriakarree hat aktuell, neben Gastronomie und Einzelhandel, auch noch einiges mehr zu bieten, was es erhaltenswert macht. So gibt es z.B. das Stadtmuseum und die Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus, für die ebenfalls ein Umzug vorgesehen wäre. Auch das große denkmalgeschützte Fenster des Viktoriabades ist einmalig und sollte unbedingt gewürdigt werden. Die SIGNA sieht zwar vor, das Fenster von innen zu beleuchten, nach ihren Plänen würden sich dahinter jedoch keine Geschäfte, sondern eventuell Aufzüge oder ähnliches befinden.

Das Für und Wider der Mall muss jeder für sich selbst abwägen und sich so seine Meinung zum »Kaufhaus Viktoria« bilden. Abschließend bleibt jedoch die Frage, wem die Stadt gehört und wer deren Gestaltung mitentscheiden darf. Die Bürgerinitiative »Viva Viktoria!« hat ihre Antwort gefunden und wird diese wohl bis zum bitteren Ende vertreten.

»Sinnflut« für die Fußgängerzone

Bürgerinitiative – Drei Studentinnen wehren sich gegen das Café-Sterben in der Bonner Innenstadt – nicht nur mit einer Facebookseite. Die ehemaligen Mitarbeiterinnen des Café Goldbraun haben Größeres im Sinn.

von Sophie Leins

Sarah Waschke, Vesna Schierbaum und Julia Ihde vor dem geschlossenen Café Goldbraun (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Sarah Waschke, Vesna Schierbaum und Julia Ihde vor dem geschlossenen Café Goldbraun (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Wer derzeit aus dem Hauptgebäude in Richtung Fußgängerzone auf die gegenüberliegende Fürstenstraße blickt, dem präsentiert sich in der ehemaligen Flaniermeile ein trauriges Bild: links die leerstehende Buchhandlung Bouvier, dahinter eine Baustelle und rechts die zugeklebten Scheiben des Café Goldbrauns, eines weiteren privaten Cafés (nach dem Göttlich), das dicht machen musste. Mit der verwaisten Fürstenstraße, die wegen Baulärm und Franchise-Ketten kaum noch zum Verweilen einlädt, stirbt ein weiteres Stück Kaffeekultur in der Bonner Innenstadt. Immer mehr kleine, individuelle Cafés und Geschäfte können bei den steigenden Mieten nicht mehr mithalten und werden durch unpersönliche Ketten, Klamottenriesen und austauschbare Backshops verdrängt.

Kulturcafé statt Konsumdrang
Doch genau diese Entwicklung wollen drei Bonner Studentinnen, die bis vor kurzem noch im Café Goldbraun hinter der Theke standen, nicht mehr hinnehmen und gründeten deshalb die Bürgerinitiative »Freie Kaffeekultur Bonn«. Diese prangert die kulturelle Verarmung der Bonner Innenstadt an und will ihr entgegentreten – durch die Gründung eines individuellen Cafés mit Charme. Mit ihrer Initiative haben Vesna Schierbaum, Julia Ihde und Sarah Waschke einen Nerv getroffen. Seit August hat ihre Facebook-Seite über 1000 Likes bekommen, der General-Anzeiger und die WDR Lokalzeit berichteten.

An einem grauen Oktoberabend treffen sich Vesna, Julia und Sarah mit der AKUT im Café Blau, eine der letzten Café-Alternativen, direkt um die Ecke ihres ehemaligen zweiten Zuhauses. Die drei jungen Frauen erzählen, wie es zu der Idee kam. Als sie im Sommer erfahren haben, dass das Goldbraun schließe, seien sie und ihr Freundeskreis – allesamt Mitarbeiterinnen oder Stammkundschaft des Cafés – nicht nur total niedergeschlagen, »sondern auch ein bisschen wütend« gewesen über das, was da gerade passiere, erklärt Julia. Sie ist Master-Studentin der Philosophie, 24 Jahre alt und so eloquent, dass man ihr gut und gerne einen Posten als Pressesprecherin zutraut.

Vor allem stand für die Gruppe aber die Frage im Raum, wo sie denn in Zukunft überhaupt noch gemeinsam abhängen sollten. Nach der Schließung der günstigen Studi-Cafés Göttlich und Goldbraun sei schließlich selbst unser Treffpunkt, das Café Blau, durch den geplanten Abriss des Viktoriaviertels bedroht. Aber warum ging das beliebte Café Goldbraun überhaupt pleite, wo es sich doch in idealer Lage zwischen Uni und Fußgängerzone befand?

Vesna, 23 Jahre, studiert in Köln Medienkulturwissenschaft und hat bereits das Auftreten einer selbstsicheren Geschäftsfrau. Sie nennt folgende Hauptgründe für die Schließung des Goldbrauns: Erstens sei die Straßensituation durch den Baulärm und den Wegfall von Bouvier immer weniger attraktiv geworden. Zweitens sei aber auch ihr ehemaliger Arbeitgeber mitschuldig, der eine lange Liste an Fehlern begangen habe. So habe das Goldbraun zum Beispiel lange keine Außengastronomie gehabt – und das an einem Traumstandort. Außerdem hätte man nach dem Schluss vom Göttlich durch den Verkauf von Alkohol und längere Öffnungszeiten dessen Publikum binden müssen.

»Wir wollen eine Institution werden«
Doch die drei wollen sich nicht beschweren, sondern es stattdessen einfach besser machen. Die Bürgerinitiative soll nämlich nicht nur über den traurigen Trend berichten, sondern hat ein ganz konkretes Ziel: die Eröffnung eines alternativen Kunst- und Kulturcafés mit dem Namen »Café Sinnflut«. Bei aller Kritik wollen sie dabei eines genauso beibehalten wie im Café Goldbraun: »Wir wollen richtig, richtig guten Kaffee machen – nach Latte-Art«, meint Julia, denn das sei in der Bonner Innenstadt eine Lücke. Das Konzept unterscheidet sich ansonsten aber deutlich vom Goldbraun.

Das neue Café Sinnflut soll auch abends geöffnet sein und eine Plattform für unbekannte Künstler und Musiker darstellen. Tagsüber wird es Ausstellungen geben und abends sind Konzerte, Jamsessions, Lesungen und Diskussionen geplant, erklärt Sarah. Die 23-jährige Kunstgeschichte-Studentin näht in ihrer Freizeit Stoff-Vulven. Auch viele ihrer Freunde sind Teil der jungen kreativen Szene Bonns. An Tatendrang und Motivation fehlt es ihr und ihren beiden Mitstreiterinnen also nicht. »Jeden Tag kommen uns neue megageile Ideen«, meint Vesna begeistert. Für das Café Sinnflut hat sie eine Vision: »Wir wollen eine richtige Institution werden.«

70.000 € Startkapital – dank Crowdfunding könnte es klappen
Gute Ideen sind ja eine schöne Sache, aber damit allein kann man noch lange kein Café eröffnen. Das wissen auch die drei Ex-Kolleginnen. Um ein Café in bester Bonner Lage zu eröffnen, bräuchten sie zunächst einmal mindestens 70.000 € Startkapital. Doch woher nimmt man die als Gruppe idealistischer, aber »armer« Studentinnen?

An dieser Stelle setzen die drei auf die Macht der Masse, oder besser auf deren Finanzkraft. Per Crowdfunding wollen sie auf der Seite www.startnext.com mindestens 40.000 € einsammeln.

Aber 40.000 € sind ja schon eine gewaltige Summe. Ist das nicht ein bisschen naiv? Sarah findet: »Das Gute an Crowdfunding ist ja, dass, wenn viele mitmachen, jeder nicht so viel geben muss.« Die restlichen 30.000 € könnten die drei Freundinnen mit diesem Geld als Absicherung dann zur Not als Kredit bei der Bank aufnehmen. Außerdem gebe es jetzt schon Interessenten, die als stille Investoren teilhaben wollten.

»Viele denken, die spinnen da romantisch vor sich hin«
Aber was ist mit den Cafégründerinnen selbst? Wissen sie überhaupt, was sie da tun? Immerhin ist es etwas anderes, nebenher im Café zu jobben, als selbst eines zu betreiben. Bisher hatten die drei Geisteswissenschaftlerinnen mit Unternehmensgründung und Betriebswirtschaft schließlich gar nichts am Hut. Doch die drei wollen sich nicht als Naivlinge abstempeln lassen. Sie wissen, dass ihr Café rentabel sein muss, denn es soll ja keine Eintagsfliege werden. »Viele denken, die spinnen da romantisch vor sich hin, aber wir meinen das ernst«, meint Julia überzeugt. Ihnen sei bewusst, dass das ein »Vollzeitjob-Plus« sei, doch sie seien dazu bereit. Sehr motivierend sei es, wie viele Leute von der Initiative begeistert seien und ihnen ihre Hilfe angeboten hätten. So steht dem Gründerinnen-Team nun ein Unternehmenscoach beratend zur Seite und auch mit einer Arbeitsjuristin haben sie schon gesprochen. Darüber hinaus wachsen die drei mächtig an ihren Herausforderungen. Mittlerweile kennen sie sich aus mit Rechtsformen und Business-Plänen. Plötzlich müssen die jungen Frauen mit Maklern und Investoren verhandeln, professionelle Statements abgeben und dabei so auftreten, dass sie bei all dem Idealismus trotzdem ernst genommen werden. Aber: »Wenn man ’ne Idee hat, muss man auch Wege gehen, die einem nicht gefallen«, so Vesna.

»Jetzt zeigen wir es euch erst recht!«
Es hängt jetzt erst einmal alles vom Erfolg des Crowdfundings ab, das seit Ende Oktober online ist und noch bis zum 26. Januar 2016 läuft. Danach warten neue Hürden wie die Suche nach einer passenden Location und jede Menge Bürokratie. Doch Vesna, Julia und Sarah treibt ihr Idealismus, die Aussicht auf ein sinnstiftendes Lebensprojekt und auch die Liebe zu Bonn, die sie noch nicht aufgeben wollen. Sie können sich sogar vorstellen, es selbst dann zu probieren, wenn das Crowdfunding scheitert. In keinem Fall wollen sie sich vom vermeintlichen Realismus der Zweifler abschrecken lassen, erklärt Julia: »Jedes Mal, wenn wir hören, dass das Ganze nicht klappen wird, denken wir uns: Jetzt zeigen wir es euch erst recht!«

 

MEHR INFOS

Weitere Informationen zur Bürgerinitiative gibt’s im Internet unter
 freiekaffeekultur.de
 facebook.com/fkkbonn
 startnext.com/cafesinnflut

 

Länger als gedacht

Café Kurzlebig – Eigentlich sollte es nur drei Monate existieren, nun sind es schon drei Jahre. Das Café »Kurzlebig« trägt seinen Namen mittlerweile zu Unrecht – den Kunden ist das egal. Sie haben im »Kurzlebig« eine große Auswahl – zum Essen und Erleben.

von Alina Sabransky

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Was macht man mit einem leerstehenden, großflächigen Raum in einer Häuserreihe in der Rathausgasse, die in nicht allzu ferner Zukunft einem seit Ewigkeit geplanten Kaufhauskomplex weichen soll?

Genau: Man eröffnet ein Café! Das jedenfalls dachten sich Sandra Hinze und ein guter Freund im September 2012. Der Bau des neuen Kaufhauses sollte Anfang 2013 beginnen und die Miete musste noch bis Ende des Jahres gezahlt werden. So der Beginn des Bonner Cafés »Kurzlebig«. Ein Low-Budget Projekt mit dreimonatiger Lebensdauer. Ein Café mit Existenz auf Zeit. Daher auch der Name, der, obwohl mittlerweile schon Oktober 2015 ist, immer noch besteht.

Denn das Projekt läuft gut. Sogar richtig gut! Angefangen hat alles mit der Frühstückerei. Hinze, die Chefin, setzte auf Bio und Fair Trade, kaufte hauptsächlich regionale und saisonale Produkte und bietet bis heute ein Angebot, bei welchem für jeden Geschmack und jede Ernährungsweise etwas dabei ist. Vom einfachen Pott-Kaffee bis zum koffeinfreien Soja-Latte, herzhaft, süß, leicht, mediterran, nordisch oder Englisch… Über fast 40 Gerichte erstreckt sich über die Speisekarte.

Doch so spektakulär die Auswahl, so unspektakulär die Wahl der Kunden: »0815« ist die mit Abstand beliebteste Frühstückerei. Weil das Frühstück so großen Andrang fand, gesellte sich 2013 das Abendbrot dazu, welches seit kurzem durch das Schnitzelgeschäft ersetzt wird. Passend zur Oktoberfestsaison und auch in veganer Variante erhältlich. Außerdem verwandelt sich das »Kurzlebig« seit dem Sommer jedes Wochenende ab 20 Uhr in das »Cotton Café«, eine Jazz und Swing Session mit Musik der 20iger und 50iger Jahre. Ab und zu gibt es auch kleine Live-Auftritte von Independent Künstlern und sogar ein Poetry-Slam wurde erst kürzlich veranstaltet. Newcomer sind dort immer herzlich Willkommen und gerne gesehen, denn auch sie sind Teil des besonderen Charmes, den man dort, egal ob zum Frühstück oder abends, immer spürt. Dieser spiegelt sich auch in der Einrichtung wieder, die, zwar nicht top-modern sondern eher improvisatorisch angehaucht ist, vor Liebe zum Detail nur so strotzt. Der SecondHand Lampenschirm im Schaufenster oder das kleine Bücherregal ganz hinten in der Ecke mit den Kniffelbechern auf der Ablage – alles fügt sich irgendwie zusammen. Unterstützt wird das »Kurzlebig« dabei von zwei Künstlern: »Retrolust« und »Elizas kleine Engelsstube«. Beide stellen handgefertigte Wohnaccessoires her – aus Materialien vom Trödelmarkt. Alles Unikate und im Schaufenster zu bewundern, vom stylischen Kuchenständer aus alten Vinylplatten bis hin zum selbstgestrickten Topfuntersetzer. Genauso vielfältig wie das Essen, die Einrichtung und die Musik, ist auch das Publikum. Jede Generation, jedes Geschlecht und jeder Gaumen ist dort vertreten! Doch im März 2016 soll nun Schluss sein. Ausschlaggebend dafür sind allerdings nicht das geplante Kaufhaus und der daraus resultierende Abriss des Bonner Viktoriaviertels, in dem sich auch das »Kurzlebig« befindet. Durch die Entscheidung, von vorneherein nur kurzlebig zu sein, würde der Abriss das Café nicht so gewaltig treffen wie das Café Blau oder das koreanische Restaurant mandu, welche ihre gesamte Existenz in ihr Geschäft gesetzt haben.

Nein, die Zukunft des Café »Kurzlebig« steht und fällt mit dem Abendgeschäft, das zwar gut, aber eben nicht so gut läuft wie die Frühstückerei. Das muss sich ändern! Nachdem nun nacheinander immer mehr Cafés in der Bonner Innenstadt schließen, wäre der Verlust des »Kurzlebigs« nur eine traurige Anreihung an die jüngsten Ereignisse. Man bedenke das Ende vom Café Göttlich und Café Goldbraun. Aber diesmal können wir etwas gegen den drohenden Kaffeekulturverlust tun! Wir können helfen, dem »Kurzlebig« eine langlebige Bleibe zu finden. Denn weitermachen will Sandra Hinze. Wer also eine passende Location kennt, sollte sich bei ihr melden. Bei Erfolg erwartet den Retter ein Jahr lang kostenloses Frühstück. Hört euch um! Und: Neben dem Frühstück empfiehlt sich auch das Abendessen im »Kurzlebig«.

Es war einmal ein Festspielhaus

Beethoven! – Dies war die Geschichte eines Festspielhauses. Ursprünglich. Jetzt ist es die Geschichte keines Festspielhauses. Sie ist Märchen, Krimi, Theaterstück, Posse und Trauerspiel in einem. Vielleicht auch eine kleine Abhandlung über Geld. Und Kultur. Und Beethoven.

von Laura Breitkopf

(Foto: 1ZWO3 / http://1zwo3.tumblr.com/)

(Foto: 1ZWO3 / http://1zwo3.tumblr.com/)

Sommer 2007. Es ist schwülwarm in Bonn, die Luft steht. Später wird man feststellen, dass 2007 das zweitwärmste und feuchteste Jahr der Region seit Beginn der Wetteraufzeichnung ist. Kein guter Zeitpunkt, um gewichtige Entscheidungen zu treffen. Gedanken plätschern träge dahin, sind nur schwer in der Lage, die eh schon behäbigen bürokratischen Mühlen anzutreiben. Am 13. Juli gelingt es der Stadt Bonn dennoch, ein Millionenprojekt anzuschieben. Ihrem Kulturrat sitzt die Zeit im Nacken, ein Geburtstag, jedem Bonner wichtiger als Mutters Goldhochzeit, rückt bedrohlich nahe. Im Dezember 2020 wird Beethoven, bekannteste Sohn der Stadt, 250 Jahre alt. Grund genug, ihm das gesamte Jahr zu widmen. Und ein neues Haus zu bauen, genauer, ein Festspielhaus, welch prachtvolle Idee. Finden anscheinend nicht nur die Bonner Ratsleute – Deutsche Post DHL, Deutsche Telekom und Postbank möchten die Baukosten übernehmen, zu Beginn ist die Rede von rund 100 Millionen Euro. Eine Betreiberstiftung soll Geld von Bund, Sparkasse und Rhein-Sieg-Kreis erhalten, der Bundestag sagt gar 39 Millionen Euro zu. Jubel, Trubel, Heiterkeit im Stadthaus.

Aber wohin mit dem neuen Ding? Diskussion. Man wählt das Areal der alten Beethovenhalle. Schön mit Blick aufs Siebengebirge, das hätte Herrn Beethoven sicher gefallen. So weit, so gut. Und wohin mit der Beethovenhalle, dem alten Ding? Wieder Diskussion. Es ist inzwischen Sommer 2009, auch dieser Sommer ist wärmer als normal. Zwei prämierte Architekturentwürfe beinhalten den Abriss der Beethovenhalle – die seit 1990 unter Denkmalschutz steht. Sie »verkörpert baugeschichtlich die Richtung des ›organischen Bauens‹, die sich vom ›funktionalen Bauen‹ abhebt. Auch hat sie schützenswerte Inneneinrichtung. Na gut. Aber was nun? Laut Denkmalschutzgesetz dürfte bei einem »überwiegende[n] öffentliche[n] Interesse« trotzdem umgebaut oder abgerissen werden. Kann der Rat hier entscheiden? Müssen die Bürger befragt werden? Oder setzen wir das Festspielhaus einfach neben die Telekom?

Wieder Diskussion. Bis Mitte 2010 wird überlegt, vorgeschlagen, verworfen, gezankt. Der zunächst geneigte Leser ist ermüdet? Die beteiligten Parteien ebenso, Oberbürgermeister Nimptsch und die Sponsoren beschließen, dass das »Projekt vorerst nicht weiterverfolgt werden« soll. Beethoven stöhnt entnervt in die Dunkelheit seiner Wiener Grabstätte: »Freunde, ich werde auch nicht jünger!« Woher diese Zurückhaltung? Politische Grabenkämpfe? Ist der SPD-Bürgermeister es leid, gegen die schwarz-grüne Ratskoalition anzulaufen? Oder packt Nimptsch immer noch das nackte Grauen, wenn er das Wort »Großprojekt« hört?

WCCB, geistert es durch den Raum, World Conference Center Bonn – der größte Bauskandal der Stadtgeschichte und zugleich ein packender Wirtschaftskrimi. Der General-Anzeiger veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Berichte und Folgen seiner inzwischen preisgekrönten Serie »Die Millionenfalle«. Auch hier beginnt alles mit dem frommen Wunsch, nach Abzug des Regierungssitzes nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Um weltweit geachtete UN-Stadt zu werden, benötigt Bonn jedoch noch ein Konferenzzentrum, groß genug, um darin UNO-Konferenzen ausrichten zu können. Ein teurer Traum. Bevor er verworfen wird, erscheint engelsgleich der koreanische Investor Man-Ki Kim auf der Bühne, Begründer der Firma SMI Hyundai. Ohne weitere Kontrolle darf losgebaut werden, voller Sehnsucht nach dem neuen Tagungszentrum. Liebe macht bekanntlich blind. Es folgt eine Verkettung unglücklichster Umstände. Die Baukosten explodieren; um zu sparen, hatte man auf Fachleute verzichtet. Und SMI Hyundai ist leider kein Teil eines großen koreanischen Autokonzerns und besitzt kein Eigenkapital im Millionenbereich. Der Krimi nimmt Fahrt auf und die Staatsanwaltschaft Ermittlungen, 2013 geht das Projekt mit all seinen Kosten auf die Stadt über. Es steht heute immer noch aus, wer den Kredit der Sparkasse Köln-Bonn an den betrügerischen Investor über 100 Millionen Euro zurückzahlen muss – die Stadt hatte mehrere Bürgschaften übernommen. Es ist daher nur allzu verständlich, dass man nur zögerlich ein neues Großprojekt unterstützen möchte und sich ungern einen weiteren weißen Elefanten in den Garten stellt.

Monate vergehen und den Lichtern des Leuchtturmprojekts wird langsam der Sauerstoff abgedreht. Telekom und Post springen ab. Das ist 2011. Muss Beethoven in einer maroden Mehrzweckhalle geehrt werden? Organisch gebaut, aber mit dem Charme einer Provinzmusikschule? Auftritt Wolfgang Grießl, Unternehmer und Präsident der IHK Bonn/Rhein-Sieg. Grießl&Friends krempeln die Ärmel hoch und gründen einen Förderverein mit dem Ziel, 5000×5000 Euro für das Festspielhaus einzuwerben. Es ist bereits die vierte Initiative pro Festspielhaus. Man mag von dem Projekt halten was man will, der Einsatz ist bewundernswert. Der Deutschlandfunk beschreibt Grießl als bald »missionarisch«, vielleicht ein wenig »verrückt«, auf jeden Fall »beeindruckend«. An seiner Seite engagierte Freunde und Partner – Anhänger Beethovens, versammelt euch! Unter anderem Wolfgang Clement, Wolfgang Schäuble, die berühmten Dirigenten Paavo Järvi und Kurt Masur, Hoteliers und Gastronomen sprechen sich für das Festspielhaus aus. Und auch Leon, 12, scheint verzweifelt: »Von meinen Mitschülern kennt fast keiner Musik von Beethoven. Das muss sich doch ändern!« Potz Blitz, hier packen uns die Fest.Spiel.Haus.Freunde in unserem bildungsbürgerlichen Ehrgeiz! Traurig fügt die 11-jährige Konstanze hinzu: »Menschen sind so: Das Neue lehnen sie immer erst mal ab. Auch Beethoven haben sie ja zuerst abgelehnt.« Nein, wollen wir rufen, neeein, wir verschließen uns doch nicht dem Fortschritt. Nein nein. Lasst uns schnell einem bald 250-jährigen toten Komponisten ein millionenteures Haus bauen! Warum möchten Leon und Konstanze eigentlich keinen Skatepark?

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

(Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Anfang 2015 wird immer noch diskutiert. Die Stadt ist wieder an Bord, frischer Mut wurde geschöpft, Brust raus, Schultern nach hinten. Die Post hat schon einen zweiten Architekturwettbewerb veranstaltet, es liegen drei Entwürfe auf dem Tisch. Am 25. März 2015 lädt der General-Anzeiger zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion. Das Festspielhaus wird laut Businessplan im Bau 70 Millionen Euro kosten. Grießl betont, dass dieses Geld von privaten Sponsoren stammen wird, die Stadt stellt lediglich das baufertige Grundstück. Klingt zunächst gut. Aber kann das funktionieren? Hat so etwas je funktioniert?

Was passiert, wenn die Rechnung nicht aufgeht? Wenn die Kosten unerwartet steigen? Wenn der Bauherr insolvent wird? Würde die Stadt ein Festspielhaus in bester Lage einfach halbfertig stehenlassen? Ein Betongerippe, von Vertretern der Bonner Subkultur schnell liebevoll mit Graffiti verziert, als Mahnmal kleinstädtischer Höhenflüge? Oder würde der Hauptsponsor, die Post, sich der Kosten annehmen? Offiziell ist alles abgesichert, die privaten Träger haften. Aber Unbehagen bleibt. Louwrenz Langevoort, Intendant der benachbarten Kölner Philharmonie, kann sich nicht vorstellen, dass mit 70 Millionen Euro ein Weltklassesaal gebaut werden kann. Damit spricht er aus, was viele Kritiker denken – auch der vorgelegte Businessplan wird als überoptimistisch angesehen, er umfasse unter anderem unrealistische oder wenig wünschenswerte Kannibalisierungseffekte mit anderen Kulturangeboten und -institutionen. Hat man sich hier klassisch verschätzt? Verträumt? Oder wird einfach Zwietracht gesät? Auf dem Podium wird die Stimmung hitzig. Direkt auf die nachbarliche Konkurrenz und die Dominanz des »Kölner Platzhirsches« angesprochen verbittet Grießl sich den »süffisanten Unterton« gegenüber seinem »kleinen aber feinen Festspielhaus« und gibt sich überzeugt, es sei »Platz genug für beide Häuser«.

Der Psychologe und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Daniel Kahneman würde bei der ganzen Debatte wohl vom klassischen Fall eines »Planungsfehlschlusses« sprechen. Die Innensicht eines (emotional) involvierten Planers auf ein Projekt würde oftmals relevante Informationen von eigentlich bekannten Referenzpunkten – wie etwa Erfahrungen vergleichbarer Projekte – vernachlässigen. Die objektive Außensicht gäbe zumeist eine weitaus verlässlichere Basisprognose als die verständlicherweise »überoptimistische Vorhersage« des Befürworters. Diese Basisprognose bezüglich Kosten und Erfolgschancen könne dann durch das Einbeziehen individueller Besonderheiten des aktuellen Projektes erweitert und korrigiert werden.

Beethovenhalle – Bonns Tempel am Rhein: organisch, praktisch, gut? (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Beethovenhalle – Bonns Tempel am Rhein: organisch, praktisch, gut? (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Klingt logisch, ist intuitiv sofort nachvollziehbar, ja geradezu absurd klar. Wer würde bestreiten wollen, dass in vielen Situationen der Wunsch Vater eines Gedankens ist, und dass Fürsprecher einer Idee dazu neigen, sich ein optimales Szenario vorzustellen, während vor kritischem Auge ein Horrorstreifen abgespult wird? Ursache vieler unplanmäßiger Kostenexplosionen ist also ein irrationaler Ausgangsplan, gerne gepaart mit im Verlauf der Projektrealisation neu aufkommenden Wünschen. Und mit Pech. Ganz ohne tektonische Plattenverschiebung entsteht so ein Schuldenberg.

Am 15. Juni 2015 steigt die Post als Sponsor aus. Gefehlt habe seit Beginn der »Schulterschluss innerhalb der Stadt«, das zermürbt den willigsten Geldgeber. Mit dem Ausstieg ist das Projekt Festspielhaus gescheitert. Fassungslosigkeit und Bestürzung herrscht in den Reihen der Freunde und Förderer, Oberbürgermeister Nimptsch bedauert den Schritt gar »außerordentlich«. Vorhang zu.

Was sich liest wie ein spannendes Politstück, ist nur für den schadenfrohen Zuschauer wirklich erheiternd. Schon in der Phase vor der konkreten Planung wurden hier Zeit verschenkt und Gelder versenkt.

Reißerisch gefragt: Was hätten wir allein damit nicht schon alles Schönes anstellen können? Etwa die ZFS, Zentrale für Freiraum und Subkultur. 4,4 Millionen Euro hätte die Bereitstellung des baufertigen Grundstücks die Stadt zudem gekostet. 20 Jahre lang sollten jährlich 500.000 Euro ins Kapital der Betriebsstiftung fließen. Dieses Stiftungskapital hätte zwar nicht angetastet werden dürfen, 10 Millionen Euro wären jedoch auf Jahre gebunden gewesen. Und wenn finanzielle Schwierigkeiten aufgekommen wären, hätte die Stiftung gehaftet. Mäxchen Müller reibt sich an dieser Stelle perplex die Augen, das sind zusammen schon bald 15 Millionen Euro. Im Lichte des Leuchtturmprojektes stellt sich eine beliebte Grundsatzfrage des Feuilletons: Was ist fördernswerte Kunst?

Beethoven und die klassische Musik zu bewahren ist aller Ehren wert, ein wichtiger und schöner Bestandteil der Kulturlandschaft. Dass von einem solch teuren Projekt der Hochkultur allerdings vor allem ein kleiner, elitärer Kreis von Anhängern der ohnehin schon subventionierten ernsten Musik und Oper profitieren würde, liegt auf der Hand. Bonn würde für (betuchte) Touristen attraktiver, sicher. Aber was ist mit den Einwohnern? Welche Angebote machen eine Stadt besonders lebenswert – die mit der besten Lobbyarbeit, den verwurzeltsten Liebhabern, dem schrillsten Publikum, den lautesten Fürsprechern, der homogensten Anhängerschaft? Leon und Konstanze hätten wir mit dem Festspielhaus gewonnen. Was ist mit denjenigen, die sich einen Skatepark wünschen?

Ach ja, es steht im Raum, die 39 Millionen Euro vom Bund in die Sanierung der Beethovenhalle fließen zu lassen, sollte dieser zustimmen. Das würde der ganzen Debatte nachträglich – quasi posthum – noch einen Sinn bescheren.

Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Textes hieß es, dass Beethoven 2019 250 Jahre alt würde. Dies haben wir korrigiert.

Bonn muss keine Weltstadt sein

LEITARTIKEL  Die in Bonn verbliebenen Bundesministerien stehen erneut zur Debatte. In der Bundesstadt ist man darüber empört und pocht auf die Einhaltung des Berlin/Bonn-Gesetzes. Eine Reise nach Berlin zeigt aber: Das Problem ist Bonn selbst.

von Philipp Blanke

Immerhin zwei Türmchen: Bonn (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Immerhin zwei Türmchen: Bonn (Foto: Alexander Grantl / AKUT)

Für den gebürtigen Bonner Ludwig van Beethoven war es kein schöner Sommer. Sein Geburtsort verweigerte ihm nach langem politischem und gesellschaftlichem Streit ein eigenes Festspielhaus (Bericht auf Seite 22). Im September bot das Beethovenfest dann die Möglichkeit ein paar Götterfunken über den Streit regnen zu lassen, doch Bonns designierter Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan brachte im Interview seine Bedenken über die vom Stadtrat beschlossene »teure« Sanierung der Beethovenhalle zum Ausdruck. Damit war es um die Seelenruhe wieder geschehen.

In so einem Fall fährt man erstmal nach Berlin. Das mag jetzt zynisch klingen, aber in der Hauptstadt widmet man sich in Gestalt der Berliner Philharmoniker dem sinfonischen Gesamtwerk Beethovens. Das ist Balsam für die geschundene Seele.

Es ist ein bemerkenswert erheiterndes Erlebnis, die Philharmoniker in Berlin zu erleben. Der überaus sympathische Brite Sir Simon Rattle dirigiert Beethoven ohne viel Aufhebens zu machen. Wie dieser Beethoven voller Spannung und Klarheit in die Welt getragen wird, ist eindrucksvoll.

Generell erscheint Berlin als Bühne alles Möglichen. Friedrichshain und Kreuzberg zu besuchen ist ein Muss, um schnell noch die letzten Reste einer nun dahinsiechenden alternativ-anarchischen Lebenskultur sehen zu können. Doch trotz allem ist Berlin weltgewandt; es strotzt vor Erasmus-Studenten und jungen Start-up-Performern.

Inmitten dieser Bonnflucht platzen die Eilmeldungen über die Äußerungen der Bundesbauministerin Barbara Hendricks. Sie fordert eine neue Regelung für die Standortaufteilung der Bundesministerien. In Bonn befürchtet man die Schließung der verbliebenen Behörden. Fernab der Bundesstadt kommt man ins Grübeln. Liebes Bonn, und nun? Man bekommt ja fast schon Mitleid mit dir! Dich machte man erst zur Hauptstadt, dann zu einer Größe am Rhein; später, in den 90er Jahren, baute man dir sogar einen neuen Plenarsaal! Du dachtest, du wärest nun für immer Hauptstadt. Und dann war 1999 alles vorbei. Mit den Abgeordneten ging die Hauptstadt nach Berlin, der Rest ist bekannt.

Seit dem Wegzug gilt für Bonn: Der Strukturwandel ist notwendig und in vollem Gange. Doch wohin soll es denn eigentlich gehen? Die Bonner Selbstdarstellung ähnelt der eierlegenden Wollmilchsau. Bonn könne von Wissenschaftsstadt über Universitätsstadt, UN-Stadt, klar auch Beethovenstadt, alles; 2020 will sie auch noch Fahrradhauptstadt werden. Es scheint, als wolle man den verlorenen Hauptstadt-Status mit Etiketten aller Art kompensieren.

Man sollte es sich am Rhein einfacher machen. Bonn, das war im 17. und 18. Jahrhundert der beschauliche Wohnsitz der Kölner Kurfürsten, und später Ruhesitz wohlhabender Bürger. John le Carré, britischer Schriftsteller und in den 60er Jahren Diplomat in der Bundesrepublik, schrieb das Buch »Eine kleine Stadt in Deutschland«. Er meinte damit – genau: Bonn. Wenig schmeichelhaft beschrieb er die Stadt »als Wartesaal für Berlin«. Kurzum: Bonn war nie ein bedeutender Nabel der Welt, nie eine Metropole.

Es geht darum, zu erkennen, dass man zwar so arm, aber nie so sexy wie Berlin werden kann. Dass einem der Weltstadt-Glanz schlichtweg fehlt. Und es geht keineswegs darum, Bonn schlecht zu reden. Die Bonn-Debatte sollte sich nur endlich ihrer Prämisse entledigen, nach der Bonn eine Stadt von Weltrang sei, bzw. sein müsse. Befreit Bonn von dieser Bürde! Es ist keine Schande, »Bundesdorf« genannt zu werden. Der Hauptstadt-Status war ein glückliches Ereignis der Geschichte.

Liebes Bonn, stelle dich einer nüchternen Bestandsaufnahme! Du bist nicht groß und weltstädtisch. Du bist ein schmucker kleiner Ort am Rhein, der oben in der Tabelle mitspielt – aber das eher in der zweiten Liga. Wage dich nicht allzu hoch hinauf, sondern sei auch mit weniger zufrieden. Du kannst nicht international und weltoffen sein, wenn du vom Münsterplatz die Klangwelle verbannst! Sei ehrlich zu dir selbst, auch wenn es manchmal schmerzt. Und wenn du dir mal nicht gefallen solltest, dann ändere dich. Doch bedenke, dass dann jeder seinen Teil dazu beitragen muss – auch auf Kosten der eigenen Komfortzone.

In einem Beitrag für das NDR-Satiremagazin »extra3« beklebte Reporter Tobias Schlegl 2011 ein Bonner Stadtschild mit den Worten »Vorort von Köln«. Nun, das wird Bonn nun wirklich nicht gerecht. Aber erst in der Übertreibung erkennt man ja meist den wahren Kern.