»Die Temperatur, die du einstellst, die kriegst du auch«

Ein Kulturcafé-Waschsalon Ein zauberhafter Waschsalon am Kaiserplatz bietet mehr
als eine kühle Atmosphäre bei Neonlicht – ein origineller Platz für Wäsche und für
die, die sie wachen.

von ALINA SABRANSKY

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Foto: Alexander Grantl / AKUT

Originell. Individuell. Zauberhaft. Undifferenziert. Und vielleicht auch ein bisschen »knüselig« – all das ist der Waschsalon, pardon!, das Waschcafé in der Kaiserstraße 1b.

Mitten im Zentrum Bonns, fast beim Hauptbahnhof und keine zwei Minuten Fußweg vom Unihauptgebäude liegt der »Innovation Point«. Man kann dort waschen, Kaffee oder Tee trinken, Kunst sehen und hören oder einfach nur entspannen. Trocknen kann man natürlich auch! Oder für sich trocknen lassen, ganz nach Belieben.

Vor  sieben Jahren hatte Jutta, Gründerin dieses atmosphärischen Ortes, zusammen mit ihrem guten Freund Klaus die Idee, aus dem vorherigen Copyshop etwas anderes, etwas Ungewöhnliches zu machen. Bestimmt auch angeregt durch ihren Mann, hauptberuflich Opern- und Theaterregisseur, hat sich mit den Jahren eine »Kultur« in diesem Waschcafé entwickelt, die mit nichts Anderem zu vergleichen ist und die vor allem auf Sympathisanten aus aller Welt stößt. Touristen aus Amerika, japanische Tänzerinnen, Interessierte aus jeglichen Bundesländern… von überall her kommen sie. Ja, sogar zwei Mädchen aus Madagaskar haben ihren Weg hierher gefunden.

Hauptsächlich sind es aber, neben einigen Alleinstehenden oder Vollzeit-Berufstätigen, Bonner Studierende (was erklärt, warum Samstag der beliebteste Waschtag ist), die dort mit ihrer Wäsche hinkommen. Alleine, oder mit einer Freundin zum Quatschen.

Besonders das Klavier direkt in der Ecke am Fenster lockt viele an: entweder, um selbst darauf zu spielen, oder um anderen einfach nur zuzuhören. Manchmal singt noch jemand  und man bekommt richtig Lust, auch die eigene Gitarre oder Klarinette von zu Hause zu holen und sich einfach dazuzugesellen. Die mitgebrachten Unisachen und der feste Vorsatz, sich intensiv der Seminarwiederholung von letzter Woche zu widmen, sind dabei eher zweitrangig. Sich ins kuschelige Sofa zu fläzen, Tagträumen nachzuhängen, ein gutes Buch zu lesen oder einfach nur zu entspannen, ist aber auch viel schöner! Und, da man sich dort so schnell heimisch fühlt, gar kein Problem. Wie schnell sind da plötzlich drei Stunden um! Zum Abschluss noch ein Stück des selbstgemachten Kuchens, übrigens von einer Italienerin gebacken, und der Nachmittag ist perfekt. Besonders den Apfelkuchen kann ich jedem ans Herz legen!

Auch abends gibt es jetzt immer häufiger Veranstaltungen, die einen Besuch wert sind: Verschiedenste Musiker aus aller Welt treten auf, deren Repertoire von Oper bis hin zu Rock-Pop und Jazz reicht. Es werden Lesungen gehalten und Theaterstücke aufgeführt. Und das alles umsonst!

Es gibt wirklich wenig Orte, die so atmosphärisch und eindrucksvoll sind, wie dieses kleine Waschcafé.

P.S. Liegen gebliebene Wäsche wird übrigens gesammelt. In einer riesigen Badewanne, vor den noch riesigeren Trocknern. Allerdings wird kaum je etwas wieder abgeholt und man kann sich gar nicht vorstellen, was die Leute so alles vergessen: Männerunterhosen zum Beispiel (mit und ohne Kondom), ja sogar ganze Koffer wurden schon dort gelassen! Da fragt man sich doch, wie hat der oder diejenige seine Wäsche wieder mit nach Hause transportiert?

Hausfrau oder Bundeskanzlerin

Bekannte Absolventin Literatur- und Politikwissenschaft hat Andrea Nahles an der Uni Bonn studiert. Mittlerweile ist die 45-Jährige Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Im E-Mail-Interview beschreibt sie ihren Weg von der Uni in die Politik.

Interview JONAS JOSSEN & SOPHIE LEINS

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Foto: Wahlkreisbüro Andrea Nahles

AKUT   Frau Nahles, Sie sind in Weiler (Kreis Mayen – Koblenz) in Rheinland-
Pfalz aufgewachsen. Was hat Sie dazu bewogen, an der Universität Bonn zu studieren?

NAHLES   Es war die nächste Uni mit einer germanistischen Fakultät, die einen guten Ruf hatte.

AKUT   Wie haben Sie Ihre Studienzeit in Bonn in Erinnerung behalten?

NAHLES   Ich habe gute Erinnerungen an meine Zeit im Studentenwohnheim in der Riemenschneiderstraße. Ich habe sehr viel gelernt und bin auch menschlich gewachsen in den Jahren bei Herrn Prof. Fohrmann. Und ich habe immer – von Anfang an – nie nur studiert, sondern schon bald viel Zeit in meine politische Arbeit reingesteckt. Das war manchmal schade, weil: »echtes Studentenleben« gab es bei mir kaum.

AKUT   Stehen Sie heute noch in Verbindung mit der Universität in Bonn?

NAHLES   Ja. Ab und an habe ich Kontakt zu Kommilitonen und natürlich zu Herrn Prof. Fohrmann.

AKUT   Sie sind ein »Arbeiterkind«. Hatte das Auswirkungen auf Ihr Studium? An welchen Stellen? Glauben Sie, dass sich die Chancen, als Kind von Nicht-Akademikern ein Studium zu absolvieren, seit Ihrem Studium in den 1990er-Jahren verbessert haben?

NAHLES   Ich bin nach der Grundschule erst einmal auf die Realschule gegangen, obwohl ich sehr gute Noten hatte. Meine Eltern hatten sich nicht zugetraut, sowohl meinen Bruder als auch mich studieren »zu lassen«. Aus finanziellen Erwägungen! Zum Glück haben sie mich dann aber doch unterstützt.

Leider hat sich die Situation für Arbeiterkinder seitdem noch nicht wirklich verbessert – sie sind an unseren Hochschulen nach wie vor unterrepräsentiert.

AKUT   Sie haben 20 Semester studiert. Heute wird Studierenden oft vermittelt, dass man das Studium möglichst schnell hinter sich bringen muss. Was halten Sie persönlich von dieser Denkweise?

NAHLES   Ich habe nicht wirklich 20 Semester studiert. Ich habe jahrelang mein Studium ausgesetzt, weil ich 1995 zur Bundesvorsitzenden der Jusos gewählt wurde. Das Studium zügig zu machen ist okay. Aber es sollte doch auch Luft für gesellschaftliches Engagement geben – das ist nicht befriedigend gelöst heute, glaube ich.

AKUT   Waren Sie während Ihres Studiums auch in der Hochschulpolitik aktiv?

NAHLES   Nein. Ich habe mich zwar einmal in der Fachschaft der Politikwissenschaften engagiert, doch da ich landespolitisch und später bundespolitisch aktiv war, blieb dafür einfach keine Zeit.

AKUT   Sie selbst haben Literatur- und Politikwissenschaften studiert. Von Vielen sind Fächer dieser Art als »brotlos« verschrien. Was raten Sie angehenden Geistes- und Sozialwissenschaftlern von heute? Würden Sie noch einmal die gleichen Fächer studieren?

NAHLES   Ja. Das war damals auch schon als »brotlos« gebrandmarkt. Alle meine Kommilitonen, die ich kannte, haben aber gute Jobs bekommen. Also: das machen, was einem entspricht, wo man sich gerne für ins Zeug legen will. Alles andere ist Mist!

AKUT   Inwiefern hat Ihr Studium Sie auf Ihre Karriere als Politikerin vorbereitet?

NAHLES   Ich habe »denken« gelernt, wie ich es vorher nie vermittelt bekommen habe. Alles, was ich gelernt habe, brauch’ ich heute jeden Tag.

AKUT   Als Berufswunsch haben Sie als Abiturientin angeblich noch »Hausfrau oder Bundeskanzlerin« angegeben. Heute sind Sie Mutter und Ministerin. Haben sich damit beide Wünsche ein Stück weit erfüllt?

Glauben Sie, dass sich viele Frauen heute noch zwischen Karriere und Kindern/dem Familienleben zu Hause entscheiden müssen?

NAHLES   Ja. Ich bin froh mit meinem Job und Muttersein. Karriere und Kinder sind heute möglich, aber immer noch anstrengend. Es lohnt sich dennoch!  

Mal ein bisschen Jura

Jura als Begleitfach »Was soll das denn bringen?« Das bekomme ich seit Beginn meines Begleitfachstudiums ständig zu hören. Über Sinn oder Unsinn des Begleitfaches Rechtswissenschaft an der Uni Bonn.

von JOHANNA DALL’OMO

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Foto: Alexander Grantl / AKUT

Für mich war von Anfang an klar, dass ich keine 7 Jahre Gesetzesbücher wälzen will und so war das Begleitfach Rechtswissenschaft eine willkommene Alternative. Aus reinem Interesse entschied ich mich, aus dem Pool der Teilgebiete Strafrecht, Öffentliches Recht, Zivilrecht sowie Grundlagen des Rechts, für Strafrecht. Etwas über Mord und Totschlag zu lernen klang für mich aufregend. Leider war ich wohl alleine mit diesem Wunsch, sodass ich in den Genuss kam als einzige Bonner Studentin in meinem Jahrgang diesen Studiengang zu studieren. Aber wann hat man schon mal einen ganzen Studiengang für sich alleine? Auch die Warnungen der »richtigen« Jurastudenten, ich hätte das schwerste und lernintensivste Fach gewählt, konnten mich nicht entmutigen. Obwohl ich alleine in meinem Studiengang war, bekam ich trotzdem keinen Privatunterricht, sondern besuchte die ganz normalen Kurse der Examensstudierenden. Die »Erfinder« des Begleitfachs Jura hatten jedoch nicht bedacht, dass die Vollzeit-Jurastudierenden in den anderen Teilgebieten Stoff lernten, den ich nie zu Gesicht bekam. Die Strafrechtsprofessoren, die meist nichts von meiner Existenz als Begleitfachstudentin wussten,  setzen jedoch genau diesen Stoff als ganz selbstverständlich voraus. Und weil mir die Materialien aus dem Strafrecht natürlich noch nicht genug waren, arbeitete ich mich zusätzlich durch das BGB, übte den Gutachtenstil und lernte jede noch so kleine Definition.

Ein Lichtblick war dann, dass ich dementsprechend eine etwas leichtere Klausur bekommen sollte. Also schnell den Professor über sein Glück, eine zweite Klausur konzipieren zu dürfen, informiert und auf zur Klausur. Stolz auf seine zusätzliche Arbeit rief er mich vor über 200 Studierenden im Prüfungshörsaal auf, ließ mich nach vorne kommen und die leichtere Klausur abholen. Man kann sich vorstellen, wie viele bitterböse Blicke ich auf meinem Rückweg zu spüren bekam. Seitdem ist es immer wieder aufs Neue meine Aufgabe, jedem neuen Dozenten mitzuteilen, dass ich nur im Begleitfach studiere und er daher andere Prüfungsleistungen für mich anfertigen müsse. Außerdem fehlt, ohne Kommilitonen im selben Fach, immer jemand zum Austauschen, Fragen stellen oder gemeinsamen Lernen. Hier hilft die Fachstudienberatung von Jura weiter, die bisher jedes meiner Probleme lösen konnte. Das größte Problem dieses Begleitfaches ist jedoch die Umrechnung  von Jura- in Bachelornoten. Während eine 1 im Bachelor durchaus realistisch ist, sind die magischen 18 Punkte in Jura nicht zu erreichen. Besteht man also in Jura seine Klausur, ist man oft einer der Glücklichen 20% die überhaupt bestehen. Umgerechnet in Bachelornoten sind die 4 Punkte, die zum Bestehen benötigt werden, dann nur eine 4. Es ist also quasi unmöglich eine 1 oder 2 in Bachelornoten zu bekommen.

Wenn man nicht darauf aus ist, Anwalt oder Richter zu werden und trotzdem etwas über Jura lernen will, dann ist dieses Begleitfach genau richtig. Gerade in der Wirtschaft gibt es viele Berufe, in denen Bachelorabsolventen mit Jurakenntnissen einen Vorteil haben können.

Wer bereit ist, viel Arbeit und Fleiß in sein Begleitfach zu stecken, wird mit interessanten und witzigen Erkenntnissen über unser Rechtssystem belohnt. Trotz aller Vorteile steht dieses Begleitfach noch am Anfang seiner Entwicklung und bedarf daher einiger Verbesserungen, wie z.B. in der Notenumrechnung. Ich bereue es trotzdem auch in meinem letzten Semester nicht, dieses spannende Begleitfach gewählt zu haben.

Keine Angst vor Europa

Bonn, deine Lehrenden Prof. Ludger Kühnhardt ist Direktor des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI). Mit der AKUT spricht er über Europa, dessen Chancen und Herausforderungen und über einen beeindruckenden Lebensweg.

Interview FLORIAN ESSER, mit Fragen von VARVARA STEGARESCU

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Foto: Alexander Grantl / AKUT

AKUT   Was hat Sie dazu motiviert, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen?

KÜHNHARDT   Dicke Bretter zu bohren, weiter zu schauen und, hoffentlich, mit Hilfe klarerer Analysen auch in der Lehre die Erkenntnisse, die ich gewinnen durfte, weiter zu geben.

AKUT   Was könnte man bei dieser Lehre – gerade in Bonn – verbessern?

KÜHNHARDT   Die Bonner Lehre in der Politischen Wissenschaft ist im Prinzip in der ganzen Breite des Faches gut aufgestellt. Sie ist in den Traditionen verwurzelt, die hier seit 1959, von Karl Dietrich Bracher begründet, das Profil geprägt haben. Sie hat sich im Laufe der Zeit immer wieder neu erfunden, neue Schwerpunkte gebildet und sich neuen Aufgaben gestellt. Mein Eindruck ist, auch durch das Gespräch mit vielen Studierenden, dass im Grunde das Bonner Lehrangebot in den hier verfügbaren Studiengängen auch auf eine sehr positive und weitgehend zufriedene Nachfrage der Studierenden stößt.

AKUT   Wo Sie gerade von den Studierenden sprechen, gibt es da für Sie einen Unterschied zu Ihrer Generation der Studierenden? Gibt es einen Unterschied im Denken?

KÜHNHARDT   Früher haben wir vermutlich mehr gelesen und nicht immer gleich gefragt, wie viele ECTS-Punkte es für wie viele gelesene Seiten gibt. Früher war der Versuch stärker, im Sinne des klassischen Studium Universale, möglichst viel aus den Erkenntnissen benachbarter Disziplinen oder aus Fächern, die einen auch noch interessieren, mit in das eigene Denken hinein zu nehmen. Dies war ein natürlicher Antrieb des Studiums. Der Zugang zu der Art, wie man überhaupt an Wissen herankommt und sich mit der Frage auseinandersetzt, wie denn neues Wissen auch durch neue Studierendengenerationen in die Welt kommt, hat sich unter den Bedingungen der Digitalisierung und der alles präsenten Informationsflut fundamental geändert.

AKUT   Betrifft das in Ihren Augen nur die Studierenden oder die komplette Gesellschaft, vielleicht sogar ganz Europa?

KÜHNHARDT   Ich sehe das Ganze nicht als einen Abstieg, sondern eher so, dass jede Generation ein Teil von Transformationen ist, in denen wir alle leben. Die großen derzeitigen Transformationen in den Medien und der Kommunikationskultur werden auf Dauer wohl auch eine ganz neue Form der Wissenschaft hervorbringen. Dabei ist gleichzeitig klar, dass Grundfragen und auch Grundkenntnisse sich nicht deswegen überholen, weil sie alt werden. Alt ist ja nicht das Gegenteil von modern. Die Wasserscheide liegt in der Frage, ob sich eine Methode bewährt hat, um sich eine fundamentale Substanz an Wissen anzueignen. Das ist eine Aufgabe, die sich jenseits von allen Generationenwechseln für alle stellt und zwar unabhängig von der Frage, wie man denn an Wissen und Wissensvermehrung auf optimale Weise herankommen kann.

Was Europa angeht, kann man sagen, dass Europa heute zu einer Selbstverständlichkeit im Radarsystem eines jeden Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften geworden ist. Noch in den Zeiten meines Studiums war Europa im Wesentlichen eine kulturwissenschaftliche Kategorie, die uns Auskunft gegeben hat über unsere geistige und kulturelle Herkunft. Heute ist Europa als Thema der Wissenschaft natürlich weiterhin mit diesem Auftrag verbunden, zwingt uns aber zugleich auch eine Auseinandersetzung mit den Fragen unserer politischen, ökonomischen und juristischen Gegenwart auf.

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Foto: Alexander Grantl / AKUT

AKUT   Viele Krisenländer der EU sehen die kommende Generation als verloren an. Sehen Sie das ähnlich oder denken Sie, dass das Potenzial Europas bloß noch nicht ganz ausgeschöpft wird?

KÜHNHARDT   Das ist kein Widerspruch. Die Tatsache, dass sich so viele junge Menschen in Europa, vor allem durch Arbeitslosigkeit, an den Rand gedrängt und nicht einbezogen fühlen in den Mainstream der europäischen Entwicklungen, ist ein bedrückender Zustand, der zugleich darauf verweist, dass wir das Potenzial der jungen Menschen, die sich nicht als Teil des heutigen Europas verstehen, nicht ausreichend nutzen. Deswegen ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu Recht bei allen Politikern kreuz und quer durch Europa, jedenfalls rhetorisch, auf allen Fahnen zu lesen. Die Tatsache, dass es so eine erschreckend hohe Zahl an Jugendlichen gibt, die nach Abschluss einer Ausbildung Schwierigkeiten haben, in den Beruf zu finden, ist ein bedrückendes Problem in der heutigen EU.

AKUT   Welche Möglichkeiten sehen Sie, dieses Problem zu bekämpfen?

KÜHNHARDT   Es geht immer darum, Wachstumskräfte zu fördern, in deren Folge neue und solide Arbeitsplätze geschaffen werden. In einem Europa, dass auf der einen Seite älter wird, gleichzeitig zum Teil eine schrumpfende Bevölkerung hat, und auch an vielen Orten mit Widerständen konfrontiert ist, mehr Migration zuzulassen, muss man diese Frage in einem globalen Kontext völlig neu stellen. Die Frage der Aktivierung von Wachstumspotenzialen in den Gesellschaften Europas kann man nur noch im Kontext der weltweiten Entwicklung sehen. Und da müssten auch in Europa kreativere Gedanken entwickelt werden, in den Wissenschaften, in der Forschung, in der Industrie und in der Politik. Wachstumspotenziale ergeben sich nicht mehr einfach nur dadurch, dass wir die Dinge, die wir in Europa kennen, lieben und schätzen gelernt haben, optimieren und noch die 35. Verfeinerung des Modells unserer Kaffeetassen, Schreibtische oder Krankenhausequipments erzeugen, sondern wir müssen uns mit der Frage befassen: Wie kann Europa seinen eigenen Wohlstand auch dadurch halten und an die nächsten Generationen weitergeben, dass wir innovative Konzepte entwickeln – zum Wohle der Mehrheit in den heute sogenannten »armen Ländern«. Denn ich glaube, das ist das größte Problem, vor dem die junge Generation Europas steht. Wir haben etwa eine Milliarde Menschen rund um Europa, die in armen Ländern leben. Der Bevölkerungsdruck dort ist nicht nur die Folge von Kriegen, die zu Flüchtlingsbewegungen führen, und ist nicht nur die Folge von Armut, die zu Verfallssituationen führt, sondern der Bevölkerungsdruck ist die Folge besser ausgebildeter, junger Generationen gegenüber Zeiten von vor 30 Jahren, die durch die Kommunikationsmittel viel intensiver verknüpft sind – auch mit dem Lebensstil, den wir hier für selbstverständlich halten und die eine Verbesserung ihrer Lebenschancen wünschen. Solange diese Verbesserung bei ihnen zu Hause nicht berechenbar möglich ist, wird es den jetzt allseits sichtbaren Migrationsdruck auf Europa geben.

AKUT   Wo Sie gerade auf Migration und Flüchtlinge zu sprechen kommen: Auf welcher politischen Seite wünschen Sie sich da mehr Engagement?

KÜHNHARDT   Vor dem Engagement steht die Analyse und ich glaube, da haben wir alle in Europa ein Defizit. Bei dem Themenkomplex der Erleichterung legaler Migration, bei gleichzeitiger Bekämpfung der illegalen und kriminellen Schleppervorgänge, die wir erleben und die zu diesen vielen tragischen Todesopfern im Mittelmeer führen, findet kaum eine Auseinandersetzung mit den Ursachen statt. Mit den Ursachen an den Orten, wo Menschen das Recht und die Sehnsucht haben, die gleichen Lebenschancen zu haben, wie wir sie hier in Europa für selbstverständlich halten. Das ist ein Versäumnis der öffentlichen Diskussion in Europa und dies zu ändern ist eine Aufgabe, eine Verantwortung, aller – in allen Parteien, in den Medien – und aller die an den öffentlichen Diskursen teilnehmen – einschließlich der Wissenschaftler.

AKUT   EU-Skeptiker sagen ja, es gäbe eine solche europäische Identität gar nicht. Sehen Sie das auch als Utopie an?

KÜHNHARDT   Das Motto der EU heißt Einheit in Vielfalt. Die europäische, kulturell gewachsene Identität ist eben pluralistisch, die durch nationale, regionale, kulturelle  und viele andere Faktoren bestimmt ist. Mit Bezug auf die politische Identität in Europa hat die EU unterdessen sehr viele Beiträge geleistet, Beiträge, um eine Form der politischen Identität zu bilden, die es erlaubt, dass gemeinsame europäische Institutionen handlungsfähige Antworten und Lösungen geben auf die Fragen die uns alle miteinander berühren, ganz unabhängig von der Frage unserer spezifischen kulturellen Identität. Das ist ein Weg, den man weiter beschreiten wird müssen, wenn dieses europäische Projekt weiter vorankommen soll. Es geht nicht um die Erstellung einer vereinheitlichten, nivellierten kulturellen Identität. Wir werden in 50 Jahren und vermutlich auch in 500 Jahren noch bayerische Schuhplattler haben und Menschen, die auf der anderen Seite der Straße Auto fahren als andere, unterschiedliche Frühstücksgewohnheiten haben und unterschiedliche religiöse und kulturelle Überzeugungen sowie verschiedene Sprachen – all das wird sich nicht vereinheitlichen. Aber es ist mit der EU ein Bewusstsein gewachsen, dass es neben dieser kulturellen Vielfalt auch um eine politische Identität geht. Beides sollte man in der Analyse tunlichst voneinander trennen. Gerade auch die Beiträge vieler Kolleginnen und Kollegen in der Politischen Wissenschaft, die zu diesem Thema arbeiten, geben Hinweise darauf, dass wir es hier mit einer sich im Wandel befindlichen, nicht perfekten politischen Identität zu tun haben, die gleichwohl in der Lage ist, diesem Kontinent kultureller Vielfalt ein einheitliches institutionelles und konstitutionelles Gefüge und Gesicht zu geben.

AKUT   Hatten Sie bei Ihrem persönlichen Werdegang ein Vorbild?

KÜHNHARDT   Maßstabsetzer würde ich sagen, nicht Vorbilder. Das ist etwas Unterschiedliches. Einem Vorbild eifert man nach, wie einem Fußballspieler, weil man auch mal in der Nationalmannschaft spielen möchte. Ich habe eher versucht, mich mit Maßstäben auseinanderzusetzen, wissend, dass ich sie niemals erreichen werde. Aber sie halfen mir, meinem Leben einen Kompass zu geben. Jesus mit seiner Botschaft der Liebe, Mahatma Gandhi mit seiner Botschaft der Gewaltlosigkeit, Martin Luther King mit seiner Botschaft der Versöhnung, Mutter Theresa mit ihrer Botschaft der Barmherzigkeit – das waren Maßstabgeber in meiner Jugend, die mich auch bei der Frage, wer mich in der Politik beeindruckt hat, wieder nach Leuten haben schauen lassen, die ich auf ähnliche Weise als Maßstabsetzer empfunden habe. Jimmy Carter gehört dazu, der sehr unterschätzte amerikanische Präsident mit seinem Menschenrechtsengagement, um nur einen zu nennen aus einer großen Zahl von Menschen, zu denen auch Nelson Mandela gehört, den ich sogar einmal kennen lernen durfte, kurz nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Südafrika. Solche Menschen und ihr Lebenswerk haben mich nicht als Vorbild inspiriert, um ihnen nachzueifern in ihrem konkreten Anliegen, sondern sie haben mich nach Maßstäben fragen lassen, die ich auf eine ganz bescheidene Weise in meinen eigenen Lebensweg mit hineinzunehmen versucht habe und weiter versuche.

AKUT   Mandela war sicher eine beeindruckende Person.

KÜHNHARDT   Zu Mandela muss ich Ihnen eine lustige Geschichte erzählen. Nelson Mandela war natürlich um Lichtjahre bedeutsamer, aber auch einen guten Zentimeter länger als ich. Ich wurde ihm vorgestellt, er sah mich an und fragte mich: »Sind alle Deutschen so groß?« Ich fragte ihn: »Wie kommen Sie darauf?«, und er sagte: »Ja, ich habe gerade vor einer Woche Helmut Kohl getroffen und der war ja auch so groß«. Da habe ich ihm gesagt: »Erstens reden wir hier, jedenfalls in meinem Fall, nur von Länge; zweitens sind Sie auch nicht klein gewachsen und drittens ist Bundeskanzler Kohl bestimmt mindestens so breit wie wir beide zusammen – es gibt also vielerlei Unterschiede.« Da hat er laut gelacht.

AKUT   Von den vielen Personen, die Sie als ihre Maßstabsetzer ansehen – gibt es ein Zitat, welches Sie besonders inspiriert hat?

KÜHNHARDT   Als ich als junger Student die Ehre hatte, Mutter Theresa zu treffen, da habe ich versucht ihr die Welt zu erklären. Ich dachte, ich weiß schon alles und hab da so eine klare Vorstellung, wie sich die Armut in Indien überwinden lässt. Da hat sie mich schnell auf den Teppich zurückgeholt. Sie sagte mir, ich solle das mit Indien erst mal sein lassen und mich zunächst um mein eigenes Leben kümmern, einfach dort, wo mich der liebe Gott hingestellt hat. Den größten Beitrag zu einer besseren und menschlicheren Welt können wir dort leisten, so sagte sie mir, wo wir uns im Leben hingestellt finden. Das war ein Gedanke, der mich damals sehr beeindruckt hat. Und auch heute kommt er mir  noch immer wieder in den Sinn, wenn ich unzufrieden bin mit irgendwelchen Dingen, die ich sowieso nicht ändern kann.

Und vielleicht sehen wir viel zu leichtfertig über die Chancen hinweg, die sich jeweils in eben der Situation ergeben, in die wir gerade hineingestellt werden. Das ist auch für heutige Studierende vielleicht ein guter Gedanke.  Die Situation, in der wir stehen, so ernst zu nehmen, wie sie ist, und das Beste daraus zu machen, denn genau dadurch leisten wir einen Beitrag für eine bessere Welt.  

Vertrauensfragen

Anwesenheitspflicht Noch immer macht die aufgehobene Anwesenheitspflicht Wirbel. Viele Dozenten treten der neuen Situation auch im zweiten Semester seit Eintritt der neuen Gesetzeslage mit Argwohn gegenüber – dabei müssten sie das gar nicht.

von JULIANE SPRICK

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Foto: Naomi Koch

Seit einigen Monaten gibt es sie nun nicht mehr. Die viel diskutierte Anwesenheitspflicht wurde aufgehoben. Lediglich für einige Veranstaltungen, wie für Sprachkurse, Praktika oder sogenannte »praktische Übungen« gibt es Ausnahmen. Jura, Medizin und andere Studiengänge, die mit einem Staatsexamen schließen, sind von dieser landesinternen Regelung allerdings nicht betroffen.

Doch sind die Befürchtungen der Dozenten nun Realität geworden? Bleibt der Großteil der Studierenden seitdem wirklich zu Hause? Lehren die Dozenten seit Aufhebung der Anwesenheitspflicht einsam und verlassen sogar nur noch vor leeren, stillen Bänken?

Noch am Anfang des Semesters kam ein Großteil der Studierenden in den Genuss vielfacher Vorträge, die die Missgunst der Lehrenden gegenüber dem besagten Paragraphen §64 des »Hochschulzukunftsgesetzes« ausdrückten. Es halten sich auch nicht alle Dozenten daran und begeben sich aber damit rechtlich auf dünnes Eis. Nach wie vor gehen beim AStA Beschwerden ein. Am häufigsten wählen die Dozenten dabei die schlichte Weiterführung der Anwesenheitslisten in den Kursen. Doch auch das Verfassen von Protokollen oder schriftlicher Ausarbeitungen als Ersatz für Fehlzeiten häufen sich, vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern. Dies könne allerdings nicht so weitergehen: »Diese Praktiken sind natürlich alle rechtswidrig«, so Martin Commentz, Mitarbeiter des Referats für Hochschulpolitik des AStA. Vereinzelt käme es sogar zur wöchentlichen Benotung der mündlichen Beteiligung.

Fragt man unter den Studierenden selbst, scheinen sich die Dozenten umsonst gesorgt zu haben. Im Gegenteil: Eine rapide Abnahme der Kursteilnehmer ist bisher keinem aufgefallen. Auch nicht in den Kursen, in denen sich die Dozenten an die neue Regelung halten. Viele bemerken keine Veränderung. Andere wiederum begrüßen sie: »Die Zahl der Anwesenden ist in einigen Seminaren zwar gesunken, die Atmosphäre dadurch aber generell besser geworden«, berichtet Rebecca Onckels (Geschichte/Französisch). Die Quote der zwar anwesenden, aber geistig schlafenden Kursteilnehmer sei geringer. Einige merken zudem an, dass sich so nun das allgemeine Wesen der Bildungsinstitution Universität wieder in ein besseres Licht gerückt hat: »Ich persönlich finde es sehr gut, dass keine Anwesenheitspflicht besteht, da die Universität ein Ort frei zugänglicher Bildung bleiben sollte, an dem man sich nicht zwingend physisch aufhalten muss«, findet Julie Krämer (Agrarwissenschaften).

Neben all dem gibt es aber anscheinend auch pragmatische Lösungen seitens der Institute selbst. So wird der vermittelte Stoff einer Vorlesung der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften, bei der zuvor Anwesenheitspflicht galt, ab sofort klausurrelevant. Die Fachschaft Geographie vermeldet indessen, dass von Seiten einiger Dozenten eine Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht in Seminaren geprüft wird. Dazu soll der Hinweis im »Hochschulzukunftsgesetz« genutzt werden, der eine solche Regelung zulässt, wenn der »wissenschaftliche Diskurs« ohne Anwesenheitspflicht gefährdet wäre. Gleichzeitig gäbe es aber im Fach Geographie bisher keine nennenswerten Beeinträchtigungen durch die Abschaffung.

Es herrscht unter den Lehrenden und bei den Leitern der Institute also weiterhin Unsicherheit, wie sie mit der Aufhebung der Anwesenheitspflicht umgehen sollen. Währenddessen fühlt sich die andere Seite mit ihrer neugewonnen Freiheit aber gut. Klar, die Studierenden wünschen sich die alte Regelung nicht zurück, dennoch ist der studentische Tenor unisono: Eigentlich studieren sie alle freiwillig. So merkt auch Janis Meyer (Geschichte) am Ende noch an, weshalb die Sorge einiger unbegründet ist: »Die Dozenten sollten mehr Vertrauen in ihre Lehre haben.«

Über der Uni kreist der Pleitegeier

KOMMENTAR VON FLORIAN ESSER

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Illustration: Florian Eßer / AKUT

Die Plakate dürfte jeder Student und jede Studentin der Uni gesehen haben: Ein deprimierter Albert Einstein präsentiert die leeren Taschen seiner geflickten Hose. Ähnlich, wie wenn man von den Freunden gefragt wird, ob man auch noch ein Bier will. Am Monatsende. Ein demütiger Blick, leere Taschen, hoffen. Drink doch ene met… Kein Geld für Bier, kein Geld für Forschung, kein Geld für Bildung, jedoch aber für Exzellenzinitiativen. Und die Fächer, die nicht dazu zählen, die können gucken wo sie bleiben und die Mülltonnen nach Apfelkittchen und Fischgräten durchstöbern. An der Bonner Universität herrscht daher ein berechtigter Futterneid: Während das Sparschwein der Uni gefüttert wird, drücken sich die hungernden Professuren an der Scheibe die Nasen platt. Dummerweise hat das Schwein aber einen großen Appetit und lässt nur selten etwas unter den Tisch fallen. Dadurch werden 17 Professuren »stillgelegt«, was etwas netter klingt als »gestrichen«, aber eben auch nur einen Euphemismus darstellt. Weniger schönredend sind da schon die Begriffe »Trauermarsch« und »Leichenschmaus«, mit denen das Bündnis »SparUni Bonn« ihre Aktionen betitelt und darauf aufmerksam machen möchte, dass sich die Uni in einer finanziellen Schieflage befindet. So wurden in der Geowissenschaft letztes Jahr bereits zwei Professuren eingespart und die Stellen vieler wissenschaftlicher Mitarbeiter gestrichen. Das macht die Uni aber auch nicht aus purem Sadismus – der Hund liegt in den finanziellen Grundmitteln begraben: Während die Kosten für Sanierung, Strom etc. steigen, bleiben die Grundmittel konstant auf demselben Level. Mit einem Becher Wasser kann man jedoch bekanntlich keinen Swimmingpool füllen und dass fünftausend Menschen von fünf Broten und zwei Fischen satt werden, das funktioniert auf wundersame Weise auch nur in der Bibel. Aber genau das ist es, was die Uni bräuchte. Ein Wunder. Make it rain. Nur wer soll Geld regnen lassen? Das Land? Ein Witz. Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Davon ist die Uni Bonn aber nicht alleine betroffen. Vielen Hochschulen geht es da ähnlich, sie suchen die Schuld bei den Ländern, die wiederum zeigen auf den Bund und der ist auch pleite und keiner will‘s gewesen sein. Scheinbar gibt’s hier viele nackte Männer ohne Taschen. Nun ist die Uni aber auch nicht bloß ein Opfer des finanzpolitischen Strippokers, sondern hätte sie frühzeitig einmal ihre Asse spielen können, um ein komplettes Blankziehen zu verhindern. Die Rede ist immerhin von einem Acht-Millionen-Euro-Defizit jährlich und diese Negativentwicklung hätte den Zuständigen auch gewiss früher auffallen können. Nun aber beschließt Bonns Klein-Griechenland am falschen Ende zu sparen, nämlich an dem Ende, für das eine Universität letzten Endes steht: An der Bildung. Klingt blöd, ist es auch, aber damit nicht genug. Im Jahr 2020 versucht Nordrhein-Westfalen mit einer Schuldenbremse die Katastrophe aufzuhalten und den Kostenzug zu stoppen. Dafür muss man Opfer bringen. Die Mittel für Hochschulen werden noch knapper, und wie die rivalisierenden Banden in einem postapokalyptischen Endzeit-Thriller werden die einzelnen Universitäten um die verbleibenden Ressourcen und Drittmittel kämpfen müssen. Die Bonner Universitätsleitung hat schon jetzt weitere Kürzungen in Erwägung gezogen. Damit Albert aber nicht auch noch sein letztes Hemd abgeben und sich in die lange Reihe der nackten Männer gesellen muss, fordert das Bündnis »SparUni Bonn« ein Ende der Unterfinanzierung mittels einer soliden Grundfinanzierung durch den Bund und das Land NRW. Dafür sollen die Fakultäten gemeinsam auf die Barrikaden gehen und die Flagge des gemeinsamen Streites für eine bessere Hochschulpolitik schwenken – »Die (Finanz-)Freiheit für die Bildung«. Denn, das müssen alle Universitäten, Fakultäten und Fachschaften begreifen: Wir sitzen alle im selben Boot. Und wie schnell das untergehen kann, wenn es einmal Leck geschlagen hat, davon kann die Universität Bonn ein trauriges, trauriges Lied singen.

»8 Millionen Euro Defizit entstehen nicht über Nacht«

Interview – Die Sprecher des Bündnisses »SparUni Bonn« Lukas Mengelkamp und Kerstin Stange erklären im Gespräch mit der AKUT, welche Probleme sie an der Uni Bonn sehen und wie eine optimale Hochschulfinanzierung funktionieren könnte.

INTERVIEW FELIX RUDROFF

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Foto: Felix Rudroff / AKUT

AKUT   Ihr nennt euch »SparUniBonn«. In einem Satz: Worum geht’s euch?

MENGELKAMP   Es geht darum, gegen die Sparpolitik im Bildungsbereich, insbesondere im Hochschulbereich, zu protestieren.

AKUT   Eurem Flugblatt ist zu entnehmen, dass 17 Professuren »stillgelegt« werden sollen. Was heißt das und gibt es derzeit Institute, die dadurch in ihrer Existenz akut bedroht sind?

STANGE   Stillgelegt bedeutet einfach nur, dass sie vakant gehalten werden, also nicht neu besetzt und de facto ist es das Gleiche wie eine Streichung, nur wird es nicht ausgesprochen. Für uns besteht eigentlich nicht die Aussicht darauf, dass diese Professuren irgendwann wieder besetzt werden. Allerdings darf die Universität keine Professuren streichen, deswegen werden sie einfach nur stillgelegt. Und ja, im Steinmann-Institut für Geowissenschaften sind im letzten Jahr zwei Professuren gestrichen worden und das bedroht schon akut die Lehre und den Ablauf im Institut.

AKUT   Die Uni macht vor allem die gestiegenen Nebenkosten und externe Anmietungen für den Betrag von 8 Millionen Euro verantwortlich. Haltet ihr diese Begründungen für plausibel?

MENGELKAMP   Jein, also die Kosten für Sanierung, Gebäudeerhaltung und so weiter, die sind tatsächlich stark gestiegen. Das ist richtig und es liegt auch daran, dass der Gebäudebestand relativ alt und dezentral ist und dadurch fallen gerade auch recht hohe Sanierungskosten an. Damit hängt dann noch zusammen, dass die Stromkosten gestiegen sind und das kostet einfach viel Geld. Hinzu kommen die Drittmittelprojekte, da werden zwar teilweise das Personal und die Forschungsvorhaben und so weiter finanziert, aber die grundlegende Infrastruktur muss die Universität selber bezahlen und das Geld kommt letztendlich aus den Grundmitteln. Somit haben auch Drittmittelprojekte negative Auswirkungen auf die grundständige Lehre. Hinzu kommen natürlich noch Sachen wie  Gehaltssteigerungen von Mitarbeitern, Tarifrunden, die einfach vom Land nicht ausgeglichen werden, d.h. in der Tarifrunde kommt für die Mitarbeiter ein Plus heraus, was für die Mitarbeiter auch erstmal sehr schön ist, das muss die Uni aber dann aus den selben Grundmitteln bezahlen wie vorher. Die Grundmittel haben einfach in den letzten Jahren nicht mitgehalten mit den Kostensteigerungen der Universitäten. Es haben zwar alle Landesregierungen seit 2001, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die Grundmittel erhöht – sowohl rot-grün, als auch schwarz-gelb – allerdings einfach nicht in dem Maße, wie es nötig wäre, angesichts gestiegener Studierendenzahlen.

STANGE   Außerdem entsteht ein Defizit von 8 Mio. Euro nicht über Nacht, dieses Problem ist nicht von heute – dann hätte man es auch früher angehen und lösen können.

AKUT   Damit nicht genug, das Rektorat spricht von jährlich 8 Millionen Euro. Ist das eine reale Bedrohung oder eine Drohkulisse gegenüber der Politik?

MENGELKAMP   Ich glaube nicht, dass man so eine substanzielle Streichung vornehmen würde um eine Drohkulisse aufzubauen, das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Es ist natürlich so, dass die Universität auch ein »Schwarzer-Peter-Spiel« spielt. Die Universität schiebt die Verantwortung dem Land zu, das Land schiebt die Verantwortung dem Bund zu. Aber letztendlich haben alle eine Verantwortung dafür. Die Universität hätte möglicherweise früher und auch strukturierter, partizipativer Reformprozesse einleiten können. Das Land müsste eigentlich mehr Geld in die Hochschulen stecken. Das betrifft nicht nur Bonn, das betrifft alle Hochschulen, allerdings steckt das Land ja zeitgleich selbst in einer Finanzierungskrise.

STANGE   Es wird auch eher nicht bei einem jährlichen Defizit von 8 Mio. bleiben, das wird steigen.

AKUT   Ihr fordert mehr Mitsprache studentischer Vertreter/innen. Fordert ihr konkret eine Drittelparität oder ähnliches?

MENGELKAMP   Es geht prinzipiell erstmal darum, dass wir gemerkt haben, dass der ganze Streichungsprozess relativ schnell top-down entschieden worden ist. Und dann hat das Rektorat zu den Fakultäten gesagt: »So, ihr müsst jetzt sparen in der und der Höhe und wo gespart wird, das könnt ihr selber entscheiden«. Aber letztendlich ist man vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Die studentischen Vertreter waren daran kaum beteiligt und die Informationen sind auch nur sehr spärlich geflossen. Beispielsweise hat die Universität erst jetzt vor zwei Wochen mit ihren FAQ Stellung bezogen und das ist ja schon bezeichnend. Wir sehen einfach, dass mehr Mitsprache von studentischen Vertretern in den Gremien manches hätte verhindern können. Man hätte besser mitgestalten und studentische Belange besser beachten können.

AKUT   Ihr kritisiert weiterhin die Intransparenz in Bezug auf die Finanzierung durch Drittmittel. Befürchtet ihr eine Beeinflussung oder Unterwanderung der Lehre durch die Geldgeber?

MENGELKAMP   Zumindest in Bonn ist eher weniger die Frage, in wie weit wirklich die Unabhängigkeit der Forschung und Lehre gefährdet ist, da hier ja hauptsächlich die DFG und andere finanzieren. Aber Exzellenzcluster führen schon zu Schwerpunktverlagerungen, wo dann Fächer, die in der Öffentlichkeit gerade keine Konjunktur haben, einfach untergehen. Das kann es eben nicht sein, das hat dann nichts mit Wissenschaftspolitik zu tun.

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Foto: Felix Rudroff / AKUT

AKUT   Würdet ihr euch denn eine Universität ohne Drittmittel wünschen?

STANGE   Ohne geht es nicht, aber Drittmittel sollten nicht im Vordergrund stehen. Wir fordern, dass es eine solide Grundfinanzierung gibt und keinen Drittmittelwettstreit, weil das auch zu einem Kampf innerhalb der eigenen Fakultät um Drittmittel führt und wir sind der Meinung, dass man vor allem zusammenhalten sollte in so schlechten Zeiten, anstatt auch noch gegeneinander zu kämpfen. Deswegen würden wir uns schon wünschen, dass auch vom Land selber die Grundfinanzierung aufgeforstet wird und dafür weniger Geld in Drittmittel geht, weil das Geld aus dem gleichen Topf kommt. Es kommt beides aus Steuergeldern und das wäre einfach eine Umverlagerung, die zu mehr Planungssicherheit führen würde. Drittmittel sind befristet und sorgen auch nur für befristete Stellen und auch deswegen würden wir uns einfach die Grundfinanzierung wünschen.

MENGELKAMP   Was mit Intransparenz noch gemeint ist: Dass gerade bei den Exzellenzinitiativen die Entscheidungsprozesse sehr kritikwürdig sind. In den Gremien für die Schwerpunktsetzungen der Exzellenzinitiativen sitzen teilweise die gleichen Leute, die auch in den großen, forschungsstarken Universitäten sind, und es ist dann natürlich kein Wunder, dass in diesen Ausschreibungen Projekte gefördert und gefordert werden, die zufällig genau auf die Profile der Universitäten zutreffen, die in diesen Gremien sind. Das ist natürlich ein hanebüchenes Verfahren, mit dem Ungleichgewichte in der Forschungslandschaft geschaffen werden. Deutschland hat einfach ein sehr breites, heterogenes Hochschulsystem mit vielen kleinen und großen Universitäten mit verschiedenen Schwerpunkten und das sollte auch erhalten bleiben.

AKUT   Gibt es in eurer Gruppe eine klare Positionierung in Bezug auf nichtzivile Geldgeber? Würdet ihr auch eine Zivilklausel befürworten?

MENGELKAMP   Da haben wir bisher noch keine Positionierung.

AKUT   In der letzten Zeit seit ihr vor allem durch Traueraltare und Flyer aufgefallen. Am 22. Juni steht eine große Demo an. Sind schon weitere Aktionen geplant?

MENGELKAMP   Als wir uns gegründet haben, war das große Ziel: Wir organisieren eine Demo. Die ist jetzt da und da konzentriert sich momentan alle Arbeit drauf.
Dabei geht es darum, ein erstes starkes Zeichen zu setzen. Wir werden dann natürlich weiter arbeiten und wollen das verstetigen.

STANGE   Wünschenswert wäre eine Vereinigung mit anderen Universitäten und eine Demo in Düsseldorf. Am wichtigsten ist es einfach, Studierende darüber aufzuklären, wo und wie das Geld verteilt wird.

AKUT   Das SP stimmt euren Positionen offiziell zu. Verleiht das euren Forderungen zusätzliche Autorität? Hat das Rektorat mit euch Kontakt aufgenommen oder sich zu den Aktionen zu Wort gemeldet?

MENGELKAMP   Wir hatten von Anfang an positive Resonanz von Studierendenseite aus gehabt. Schon beim ersten Flyer-Verteilen und dem Traueraltar vor der Uni haben wir wirklich gemerkt: Es gibt eine positive Resonanz auf unsere Aktionen. Und natürlich haben wir diesen Antrag im Studierendenparlament gestellt, weil es auch noch mal eine gewisse Legitimität und Autorität verschafft.

STANGE   Wir sind ja auch ein überparteiliches Bündnis und das ist auch wichtig, dass wir uns da positionieren und uns nicht einer Partei zuwenden, sondern das komplette Studierendenparlament hinter uns steht.

AKUT   Und das Rektorat hat sich nicht gemeldet bisher?

STANGE   Als dieser Fragenkatalog veröffentlich wurde, wurden wir auch explizit angeschrieben vom Pressesprecher der Universität mit der Bitte, dass wir darauf verweisen. Also das Rektorat weiß sehr wohl, wer wir sind und was wir tun und hat uns auch nach unserer Demoroute gefragt.

MENGELKAMP   Also jetzt gibt es noch kein Gesprächsangebot oder so. Wir haben uns ja erst in den Semesterferien gegründet und organisiert und da muss man erstmal ein paar Positionen aufbauen bis es soweit ist, dass man da auf der Landkarte erscheint.

STANGE   Ich denke, spätestens nach der Demonstration werden die auf uns zukommen.

MENGELKAMP   Das würden wir natürlich auch sehr begrüßen.

AKUT   Ihr haltet eure Forderungen sehr universal und solidarisiert euch auch mit den Studierenden anderer Unis. Wie gut seit ihr vernetzt und gibt es schon Nachahmer? Oder seid ihr inspiriert von anderen?

STANGE   Also die Grundidee kam sehr spontan, allerdings haben wir natürlich auch die Proteste in Kiel mitbekommen und natürlich ist das auch ein Vorbild. Dass die bei strömenden Regen so viele Leute auf die Straße bekommen haben – und die haben das ja alles in wenigen Wochen hochgezogen. Natürlich schauen wir auch, was an anderen Universitäten passiert. Bisher haben wir noch nicht besonders viele Nachahmer, aber das wird sicherlich auch nach der Demo kommen. Wir haben natürlich versucht, andere ASten anzuschreiben, allerdings mit noch nicht allzu großem Erfolg. Jeder Fachbereich für sich versucht, auch auf den Bundesfachschaftentagungen Werbung zu machen. Es gibt auch schon Fachschaften die unsere Demo unterstützen wollen und wenn an einer anderen Uni in NRW eine solche Demo wäre, würden wir wahrscheinlich als erste dahin fahren.

AKUT   Wie sieht eurer Meinung nach ein optimales Konzept zur Hochschulfinanzierung aus?

MENGELKAMP   Die Grundmittel müssten einfach beträchtlich erhöht werden, damit die ganze Problematik mit schlecht bezahlten Mitarbeitern und geradezu ausgebeuteten Lehrkräften mal beendet wird. Teilweise sind das Zustände, also diese ganze Befristungsfrage und die geringen Verdienste im Mittelbau.

STANGE   Transparenz und Gemeinsamkeit statt gegeneinander und man sollte versuchen, innerhalb der Fakultäten nicht die einzelnen Fachbereiche gegeneinander auszuspielen. Mehr Partizipation von Studierenden und eine solide Grundfinanzierung.

AKUT   Wer ist euer Adressat? Uni, Land, Bund?

MENGELKAMP   Die Universität Bonn und das Land, die die Verantwortung tragen. Wir fordern aber die Umverteilung der Hochschulpaktmittel, die ja vom Bund getragen werden.

STANGE   Das mit den Hochschulpaktmitteln, das ist einfach nur eine Farce. Immer mehr Planstellen werden gekürzt und dann werden neue schöne Hochschulpaktmittel eingeführt. Was eigentlich dasselbe Geld ist – nur kann man dann sagen: »Wir haben Gelder in die Bildung gesteckt.« Zum Beispiel gibt es ja jetzt die Hochschulpakt-III-Mittel für die Masterprogramme – eigentlich darf man das Geld nur beantragen, wenn man damit neue Module für den Masterstudiengang schafft. Allerdings werden in der Praxis oft Löcher gestopft, die durch Planstellenkürzungen entstehen.

AKUT   Gibt es noch etwas, das ihr unseren Lesern mitteilen möchtet?

MENGELKAMP   Die schlechte Informationslage können wir nur dadurch kompensieren, dass man sich bei uns einbringt und aus seinem Fachbereich berichtet, denn das Ausmaß ist einfach noch nicht klar.

Es gibt bei uns Leute aus vielen Fachbereichen, aber nicht aus allen. Es muss einfach jedem klar sein, es geht um die eigenen Interessen. Es geht um die Frage: Kann ich hier vernünftig studieren oder nicht?

STANGE   Es ist zu spät zu protestieren, wenn der Fachbereich geschlossen ist, man muss das vorher tun. Studenten haben nur Macht, wenn sie das Wissen haben und verstehen, wie die Finanzpolitik an der Hochschule läuft. Nur dann können sie auch konkrete Forderungen haben. Unterstützt uns bei der Demo und weiteren Aktionen!  

In lautem Gedenken

Protest gegen Sparpolitik 17 Professuren sollen für eine unbefristete Zeit nicht besetzt werden, weil die Universität Bonn ein Haushaltsdefizit in Millionenhöhe hat. Dass wegen Finanzierungsproblemen ihre Lehre leidet, wollen viele Studierende nicht einfach hinnehmen.

von ALEXANDER GRANTL

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Demonstranten Foto: Alexander Grantl / AKUT

Als hätte er gerade geduscht: Vollkommen durchnässt erreicht Lukas Mengelkamp zur Mittagszeit den Münsterplatz. Vor zwanzig Minuten hatte heftiger Regen eingesetzt, zeitweise waren die Regentropfen beim Auftreffen geradezu schmerzhaft. Ein grauer Himmel, flüchtende Passanten – Lukas passt gar nicht in diese Szenerie: Sein Gesichtsausdruck ist fast euphorisch – denn ihm folgen rund 300 Demonstrantinnen und Demonstranten. Sie tragen Transparente, Plakate, Schilder, Holzkreuze und – Regenschirme. Wer bei diesem Wetter demonstrieren geht, der meint es ernst.

Lukas ist einer der Sprecher von »SparUni Bonn« – das Bündnis hat diese Demonstration organisiert. Ihnen und den Protestierenden geht es um die Sparmaßnahmen an der Universität Bonn. Im Haushalt ihrer Universität fehlen etwa 8 Millionen Euro. Das hat zur Folge, dass 17 Professuren »eingefroren« werden müssen. Die Universität betont, dass »Einfrieren« nicht das gleiche bedeute, wie die Stelle zu streichen. Es sei aber sehr ähnlich, sagt Lukas. Wenn der Inhaber einer Stelle diese verlässt oder in Rente geht, dann wird sein Platz nicht neu besetzt – die Stelle ist also noch da. Aber: »Für uns besteht eigentlich nicht die Aussicht darauf, dass diese Professuren irgendwann wieder besetzt werden«, sagt Kerstin Stange von »SparUni Bonn«. Denn die Stellen werden unbefristet eingefroren – konkret geht es um 8 Professuren der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 5 der Philosophischen, 2 der Landwirtschaftlichen, und 2 der Rechts- und Staatswissenschaftlichen  Fakultät. Für Kerstin, die Geowissenschaften studiert, fallen zwei Professuren und dadurch ganze Module weg.

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Organisator Mengelkamp Foto: Alexander Grantl / AKUT

Dass der Verursacher des 8-Millionen-Defizits nicht so einfach zu benennen ist, weiß auch das »SparUni Bonn«-Bündnis. Zwar hat das Rektorat der Universität die Sparmaßnahmen verordnet, doch: »Das Land müsste eigentlich mehr Geld in die Hochschulen stecken«, erklärt Lukas. Auch die Universität Bonn fordert das von der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Ganz aus der Verantwortung entlässt Lukas die Uni jedoch nicht: »Die Universität hätte möglicherweise früher und auch strukturierter partizipativer Reformprozesse einleiten können.«

Auf ihrer Internetseite versucht die Universität, ihre Finanzierungsprobleme zu erklären. Die Grundfinanzierung durch das Land Nordrhein-Westfalen sei zu gering, um den seit Jahren steigenden Kosten zu begegnen. Strom, Heizöl und Gas seien teurer geworden; Baumaßnahmen, Anmietungen, technische Ausstattung und Infrastruktur – das alles belaste den Haushalt, ohne, dass vom Land mehr Geld käme.

Dem widerspricht das SparUni-Bündnis nicht. Aber ergänzt: Auch Drittmittelprojekte belasteten die Grundmittel der Universität. Zwar würden mit Drittmitteln konkrete Forschungsprojekte und -personal bezahlt, die Infrastruktur, die genutzt würde, müsse aber von der Uni selber finanziert werden. Außerdem: Wenn es in den letzten Jahren tarifbedingte Gehaltssteigerungen für Mitarbeiter der Universität gegeben habe, seien diese ebenfalls nicht durch das Land ausgeglichen worden.

Die gestiegenen Kosten versuche die Universität zunächst in gleicher Weise auf alle ihre Bereiche zu verteilen. Das betrifft die Fakultäten, außer der Medizinischen Fakultät, die einen eigenen Haushalt hat und der Katholisch- und Evangelisch-Theologischen Fakultät, die von weiteren Einsparungen beide in ihrer Existenz bedroht wären. Auch betroffen sind zentrale Betriebseinheiten (etwa das Hochschulrechenzentrum) und zentrale wissenschaftliche Einrichtungen (etwa das Forum Internationale Wissenschaft), genauso wie die Universitätsverwaltung.

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Foto: Alexander Grantl / AKUT

Weitere Einsparungen sollen durch verschiedene andere Maßnahmen erreicht werden – darunter eben auch das unbefristete Nicht-Besetzen von Professuren, das »Einfrieren«. Welche Professuren genau betroffen sind, entscheiden die Fakultäten selbst. Sie bekommen die Personalmittel von der Universität zur Verfügung gestellt und können sie selbstständig verteilen. Am Ende ist entscheidend, ob die vom Rektorat vorgegebene Summe eingespart wurde. Theoretisch könnten die Einsparungen also auch ohne personelle Folgen auskommen – nur seien die Möglichkeiten an anderer Stelle zu sparen bereits ausgeschöpft, erklärt die Universität.

Ob das Defizit tatsächlich 8 Millionen Euro beträgt, ist dabei nicht einmal sicher. Die Entwicklung der Energiekosten beispielsweise lässt sich nicht abschließend vorhersagen – sie sind aber ein wichtiger Faktor für die Höhe des Defizits.

Und das ist nicht die einzige Frage zur Sparpolitik, die sich nicht so einfach beantworten lässt. Umso wichtiger ist dem SparUni-Bündnis Kommunikation, besonders mit der Leitung der Universität. Auf Facebook wies die Uni Bonn auf die Demonstration hin: »Das Rektorat begrüßt übrigens ausdrücklich, wenn Ihr Euch für die Belange unserer Universität engagiert.«

Und das tun sie – auch bei Regen. Lukas und das Bündnis »SparUni Bonn« werteten die Demonstration jedenfalls als Erfolg. Dass trotz des schlechten Wetters so viele Menschen demonstrierten, habe ihn überrascht – »wenn das kein Zeichen ist«. Am Poppelsdorfer Schloss war der Protestzug am Vormittag losgegangen, über den Kaiserplatz in die Nassestraße, von dort, am Hauptgebäude vorbei, über den Markt auf den Münsterplatz, wo die Abschlusskundgebung stattfand. Die Demonstration war zuvor mit verschiedenen Aktionen in der Öffentlichkeit beworben worden, etwa mit einem »Trauermahl« vor dem Poppelsdorfer Schloss.

Der tüchtige Herr Zemanek

Personen Das SP beherbergt die verschiedensten Persönlichkeiten. Viele Mitglieder zeigen beachtliches Engagement, andere zeigen nur, wie toll sie reden können.
Sven Zemanek ist kein SP-Mitglied. Und trotzdem immer da.

von ALEXANDER GRANTL

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Es gibt kaum eine Sitzung des SP, auf der Sven Zemanek nicht das Wort ergreift. Er spricht dann nicht besonders lange. Und er spricht nicht laut. Oft kann man ihn in den hinteren Reihen sogar gar nicht hören, weil die SP-Mitglieder so lange lieber Privatgespräche führen. Denn Sven spricht ja. Und was er sagt, das wird schon richtig sein.

Sven gilt als sehr korrekt. Auch, weil er oft andere korrigiert. Und dazu hat er viele Gelegenheiten, denn der Informatikstudent nutzt fast jede Möglichkeit studentischer Beteiligung: in der Informatik-Fachschaft (als Vorsitzender des Fachschaftsrats, in der Fachschaftsvertretung und in der Fachschaftenkonferenz), im SP als stellvertretender Vorsitzender des Satzungs- und Geschäftsordnungsausschusses (SGO) und im Wahlvorstand für die Gremienwahlen. 2015, 2014 und 2013 war er auch im Wahlausschuss des SP. Außerdem ist er Mitarbeiter im IT-Referat des AStA. Und das alles ist nur eine Auswahl.

Besonders im SP fällt eines aber auf: Sven ist kein Mitglied des Studierendenparlaments oder einer Hochschulgruppe. »Ich fühle mich keiner Hochschulgruppe zugehörig, bei jeder finde ich etwas, das mich stört«, sagt er. Wenn er sich für eine Gruppe entscheiden müsse, »dann würde ich eher zu der gehen, die am ehesten meine Hilfe braucht«. Von seiner Hilfe profitiert die Studierendenschaft aber auch so.

»Es ist sehr langweilig, was Sven macht, besonders das Satzungs- und Geschäftsordnungsgedöns«, sagt ein SP-Mitglied über ihn. Und wirft eilig hinterher: »Ich habe riesen Respekt vor seinem Engagement«. Eine andere Stimme findet »es schon krass, dass er diese Motivation hat, für solchen Formal-Scheiß – aber: Irgendeiner muss es ja machen.« Und Sven macht es: »Ich finde das spannend, was ich mache, egal ob andere das langweilig finden« – »Bist du ein Langweiler?« – »Ja«.

Sven genießt hohen Respekt von den meisten Seiten. Gerade, weil er sich von den manchmal kleinlich wirkenden Schusswechseln der Hochschulgruppen fernhält. Und, weil er viel arbeitet – unauffällig, wie ein Bühnenarbeiter im Hintergrund. Wenn er dann mal auf die Bühne tritt, um seine Arbeit vorzustellen, sucht er nicht die Aufmerksamkeit eines großen Publikums. Wie Ende April auf einer Sitzung des SP: Sven stellte als stellvertretender Vorsitzender des SGO-Ausschusses Änderungen der SP-Satzung, der Wahlordnung und der Geschäftsordnung vor. Nun sei genau geregelt, wie Mitglieder eines Ausschusses zurücktreten können. Und, wie man sie abwählen kann (mehr auf Seite 10). Dass währenddessen die Gesprächslautstärke im Saal hoch, aber die Aufmerksamkeit an seinen Ausführungen gering war, störte ihn nicht. »Ich möchte doch bloß die Dinge richtig machen«, sagt er leise, wenn man ihn nach seiner Motivation fragt.

Sven kommt aus der 3.500-Einwohner-Gemeinde Nesselwang im Ostallgäu, in Füssen hat er 2011 sein Abitur abgeschlossen – mit 1,0. Dass er nach Bonn gekommen sei, habe pragmatische Gründe – für Informatik gab es hier keinen NC. »Gehste da hin, schreibste dich ein, fertig«, sagt er. Nun ist er hier.

OFFENLEGUNG
Sven ist auch (!) Mitglied der AKUT-Redaktion und mit dem Autoren befreundet.

Rechtshilfeausschuss, die Zweite

Der Rechtshilfeausschuss kann Studierende unterstützen, die in Rechtsstreitigkeiten mit Bezug zur Uni verwickelt sind. Doch die Vergangenheit des Ausschusses warf Fragen auf – schon in der letzten AKUT berichteten wir. Dazu möchten wir etwas ergänzen – und etwas klarstellen.

von JONAS PRINSEN

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Hochschulpolitik kann eine komplizierte Angelegenheit sein – das lässt sich in der Recherche zur Vergabe von Finanzmitteln an den Rechtshilfeausschuss wieder mal feststellen. Es zeigt sich auch daran, dass wir im Artikel »Wir sind in den Startlöchern« in der letzten AKUT-Ausgabe leider nicht alle Fragen, die sich uns (und euch?) gestellt hatten, wirklich zufriedenstellend beantworten konnten. Das soll hier nachgeholt werden.

Zur Erinnerung: Alois Saß, der Finanzreferent des AStA, hatte die stufenweise Verdreifachung der Mittel im Kern mit einem »neuen Kriterienkatalog« gerechtfertigt, der 2011 im Ausschuss erarbeitet worden sei. Die zentrale Frage, die es noch zu klären gilt, lautet deshalb: Was ist das für ein Katalog? Gab es diesen überhaupt?

Bis jetzt ließen sich keinerlei Anzeichen dafür finden. Jetzt stützt Simon Hansen, der Vorsitzende von 2011, diese Darstellung: »Unter mir wurde mit der Ausarbeitung einer Satzung und eines Kriterienkataloges begonnen. …  Am Ende meiner Amtszeit hatten wir … einen Leitfaden und einen groben Katalog fertig gestellt, den wir auch an den nachfolgenden Ausschuss weitergegeben hatten.« Protokolle von Anfang 2011 belegen, dass der Vorsitzende mit der Ausarbeitung einer Satzung beauftragt wurde. Simon bestätigt auch Alois’ Angabe, dass die Mittelerhöhung vom Rechtshilfeausschuss selbst initiiert worden sei, aufgrund »der steigenden Anzahl an Anträgen«.

Man muss sich allerdings fragen, wie umfangreich die Arbeit an diesem Katalog und wie hoch die Anzahl an neuen Rechtshilfeanträgen gewesen sein kann: Inka Müller-Seubert, die stellvertretende Vorsitzende von 2011, spricht davon, dass es »fast nichts« zu tun gegeben und sich der Ausschuss in diesem Jahr »auch nur selten« getroffen habe. Dazu passt die Stellungnahme Stefano Meyers, der 2013 Vorsitzender des Rechtshilfeausschusses wurde. Er sagt: Das Einzige, was an internen Richtlinien vorgelegen habe, sei ein »rudimentärer Satzungsentwurf« gewesen, ungeeignet für eine »sachgerechte Mittelvergabe«. Der »Leitfaden« von 2011 muss – sofern man von der offiziellen Version ausgeht, dass es zwei verschiedene Dokumente gab, Leitfaden/Kriterienkatalog und Satzungsentwurf – also in der Zwischenzeit verloren gegangen sein. Der 2013er-Rechtshilfeausschuss  sah sich letztlich genötigt, einen komplett neuen Satzungsentwurf zu erarbeiten.

Vor dem Hintergrund dieser neuen Informationen – was bleibt von den Vorwürfen übrig? Mit Sicherheit kann jetzt gesagt werden: Der Vorwurf, im Budget des Rechtshilfeausschusses sei die letzten Jahre über eigenmächtig Geld »geparkt« worden, weil man im Finanzreferat nicht wusste, was man sonst damit machen sollte, trifft so nicht zu. Die Initiative ging auf jeden Fall auch vom Rechtshilfeausschuss aus, der – zumindest 2011 und 2013 – nicht untätig war und darauf hingearbeitet hat, seine eigentliche Aufgabe erfüllen zu können.

Aus unserer Sicht muss man an zwei Stellen aber weiter Kritik üben: Zum einen an der Kommunikation. Dass es hier Defizite gibt, wird zum Beispiel daran deutlich, dass es schon seit 2013 eine Satzung des Rechtshilfeausschusses gibt, die damals das SP passiert hat und die auch online gestellt wurde. Bis vor kurzem war diese aber nicht gültig – einfach aus dem Grund, weil sie offiziell nie bekannt gemacht wurde. Bei der Amtsübergabe wurde Hannah Birkhoff, die aktuelle Vorsitzende, darüber im Dunkeln gelassen. Zum anderen geht es noch einmal ums Geld: Im Haushaltsplan 2014/15 wurden die Mittel des Rechtshilfeausschusses noch einmal von vorher 10.000 auf aktuell 15.000 Euro aufgestockt. Für diese Erhöhung greift keiner der oben genannten Gründe. Sie wurde – nach Aussage der Vorsitzenden – auch nicht vom Rechtshilfeausschuss selbst angefragt!

Zum Schluss soll hier außerdem klargestellt werden, dass aus aller Kritik keine falschen Rückschlüsse auf den aktuell amtierenden Rechtshilfeausschuss, oder seine Vorsitzende Hannah Birkhoff, gezogen werden dürfen! Entscheidend für die Gründe der Budgeterhöhung ist die Zeit vor Hannahs Amtsantritt 2014. Auch gibt es keinerlei Anhaltspunkte, dass sie in irgendeiner Weise mit der aktuellen Erhöhung der Mittel zu tun hat. Prinzipiell muss hervorgehoben werden: Es geht hier nicht um Korruptionsvorwürfe! Es geht »lediglich« darum, Begründungen offenzulegen, weshalb studentisches Geld zu einem bestimmten Zweck eingesetzt wird.