Dem Himmel so nah

Das Leben in der Christen-WG

Das Studentenleben. Wilde Hauspartys, Sex und Spontaneität. Wärst du bereit, das alles aufzugeben? Vielleicht für eine Wohngelegenheit im Herzen Bonns?

18-KHG

Kaum eine Gehminute vom Uni-Hauptgebäude liegt St. Remigius. Dort findet jeden Sonntag die Messe der katholischen Hochschulgemeinde (KHG) statt. Riesige Kapelle, Kirchenfenster, hohe Decken — andächtige Stille.

Doch das ist nicht alles. Zum 2007 renovierten ehemaligem Franziskanerkloster gehören unter anderem ein Café, ein weiter Garten, ein richtiger Gewölbekeller, zwei Kapellen und noch viel, viel mehr – besonders Platz. Viel Platz, der auch den Mitbewohnern der WG zur Verfügung steht. Diese fünf Studierenden und zwei FSJler / BFDler wohnen im modernen Obergeschoss des Komplexes. Küche, getrennte Bäder, großer Gemeinschaftsraum, Waschraum und Balkon mit Blick auf ein unglaubliches Panorama – alles natürlich viel neuer und moderner als in einer üblichen Studenten-WG – Putzfrau inklusive. Des Weiteren gibt es für jeden Bewohner eines der sieben hell möblierten Zimmer à 12 Quadratmeter. Hier erwarten sie Modernität und Klosterambiente, Ruhe und Gesellschaft. Und das alles für nur 250 Euro warm monatlich. Doch wer sind diese privilegierten Fünf? Normale Studierende oder katholische Stubenhocker? Weder noch. Die Studierenden eint der Wunsch nach Glauben in Gemeinschaft.

Auch für Neuankömmlinge bietet das Kloster Sicherheit in einer festen Gruppe, viele Auswärtige suchen erst mal hier nach gesellschaftlichem Anschluss. Es gibt ihnen die Möglichkeit, sich in einer neuen Stadt zu orientieren. Sie vertrauen darauf, dass sich jemand in der Kirche um sie kümmert. Hier wird gemeinsam gelebt, gemeinsam gebetet, gemeinsam gegessen. Manchmal überkommt einen der Eindruck, dass es sich um eine abgeschottete Parallelwelt handelt. Aber das scheint nur so. Die Menschen hier sind in vielem anders und doch beruhigend normal. Auch hier gibt es Konflikte unter Mitbewohnern, andere wiederum sind gute Freunde und dann gibt es auch Mitbewohner, die verbringen so wenig Zeit wie möglich zusammen. Gemechu, einer der Mitbewohner, gibt offen zu, er habe am Anfang Angst um seine Freiheit gehabt.
Aber er habe verstanden, dass es einfach eine andere Art von Freiheit sei. Die Entscheidung zum Glauben ist schließlich freiwillig. Und wird einem das Ganze zu langweilig – das Blow-Up befindet sich direkt gegenüber.
Ist die Wohngelegenheit also auch etwas für Durchschnittsstudierende? Eher nicht. Natürlich wünschen sich alle Studierenden solche tollen Vorzüge. Aber es gibt schon einige Einschränkungen. Du bist ein Mann und deine Freundin möchte bei dir übernachten? Klar darf sie das, nur nicht in deinem Zimmer. Im Gemeinschaftsraum ist sie nach Absprache herzlich willkommen, Übernachtungen des anderen Geschlechts im eigenen Zimmer — unerwünscht. Du läufst gerne in Unterwäsche zu Hause rum? Hier besser nicht, in der Hausordnung wird ausdrücklich um „korrekte Kleidung“ gebeten. Auch Ruhe wird hier mehr geschätzt als laute Parties im Gewölbekeller. Bist du sowieso eher der ruhige, gesittete Typ? Dann herzlich willkommen in der wohl christlichsten WG Bonns. Und wie kommt man da ran?

Von diesem exklusiven Angebot erfährt man nicht ohne Weiteres. Weder auf der Website noch in dem Programmheft der Gemeinde wird darauf hingewiesen. Die Bewerber erfahren durch Mundpropaganda von den Wohnplätzen, werden vom Priester direkt angesprochen oder fragen auf gut Glück aus ganz Deutschland einfach mal nach, schließlich bieten auch viele andere Hochschulgemeinden in Deutschland Wohngelegenheiten an. Dies ist die erste Hürde, die zweite ist das Auswahlgespräch. Es treffen sich Priester, eventuell ein Mitglied des Pastoralteams, dazu gehören neben dem Priester noch drei weitere Mitglieder, und Bewerber zum Gespräch. Das Gespräch ist eine Mischung aus Offensichtlichem – Erwartungen für das Zusammenleben, Grund für die Bewerbung, Glaubensausrichtung – und Verwirrendem – „und was macht eigentlich dein Bruder nochmal?“. Eine Mischung aus Smalltalk und Prüfungssituation.

Der Bewerber verlässt den Raum mit einem unsicherem Gefühl. Schließlich sind die Wohnplätze in den letzten Jahren immer begehrter geworden. Wert gelegt wird bei der Auswahl auf eine ausgeglichene Mischung aus verschiedenen Nationalitäten und Studienrichtungen. Zusätzlich besteht die WG immer zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen. Außerdem sollten die Bewerber katholisch sein, den Willen haben, sich in eine christliche Gemeinschaft einzufügen und bereit sein, ehrenamtliche Dienste in der Gemeinde zu übernehmen.  Man muss punkten mit nützlichen Eigenschaften. Bist du ein guter Fotograf? Dann hast du doch sicher Lust, Fotos für die Website zu schießen. Ausgewählt wird, wer brauchbare Talente mitbringt. Des Weiteren muss das Team abwägen, ob die Mitbewohner gut zusammenpassen. Denn die Bewohner selbst haben kein Mitspracherecht bei der Entscheidung und müssen sich mit den Neuen arrangieren. Die maximale Wohnzeit beträgt zwei Jahre — diese Wohnung ist ein Orientierungspunkt, keine Dauerherberge.

Auch das Zusammenleben gestaltet sich ein bisschen anders als bei den meisten Studierenden. Hier herrscht ein offenes Miteinander, wer gerne alleine ist, ist fehl am Platz. Jeder ist verpflichtet sich ehrenamtlich in der Hochschulgemeinde zu engagieren, als gestaltendes Mitglied im Gemeinderat, bei der Vorbereitung der Frühmesse und bei vielem mehr. An ein bis zwei verpflichtenden Wochenenden pro Semester lernen sich die Bewohner besser kennen. Sie fahren raus und verbringen Zeit miteinander, ob jetzt beim Wandern oder beim Paddeln, je nach Zeit und Lust, wichtig ist nur, dass sich alle näher kommen und Spaß haben. Auch findet alle 14 Tage ein WG-Abend statt, sie kochen zusammen, gehen spazieren oder bleiben einfach nur gemütlich zu Hause. Diese Treffen sind wichtig, es werden Konflikte zwischen Mitbewohnern mit WG und Pastoralteam besprochen, sich über das Leben ausgetauscht, gemeinsam gebetet und Freundschaften geschlossen. Ein Mitbewohner sagt dazu, dass er sich sogar gerne noch mehr Zeit zum Diskutieren wünsche. Das Pastoralteam und ein Mitbewohner, quasi als „Hausmutti“, kümmern sich während der Wohnzeit um anfallende Konflikte und die Koordinierung des Putzplans. Das bedeutet Kontrolle auf Vertrauensbasis. Es wird erwartet, dass die Mitbewohner ihre Pflichten erfüllen und die Hausordnung selbst einhalten. Trotzdem werfen Koordinator und Pastoralteam ein wachendes Auge auf die Gemeinschaft und schalten sich auch schon mal ein.

Die Autorin ist Mitglied der KHG

Zwei Zimmer, Küche, Opa

„Wohnen für Hilfe“ denkt die WG neu

Das Leben in einer Wohngemeinschaft ist bunt, aufregend und nie langweilig. Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Vorlieben und Macken leben unter einem Dach. Da ist immer was los, man lernt viel voneinander – oder auch nicht. Allein ist man jedenfalls nie – und genau das macht die Vorstellung des WG-Lebens für ältere Menschen so attraktiv.

Wohnraum ist knapp – das ist nicht neu. Wohnheime führen ewig lange Wartelisten, Vermieter laden zu Massenbesichtigungen und Studenten-WGs zu skurrilen Castings ein. Zelten vor der Uni, Couchsurfing, Nächtigen im Hotel – Wohnungssuchende werden wissen, dass diese Ideen gar nicht mehr so abwegig sind, so groß scheint die Not auf dem umkämpften Wohnungsmarkt. Umso mehr gewinnen alternative Wohnformen an Bedeutung, so auch das Projekt „Wohnen für Hilfe“.

Nach Angaben der Bonner Stadtverwaltung lebten 2007 etwa 22.000 Senioren teils allein in großen Wohnungen oder Häusern. Viele von ihnen plagt die Einsamkeit, ängstigt die Stille. Sie wünschen sich Gesellschaft und Unterstützung. Genau an dieser Stelle setzt das Projekt „Wohnen für Hilfe“ an. Die Idee scheint simpel: Senioren, Familien, Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung, die einen eigenen Haushalt führen und sich Gesellschaft, Unterstützung und Sicherheit durch Studierende wünschen, stellen Wohnraum zur Verfügung. Im Gegenzug unterstützen die Studierenden den Wohnraumanbieter bei der Verrichtung alltäglicher Aufgaben. Dabei gilt: Pro Quadratmeter überlassenen Wohnraum wird eine Stunde Hilfe monatlich geleistet, Pflegeleistungen ausgeschlossen. Miete wird nicht gezahlt, lediglich die Nebenkosten müssen selbst übernommen werden. Zu den Aufgaben, die individuell im Rahmen eines Wohnraumüberlassungsvertrags fixiert werden, können Aktivitäten wie Einkaufen, Kochen, Putzen, Gartenarbeit und handwerkliche Tätigkeiten zählen. Eine generationsübergreifende Win-Win-Situation?

Vielleicht bald dein Mit­bewohner? Ein Opa. Bild: sxc.hu /Kirk­Mcgirt

Vielleicht bald dein Mit­bewohner?
Bild: sxc.hu /Kirk­Mcgirt

Das sieht zumindest Monika so. Sie ist 61 Jahre alt und derzeit auf der Suche nach einer neuen Mitbewohnerin. „Für mich stellt diese Wohnform eine Bereicherung dar. Ich wohne dann nicht mehr alleine und habe einen netten jungen Menschen im Haus.“ Nachdem sie ein halbes Jahr mit einer Studentin in ihrer Wohnung in Bonn zusammengelebt hat, ist diese kürzlich ortswechselbedingt aus der WG ausgezogen. „Ich hatte großes Glück mit ihr als Mitbewohnerin. Die Beziehung dauert auch noch an, sie kommt mich diese Woche besuchen.“ Nachteile an dieser Wohnform sieht Monika keine. „Ich muss mich allerdings absolut auf meine Mitbewohnerin verlassen können. Und bevor ich das Risiko eingehe, die falsche Person in meinem Haus wohnen zu haben, bleibt das Zimmer eben frei.“

Der 27jährige Janis studiert Sonderpädagogik in Köln und lebt dort seit mehr als zwei Jahren in einer Wohnpartnerschaft mit einer 82jährigen Dame. „Da ich in einer separaten Wohnung auf demselben Hausflur wohne, gestaltet sich die Situation schon etwas anders als in den meisten Fällen bei Wohnen für Hilfe. Nach der Uni klingele ich jeden Abend bei ihr und frage, ob sie irgendwelche Hilfe benötigt.“ Als Motivation für eine solche Wohnform sieht Janis eindeutig das Zwischenmenschliche. Aber auch der finanzielle Aspekt spielt eine große Rolle für ihn. „Die Wohnung und ihre Lage liegen deutlich über dem Niveau, das ein Student sich sonst leisten könnte.“

Neben Janis sind in Köln seit 2009 etwa 220 solcher Wohnpartnerschaften entstanden. Das Kooperationsprojekt zwischen Stadt, Universität und Seniorenvertretung Köln läuft seit dem Jahre 2009 wieder auf Hochbetrieb. Zuvor war das Projekt ab 2005 drei Jahre lang durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW gefördert worden. Unter der Projektleitung von Heike Bermond und Sandra Wiegeler finden Menschen älteren und jüngeren Semesters zusammen. Unterstützung erfahren sie dabei durch eine studentische Hilfskraft. „Unsere Arbeit besteht hauptsächlich aus Kommunikation. Wir sprechen mit Studierenden, mit Wohnraumanbietern und schauen dann, was passen könnte.“ Nachdem das Projektteam Gespräche mit interessierten Studierenden geführt hat, trifft es sich mit den Wohnraumanbietern und prüft das entsprechende Wohnobjekt vor Ort auf Vermittlungsfähigkeit.  „Auch für uns ist das eine ganz spannende Aufgabe. Man öffnet die Tür und weiß nicht, was kommt.“ Bei einem ersten Gespräch der potentiellen Wohnpartnerschaft halten sie sich bewusst zurück und begleiten nur auf Anfrage. Heike Bermond hat die Erfahrung gemacht, dass „es sonst schnell einen Kontrollcharakter erhält und die Stimmung künstlich wirkt“. Ausdrücklich empfohlen wird hingegen das Probewohnen, um nicht gleich „die Katze im Sack zu kaufen“. Doch auch über die Vermittlung des Wohnpartners und Abschluss des Wohnraumüberlassungsvertrags hinaus betreut die Projektleitung die Wohnpartnerschaften. Ihrer Verantwortung ist sich die Projektstelle dabei bewusst. „Die Wohnraumanbieter vertrauen uns völlig.“ Doch natürlich gibt es auch skeptische Stimmen und Ängste zwischen den Generationen. Sorgen Studierende sich besonders vor völliger Vereinnahmung durch den Wohnpartner, so fürchten ältere Menschen sich häufig vor „studentischem Verhalten“ inklusive Party, Drogen und lauter Musik. Doch die Vorurteile lassen sich erfahrungsgemäß schnell abbauen, da die Interessenten an diesem Projekt allgemein durchaus offen eingestellt sind.  Diese alternative Wohnform wird in Köln gut angenommen – davon zeugen auch die knapp 2500 Anfragen, die nicht berücksichtigt werden können, weil die Interessenten beispielsweise keine Studierenden sind oder nicht aus Köln kommen.

Auch in anderen Städten NRWs wie Düsseldorf, Siegen, Paderborn und Münster gibt es das Wohnprojekt bereits seit Längerem. „Wieso also nicht in Bonn?“, dachte sich Alice Barth, und setzt sich inzwischen in der AStA-Projektstelle „Studentisches Wohnen“ für die Einführung dieser alternativen Wohnform in Bonn ein. Begonnen hat ihr Engagement mit einer Umfrage zur Wohnsituation Bonner Studierender. Seit Anfang dieses Jahres arbeitet sie nun an der Ausarbeitung des Konzepts, verschafft sich einen Überblick über die Erfahrungen des Wohnprojekts in anderen Städten und sucht Sponsoren. „Als Anschubfinanzierung für das erste Projektjahr, beginnend ab Herbst 2013, ist ein Antrag auf Förderung einer Stiftung vorgesehen, mit dem eine 400-Euro-Stelle bezahlt werden soll. Geplant sind diverse Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit, Informationsgespräche mit Interessenten und eine individuelle Vermittlung und Betreuung der Wohnpartnerschaften.“

Alice zeigt sich optimistisch. „Zum Teil habe ich das Gefühl, man rennt offene Türen ein, weil so viele Leute das Projekt gut finden.“

Auf der Party teilt man Snack und Swag. Zeichnung: Valerie Esch

Auf der Party teilt man Snack und Swag.
Zeichnung: Valerie Esch

„Der Euro schafft nur Streit“

Bonner Politologe gibt der AfD ein Gesicht
von Michael Herth

Im Büro von Stefan Fuchs scheint bis ins kleinste Detail alles seinen Platz zu haben. Ein paar Bilder schmücken die weißen Wände. Unmengen Bücher und Ordner füllen die Regale. Stefan Fuchs beschäftigt sich nicht nur mit Politik, er macht jetzt auch Politik. Seit kurzem ist er stellvertretender Kreisvorsitzender für Bonn der erst im April dieses Jahres gegründeten Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD). Das Kernthema der Partei ist Wirtschaftspolitik. Die Euro-Krise und der Euro sollen überwunden werden. Hochkomplexe wirtschaftliche Angelegenheiten stehen im Fokus der Partei. Der Geisteswissenschaftler Fuchs ist allerdings weniger in der Finanzpolitik zu Hause. Sein Fachgebiet ist die Familienforschung und der demographische Wandel. Gerade hat er seine Promotion zum Thema: „Mehr Kinder durch weniger Familie? Die Politik der Defamilialisierung und die niedrige Fertilität in Deutschland“ zum Abschluss gebracht. Dennoch: von Anfang an sei er dabei gewesen, berichtet er. Hörte den Parteivorsitzenden Bernd Lucke schon öfters reden. Fand die Idee gut. Wollte dabei sein, wenn eine Partei von null an startet.
Fuchs bat um dieses Gespräch, nachdem die „akut“ bereits in der letzten Ausgabe über die „Anti-Euro-Partei“ berichtet hatte. Das ganze Gespräch über scheint der Politologe zu wissen, wovon er spricht. Schmeißt mit Zahlen und Statistiken nur so um sich. Nennt dutzende, mehr oder weniger, bekannte Wissenschaftler, Politiker und Unternehmer, die nun alle der AfD angehören. Sie alle wissen und wussten schon vorher, dass der Euro scheitert.

Macht jetzt Politik, anstatt die nur zu beschreiben: Stefan Fuchs. Der Politikwissenschaftler hatte sich zuletzt mit der Fertilität in Deutschland beschäftigt, jetzt geht es ihm um die Rettung vor dem Euro.

Macht jetzt Politik, anstatt die nur zu beschreiben: Stefan Fuchs. Der Politikwissenschaftler hatte sich zuletzt mit der Fertilität in Deutschland beschäftigt, jetzt geht es ihm um die Rettung vor dem Euro.

Herr Fuchs, warum sind Sie in die AfD eingetreten?
Ich wollte bei der Wahl wieder eine Wahl haben. Erwartet hatte ich, dass die Gründungsphase einer neuen Partei etwas chaotisch ist. Beim Gründungsparteitag der AfD-NRW in Rommerskirchen war ich dann aber von der Atmosphäre positiv überrascht, so dass ich sofort wusste, dass das die richtige Entscheidung war, sich da anzuschließen. Die Mehrheit der Leute ist umgänglich, sachlich und kompetent.

Was genau missfällt Ihnen denn an den anderen, etablierten Parteien?
Es geht um die Euro-Rettung. Das ist der Dreh-und Angelpunkt, um den es der AfD geht. Also eine Politik, die rechtsbeugend und ökonomisch widersinnig ist, die Europa auseinander führt, kann ich nicht unterstützen. Die „Euroretter“ verhalten sich wie ein Familienvater im Spielkasino, der sich nicht traut, den Spielverlust seiner Frau einzugestehen. Und deswegen immer weiter spielt, bis er schließlich sein ganzes Heim verzockt hat. Und genau das ist die Situation. An dieser verfahrenen Lage etwas zu ändern – das ist innerhalb der etablierten Parteien nicht möglich.

Die AfD wirbt nun ja mit sehr prägnanten Forderungen: Den Euro-Raum aufzulösen, die D-Mark wieder einzuführen. Was gefällt Ihnen denn nicht am Euro?
(zeigt auf Tabellen und Statistiken) Was einem nicht am Euro gefällt, kann man einfach darstellen: Der Euro ist ein beschäftigungs- und sozialpolitischer Misserfolg. Nehmen wir das Beispiel Portugal. Sie haben dort eine Verdreifachung der Arbeitslosenzahlen seit Einführung des Euros. Gleichzeitig hat sich der Schuldenstand des Landes verdreifacht.
An diesem Desaster ist der Euro schuld: Die Schulden konnte Portugal nur derart hochfahren, weil es durch den Euro niedrige Zinsen hatte. Also mit den früheren, höheren Zinssätzen in ihren Nationalwährungen hätten die Politiker in Südeuropa, also Spanien, Portugal, Griechenland, die Verschuldung nicht so ausweiten können. Weil die hohen Zinsen das gestoppt hätten. Die Sanktion durch höhere Zinsen ist erfahrungsgemäß das einzige, was die Verschuldung effektiv bremst. Irgendwelche Schuldengrenzen im Gesetzblatt helfen da nicht, unverbindliche Bekenntnisse zur „Konsolidierung“ auf Regierungsgipfeln erst recht nicht. Höhere Zinsen als Warnsignal des Marktes bremsen dagegen die Verschuldung. Mit ihrer sog. Rettungspolitik versuchen die Regierungen und mehr noch die Europäische Zentralbank diese Marktmechanismen auszuschalten. Sie verhalten sich wie ein fiebernder Kranker, der sein Fieberthermometer zerschlägt.

Aber was passiert nach einer möglichen Abschaffung des Euros? Was passiert mit der EU?
Der Euro ist kein Bindemittel. Der Euro schafft in Europa nur Streit. Es gab 50 Jahre europäische Integration ohne den Euro. Frieden und Währungsunion haben nichts miteinander zu tun. Jugoslawien hatte eine gemeinsame Währung und ist trotzdem im Bürgerkrieg auseinandergefallen. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, wie problematisch Währungsunionen sind – die lateinische Münzunion ist dafür ein einschlägiges Beispiel.

Was ist mit Mittelosteuropa? Besonders dort sind es doch die Währungsunion und der Euro, die die wirtschaftlich schwächeren Länder zum westlichen Markt bewegt haben. Was passiert mit diesen Ländern, die auf die EU und den damit verbundenen Markt angewiesen sind?
Die mittelosteuropäischen Staaten orientieren sich zurzeit am Euro. Wenn es den nicht mehr gäbe, würden sie sich an der D-Mark orientieren. Die D-Mark würde dieselbe Funktion
erfüllen. Die hat schon in den 1980er Jahren als Leitwährung gedient. Faktisch hat sich damals die Wirtschaft besser entwickelt als jetzt unter dem Euro. Sicher hat der Euro auch ein paar Vorteile (kein lästiges Geldwechseln bei Reisen nach Italien etc.), aber es gibt eben auch riesige Nachteile. Jetzt ist der Euro aber da, die Frage ist wie kommt man da jetzt wieder raus…

…und das wäre meine nächste Frage gewesen. Wie stellt sich die AfD einen Euro-Ausstieg überhaupt vor, logistisch und pragmatisch gesehen? Wie könnte man die D-Mark denn wieder einführen?
Es geht ja nicht darum, einfach zur früheren D-Mark zurückzukehren. Ebenso wenig, wie sie zweimal in denselben Fluss steigen, können Sie das frühere Währungssystem wieder einführen. Es gibt aber verschiedene bedenkenswerte Vorschläge, was Auswege aus dem Euro-Dilemma angeht.

Zum Beispiel der „Nord-Euro“.
Das ist einer der Vorschläge.

Was ist daran dann wieder anders? Das ist auch eine Wirtschaftsunion.
Ja, aber zwischen wirtschaftlich homogeneren Räumen. Die Südeuropäer würden so die für sie überharte Währung loswerden. Und könnten wieder Exportvorteile haben und günstiger Dienstleistungen anbieten, zum Beispiel im Tourismus. Und natürlich, dieses Umschalten auf eine neue Währung ist kompliziert und es kann ungemein viel schief gehen. Man braucht da Anpassungsmechanismen. Bernd Lucke sagt, man müsse an drei Punkten arbeiten, denn wir haben ein Bankenproblem, ein Staatsschuldenproblem und ein Wettbewerbsproblem. Und die Schäuble-Strategie setzt immer nur bei den Staatsschulden an. Lucke möchte dagegen über sog. „Parallelwährungen“ die Wettbewerbsfähigkeit der Südländer verbessern und den Bankensektor reformieren, bevor die Steuerzahler wieder bluten müssen, sollen zuerst die Anteils-eigner ihren Konsolidierungsbeitrag leisten.

Das sind alles hochkomplexe Themen. Wie wollen Sie das dem Wähler verkaufen?
Ich denke, dass sehr viele ein Unbehagen spüren und wissen, dass es so nicht weiter gehen kann. Sie sehen, wie sie um ihre Ersparnisse und damit um ihre Altersvorsorge geprellt werden. In so einer Situation und mit solchen Politikern, deren Unfähigkeit Lösungen zu finden offenkundig ist, kann man nicht mehr weitermachen. Leute wie Bernd Lucke, die auch ökonomischen Sachverstand haben, die kann ich in der heutigen Bundesregierung und in der Opposition nicht erkennen. Sachverständige wie der frühere sächsische Ministerpräsident Prof. Georg Milbradt (CDU) sagen es deutlich: Der Euro war die dümmste wirtschaftspolitische Entscheidung seit Ende des zweiten Weltkrieges. Zu diesem Eingeständnis sind die etablierten Parteien nicht bereit. Deshalb braucht es einfach eine neue politische Alternative mit mehr Realitätssinn und mehr Sachverstand.

Ist es nicht das große Problem der AfD, dass sie eine monothematische Partei ist?
Ich sehe das eher so, dass wir die Partei sind, die das entscheidende Thema behandelt. Alle anderen Parteien versuchen nur Nebenschauplätze aufzuziehen. Wenn die diese Politik so weiter betreiben, landen wir irgendwann bei italienischen Verhältnissen.

Sprechen wir über die Integrationspolitik. Dazu nimmt die AfD in ihrem Wahlprogramm auch Stellung. Und da fordern Sie „qualifiziertere und integrationswilligere“ Zuwanderer für Deutschland. Eigentlich ist doch jeder Zuwanderer integrationswillig.
Also zunächst brauchen wir mehr nationale Kompetenzen in der Zuwanderungspolitik. Wir haben in vielen Städten Armutseinwanderung aus Südosteuropa. Und den betroffenen Kommunen sind die Hände gebunden, sie dürfen nicht einmal Krankenversicherungsnachweise verlangen als Zuwanderungsvoraussetzung. Auch dieses Problem ignoriert die Europäische Kommission. Daher müssen dringend wieder Kompetenzen auf die nationale Ebene zurückgeholt werden, um Zuwanderung steuern zu können. Das ist unerlässlich.
Ich würde gern nochmal bei der Integrationspolitik bleiben, weil das auch ein Thema ist, das mit der Euro-Krise zusammenhängt. Da möchte ich aus ihrem Wahlprogramm zitieren: „nur ernsthaft politisch Verfolgten“ solle man Asyl anbieten. Was ist damit gemeint?
Wir haben ein geltendes Asylrecht. Und wir stehen zu diesem Asylrecht. Aber es muss natürlich auch angewandt werden. Die Zuwanderung, die uns zurzeit beschäftigt, hat mit dem Asylrecht gar nichts zu tun. Es geht um die EU-Freizügigkeit innerhalb der 27 EU-Länder. Und da gibt es Länder, die etwas vorschnell in die EU aufgenommen worden sind, sprich Rumänien und Bulgarien. Aus guten Gründen wird daher gefordert, zumindest vorübergehend, wieder VISA einführen und Grenzen kontrollieren.

Also mehr Nationalstaatlichkeit.
Mehr Subsidiarität. Und das bedeutet weniger Zentralismus und mehr Regelungskompetenzen auf der passenden Zuständigkeitsebene. Es geht darum, die Vielfalt in der Union zu erhalten. Und das erfordert zum Beispiel nicht die Beibehaltung des Euros. Aber möglichst die Beibehaltung des Binnenmarktes und der Freizügigkeit in Europa.

Abschließend Herr Fuchs, was wünschen und erhoffen Sie sich für die Bundestagswahl? Und was glauben Sie, wie viel Prozent die AfD erreichen könnte?
Ich bin sicher, dass die AfD in den Bundestag einzieht und das Kartell der Euro-Rettungsparteien im Bundestag aufbrechen kann.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Fuchs.

Mann, Mann, Mann!

Am Juridicum sucht man eine Kollegin

Die juristische Fakultät hat Probleme, Professorinnen zu berufen. Von der Gleichstellungsbeauftragten gibt es trotzdem gute Noten für ehrliches Bemühen.

Sechsundzwanzig zu eins — manchmal reicht ein Blick auf die Statistik, um zu erkennen, dass etwas ganz gewaltig schief gelaufen ist. Sechsundzwanzig Kollegen steht Frau Prof. Nina Dethloff, Inhaberin eines Lehrstuhls für Bürgerliches Recht in Bonn, gegenüber. Das ergibt einen Frauenanteil von 3,7 % – ein auch im NRW-Vergleich (17 %) bescheidener Wert. Innerhalb des nächsten Jahres wird die Professorenschaft am Juridicum gleich drei Mal die Gelegenheit haben, Korrekturen vorzunehmen: Die Professoren für internationales Privatrecht Roth und Köndgen verabschieden sich in den Ruhestand, der Zivilprozessrechtler Prof. Wagner nach Berlin. Drei Professuren der höchsten Besoldungsstufe, W 3, können neu besetzt werden. Wird die gute Gelegenheit, ein paar Frauen nach Bonn zu lotsen, genutzt? Es sieht nicht danach aus.
Ein Blick auf die Liste der „Bewerbervorträge“, für die beiden IPR-Professuren zeigt: eine Frau stand sechs männlichen Konkurrenten gegenüber. Ist hier ein auf Besitzstandswahrung bedachtes Männerkollektiv am Werk? Ist die eingeladene Bewerberin nur Feigenblatt, um sich Diskriminierungsvorwürfe vom Hals zu halten? Man muss kein Schelm sein, um die bekanntermaßen konservativen Juristen dessen zu verdächtigen.

Attestiert den Juristen ehrliches Bemühen: die Gleichstellungs­beauftragte der Universität, Ursula Mättig.

Attestiert den Juristen ehrliches Bemühen: die Gleichstellungs­beauftragte der Universität, Ursula Mättig.

Ein Anruf bei der Gleichstellungsbeauftragten der Universität, Ursula Mättig, bringt aber Erstaunliches zu Tage: „Die justistische Fakultät ist sich des Problems ausdrücklich bewusst. Da hat sich einiges geändert.“, urteilt Mättig. Auch für den Leiter der Berufungskommission für die Nachfolge Köndgen/Roth, Prof. Zimmer, hat sie viel Lob übrig. Dieser sei durchaus interessiert am Thema Frauenförderung. Eine Aussage, die sie auf die Fakultät als Ganzes erweitert: „Das Problembewusstsein ist da. Das liegt sicher auch daran, dass es einen Generationswechsel bei den Professoren gab und für diese ist es viel selbstverständlicher, sogar wünschenswert, Kolleginnen zu haben.“ Das Problem liegt demnach nicht in den Berufungskommissionen, sondern schon bei den Bewerbungen. „Unter den Bewerbungen für die W-3-Professuren für die Nachfolge von Köndgen und Roth waren ca. 9% der Bewerbungen von Wissenschaftlerinnen. Bei den zum Vortrag eingeladenen lag der Frauenanteil bei ca. 25%. Diese Zahlen zeigen, dass Wissenschaftlerinnen durchaus Chancen eingeräumt werden“, erläutert Mättig. Dafür, dass eine von zwei zum Vortrag eingeladene Bewerberin ihre Bewerbung zurückgezogen hat, kann die Universität nichts.

Frauenanteil am Juridicum

  • Erstsemester (im WiSe 12/13): 62 %
  • Abschluss 1. Staatsexamen (2010/11): 50 %
  • Abgeschlossene Promotionen (2010/11): 37 %
  • Abgeschlossene Habilitationen (2009-heute)
    (von 2011-heute: 3 Frauen, 5 Männer): 25 %
  • Professorenschaft: 3,7 %

Was also sind die Ursachen für die geringe Anzahl an Bewerberinnen? Immerhin ist eine W-3-Professur an einer renommierten Universität doch eines der zentralen Karriereziele in einer wissenschaftlichen Laufbahn. Prof. Zimmer möchte zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu diesem Thema nicht zitiert werden. Dies ist verständlich, da die Kommission ihre Liste (siehe Kasten) beschlossen hat, welche nun ihren Weg durch die Instanzen der Universität antritt. Eine Äußerung während des laufenden Verfahrens könnte Irritationen auslösen.
Noch nicht so weit fortgeschritten ist die Neubesetzung der Professur „Nachfolge Wagner“ im Zivilprozessrecht. Der dortige Leiter der Berufungskommission, Prof. Brinkmann, kämpft mit ähnlichen Problemen. Kurz vor Ende der Bewerbungsfrist kann er die Bewerbungen von Frauen noch locker an einer Hand abzählen. Dabei steht für ihn als Professor außer Frage, „dass wir an einer Erhöhung des Anteils der Professorinnen arbeiten müssen.“

Das Büro der Gleichstellungsbeauftragten gibt Berufungskommissionen verschiedene Ratschläge, wie im Bewerbungsverfahren der Frauenanteil erhöht werden kann. Unter dem Stichwort „proaktives Vorgehen“ werden insbesondere Datenbanksuchen und gezielte Ansprache von potentiellen Bewerberinnen diskutiert. „Durch die Benennung einer hochqualifizierten Kollegin als auswärtiges Kommissionsmitglied haben wir nicht nur den Sachverstand der Kommission erheblich vertieft, sondern auch den Frauenanteil unter den Kommissionsmitgliedern erhöht. Ferner habe ich mich bereits auf der Datenbank academia-net informiert.“, erklärt Brinkmann hierzu. Eine gezielte Ansprache von potentiellen Bewerberinnen betrachtet er aber mit Skepsis und verweist auf den sehr kleinen Arbeitsmarkt: „Im deutschsprachigen Raum gibt es insgesamt höchstens 70 Stellen, die in der Denomination eine Spezialisierung im Prozessrecht ausweisen. Wenn eine dieser Stellen neu zu besetzen ist, ist das unter den in Betracht kommenden Kollegen und Kolleginnen bekannt.“ Demnach sei die Tatsache, dass sich jemand nicht bewirbt so zu verstehen, dass die Person kein Interesse an der Stelle habe. Dies gilt sogar als ein besonders anständiges Verhalten. Immerhin ist es durchaus möglich, dass Professorinnen und Professoren den Ruf an eine andere Universität ausschließlich nutzen, um sich gegenüber ihrer eigenen Universität in eine gute Verhandlungsposition zu bringen. An einem Wechsel besteht dann zu keinem Zeitpunkt ein echtes Interesse. Wenn alle Kandidatinnen und Kandidaten auf einer Liste so vorgehen, „platzt“ diese und das Bewerbungsverfahren muss wieder bei null beginnen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass geeignete Personen, die auf diese Möglichkeit freiwillig verzichten, nicht gezielt zu einer Bewerbung ermuntert werden sollen. „Ein weiteres Problem liegt darin, dass eine Aufforderung zu einer Bewerbung oft als Zusage eines aussichtsreichen Listenplatzes verstanden wird.“, fährt Brinkmann fort, „Eine solche Zusage kann ich aber nicht abgeben, da die Listenbildung der Berufungskommission obliegt und ich dieser nicht vorgreifen kann und will. Insofern besteht bei einer Aufforderung zur Bewerbung immer die Gefahr, Erwartungen zu wecken, die hinterher enttäuscht werden.“

Eine Argumentation, der auch die Gleichstellungsbeauftragte Frau Mättig folgt. Genau wie Prof. Brinkmann hält sie das Problem für grundsätzlicher. Dieser sieht die Professur in Konkurrenz um die besten Bewerberinnen mit einem anderen juristischen Berufszweig: „Es ist für viele unserer zahlreichen begabten Absolventinnen nach dem Examen oder der Promotion sehr attraktiv, eine Stelle als Richterin anzutreten. Der Richterdienst bietet eine fast einzigartige Kombination aus anspruchs- und verantwortungsvoller Tätigkeit bei familienfreundlichen Arbeitszeiten und Karriereaussichten. Die Karriere an der Hochschule ist demgegenüber mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet und verlangt von der ganzen Familie ein hohes Maß nicht zuletzt an räumlicher Flexibilität.“ Eine kurzfristige Lösung für dieses Problem sieht Brinkmann nicht, schlägt aber vor, erfolgreiche Praktikerinnen, zum Beispiel Anwältinnen, für Lehrtätigkeiten zu gewinnen. Für den Bereich Zivilrecht sei dies vor kurzem gelungen, sodass jetzt einige Schwerpunktvorlesungen von Frauen gehalten werden.

Mittelfristig kann es aber nur über eine gezielte Frauenförderung, die schon auf unterer Ebene greift, funktionieren. So sollen talentierte Studentinnen gezielt zur Promotion ermutigt werden. Die Fakultät wird in den nächsten Tagen über einen Gleichstellungsplan entscheiden, welcher den Aufbau eines Mentoring-Programms für Studentinnen beinhaltet.  An der momentanen Situation am Juridicum ändert das freilich nichts. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Frau Prof. Dethloff noch eine gewisse Zeit allein sechsundzwanzig Kollegen gegenüberstehen wird. Nur: ein böser Wille steckt nicht dahinter. Und das ist doch ziemlich beruhigend.

So wird man Professorin

Bei 27 Planstellen ist es kein Wunder, dass nur selten eine Professur zu besetzen ist. Da darf das Verfahren auch aufwändig sein: Eine Bewerbungskommission sichtet sämtliche Bewerbungen. Ein kleiner, aber vielversprechender Teil davon wird „gelesen“. Das bedeutet, dass ein Kommissionsmitglied sich detailliert mit den Veröffentlichungen der Kandidatin befasst. Wer dabei überzeugt, wird zum „Bewerbervortrag“ eingeladen. Die (üblicherweise) drei Überzeugendsten landen auf der „Liste“ der Kommission. Diese muss noch verschiedene universitäre Gremien, wie den Senat durchlaufen, dann erhält die oder der Erste den „Ruf“. Führen die Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis, geht der Ruf an die Nummer zwei.

„Ich singe gerne Pekingoper“

Prof. Gu über das gute Leben

Prof. Gu Xuewu empfängt mich an einem regnerischen Montag um 11 Uhr. Nach einer herzlichen Begrüßung erfahre ich, dass mein Interview-Partner sich auf seine Aufgaben, auf die Forschungsarbeit und auf das Interview freut.

Was hat Sie dazu bewegt, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben?

Die Neugier, die Wahrheit zu finden und Antworten auf gesellschaftliche und internationale Probleme zu entwickeln, hat mich motiviert, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben. Natürlich auch die Freiheit, die einem Wissenschaftler zusteht, ist eine kostbare Kategorie, die andere Berufe nicht kennen.

Welche Schwierigkeiten haben Sie am Anfang Ihrer Karriere überwinden müssen?

Am Anfang waren es in erster Linie die sprachlichen Schwierigkeiten, die ich überwinden musste, um in Deutschland Karriere zu machen. Die zweite Barriere war das Erwerben von fachlichen Fähigkeiten, die notwendig sind, um sich als ein ausgewiesener Experte in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu etablieren.

Hätten Sie noch mal die Wahl, würden Sie dieselbe berufliche Laufbahn wählen?

Ja, ich würde mich noch mal dafür entscheiden.

Würden Sie sich wieder auch für Deutschland entscheiden?

Warum nicht? Deutschland ist ein faszinierendes Land in allen Hinsichten. Wenn es um die Tiefe der Philosophie, die Prächtigkeit der Musik und die Kreativität des Sozialfriedens geht, gibt es meines Erachtens kaum ein anderes Land, das Deutschland übertreffen könnte.

Womit identifizieren Sie sich am meisten, mit China oder mit Deutschland?

Ich habe längst die nationalen Grenzen überwunden. Ich identifiziere mich mit einer transnationalen Kultur, mit einer internationalen Kultur. Die „global citizenship“ drückt das am besten aus.

Wenn Sie zurückschauen, was hat Sie am meisten zu guten Leistungen motiviert?

Die Neugier. Man darf sich nicht zufriedengeben. Man muss immer neugierig bleiben, um neue Forschungsideen zu entwickeln und neue wissenschaftliche Kenntnisse zu gewinnen.

Welchen Teil ihrer Arbeit als Professor finden Sie am angenehmsten, welchen am schwierigsten?

Am schwierigsten ist, Ausdauer im Prozess der Forschung zu erhalten, ohne von den lästigen Verwaltungsaufgaben der Universität abgelenkt zu werden. Am angenehmsten ist die Zeit, wenn ein neuer wissenschaftlicher Aufsatz oder ein neues Kapitel für ein Buch fertig ist.

Wodurch ist ein guter Student gekennzeichnet?

Ein guter Student ist meines Erachtens durch drei Merkmale gekennzeichnet: selbständige Vorbereitung von Lehrmaterialien, aktive Mitwirkung bei den Diskussionen und kritisches Denken verbunden mit der Fähigkeit, logisch zu argumentieren und glaubhaft zu überzeugen.

Wovon hängt in der Wissenschaft der Erfolg ab?

Der Erfolg in der Wissenschaft ist nicht nur von Neugier abhängig, sondern man muss ständig bereit sein, neue Forschungsthemen aufzugreifen, und mutig sein, gängige wissenschaftliche Kenntnisse in Frage zu stellen, um neue Ansätze bzw. Erklärungsmuster zu entwickeln, auch wenn sie umstritten sind.

Nach Ihrem aktuellen Beruf, welche Tätigkeit beherrschen Sie so gut, dass man Sie dafür bezahlen würde?

Ich bin mir nicht sicher, dass so etwas vorhanden ist. Ich habe aber ein Hobby: Ich singe gerne Pekingoper. Außerdem bin ich auch ein guter Handwerker.

Was sind die 3 bedeutendsten Dinge in Ihrem Leben?

Die wichtigsten Dinge in meinem Leben sind die Familie, ein Beruf, der Spaß macht, und die Bereitschaft, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Die Familie ist für mich wie ein Hafen für Kraft, Ideen und Mut.

 

27-Prof. Gu

Prof. Gu Xuewu wurde im Jahre 1957 geboren, in Hubei, China. Er absolvierte ein Studium der Kulturwissenschaften und Politikwissenschaften in Wuhan, Köln und Bonn. 1991 promovierte er im Fachbereich Politikwissenschaften an der Universität Bonn und habilitierte sich 1997 an der Universität Freiburg. Seit 1. Oktober 2009 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Politische Wissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen und Direktor des Center for Global Studies.
Foto: Privat

Haben Sie eine Lebensweisheit, die Sie immer begleitet?

Man soll immer drei Elemente kombinieren: Fleiß, Selbstdisziplin und Kreativität

Was wollten Sie immer einmal machen, ist Ihnen aber noch nicht gelungen?

Es gibt viele Aufgaben, die man vorantreiben kann. Mein Herzensanliegen im Augenblick ist der Aufbau einer langfristigen wissenschaftlichen Kooperation zwischen der Universität Bonn und der Tongji-Universität in Schanghai. Dieses Projekt ist mir noch nicht gelungen, aber ich arbeite leidenschaftlich daran.

Wenn Sie nur einen Koffer hätten, in den Sie Ihren gesamten Besitz packen dürften, was würden Sie hineinpacken?

Ich würde ein konfuzianisches Standardwerk einpacken, Kleidung und andere Gegenstände, die für den täglichen Bedarf notwendig sind und die Geschenke, die mir meine Kinder zum Vatertag oder Geburtstag geschenkt haben. Selbstverständlich packe ich meinen Laptop ein, in dem alle meine Projekte gespeichert sind.

Womit beschäftigen Sie sich Ihrer Meinung nach zu viel? Womit zu wenig?

Es gibt zu viele Projekte bzw. Aufgaben, die meine Aufmerksamkeit ablenken. Womit ich mich zu wenig beschäftige, ist Sport. Als Student war ich immerhin ein guter Sportler, dafür fehlt mir jetzt die Zeit.

Gehen Sie bei Rot über die Ampel, gerade wenn kein Auto kommt?

Ja, ab und zu passiert das, insbesondere wenn die Straßen leer sind.

Was würden Sie mit dem Geld machen, wenn Sie im Lotto gewinnen würden?

Das ist eine hypothetische Frage, ich bin kein Lottospieler. Falls ich im Lotto gewinnen würde, dann würde ich eine private Hochschule gründen, eine interkulturelle Hochschule, die Wissenschaftler aus der ganzen Welt fördert.

Was machen Sie in 10 Jahren im besten und im schlimmsten Fall?

In 10 Jahren werde ich das Rentenalter noch nicht erreicht haben. Also, im besten Fall werde ich weiterhin tätig an der Universität Bonn bleiben, im schlimmsten Fall wäre das Ziel mit der wissenschaftlichen Kooperation zwischen Bonn und  Schanghai verfehlt, was ich mir aber nicht vorstellen kann.

Was können Sie aktuell am meisten gebrauchen?

Mehr Zeit für die Aufgaben, die mir wichtig sind, wie zum Beispiel eine noch intensivere Betreuung von Studenten.

Eine Botschaft für Studenten?

Ja! Studenten sollen sich  möglichst früh und zeiteffektiv qualifizieren. Als Generation der Zukunft braucht ihr ein globales Verständnis von politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Nicht zuletzt sollte man pragmatisch die Studienzeit nutzen, um persönliche und internationale Netzwerke auszubauen.
Die ausländischen Studenten sollen die deutsche Sprache gut beherrschen, nicht nur Englisch sprechen und sich gesellschaftlich wie kulturell integrieren.

Danke für das Gespräch!

Tellerrücknahme mit Diplom

Die Menschen hinter der Mensatheke

Die Mensa Nassestraße ist einer der wichtigsten Anlaufpunkte im Alltag der Bonner Studierenden, die mittags nur eine halbe Stunde Zeit haben und trotzdem möglichst satt und zufrieden in die Hörsäle zurückkehren möchten. Dafür verantwortlich sind die circa 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Mensa in den verschiedensten Arbeitsbereichen: von der Küche, über die Essensausgabe und Tellerrücknahme, bis zum Abwasch. Doch wer sind die Menschen hinter den Dienstleistungen überhaupt?

Wir besuchen die Mensa Nassestraße am 20.06.2013. Um 12:00 Uhr ist Stoßzeit. Das Essen ist gekocht, vor dem Eingang drängen sich hungrige Studierendenmassen.
Der Mensaleiter Hans-Rudolf Hascher, mit 40 Jahren Betriebserfahrung ein Urgestein in der Mensa, empfängt uns in seinen heiligen Hallen und ermöglicht uns einen Einblick in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter.
Es herrschen tropische Verhältnisse hinter den Theken der Essensausgabe, denn zwei Tage schwüle Sommerhitze (gestern herrschten in der Küche noch kuschelige 40 Grad) entladen sich nun in einem kräftigen Wolkenbruch. Nach und nach füllen sich die Kellerräume der Mensa mit Wasser und Teile der Belegschaft versuchen die gelagerten Waren vor den Wassermassen zu retten. Trotzdem nehmen sich einige der Mitarbeiter Zeit für uns, während Herr Hascher im Keller als Krisenmanager gefragt ist:

28-mensa_daagOlga Gaak, 48 Jahre, an der Salatbar

Wer auf seine schlanke Linie achtet und regelmäßig in der Mensa Salat isst, kennt mit Sicherheit auch Olga Gaak. Seit 14 Jahren ist sie Angestellte der Mensa. Angefangen hat sie in der Putzkolonne und der Essensausgabe, mittlerweile ist sie verantwortlich für alles Grünzeug und gibt der Salatbar als Kassiererin ein Gesicht.
Bevor sie nach Deutschland kam, arbeitete Olga Gaak in ihrer Heimat Kasachstan als Erzieherin. Die Studierenden sind ihrer Meinung nach aber wohlerzogen und „alle freundlich“. Sie empfiehlt ihnen besonders den Couscous-Salat und Tortellini.

29-mensa_kühnGalina Kühn, 53 Jahre, an der Tellerrücknahme

Galina Kühn ist die stets freundliche Frau an der Tellerrücknahme, der auch das tagtägliche Predigen des Rückgabesystems am Fließband nicht das Lächeln nehmen kann. Nach ihrer Erfahrung sind die meisten Studierenden „ganz nett“ und befolgen die Anweisungen, wobei nur selten „mal einer frech wird oder böse schaut“.
Doch die paar aufmüpfigen Studierenden können Galina Kühn nach fünf Jahren Studium an einem pädagogischen Institut in ihrer Heimat Kasachstan ohnehin nicht aus der Ruhe bringen. Ihr Diplom zur Lehrerin für russische Sprache und Literatur wurde ihr in Deutschland jedoch nicht anerkannt, weswegen sie vor vierzehn Jahren zunächst als Vorarbeiterin und Spülkraft in der Mensa Römercastell anfing zu arbeiten. Als Mutter von zwei Kindern befand sie pragmatisch: „Egal was für Arbeit, Hauptsache Arbeit.“ Die Literatur liegt ihr nach wie vor am Herzen, muss jedoch hinter ihren drei Enkeln zurückstehen.

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Patrick Kaboya, 26 Jahre, Koch

Angefangen hat der gebürtige Kenianer 2008 als Spüler in der Mensa Nassestraße. Zu jung, um seine berufliche Laufbahn am Spülbecken zu beenden, wurde ihm dort nach einem Jahr Anstellung ein Ausbildungsplatz zum Systemgastronom angeboten — nach eigenen Angaben das Beste, was ihm nach zahlreichen Aushilfsjobs in verschiedenen Hotels und Gastronomiebetrieben passieren konnte. „Ich bin in der Mensa groß geworden“, sagt der junge Mann, der im Alter von neun Jahren mit seiner Familie zunächst nach Holland migrierte und auch heute noch seinen gesamten Jahresurlaub in Kenia verbringt.
Kaboya verwirklicht sich in der Mensa vor allem in der vegetarischen und veganen Küche. Die Idee zum Angebot der dritten Etage entstand im Zuge eines Auszubildendenprojekts, an dem auch er mitwirkte. Gekocht wird nach hauseigenen Rezepten, wobei bei der Gestaltung des Buffets auch mal Kreativität gefragt ist. Der Koch selbst ist selten Gast in der Mensa, versichert sich aber durch regelmäßige Kostproben der Geschmacksqualität und empfiehlt natürlich die Gerichte der dritten Etage, vor allem das Linsencurry.
Die „super Atmosphäre“ unter den Kollegen trotz teilweise großer Altersunterschiede schätzt Kaboya an seiner Arbeit vor allem. Durch seine offene und lebenslustige Art trägt er sicherlich selbst dazu bei.

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Ivana Malesevic, 29 Jahre, in der Kalten Küche

Ivana Malesevic ist in verschiedenen Abteilungen der Mensa tätig, hauptsächlich jedoch in der Kalten Küche. Hier ist sie täglich von 7:00 bis 15:15 zuständig für die Produktion von Nachtischen und kleinen Spezialitäten für den mensaeigenen Cateringservice. Das frühe Aufstehen ist sie schon von ihrer Ausbildung zur Bäckerin gewohnt. Da ihr dieser Abschluss aus Serbien in Deutschland nicht anerkannt wurde, kam sie vor sechs Jahren zur Mensa. Die Arbeit dort gefällt ihr ausgesprochen gut. „Die Kollegen sind super“, sagt sie und schätzt, dass sie neue Rezepte ausprobieren und ihre eigenen Ideen anbringen kann. Für die Desserts ist der Maßstab vor allem ihr eigener Geschmack. „Nach dem Essen braucht man was Süßes!“, findet sie und ihre persönliche Empfehlung ist deshalb auch Müsli-Mandarinen-Quark, Panna cotta und Crème brûlée.

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Namen und Alter von Olga Gaak falsch angegeben. Wir bitten um Entschuldigung. (Die Redaktion)

Der Kaiser des Weltalls

Protokoll einer Begegnung mit dem Alle-mal-malen-Mann

Montagabend im James Joyce, in dem Pub ist noch nicht viel los. An den schwach ausgeleuchteten Tischen sitzen vereinzelt Menschen, viele Studierende. Wir sitzen an einem Tisch am Fenster und warten. Wir warten auf jemand ganz besonderen.
Ein alter Mann mit wirrem, weißem Haar kommt rein. Er trägt ein verwaschenes, ockerfarbenes Sakko. Das ordentlich gebügelte Hemd steckt in der zu weiten Anzughose. Um die Körpermitte spannt es ein bisschen. In der Hand trägt er eine alte Ledertasche, deren Riemen über den Boden schleift. Er schaut sich um und sagt in das Schummerlicht hinein: „Alle mal malen, hier?!“ Jetzt wissen wir: Das ist unser Mann.
Wir wollen ein Bild, und eine gute Geschichte hören, von einem Mann, den jeder und doch niemand kennt. Wir winken ihn heran, er setzt sich zu uns. Wir erzählen ihm, dass wir einen Artikel für die studentische Zeitschrift „akut“ schreiben und fragen ihn, ob er etwas trinken möchte. Er lehnt ab. Er holt seinen Block und einen Bleistift raus und stellt klar, dass er auf keinen Fall lesen will, dass er ein „Bonner Original“ ist. Alle schmissen mit dem Begriff um sich und die meisten wüssten überhaupt nicht, was ein „Original“ eigentlich sei. Und er käme ja nicht einmal aus Bonn. Kein „Bonner Original“ also. Aber wer ist dieser Mensch eigentlich?
„Ich habe schon mit elf gemalt, mein Vater hat auch gemalt,“ beginnt er zu erzählen.
Er heißt Jan Loh, erwähnt es aber nicht selbst. Der Alle-mal-malen-Mann spricht nicht gern über sich, aber über die Kunst des Lebens und die Philosophie.
Und er spricht über seine Arbeit, das Malen. „Ich male das Charakteristische der Menschen. Ob sie introvertiert oder extrovertiert, negativ oder positiv sind. Ich suche mir immer das Besondere raus und male. Der seelische Herzensausdruck, der sich im Gesicht spiegelt ist wichtig, nicht das Äußere. Kleidung ist unwichtig. Es ist egal, ob sie eine Hose oder ein Kleid tragen, oder ob sie nackt sind.“
Der Alle-mal-malen-Mann malt nicht den ganzen Tag, obwohl sein Name den Eindruck erweckt, dass es sich bei ihm um eine Tätigkeit handele, die niemals vollendet sein kann. Er schläft immer lange, und dann überfliegt er die Zeitungen — aber nur die „guten“ — nach den wissenschaftlichen Besonderheiten, denn die Zeitungen bringen das schneller und verständlicher als die entsprechenden Magazine, sagt er. Abends macht er immer einen langen Spaziergang, dann besucht er die Bonner Kneipen, um Menschen zu malen. Für seine Bilder hat er keine Preise, nur ein Symbolentgeld. Auch er weiß, dass diese Arbeit ihn nicht reich macht. Doch auch, wenn er im Lotto gewänne: „Ich würde alles so weiter machen, wie bisher. Ich gewinne aber auch nicht. Ich spiele ja gar kein Lotto!“
Doch wenn nicht Geld, was könnte dann für diesen Menschen im Leben besonders wichtig sein? „Ich kategorisiere nicht. Am Leben ist alles bedeutend. Man darf nichts zu ernst nehmen, aber man muss alles wichtig nehmen. Das Leben ist ein Geheimnis, eine Kombination von Zwang und Notwendigkeit.“
Immer wieder drängt er darauf, weiter zu gehen. Er müsse Geld verdienen. „Das Leben besteht aus Zwängen. Wir müssen essen, trinken, arbeiten…“ Er setzt sich wieder hin, überlegt kurz und fragt dann: „Kennen sie Thomas von Aquin? Der hat mal gesagt: ‚Reife ist die Fähigkeit, seinen natürlichen Neigungen zu folgen.‘ Ich habe immer versucht, meinen persönlichen Neigungen zu folgen. Man sollte immer nach Perfektion streben, aber erreichen wird man sie nie.“
Reife und Perfektion — der Alle-mal-malen-Mann hat für sich erkannt: Die meisten Erwachsenen finden sich nicht schön. Jedoch gibt es seiner Meinung nach nur schöne Menschen und schlechte Geschmäcker. Zu uns sagt er: „Ich hoffe, sie haben ihre Schönheit erkannt!“ Wir schmunzeln über diesen charmanten, alten Mann. Er spricht weiter: „Glücklich und Zufrieden ist man erst im Verhältnis. Wir empfinden aus dem Gegensatz!“
Ob er wohl wunschlos glücklich ist? Er sagt lachend: „Ich wollte immer schon der Kaiser des Weltalls sein!“
Der Pub füllt sich langsam und es wird immer lauter. Der alte Mann schaut sich nach den nächsten Interessenten um und verschwindet zwischen den Gästen. Zurück lässt er einige abgedroschene, aber auch interessante Lebensweisheiten — und natürlich eine Bleistiftzeichnung.

Ein Mann, der weiß, worauf es ankommt. Und worauf nicht: „Kleidung ist unwichtig. Es ist egal. ob sie eine Hose oder ein Kleid tragen, oder ob sie nackt sind.“

Ein Mann, der weiß, worauf es ankommt. Und worauf nicht: „Kleidung ist unwichtig. Es ist egal, ob sie eine Hose oder ein Kleid tragen, oder ob sie nackt sind.“

Alter Schwede, was war denn da los?

Mittsommer in den Rheinauen

Feiern wie die Schweden: Um das zu erleben muss man nicht Skandinavistik studieren. Es reicht, zur passenden Zeit am passenden Ort zu sein.

Bonner Studierende wissen, wie man schwedische Feste feiert. Beim Mittsommer herrschte ausgelassene Stimmung.

Bonner Studierende wissen, wie man schwedische Feste feiert. Beim Mittsommer herrschte ausgelassene Stimmung.

Freitag, der 21. Juni 2013. Man sitzt ahnungslos in der Beueler Rheinaue und beobachtet schon seit Längerem einige junge Menschen, die unter größten Bemühungen Zweige von den hohen Bäumen schneiden. Sie flechten Blumenkränze und bauen ein Buffet auf, das von Zimtschnecken bis zu einem Schokokuchen in Wikingerform reicht.
Dann: kleine süße Hasen, eine watschelnde Ente und … circa 50 Nachahmer.
„Kleine Enten, kleine Enten, sind lustig anzusehen“, singen sie und tanzen, nein,  hüpfen vergnügt um eine grüne Stange, nur um gleich darauf zu „kleinen Schweinen“ zu werden, die dem Lied zufolge genauso lustig anzusehen seien.
Von einem Musikensemble aus Akkordeon, Cello, Querflöte und Gitarre begleitet, tauchen immer mehr Tiere auf, angeregt von den fröhlichen Melodien.
Spätestens, als schließlich der Bär aufwacht und anfängt, auf Jagd zu gehen, merkt auch der ungeübte Beobachter, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Bären in Bonn? Und was hat es überhaupt mit der Stange auf sich, eigentlich ein Kreuz — doch hoffentlich keine Sekte? Sie reden auch so komisch, die Texte sind unverständlich — bestimmt eine Geheimsprache, etwas Kriminelles! Oder vielleicht eher eine politische Organisation, denn sie haben Fahnen aufgehängt.

Nein, nichts von alledem. Aber mindestens genauso spannend: Es ist Mittsommer, der längste Tag des Jahres (oder die kürzeste Nacht). Keine Erfindung von IKEA, um eine Begründung für Rabatte zu liefern, sondern eine wirkliche, lange Tradition. Bereits im 5. Jahrhundert gab es Mittsommerfeuer, um die Sommersonnenwende zu feiern.  Da das Hochfest von Johannes dem Täufer ebenfalls auf den 24.06. fiel, übernahm das Christentum diesen Brauch im Gedenken an dessen Geburt. Später wurde festgelegt, dass man Mittsommer immer in der Nacht vom nächstliegenden Freitag zum Samstag feiert.
Die schwedische Mittsommerfreude der Skandinavisten der Universität Bonn, die das Fest jedes Jahr feiern, griff auch weit um sich. Am Ende hatte sich die Tänzeranzahl etwa verdoppelt, weil die Umstehenden, von dem außergewöhnlichen Schauspiel angezogen, spontan mitmachten.

Also war alles da, was es zum typisch schwedischen Mittsommerfest braucht — nur die Elche fehlten und natürlich die Mittsommersonne, denn trotz aller Bemühungen wurde es doch irgendwann dunkel. Man ist halt doch noch in Bonn.

 

Rubrik Kein Kommentar

Auf eine Zigarette mit Baföggi

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„Die Wohnsituation für Studierende ist wirklich schlimm“, erklärt mir Robert, 25, als ich ihn in der Bonner Altstadt treffe. „Wirklich, wirklich schlimm! Ich möchte gar nicht daran denken, was erst los ist, wenn der Doppeljahrgang, den wir dem G8-Gipfel verdanken, an die Uni und nach Bonn strömt!“. Robert guckt besorgt, als er an seiner Filterlosen zieht. „Das gibt das reinste Tohuwabohu!“, ist sich der Mittzwanziger sicher. Wie er mutmaßt, könnten die miserablen Aussichten auf eine Unterkunft und der deutliche Wohnungsmangel daran liegen, dass die Stadt in den vergangen Jahren „weniger Neubauten“ in Auftrag gegeben hat als nötig gewesen wären, um „den ansteigenden Bevölkerungszuwachs in den Griff zu kriegen“. Die Wohnungen, die es zu ergattern gibt, seien hingegen „quasi unbezahlbar“, wie Robert, der von seinen Freunden „uffer Platte“ nur ›Baföggi‹ genannt wird, erläutert. „Die Situation ist wirklich schlimm, da muss doch wer was machen! Erst gestern ging ich zur Bahnhofmission, um dort wie üblich die Nacht zu verbringen, da sehe ich einen anderen Studenten auf meiner angetrauten Stammpritsche liegen, wie er laut in seiner Reclam-Ausgabe von ›Tristan‹ liest…“, da wird der Blick des obdachlosen Germanistik-Studenten noch besorgter: „…und das nicht einmal auf Mittelhochdeutsch!“

Ganz soweit sind wir zum Glück noch nicht. Dieses Szenerio ist reinste Fiktion und eine Dystopie, die in einer Zeit spielt, in der das anwachsende Problem der Wohnungsknappheit noch immer nicht geklärt ist (und Germanisten noch immer Tristan lesen müssen). Realität, und damit schon schlimm genug, ist aber, dass sich die Wohnungssuche für Studierende langsam zu einer reinen Nervensache entwickelt, die aufgrund von Immobilien-Knappheit und horrenden Mietpreisen allzu oft in Verzweiflung und Frustration endet. Bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass bald eine akzeptable Lösung gefunden wird. Kreative Ideen gibt es schließlich allerhand: In Aachen zum Beispiel haben sich Stadt und Hochschule auf ein Grundstück geeinigt, auf dem ein Containerdorf entstehen soll, was den Studierenden zumindest eine Unterkunft bieten könnte. Ganz ausgereift ist die Sache jedoch noch nicht und auch der „Wohlfühlfaktor“ bleibt hier auf der Strecke – und da ist die Stadt Bonn ihren Aachener Kollegen schon mindestens einen Schritt voraus. Denn damit sich ihre Studierenden nicht wie bei „BigBrother“ fühlen und im Container leben müssen, haben die Verantwortlichen einen besonders pfiffigen Plan ausgeheckt: Die Stadt will an ihre Studierenden Strickleitern, Bretter und Werkzeugkisten verteilen. Stadt und Hochschule haben sich nun nämlich auf eine handvoll Bäume im Stadtpark Bonn – Bad Godesberg geeinigt, in denen sich die Betroffenen „gemütliche Eigenheime“ errichten können.
Immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer und ein guter Anfang… aber leider auch ein Scherz.
Damit es nicht bei Witzen bleibt und auch die dystopische Geschichte von ›Baföggi‹ nicht real wird, sollten sich aber rasch Lösungsvorschläge finden, die man dann auch so schnell wie möglich in die Tat umsetzen muss, sodass das Wohnungs-Drama ein schnelles Ende findet.
Dass er die Doppeljahrgang-Idee der Damen und Herren des G8-Gipfels aber trotzdem „nicht so gut“ findet, dass musste auch Robert am Ende unseres Gespräches noch einmal bemerken.

 

Die Eiserne Sprache der Wissenschaft

Gedanken zur Sehnsucht nach Poesie

In einem der schönen Vororte von Tunis besuchte ich eine Grundschule. El-Farabi-Grundschule, ein Gebäude mit einer Weißen Mauer und blau verzierten Fenstern und Türen. An meinem ersten Schultag in El-Farabi konnte mich mein Vater nicht mehr begleiten. In der Schule waren wir die Kinder, von deren Vater niemand was wusste. Man traute sich nicht zu fragen. Man sprach nicht darüber.

In der fünften Klasse kam ein neuer Lehrer zu uns. Sidi el Bachir, sein freundliches Gesicht, sein an den Schläfen ergrautes Haar und sein mildes Lächeln hatten etwas Väterliches. An das Gesicht meines Vaters, der schon so lange fort war, konnte ich mich nicht mehr erinnern, so malte ich ihm in meiner Phantasie eine Gestalt, die der glich von Sidi el Bachir.

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„Eine Feder, die sanft über die Saiten unseres Gefühls streicht und eine schöne Melodie erklingen lässt.“
Foto: fab

Freitagsnachmittags stand Textproduktion auf dem Stundenplan. Diesmal lautete die Aufgabenstellung: Schreibe einen Brief an eine abwesende Person, in dem du ihr zum Fest gratulierst, ihr deine Sehnsucht beschreibst und ihr von dem Fest erzählst. Ich schrieb. Über das einsame Fest, über die Ferne, meine Trauer, meine Sehnsucht. Ich schrieb meinem Vater.

Montags bekamen wir unsere Aufsätze zurück. Er sagte: „in meiner 20-jährigen Lehrtätigkeit habe ich einem Aufsatz noch nie die volle Punktzahl vergeben. Heute aber habe ich es getan, eure Mitschülerin Hiba hat es sich heute verdient“. Von diesem Tag an nannte er mich stolz „Adiba“ die Literatin, eine Beschreibung, die sich zufällig auf meinen Namen reimte. Er bat mich, meinen Aufsatz der Klasse vorzulesen. Ich tat dies und las meinen Brief mit einer zittrigen Stimme, die Tränen und Schluchzer verbarg. Die Klasse applaudierte.

Was Sidi el Bachir nicht wusste, ist, dass der Brief, den er mit seinem roten Füller korrigiert hatte, echt war. Es war ein Brief von mir an meinen Vater. Manchmal, wenn wir über gewisse Dinge schreiben, ist es nicht mehr unsere unsichere Hand, die schreibt. Unsere Empfindungen ergreifen entschlossen den Stift, sie gleichen dann einer Feder, die sanft über die Saiten unseres Gefühls streicht und eine schöne Melodie erklingen lässt. Eine Melodie der Sehnsucht. Eine Melodie der Wehmut und der Trauer.

Wenn uns die Erhabenheit des Gefühls erdrückt, dann schreiben wir. Wir zaudern nicht. Wir suchen nicht nach schöneren Formulierungen, streichen nicht einen angefangenen Satz durch, um ihn neu zu beginnen. Wir schreiben, ohne daran zu denken, schön zu schreiben. Die Aufrichtigkeit unseres Gefühls genügt. Und mit einem Mal verschwindet die Unsicherheit, die uns so manches Mal das Schreiben bereitet.

Später erfuhr Sidi el Bachir von unserer Geschichte. Er erfuhr von meinem Vater, der geflüchtet war aus einer Heimat, in der er für seine politischen Ansichten verfolgt, eingesperrt, gefoltert wurde und diese schließlich verlassen musste und eine Tochter zurückließ, die seinen Namen trägt, aber sein Gesicht nicht kennt.

Dann kam der Tag, an dem wir nun in dieses ferne, fremde Land reisen wollten, in das sich mein Vater einst geflüchtet hatte. Wir nahmen Abschied. Von Nachbarn , Freunden, Verwandten und Schulkameraden, von unserem Zuhause, unserem Garten, dem Schulhof.
In naiver Leichtfertigkeit verabschiedeten wir uns von allem und doch ahnten wir nicht, dass dies ein Abschied für eine ganz lange Zeit sein würde.

Ich verabschiedete mich von Sidi el Bachir und erzählte ihm, dass ich nun nach Deutschland gehen werde, zu meinem Vater. Er lächelte mild, und doch vermochte sein väterliches Lächeln seine Trauer nicht zu verbergen. Ahnte er etwa schon, dass dies eine endlose Reise sein würde. Eine Reise, auf der das Gefühl für eine Heimat auf ewig verloren gehen wird. Ahnte er, dass dies eine unermüdliche Suche sein wird nach neuen Wurzeln, ein ewiger Versuch, die Splitter meines Seins aufzusammeln und mich neu zu ordnen. Übrigens bedeutet Sidi Meister und El Bachir bedeutet Verkünder einer Botschaft.

In der Tat Sidi el Bachir. Es war eine langjährige Zerrissenheit, die sich auch dann nicht legte, als ich nach 15 Jahren Abwesenheit wieder an diesen Ort zurückkehrte. Vergebens suchend nach dem alten Gefühl der Vertraulichkeit, das mir dieser Ort einst bereitete. Ich besuchte alte Freunde und Verwandte viele erkannte ich nicht mehr. Andere wiederum hatten mich vergessen. Erinnerungen und Gesichter verschwanden im Abgrund der Vergessenheit.

Ich bestand darauf, Sidi El Bachir zu besuchen. Ich ging viele Irrwege, bis ich zu seinem Haus fand. Die Straßen waren mir fremd geworden, ich war ihnen fremd geworden. Unsicher, ob es das richtige Haus war, blieb ich vor einem grünen Tor stehen und klingelte. Die Angst vor der Vergessenheit erfüllte mich.

Ein gebrechlicher Mann mit grauem Haar und einem freundlichen väterlichen Gesicht öffnete. Er stand in der Tür, lächelte mild und fragte „Hiba?“ Ich weinte. Aus Erleichterung, aus Freude, aus Wehmut über all die Jahre, in denen ich fort war. Er versuchte seine Tränen zu verbergen und mit seiner zittrigen Stimme überhäufte er mich mit Fragen. Er erkundigte sich nach meinem Befinden, nach meiner Familie, nach meinem Vater. Er fragte, wie es mir dort in der Ferne ergangen ist, warum ich all die Jahre fort war, warum ich ihn in all den Jahren nicht besucht habe. Er erkundigte sich nach meinen schulischen Leistungen und ob ich noch immer die leidenschaftliche „Adiba“ bin, die er einst in mir gesehen hatte.

Ich lächelte und erwiderte, dass ich nun in der Tat Literatur studiere. Seine Augen, in denen noch immer eine Träne zitterte schauten mich mit Stolz an und ich dachte an jenen Tag, an dem er mit demselben stolzen Blick meinen Aufsatz lobte. In diesem Augenblick war es völlig gleichgültig, dass er, der er mein Lehrer war und mir einst zu Schreiben lehrte, nun nicht mehr in der Lage sein wird, die Texte die ich schrieb mit seinem roten Füller zu korrigieren. Denn ich schrieb nun in einer anderen fremden Sprache. Eine Sprache, die für Sidi el Bachir genauso fern ist, wie das Land, an das ich damals meine kindlichen sehnsüchtigen Briefe adressierte.

Ich erzählte Sidi el Bachir nicht, dass ich nicht mehr die gute Schülerin bin, die ich einst war. Ich verheimlichte ihm, dass mir die Leidenschaft des Schreibens zuweilen entglitten ist und dass es Momente gibt, in denen sich mir die eisernen Tore der Sprache verschließen, meine Feder erstarrt und mein Gefühl verstummt. Ich erzählte ihm nicht, dass ich im Studium keine wehmütigen Briefe mehr schreiben kann, wie ich es einst in seinem Unterricht tat. Ich erzählte ihm nicht dass meine Professoren mir die unmögliche Aufgabe stellen, wissenschaftlich zu schreiben, dass sie von mir verlangen, mich jeglichen Gefühls zu entledigen, denn so ist sie, die Wissenschaftssprache, starr und kalt. Sie verbannt jegliche Regung des Empfindens, jegliches Flüstern des Gefühls. Wie aber soll ich schreiben, wenn man mir die Feder verbietet, die mein einziges Instrument ist?

Meine Feder soll nun aber schweigen zu Gunsten der eisernen Wissenschaftssprache. Und wenn ich nun schreibe, dann einzig im schrillen eintönigen Klang der Wissenschaft.
Alles das erzählte ich Sidi el Bachir nicht, wir sprachen noch lange. Es dämmerte. Dann ertönte der hallende Klang des Gebetsrufers. Wir verabschiedeten uns, ich versprach ihn zu besuchen. Er eilte in die Moschee. Ich sah, wie er, sich auf eine Gehhilfe stützend, in einer Seitenstraße verschwand. Sein Gang hatte sich verändert.

Zeichnung: Valerie Esch

Zeichnung: Valerie Esch