Das Leben in der Christen-WG
Das Studentenleben. Wilde Hauspartys, Sex und Spontaneität. Wärst du bereit, das alles aufzugeben? Vielleicht für eine Wohngelegenheit im Herzen Bonns?
Kaum eine Gehminute vom Uni-Hauptgebäude liegt St. Remigius. Dort findet jeden Sonntag die Messe der katholischen Hochschulgemeinde (KHG) statt. Riesige Kapelle, Kirchenfenster, hohe Decken — andächtige Stille.
Doch das ist nicht alles. Zum 2007 renovierten ehemaligem Franziskanerkloster gehören unter anderem ein Café, ein weiter Garten, ein richtiger Gewölbekeller, zwei Kapellen und noch viel, viel mehr – besonders Platz. Viel Platz, der auch den Mitbewohnern der WG zur Verfügung steht. Diese fünf Studierenden und zwei FSJler / BFDler wohnen im modernen Obergeschoss des Komplexes. Küche, getrennte Bäder, großer Gemeinschaftsraum, Waschraum und Balkon mit Blick auf ein unglaubliches Panorama – alles natürlich viel neuer und moderner als in einer üblichen Studenten-WG – Putzfrau inklusive. Des Weiteren gibt es für jeden Bewohner eines der sieben hell möblierten Zimmer à 12 Quadratmeter. Hier erwarten sie Modernität und Klosterambiente, Ruhe und Gesellschaft. Und das alles für nur 250 Euro warm monatlich. Doch wer sind diese privilegierten Fünf? Normale Studierende oder katholische Stubenhocker? Weder noch. Die Studierenden eint der Wunsch nach Glauben in Gemeinschaft.
Auch für Neuankömmlinge bietet das Kloster Sicherheit in einer festen Gruppe, viele Auswärtige suchen erst mal hier nach gesellschaftlichem Anschluss. Es gibt ihnen die Möglichkeit, sich in einer neuen Stadt zu orientieren. Sie vertrauen darauf, dass sich jemand in der Kirche um sie kümmert. Hier wird gemeinsam gelebt, gemeinsam gebetet, gemeinsam gegessen. Manchmal überkommt einen der Eindruck, dass es sich um eine abgeschottete Parallelwelt handelt. Aber das scheint nur so. Die Menschen hier sind in vielem anders und doch beruhigend normal. Auch hier gibt es Konflikte unter Mitbewohnern, andere wiederum sind gute Freunde und dann gibt es auch Mitbewohner, die verbringen so wenig Zeit wie möglich zusammen. Gemechu, einer der Mitbewohner, gibt offen zu, er habe am Anfang Angst um seine Freiheit gehabt.
Aber er habe verstanden, dass es einfach eine andere Art von Freiheit sei. Die Entscheidung zum Glauben ist schließlich freiwillig. Und wird einem das Ganze zu langweilig – das Blow-Up befindet sich direkt gegenüber.
Ist die Wohngelegenheit also auch etwas für Durchschnittsstudierende? Eher nicht. Natürlich wünschen sich alle Studierenden solche tollen Vorzüge. Aber es gibt schon einige Einschränkungen. Du bist ein Mann und deine Freundin möchte bei dir übernachten? Klar darf sie das, nur nicht in deinem Zimmer. Im Gemeinschaftsraum ist sie nach Absprache herzlich willkommen, Übernachtungen des anderen Geschlechts im eigenen Zimmer — unerwünscht. Du läufst gerne in Unterwäsche zu Hause rum? Hier besser nicht, in der Hausordnung wird ausdrücklich um „korrekte Kleidung“ gebeten. Auch Ruhe wird hier mehr geschätzt als laute Parties im Gewölbekeller. Bist du sowieso eher der ruhige, gesittete Typ? Dann herzlich willkommen in der wohl christlichsten WG Bonns. Und wie kommt man da ran?
Von diesem exklusiven Angebot erfährt man nicht ohne Weiteres. Weder auf der Website noch in dem Programmheft der Gemeinde wird darauf hingewiesen. Die Bewerber erfahren durch Mundpropaganda von den Wohnplätzen, werden vom Priester direkt angesprochen oder fragen auf gut Glück aus ganz Deutschland einfach mal nach, schließlich bieten auch viele andere Hochschulgemeinden in Deutschland Wohngelegenheiten an. Dies ist die erste Hürde, die zweite ist das Auswahlgespräch. Es treffen sich Priester, eventuell ein Mitglied des Pastoralteams, dazu gehören neben dem Priester noch drei weitere Mitglieder, und Bewerber zum Gespräch. Das Gespräch ist eine Mischung aus Offensichtlichem – Erwartungen für das Zusammenleben, Grund für die Bewerbung, Glaubensausrichtung – und Verwirrendem – „und was macht eigentlich dein Bruder nochmal?“. Eine Mischung aus Smalltalk und Prüfungssituation.
Der Bewerber verlässt den Raum mit einem unsicherem Gefühl. Schließlich sind die Wohnplätze in den letzten Jahren immer begehrter geworden. Wert gelegt wird bei der Auswahl auf eine ausgeglichene Mischung aus verschiedenen Nationalitäten und Studienrichtungen. Zusätzlich besteht die WG immer zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen. Außerdem sollten die Bewerber katholisch sein, den Willen haben, sich in eine christliche Gemeinschaft einzufügen und bereit sein, ehrenamtliche Dienste in der Gemeinde zu übernehmen. Man muss punkten mit nützlichen Eigenschaften. Bist du ein guter Fotograf? Dann hast du doch sicher Lust, Fotos für die Website zu schießen. Ausgewählt wird, wer brauchbare Talente mitbringt. Des Weiteren muss das Team abwägen, ob die Mitbewohner gut zusammenpassen. Denn die Bewohner selbst haben kein Mitspracherecht bei der Entscheidung und müssen sich mit den Neuen arrangieren. Die maximale Wohnzeit beträgt zwei Jahre — diese Wohnung ist ein Orientierungspunkt, keine Dauerherberge.
Auch das Zusammenleben gestaltet sich ein bisschen anders als bei den meisten Studierenden. Hier herrscht ein offenes Miteinander, wer gerne alleine ist, ist fehl am Platz. Jeder ist verpflichtet sich ehrenamtlich in der Hochschulgemeinde zu engagieren, als gestaltendes Mitglied im Gemeinderat, bei der Vorbereitung der Frühmesse und bei vielem mehr. An ein bis zwei verpflichtenden Wochenenden pro Semester lernen sich die Bewohner besser kennen. Sie fahren raus und verbringen Zeit miteinander, ob jetzt beim Wandern oder beim Paddeln, je nach Zeit und Lust, wichtig ist nur, dass sich alle näher kommen und Spaß haben. Auch findet alle 14 Tage ein WG-Abend statt, sie kochen zusammen, gehen spazieren oder bleiben einfach nur gemütlich zu Hause. Diese Treffen sind wichtig, es werden Konflikte zwischen Mitbewohnern mit WG und Pastoralteam besprochen, sich über das Leben ausgetauscht, gemeinsam gebetet und Freundschaften geschlossen. Ein Mitbewohner sagt dazu, dass er sich sogar gerne noch mehr Zeit zum Diskutieren wünsche. Das Pastoralteam und ein Mitbewohner, quasi als „Hausmutti“, kümmern sich während der Wohnzeit um anfallende Konflikte und die Koordinierung des Putzplans. Das bedeutet Kontrolle auf Vertrauensbasis. Es wird erwartet, dass die Mitbewohner ihre Pflichten erfüllen und die Hausordnung selbst einhalten. Trotzdem werfen Koordinator und Pastoralteam ein wachendes Auge auf die Gemeinschaft und schalten sich auch schon mal ein.
Die Autorin ist Mitglied der KHG