Interview mit Prof. Dr. Rudolf Simek
Ein Professor ganz privat: Im Gespräch mit Varvara Stegarescu spricht Prof. Dr. Simek, Professor für Ältere Germanistik mit Einschluß des Nordischen, über mehr als dreißig Jahre Lehrtätigkeit, berufliche Alternativen und die Sinnhaftigkeit roter Ampeln.
Erinnern Sie sich an Ihre erste Vorlesung als Professor?
Ja, das war im Jahre 1980, in Wien. Es war meine erste Erfahrung als Lehrkraft an der Universität. Ich war damals 26 Jahre alt, also nicht viel älter als meine Studenten. Wir haben uns von Anfang an geduzt. Ich fand es spannend und interessant mit Studenten zu arbeiten.
Was fühlen Sie, wenn Sie im Hörsaal vor Hunderten von Studierenden stehen?
Es sind nicht mehr Hunderte, ein paar Dutzend. Wenn man vorne steht, hat man den Eindruck, dass man etwas vermitteln kann. Man kann die geistige Entwicklung der Studenten beeinflussen und begleiten. An der Universität zu lehren ist viel schöner als in der Schule. Die Studenten sind im Gegensatz zu den meisten Schülern interessiert.
Wären Sie gerne nochmal Student? Wenn ja, was würden Sie studieren wollen?
Ja sicher! Ich würde vielleicht Archäologie bzw. Ur- und Frühgeschichte studieren, oder dasselbe, was ich bereits studiert habe. Ich würde am liebsten im Ausland studieren, an einer reichen Universität, zum Beispiel in Norwegen.
Woran erinnern Sie sich gerne, wenn Sie an Ihre Studienzeit denken?
Woran ich mich gerne erinnere, ist die Tatsache, dass früher alles weniger verschult war, es gab keine Anwesenheitspflicht, und jeder war für seine Leistungen verantwortlich. Schöne Erinnerungen habe ich auch von Lehrenden, die ihre Vorlesungen mit brennendem Interesse vorgetragen haben!
Wie waren Sie als Student?
Interessiert, ja! Fleißig, ja! Zielstrebig, ja! Mit 20 wollte ich eine Yacht besitzen, um zu segeln. Mein Vater konnte aber verständlicherweise nicht ganz nachvollziehen, warum ein Student eine Yacht haben sollte. Also habe ich mich entschieden, selber Geld zu verdienen, um mir eine Yacht zu kaufen. Dafür habe ich die ganze Zeit als Werkstudent gearbeitet, das war manchmal sehr stressig. Mit 21 habe ich mir die Yacht gekauft, die Yacht gibt es bis heute noch!
Gibt es Unterschiede zwischen den Studierenden von gestern und den Studierenden von heute?
Ja, die Studenten von heute sind gezwungen, viel schneller und zielgerichteter zu studieren. Bei uns konnte man aus Interesse Kurse wählen, wir haben nicht auf die Leistungspunkte geschaut. Heute hat man viel weniger Freiheit. Das System erlaubt uns nicht, die Studenten im selben Ausmaß wie früher zu begeistern und zu begleiten.
Eine andere Entwicklung, die ich beobachtet habe, ist die Tatsache, dass die Deutschkenntnisse der deutschen Studierenden jedes Jahr schlechter werden. Das liegt an der Schulausbildung, es wird zu wenig Grammatik in der Schule unterrichtet.
Haben Sie eine Botschaft für die Bonner Studierende diesbezüglich?
Ja! Lernt aus Interesse, Neugier und für das Leben, nicht für Scheine und einen schnellen Universitätsabschluss.
Was schätzen Sie an dem deutschen Bildungssystem, wo sehen Sie die Defizite?
Ich schätze sehr die große Dichte an Universitäten in Deutschland. Wir haben ein Forschungsumfeld, in dem Austausch besteht. Das ist nicht zu unterschätzen. Als Defizite würde ich die Verschulung und die Unterfinanzierung der deutschen Universitäten nennen.
Was bemängeln Sie an der Bonner Universität?
Die unzähligen, zum Teil nur internen Vorschriften, mit denen man Studierenden und Lehrenden das Leben schwer macht, und die mangelnde Großzügigkeit im Umgang mit solchen Bestimmungen: Alles, aber auch alles braucht einen schriftlichen Antrag, niemand ist bereit, selbständig Verantwortung zu übernehmen. Auch Reformen und Veränderungen nur um der Reformen willen halte ich für unnötig und kontraproduktiv für die Forschungsarbeit: Ergebnisse in der Forschung können nur durch kontinuierliche Arbeit erzielt werden.
Es ist bekannt, dass die USA das Forschungsland Nummer 1. der Welt sind. Woran liegt es, dass Deutschland noch viel mehr tun muss, um ein vergleichbares Niveau zu erreichen?
Es liegt am System: Die Politik ist nicht bereit, ausreichende Mittel für die Finanzierung der Hochschulen zur Verfügung zu stellen. Man könnte den Föderalismus als Hindernis betrachten, ich denke aber, dass der deutsche Föderalismus bezüglich der Finanzierung der Hochschulen überwindbar ist. Die Universitäten müssen besser mit finanziellen Mitteln dotiert sein. Und wir haben ein Mentalitätsproblem: In der Öffentlichkeit genießen die Universitäten ein hohes Ansehen, man ist aber nicht bereit, dazu beizutragen.
Wie betrachten Sie die Debatte über die Akademikerquote in Deutschland?
Für mich spielt die Quote keine Rolle. Es ist egal, wie viele Teile der Bevölkerung einen Bachelor haben, das Bildungssystem wird dadurch nicht verändert. Mir geht es um die Qualität der Ausbildung – die erreicht man aber nicht durch das rasche Durchschleusen von möglichst vielen Bachelorabsolventen.
Wo finden Sie Ablenkung außerhalb der Universität?
Ich finde Ablenkung beim Segeln, bei Büchern und in guter Gesellschaft.
Was sind für Sie die wichtigsten Dinge im Leben?
Das Segeln, meine Kinder, und die Forschung.
Wofür meinen Sie, dass man Sie bezahlen würde, wenn Sie nicht Universitätsprofessor wären?
Ich könnte mir vorstellen, als Sachbuchautor zu arbeiten oder als Bootsbauer.
Hat ein Universitätsprofessor eigentlich auch Schwächen?
Ja, sicher, zum Beispiel habe ich eine große Schwäche für gutes Essen und Trinken!
Gehen Sie bei rot über die Ampel?
Ja, wenn keine Gefahr besteht! Es gibt ohnehin viel zu viele Regeln, und außerdem sind die Regeln für Menschen gemacht, und nicht die Menschen für die Regeln.
Gibt es noch eine Frage, auf die Sie noch keine Antwort gefunden haben?
Ja! Tausende! Jede Menge! Deswegen finde ich es so wichtig, mein Leben der Forschung zu widmen.
Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?
Genau hier, an der Universität. Ich möchte so lange wie möglich hier bleiben, um meine Forschungen und meine Lehre weiter zu betreiben, wenn meine Gesundheit es zulässt.
Vielen Dank für das Gespräch!