Lehrerpult und Pausenhof

Neues aus der Fachschaft Lehramt

Nachdem die Fachschaftsinitiative-Lehramt etwa ein Jahr lang in Vorbereitung und Planung gesteckt hat, konnte mit der Wahl im Januar 2014 endlich eine offizielle Fachschaftsarbeit legitimiert werden. Bisher sind auch alle Mitglieder voller Motivation. Wie das langfristig weitergehen wird, bereitet allerdings schon Sorge.

Jonas Kahn, Vorsitzender der Fachschaftsvertretung, freut sich sehr über die Möglichkeit, nun als offizielle Fachschaft auftreten zu können. Er ist zufrieden: „Die Fachschaftsarbeit läuft prima und auf Hochtouren!“ Neben mehreren Gesprächen mit dem Bonner Zentrum für Lehrerbildung (BZL), hat die Fachschaft in den letzten Wochen ihre erste Paukerparty organisiert und bietet regelmäßige Sprechstunden in der Alten Sternwarte in Poppelsdorf an.

Mit dem Mentorat, dem vom BZL eingerichteten – und bezahlten – Hilfsangebot für Lehrämtler, ist ebenfalls eine engere Zusammenarbeit geplant. Jonas wünscht sich eine gute Möglichkeit zur Ergänzung der Kompetenzen. „Wir als Fachschaft werden immer einen eher erfahrungsbezogenen Hintergrund haben und die praktischen Programmpunkte setzen.“ Als Beispiele dafür nennt er Ersti-Fahrten und Ausflüge, Führungen, ein BASIS-Bootcamp. „Die Mentoren sind dafür in manchen studiumsrelevanten Fragen besser geschult – aber letztlich eben bezahlte Kräfte des BZL.“

In der Pfingstwoche sind Vertreter der Fachschaft im Rahmen einer überregionalen Veranstaltung zum Lehramts-Master und dem Praxissemester in Dialog mit anderen Fachschaften von Universitäten aus Nordrhein-Westfalen getreten. Da in Bonn zum kommenden Wintersemester erstmals wieder ein Master im Lehramt möglich wird, ist die Fachschaft bestrebt, sich besonders für gutes Gelingen und „das Wohl der Studierenden“ einzusetzen, so FS-Vorsitzender Jonas.

Auf ihrer Homepage, die durch Rubriken wie „Kollegium“, „Lehrerpult“, oder „Spickzettel“ bereits erahnen lässt, wer sich dahinter verbirgt, bieten sie neben aktuellen Informationen unter der „Ersti-Hilfe“ eine beantwortete Liste häufiger Fragen von Studienanfängern an.

Johanna Schumacher, stellvertretende Vorsitzende der Fachschaftsvertretung, zieht positive Bilanz: „Es läuft alles ziemlich gut, dafür, dass es die Fachschaft erst seit so kurzer Zeit gibt.“

Bei all dem Aufwind bereitet dem Fachschafts-Kollegium eines aber Sorge: da viele der Fachschaftler bereits in naher Zukunft in den Master starten oder ins Ausland gehen, ist die Frage nach Kontinuität und Engagement der jüngeren Generationen äußerst präsent. Ungern würden sie erst zu den nächsten Wahlen Neuinteressierte ins kalte Wasser schmeißen. Jonas plädiert daher an engagierte Kommilitonen: „Wir würden uns wünschen, dass schon jetzt deutlich mehr Interessierte zu den Sprechstunden und – noch wichtiger – zu den Sitzungen kommen.“

Infokasten

Wer sich für eine Mitarbeit in der Fachschaft Lehramt interessiert, kontaktiert diese unter fslehramt@uni-bonn.de oder besucht die öffentliche Sitzung des Fachschaftsrates: jeden Mittwoch, 18 Uhr, im Erdgeschoss der Poppelsdorfer Allee 15.

„It‘s an honor to be a Bonner“

Interview mit Kissinger-Professor Dr. James Bindenagel

Heiß umstritten, nun bald da: Zum Wintersemester 14/15 erfolgt erstmals eine Besetzung der Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur für Governance und Internationale Sicherheit – durch Prof. Dr. Bindenagel. Welche Motivation ihn an die Uni treibt und wie er zu den Vorwürfen Kissinger gegenüber steht, hat er im Interview beschrieben. Die Übersetzung erfolgte durch Stefanie Oymann, Assistenz Ambassador Bindenagel.

Was gilt für Sie als Motivation, an einer Universität zu lehren?

Eine Universität ist ein einzigartiger Ort, der intellektuelle Debatten, rigorose Analyse, Kritik und einen freien Meinungsausstausch fordert und fördert und sie in einem geschützten Raum stattfinden lässt. Ich komme in der Erwartung nach Bonn, mich mit den Studierenden, der Fakultät und der Universität auszutauschen. Und ich freue mich darauf! In meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als Diplomat habe ich mehr als 30 Jahre damit verbracht, mich mit Deutschland auseinanderzusetzen. Mit diesem Erfahrungswert kann ich einen wertvollen Beitrag leisten, was den Umgang mit Diplomatie und Verhandlungen angeht. Ich kann Studierenden helfen, sich in dieses sehr komplexe und schwierige Arbeitsumfeld und die damit verbundenen Herausforderungen im Bereich der internationalen Sicherheit einzufinden, denen sie sich ja stellen müssen, wenn sie den Abschluss ihres Studiums erreicht haben und in diesem Feld arbeiten wollen. Dabei geht es meines Erachtens einerseits um die Rolle der Diplomatie in Fragen der Konfliktprävention und -bewältigung, andererseits aber auch um die Analyse konkreter Situationen und die damit einhergehende Frage, welche Fähigkeiten erforderlich sind, um eine Situation beurteilen zu können und sich eindringlich für die Verteidigung demokratischer Prinzipien einzusetzen. Das immer vor dem Hintergrund der Tatsache, dass solche Entscheidungen selten in entspannter Atmosphäre, sondern eigentlich immer unter großer Anspannung und undurchsichtiger Problemlagen zwischenmenschlicher Konflikte gefunden werden müssen. Diese Auseinandersetzung wird für die Studierenden aber sicherlich sehr hilfreich für ihren weiteren Lebens- und Arbeitsweg sein.

Was gilt für Sie als Motivation zur Annahme der Kissinger Professur?

Meine erste Anstellung in Deutschland war die eines US-Army-Offiziers. Ich war in der Nähe des sogenannten „Fulda-Gap“ bei Coburg eingesetzt, um unsere westdeutschen Verbündeten bei der Verteidigung gegen einen drohenden, durch die Sowjetunion vorgetragenen, Angriff zu unterstützen. Nachdem ich diesen Einsatz in der Army vollbracht hatte, entschied ich mich für einen beruflichen Werdegang im Bereich der Diplomatie, um einen Beitrag zu leisten, solche Konflikte zu lösen, beziehungsweise sie bestenfalls zu verhindern. Während meiner beruflichen Laufbahn war ich als Repräsentant der Vereinigten Staaten in Bonn und Ost-Berlin auf beiden Seiten des geteilten Deutschland und geteilten Europa tätig. Nach dem Fall der Mauer kehrte ich durch mein Amt als amerikanischer Botschafter nach Bonn zurück. Während dieser geschichtsträchtigen Zeit, als Deutschland noch geteilt war und Ost-Europa von einem kommunistischen Regime kontrolliert wurde, habe ich mich intensiv mit der Konfrontation zwischen Westdeutschland und der Sowjetunion auseinandergesetzt. Ich habe den USA in meiner Funktion als Diplomat über die Ereignisse rund um die demokratische Revolution in der DDR und den damit einhergehenden den Fall der Berliner Mauer 1989 berichtet, habe mit Deutschland und Europa an der Etablierung des Euro und der NATO Mitgliedschaft für Deutschlands Nachbarländer gearbeitet, die heute einen Schutzraum für die Baltischen Länder und Polen gewährleisten und mich für eine nachträgliche Entschädigung der Holocaust-Opfer und Zwangsarbeiter eingesetzt. In diesem Zusammenhang habe ich mit Frankreich, Deutschland und Österreich drei Abkommen verhandelt. Zusätzlich habe ich mich erfolgreich für ein globales Verbot für den Handel mit sogenannten Blutdiamanten eingesetzt, die dazu dienten, die Rebellen in den Bürgerkriegsregionen in Liberia, Sierra Leone und Angola zu finanzieren. Eine Konfliktlösung, die zur damaligen Zeit niemand für möglich gehalten hätte. Diese Punkte des deutsch-amerikanischen Verhältnisses überschneiden sich mit der Rolle von Dr. Henry Kissinger als Außenminister und seinen Beiträgen im Bereich der Diplomatie und der Debatte um Strategische Sicherheit.

Wie ist Ihre Haltung gegenüber den Vorwürfen bezüglich der Namensgebung/-widmung zu Ehren Kissingers?

Eine Universität ist ein Ort um zu lernen, es ist kein Gerichtssaal voll mit Staatsanwälten und Anklägern – und es gibt auch keine Verteidiger. Bei der Untersuchung des Vermächtnisses und den historischen Errungenschaften von Dr. Kissinger, die sich über eine sehr lange, sehr ereignisreiche und vor allem sehr schwierige Phase geschichtlicher und politischer Ereignisse zieht, sollten die Studierenden genauestens die historischen Hintergründe, Problemlagen und Rückschlüsse, die zur damaligen Zeit möglich waren, in Betracht ziehen – ebenso wie die Prozesse der Entscheidungsfindung, so wie es auch in allen ernsthaften Nachforschungen immer der Fall ist. Nur so kann man sich ein nachträgliches, fundiertes Urteil erlauben, anstatt ein Vorurteil zu fällen, dass sich auf eine oder zwei Episoden bezieht, die nicht vollumfänglich untersucht wurden. Natürlich ist es dabei wichtig, ein Verständnis für moralischen und ethischen Überlegungen zu entwickeln, aber die Realität, mit der man sich bei der politischen Entscheidungsfindung konfrontiert sieht, ist unglaublich undurchsichtig und verwirrend. Die entscheidende Frage ist: Was ist die klügste Vorgehensweise, wenn man alle Überlegungen und möglichen Szenarien in Betracht zieht und dabei vorhersehbare Konsequenzen erwägt, die ein Handeln oder auch Nicht-Handeln nach sich ziehen. Für Studierende – und für Praktiker – ist es wichtig, die Komplexität der politischen Entscheidungsfindung zu verstehen und daraus Theorien sowie praktische Handlungsweisen zu entwickeln, um Konflikten vorzubeugen oder sie zu lösen, ohne dabei die eigenen Prinzipien zu verraten.

Hinzu kommt, dass die Namenswidmung durch Deutschland und die Bonner Universität auch dem persönlichen Leben von Henry Kissinger Rechnung trägt. Als geborener Deutscher flüchtete er vor dem nationalsozialistischen Regime und dessen Ziel der Auslöschung der Juden aus Europa. Er hat seine Laufbahn der Weiterentwicklung der liberalen Demokratie verschrieben. Unvollkommene oder auch fehlerhafte Entscheidungen in schwer beherrschbaren Situationen, die sich durch zwangsläufig eingeschränkte Zeithorizonte und politische Handlungsspielräume kennzeichnen, sind kein ausreichender Grund, um einen Mann zu verurteilen, der sich zeitlebens für den Frieden, die Verhinderung des Ausbruchs eines Nuklearkriegs und die Verteidigung unterdrückter Menschen eingesetzt hat. Diese positiven Errungenschaften in Verbindung mit der Beendigung des Vietnamkriegs, seinem Beitrag zum Friedensprozess im Mittleren Osten und der Öffnung eines friedlichen Aufstiegs Chinas, sind der Grund – trotz möglicherweise berechtigter Kritik an manchen seiner Entscheidungen – warum Henry Kissinger der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Einige der heutigen Spannungen zwischen Vietnam und China oder auch die verfahrenen Probleme im Mittleren Osten zeigen doch, wie komplex und schwierig der Umgang mit menschlichen Erfahrungen in oft sehr irrationalen Konflikten ist – trotz der gutgläubigen Bemühungen wohlwollender Verhandlungspartner (so wie John Kerry im Camp David).

Der Universität wird vorgeworfen, auch zur Errichtung einer Putinprofessur bereit zu sein, sollte eine solche gestiftet werden. Wie stehen Sie dazu?

Es gibt weder eine moralische noch eine andere Vergleichbarkeit zwischen dem feindseligen Verhältnis zwischen der EU und Russland und den transatlantischen Beziehungen mit geteilten Wertvorstellungen, denen ich mich verschrieben habe und zu dem damit verbundenen Erhalt von Frieden und Prosperität in Westeuropa und dem heutigen vereinten Europa ich beigetragen habe. Ich würde die Frage stellen, weshalb eine ähnliche Position Präsident Putin honorieren sollte, der die liberale demokratische Grundordnung herausgefordert hat, die seit 1945 den Grundstein für Frieden in Europa bildet und dabei friedliche Abkommen der Sicherheitskonferenzen in Helsinki untergräbt. Mit der Verschiebung von Grenzen durch die Anwendung von Gewalt, ohne Respekt für international geltendes Recht und Abkommen, denen auch Russland zugestimmt hat, mit der Zersplitterung und gebietsweisen Annektierung von Teilen der Ukraine, durch die Errichtung eines Prinzips des ethnischen Nationalismus, mit dem Russland der Ukraine droht und der Destabilisierung der Baltischen Staaten und Zentralasiens, bringt er das gesamte Europa in eine äußerst riskante und schwierige Situation. Die Europäer können sich noch gut daran erinnern, zu welchen Kosten und mit welchem Aufwand Frieden, wirtschaftlicher Wohlstand und geltendes Recht errungen wurden. Visionäre der europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft und des Europavertrags, der die Vereinigten Staaten und den Marshallplan unterstützt, haben damals eine Garantie für Frieden erreicht, die mit jahrzehntelangen Bedingungen verknüpft waren. Unterstützt das Verhalten Putins diese hart erarbeiteten Prinzipien der Europäischen Union, die sich für friedvolle Konfliktlösungen und die Weiterentwicklung der ökonomischen Wohlstands einsetzen? Russland und Europa sollten nach einem friedlichen, konstruktiven Verhältnis streben. Die unter Ihnen, die nach der Wiedervereinigung von Europa 1990 geboren wurden, wurden in eine Zeit des demokratischen Friedens hineingeboren. Aber dieser Frieden kam erst zustande, nachdem den Kriegen Europas vor hundert Jahren eine gesamte Generation junger Menschen zum Opfer fiel. Vor 70 Jahren haben die Amerikaner gekämpft und gelitten – darunter mein Vater – viele sind gestorben, damit Sie und auch ich heute in Frieden leben können. Ich kam nach Deutschland als amerikanischer Offizier, um Westdeutschland gegen die sowjetische Bedrohung zu verteidigen, die Osteuropa besetzt hatte und 17 Millionen Menschen mit einer Diktatur unterdrückte, die eingeschlossen waren hinter einer Mauer und erschossen wurden, wenn sie flüchten wollten. Vor 25 Jahren hat die chinesische Regierung demonstrierende Studierende niedergeschossen. Ich war in Ost-Berlin eingesetzt, als einige Monate später mutige Deutsche in der DDR dabei geholfen haben, die Berliner Mauer zu stürzen – aber ohne die Anwendung von Gewalt! Danach haben sich die Vereinigten Staaten in Zusammenarbeit mit Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion  dafür eingesetzt, Deutschland in Frieden zu vereinigen. Die Verfassung der Vereinigten Staaten beginnt mit den Worten: „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Seit 70 Jahren arbeiten die Vereinigten Staaten mit ihren europäischen Verbündeten daran, diese Errungenschaften auch für Europa zu erhalten – und Henry Kissinger hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Das ist unser Vermächtnis. Es war mit großen Belastungen für die transatlantischen Partner verbunden, für Amerikaner und Europäer. Das dürft ihr niemals vergessen! Es ist an Euch, es zu beschützen.

Was sind Ihre Hoffnungen, Ziele und Sorgen bezüglich Ihrer Zukunft in Bonn?

Ich hoffe, dass ich mit der Fakultät der Universität Bonn einen Beitrag leisten kann, Deutschlands Rolle im Spannungsfeld internationaler Sicherheit zu debattieren. Eine Debatte, die Bundespräsident Gauck und die Minister von der Leyen und Steinmeier initiiert haben und bei der es insbesondere um die Bedeutung von Deutschlands Verantwortung in diesem Bereich geht.

Haben Sie einen persönlichen Bezug zur Stadt Bonn?

Ich habe einige Jahre in Bonn gelebt, während ich für die Amerikanische Botschaft tätig war und freue mich darauf, nun ein drittes Mal nach Bonn zurück zu kehren. Ich habe schon oft beobachtet, dass der Ausspruch zutrifft: „It‘s an honor to be a Bonner!“ Ich mag es, am Rhein entlang zu radeln und durch die Altstadt in der Nähe der Bonner Universität zu schlendern.

Haben Sie eine Botschaft an die Studierenden?

Ich dränge die Studierenden dahingehend, sich bestmöglich anzustrengen, um von ihren Professoren zu lernen, dabei Fragen zu stellen und die besondere Möglichkeit zu nutzen, Ideen zu erforschen. Außerdem sollten sie auf jeden Fall Spaß haben!

Schlüsselereignisse

Gedanken über Europa und die Demokratie

Was kann man tun für eine bessere Welt? Ist die westliche Demokratie glaubhaft? Und: Sind europäische Werte Heuchelei? Ein prägendes Ereignis regt zum Nachdenken an: über Europa, Demokratie und die Menschen.

Das Studium prägt jeden von uns unterschiedlich. Nach drei oder fünf Studienjahren können wir uns nicht mehr an alles erinnern, was wir erlebt haben, wohl aber an einzelne Schlüsselereignisse. Ein solches Ereignis fand für mich während der Sitzung eines Seminars über internationale Herausforderungen statt. Wir hatten damals die Gelegenheit, mehr über eine Reihe von autokratischen Herrschern aus Afrika und dem Orient zu erfahren. Manche von denen haben in Westeuropa studiert, sind später in ihren Heimatländern Diktatoren geworden, oder haben sogar Völkermord begangen. Der Dozent sagte uns diesbezüglich: „Wer solche Pläne hat, sollte jetzt bitte mein Seminar verlassen.“ Wir haben gelacht, es erhob sich natürlich niemand.

Ein Jahr später gab mir ein Gespräch mit einem Kommilitonen aus dem Ausland Anlass zum Nachdenken. Es gäbe keine europäischen Werte, vielmehr sei das nur Rhetorik und Heuchelei, war die Überzeugung meines Gesprächspartners. In der EU würden zyprische Sparer „demokratisch“ enteignet und die Ausländer als Menschen zweiter Klasse betrachtet. Wo sei denn bitte hier die sogenannte Freiheit, Solidarität und Gleichheit der Menschen zu finden? „Und was heißt schon ‚Demokratie‘, dass jeder das tut, was er will? Soll ich mich deshalb ausziehen und nackt durch Bonn laufen?!“, fragte er mich.

Es waren nicht seine Einstellungen, die mich nachdenklich machten. Das eigentliche Problem dabei ist, dass unsere Einstellungen von den eigenen Erfahrungen und Beobachtungen beeinflusst werden. Die persönlichen Einstellungen können nicht entweder falsch oder richtig sein, sie sind einfach von dem geprägt, was wir erlebt haben.

Dieses Gespräch fand im späten Herbst 2013 statt. Zu der Zeit las man in den Zeitungen, dass ein Dutzend von deutschen Dschihadisten in Syrien unterwegs ist, um dort zu kämpfen. Personen, die sicherlich einigen von uns mal als Nachbarn, Schulkameraden oder spontane Bekanntschaft begegnet sind. Das Bundesinnenministerium zeigte sich besorgt, dass die dorthin eingereisten Personen ideologisiert und kampfbereit nach Deutschland zurückkehren würden.

Mancher könnte sich zurecht fragen: Wie kann es sein, dass Westeuropa die Gelegenheit gehabt hat, bei der Ausbildung zukünftiger Diktatoren mitzuwirken? Wie kann es sein, dass Kommilitonen, die mit uns zusammen studieren, an den Werten Europas zweifeln, und wir das nicht mal wissen? Wie kann es sein, dass Menschen, die in einem demokratischen Land geboren wurden, sich entscheiden, zu den Waffen zu greifen, um diese möglicherweise gegen den Westen zu richten? Offenbar machen wir etwas falsch. Aber was? Ich glaube, wir reden zu wenig miteinander.

Es sind, wie oben erwähnt, die Erfahrungen, die einen prägen und seine Einstellungen beeinflussen. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, pflegte ein ehemaliger Student der Uni Bonn zu glauben. Wenn wir miteinander nicht genug reden, wie sollte man in der Lage sein, das Handeln, das Empfinden und die Verwandlung unserer Mitmenschen zu verstehen? Geschweige denn zu wissen, dass jemand Hilfe oder einfach ein gutes Wort braucht. Smalltalk und Oberflächlichkeit sind heute angesagt. Und wenn man so gut vernetzt ist, und fünfzig Leute am Tag trifft, die einem fünfzigmal sagen „Gut, danke, und dir?“, dann ist man am Ende des Tages nicht unbedingt schlauer. Mehr Ehrlichkeit, mehr Interesse füreinander, das brauchen wir.

Eine friedliche, eine bessere Welt braucht Weltbürger und Weltbürgerinnen, die mit offenen Augen durch das Leben gehen. Was bedeutet das? Das bedeutet mehr Interesse für unsere Mitmenschen zu zeigen, mehr miteinander zu reden. Ja, wir versuchen bereits, morgens mit halb offenen Augen unsere Vorlesungen und Seminare zu erreichen, oder auch nicht. Aber, dass unsere Augen nicht wirklich offen sind, zeigen nicht nur die oben erwähnten Beispiele, sondern alles in der Welt, dessen Fortbestehen nicht erwünscht ist: Intoleranz, Gewalt, Extremismus, Krieg.

Vieles auf dieser Welt passiert aus einem erstaunlich simplen Grund: Weil wir es zulassen. Und es ist deutlich einfacher, in unserer Umgebung ehrliches Interesse und Verantwortung für unsere Mitmenschen zu zeigen, als sich später zu fragen, wie denn aus X plötzlich Y geworden ist, wieso man nach Syrien „reisen“ möchte und warum die viel beachtete Demokratie des Westens von Gleichgesinnten infrage gestellt wird.

In prominenter Gesellschaft

Bekannte Gesichter an der Uni Bonn

Seit ihrer Gründung im Jahr 1818 haben Tausende von Studierenden die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität besucht und hier ihr Studium durchlaufen – darunter auch einige prominente Vertreter. Als fleißige Stipendiaten oder als Bummler und Tagträumer haben sie hier ihre Studentenzeit verbracht. Ob nun als Grundlage für ihre Karriere oder als Zwischenstopp auf dem Weg zu anderen Berufungen – zu dieser Zeit war noch nichts entschieden und die späteren Karrieren standen bei den meisten noch in den Sternen. Für alle aktuellen Studierenden, die von Ruhm, Macht oder Prominentendasein träumen, besteht also noch Hoffnung, es ihnen gleich tun zu können. Also ranhalten – vor allem mit Blick auf den bescheidenen Frauenanteil, wären ein paar neue Köpfe in der illustren Gruppe sicher eine erstrebenswerte Sache.

Ihm verdankt die Stadt Bonn den Regierungssitz der Bundesrepublik. Wahrscheinlich hat Konrad Adenauer die Stadt während seines Jura-Studiums an der Rheinischen Friedrich-Wilhems – Universität  lieben gelernt, das er vom vierten Semester an, ab dem Herbst 1985, in hier zu Ende brachte.  Während seiner Zeit als Student war er Mitglied des Katholischen Studentenvereins Arminia in der Kaiserstraße und hörte dort auf den Biernamen „Toni“. Nach sechs Semestern legte er 1897 das erste juristische Staatsexamen mit der Note „gut“ ab. Kein Wunder, dass er die Stadt in schöner Erinnerung behalten hat!

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben schrieb den Text zum Lied der Deutschen, dessen dritte Strophe heute als deutsche Nationalhymne gesungen wird. Das Handwerkszeug für das Verfassen bedeutungsschwerer Texte lernte der spätere Germanistik-Dozent wohl während seines Studiums in Bonn von 1818 bis 1821. Nachdem er sein „Erststudium“ der Theologie in Göttingen noch „mit wenig Geld und Lust“ begonnen hatte, inspirierte ihn die Begegnung mit dem Märchenbruder Jacob Grimm zum Studium der Germanistik und Deutschen Philologie und er wechselte kurz darauf an die frisch gegründete Universität in Bonn. Seit 1819 war er Mitglied der „Alten Bonner Burschenschaft, auch „Allgemeinheit“ genannt, in der seine nationalen Ideale geteilt wurden, die  jedoch deshalb 1820 in Folge der Karlsbader Beschlüsse aufgelöst wurde. 1821 zog Fallersleben weiter nach Berlin.
Er ist vielleicht der weltweit bekannteste Student der Bonner Universität: Karl Marx kam 1835 im Alter von 17 Jahren nach Bonn und studierte hier nach dem Willen seines Vaters Rechtswissenschaften und Kameralistik (ein Verfahren der Buchführung). Er genoss offenbar das „wilde Studentenleben“, zumindest wurde er wegen „nächtlichen Lärmens und Trunken­heit“ verurteilt und es wurde gegen ihn wegen „Tragen eines Säbels“ ermittelt. Außerdem soll er sich in seinem Studienjahr in Bonn einem „poetischen Kränz­chen“ angeschlossen haben, das wegen radikaler politischer Ideen von der Polizei überwacht wurde. Da seine Noten sich nach dem ersten Semester deutlich verschlechterten, musste er auf Druck seines Vaters nach einem Jahr 1836 an die Universität von Berlin wechseln.

Die gleiche Fächerkombination wie Marx hatte auch Heinrich Heine, der 1819 sein Studium in der gerade einmal ein Semester alten Universität Bonn begann. Das Studium wurde dem späteren Dichter und Schriftsteller, der sich zu dieser Zeit noch Harry nannte, von seinem vermögenden Onkel finanziert. Genau wie Fallersleben traf Heine zur Zeit der vormärzlichen Studentenbewegung in Bonn ein und schloss sich ebenfalls im Jahr seiner Immatrikulation der Verbindung „Allgemeinheit“ an, in der seine Ansichten geteilt wurden und an deren Ausflügen er teilnahm. Wegen seiner Teilnahme an einem Fackelzug ins Siebengebirge zum Gedenken der Völkerschlacht von Leipzig, wurde er durch das akademische Gericht der Bonner Universität verhört. Da sowohl die Rechts- wie auch die Kameralwissenschaften ihn nicht sonderlich interessierten, belegte er im ersten Semester nur die eine juristische Pflichtvorlesung. Viel mehr interessierten ihn hingegen die Geschichte der Deutschen Sprache und die Poesie, die Geschichte des Deutschen Reiches und Literaturwissenschaften, in denen er Vorlesungen bei August Wilhelm Schlegel und Ernst Moritz Arndt besuchte. Im Wintersemester 1820 wechselte er an die Universität nach Göttingen.

Zu den großen Namen, mit denen die Universität Bonn sich rühmen kann, gehört auch der Philosoph und Philologe Friedrich Nietzsche, der als 20-Jähriger im Wintersemester 1864/65 sein Studium der klassischen Philologie und evangelischen Theologie hier begann. Die Burschenschaft Frankonia verließ er bereits nach einem Jahr wieder, da ihm das Verbindungsleben nicht zusagte, genauso wie sein zweites Studienfach Theologie, das er nach dem ersten Semester abbrach und sich ganz der klassischen Philologie widmete. Da Nietzsche mit seiner Lage in Bonn generell unzufrieden war, wechselte er schon 1865 mit seinem Philologieprofessor nach Leipzig.

Auf der langen Liste der prominenten Absolventen der Bonner Uni ist Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles eine der wenigen Frauen. Sie begann 1990 ein Studium der Politikwissenschaft, Philosophie und Germanistik, das sie nach 20 Semestern als Magistra Artium beim heutigen Rektor der Universität Jürgen Fohrmann abschloss. Während ihres Studiums war sie bereits für einen Bundestags­abgeordneten tätig und war zudem von 1995 bis 1999 Bundesvorsitzende der Jusos. 2004 begann sie noch ein Promotionsstudium in Germanistik, welches sie jedoch 2005, wegen ihrer Tätigkeit im Bundestag, einstellte.

Mit 18 Jahren nahm 1877 der Prinz und spätere Kaiser Wilhelm II. an der von seinem Großvater gegründeten Universität in Bonn sein Studium auf. Wilhelm, der keinen akademischen Abschluss machen, sondern sich hauptsächlich ein Grundlagenwissen aneignen sollte, studierte hier vier Semester lang und besuchte dabei Veranstaltungen in Staats- und Völkerrecht, Nationalökonomie, Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik, Archäologie, allgemeiner Geschichte und auch in Physik und Chemie. 1878 wurde er Corpsschleifenträger der schlagenden Studentenverbindung Borussia Bonn, bei der er von da an den Großteil seiner Zeit verbrachte. Zum Unmut seiner Mutter, die angeblich vermerken ließ: „Zum nachhaltigen Arbeiten müßte man Wilhelm anhalten – da er von Natur aus ein solcher Bummler und Tagedieb ist.“ Wilhelm hingegen empfand seine Studienzeit in Bonn als die unbeschwerteste Zeit seines Lebens und rühmte später die Mitgliedschaft bei den Borussen als die „beste Erziehung, die ein junger Mann für sein späteres Leben bekommen kann.“  Mit Blick auf die historischen Folgen ein Urteil, das heute wohl angezweifelt werden darf.

Nicht schön, aber wahr: Auch Joseph Goebbels, der Reichspropagandaleiter im Dritten Reich, war 1917 bis 1918 Student der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Dort immatrikulierte er sich für die Fächer Altphilologie, Germanistik und Geschichte. Er war Mitglied der katholischen Studentenverbindung Unitas und erhielt vom Albertus- Magnus-Verein auch eine Art Stipendium. 1918 wechselte Goebbels über die Universitäten Freiburg, Würzburg und München nach Heidelberg, wo er 1922 promovierte.

Auch der bekannteste bekennende Bonner Guido Westerwelle absolvierte dort ab dem Jahr 1980 sein Studium der Rechtswissenschaften. Im gleichen Jahr trat der FDP bei und gehörte zu den Mitbegründern der Jungen Liberalen, deren Bundesvorsitzender er ab 1983 war. 1987 beendete er sein Studium mit dem juristischen Staatsexamen. Nach dem Referendariat am Amts- und Landgericht Bonn folgte 1991 sein zweites juristisches Staatsexamen.
Ulrich Wickert, der als Mr. Tagesthemen bekannt wurde, begann nach seinem Abitur 1961 ein Jurastudium in Bonn. Hier engagierte er sich unter anderem als AStA-Sportreferent und gründete das Ballettstudio der Universität. 1962 ging er mit einem Fulbright-Stipendium in die USA, wo er begann, sich für Politische Wissenschaften zu interessieren und sein bisheriges Berufsziel Diplomat verwarf. Nach seiner Rückkehr nach Bonn legte er daher seinen Schwerpunkt auf die Politikwissenschaften und schloss 1968 sein Studium mit dem Staatsexamen ab. Durch Zufall gelang ihm kurz später der Einstieg in den Fernsehjournalismus. Um 1966 schrieb Wickert außerdem für die akut-Redaktion.

Ein Studium an der Universität Bonn scheint ein gutes Sprungbrett für eine Karriere bei den Tagesthemen zu sein: Auch Wickerts Nachfolger Tom Buhrow, der die Sendung von 2006 bis 2013 moderierte, hat in der damaligen Bundeshauptstadt studiert, und zwar Geschichte, Politikwissenschaften und (man lese und staune) Rheinische Landeskunde. Dass er Journalist werden wollte, wusste er bereits nach seinem Abitur 1978, sodass er schon während seines Studiums für die Lokalredaktion des Bonner Generalanzeigers in Siegburg arbeitete. Sein Studium schloss er 1984 mit dem Magisterexamen ab und begann kurz darauf sein Volontariat beim WDR.

Auch Konrad Duden, der Vater des nach ihm benannten Rechtschreib-Wörterbuchs der deutschen Sprache, studierte ab 1846 vier Semester Geschichte, Germanistik und klassische Philologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. In dieser Zeit war auch er Mitglied der Studentenverbindung Germania. Nach vier Semestern brach er sein Studium jedoch ab, vermutlich aus finanziellen Gründen und wurde Hauslehrer. 1854, also sechs Jahre später, holte er mit besonderer Genehmigung, und vermutlich mit einer sanierten Haushaltskasse, sein Staatsexamen in Bonn nach.
Die beiden Comedians und Schauspieler Bastian Pastewka und Bernhard Hoëcker waren bereits während ihrer Studienzeit in Bonn befreundet und machten gemeinsame Auftritte als „Comedy Crocodiles“. Pastewka begann 1992 nach seinem Zivildienst ein Studium der Pädagogik, Germanistik und Soziologie, verließ die Uni aber bereits 1993 ohne Abschluss. Hoëcker studierte von 1993 bis 1996 Volkswirtschaftslehre bis zum Vordiplom (vergleichbar mit dem Bachelor-Abschluss), bevor auch er sich voll und ganz seiner Bühnentätigkeit widmete.

Bekannte Söhne der Alma Mater (I)

Interview mit Günter Verheugen

Die Uni Bonn hat viele berühmte Söhne. Einer davon ist Günter Verheugen, ehemaliger EU-Kommissar und ex-Vizepräsident der Europäischen Kommission. Im Interview mit der akut spricht er über Politik und Demos im Hofgarten.

Guten Tag, Herr Verheugen. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben!
Sie haben an der Universität Bonn Politische Wissenschaft, Soziologie und Geschichte studiert. Heute haben viele junge Leute Probleme, sich für ein Studienfach zu entscheiden. Ging es Ihnen so ähnlich oder war Ihre Fächerkombination sozusagen Ihre Berufung?

Nein, überhaupt nicht! Ich hab das studiert, worauf ich Lust hatte! Einen Beruf hatte ich zu der Zeit übrigens schon gelernt. Ich war bereits ausgebildeter Redakteur und meine Absicht war natürlich, nach dem Studium zu diesem Beruf zurückzukehren. Ich wollte eine journalistische Karriere machen.

Das heißt also, dass Sie gar nicht in die Bundeshauptstadt Bonn gekommen waren, um in die Politik zu gehen?

Überhaupt nicht! Ich war zwar zu der Zeit schon politisch tätig; ich war aktiv bei den Jungdemokraten – das war damals die Jugendorganisation der FDP – aber  die Idee, dass die Politik mein Beruf werden könnte, hatte ich während meines Studiums nicht.

Und wie ist Ihnen dann der Einstieg in die Politik gelungen?

Gelungen gar nicht, das kam auf mich zu! Ich saß im Politikwissenschaftlichen Seminar in dieser alten Villa in der Lennéstraße , eines Nachmittags Ende Oktober 1969, und da kam die Sekretärin von Professor Bracher, dem Professor damals, ganz aufgeregt herein und fragte: „Ist hier ein Verheugen? Da ist der Minister am Telefon.“  Am Telefon war Genscher. Der war gerade Innenminister geworden, und er sagte: „Können Sie morgen mal bei mir vorbeikommen? Ich hab was mit Ihnen zu besprechen.“  Und da machte er mir das Angebot, für ihn im Bundesinnenministerium zu arbeiten.

Und wie haben Sie reagiert?

Ich sagte, dass das nicht ginge, weil ich noch an meiner Doktorarbeit schrieb und die erstmal fertig werden sollte. Doch er antwortete: „Ach, das machen Sie doch nebenbei und außerdem dauert diese Regierung nicht so lange und mit mir machen Sie eine einmalige Erfahrung.“ Und so habe ich mich rumkriegen lassen. Aber diese beiden Annahmen – einen Doktor nebenbei und eine kurzlebige Regierung – waren beide grundfalsch.

Wie war Genscher denn auf Sie aufmerksam geworden?

Er kannte mich schon durch meine politische Arbeit. Aber weshalb er glaubte, dass ich der richtige Mann für seine Öffentlichkeitsarbeit war, weiß ich bis heute nicht. Aber es hat funktioniert.

Sie haben ja Ende der Sechziger hier in Bonn studiert. Das waren sicher wilde und sehr politische Zeiten. Wie war es in den 1968ern an der Uni?

Ich war nicht aktiv in der Studentenbewegung. Ich hab mich auch nie mit Hochschulpolitik beschäftigt oder für den AstA kandidiert. Ich war sehr aktiv, aber auf einem anderen Feld. Deshalb ging das, was an der Uni politisch abging, zwar nicht an mir vorbei, ich war aber kein direkter Teil davon. Beeinflusst hat es mich sehr – wie alle zu dieser Zeit – aber es war nicht so, dass ich zu dem, was man damals APO nannte (Außerparlamentarische Opposition, Anm. der Red.) dazugehörte. An Demonstrationen hat man natürlich teilgenommen, das gehörte sich so. Zum Beispiel gegen die Notstandsgesetze.

War das die große Demo im Hofgarten?

Ja, da waren viele. Es war ein Riesenrummel. Bald zogen Demonstrationszüge durch die ganze Stadt. Das verteilte sich dann hinterher. Jedenfalls landete ich am Ende mit ein paar tausend anderen vor dem Innenministerium in der Rheindorferstraße. Da standen wir und haben skandiert: „Benda“, also der damalige Innenminister, „wir kommen“. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich wenig mehr als ein Jahr später da drin sitze, hätte ich ihn ausgelacht.

Mittlerweile sind Sie ja selbst Honorarprofessor und sehen das universitäre Geschehen aus der anderen Perspektive. Was fällt Ihnen denn an der heutigen Situation im Vergleich zu damals auf?

Ich habe mich anfangs sehr schwer getan, die neue Zeit vollständig zu begreifen. Das Studium ist heute ganz anders. Es ist viel reglementierter. Die Studierenden müssen viel konzentrierter arbeiten. Die Leistungsnachweise sind viel strenger als das zu meiner Zeit war. Insgesamt ist mein Eindruck, dass das Studium heute viel mehr der direkten Vorbereitung auf einen Beruf dient, als das zu meiner Zeit noch der Fall war.

Würden Sie bezüglich der Studierenden der Aussage zustimmen, dass die heutige Generation eine unpolitische Generation ist?

Nein. Also ich habe natürlich auch einen Masterstudiengang in Politischer Wissenschaft, bei denen sollte man annehmen, dass sie sich dafür interessieren. Niemals habe ich den Eindruck gehabt, dass wir eine unpolitische junge Generation haben. Sie ist anders politisch. Sie hat andere Ausdrucksformen und sie will nicht in Parteimühlen zermahlen werden.

Sie waren auch lange Jahre als EU-Kommissar und stellvertretender EU-Kommissionspräsident in Brüssel tätig. Eine Karriere in der EU ist heute das Ziel vieler Politikstudenten.  Was können Sie solchen Studierenden raten?

Das stimmt, aber eine Karriere in den europäischen Institutionen ist schwierig. Wer dort Beamter werden möchte, muss durch ein sehr hartes Auswahlverfahren gehen. Dreisprachigkeit ist dort heute gefragt, Englisch und Französisch sind ein Muss. Die Konkurrenz ist riesig, im Augenblick haben Deutsche auch nicht die allerbesten Chancen.

Warum?

Weil immer noch ein personeller Nachholbedarf aus neuen Mitgliedsländern besteht.  Also sollte sich niemand ausschließlich auf EU-Institutionen fixieren, wenn der künftige Arbeitsort in Brüssel sein soll. Es gibt auch andere Möglichkeiten in Brüssel: unendlich viele Institutionen, Verbände, Consultancies, Think Tanks,…

Haben Sie selbst denn in Ihrem Studium schon Schwerpunkte in Internationalen Beziehungen oder Europa gelegt?

Nein, Europa war damals nicht mein Thema. Ich muss auch ehrlich gestehen, dass mich das damals nicht sonderlich interessiert hat. Ich fand während des Studiums Internationale Beziehungen viel spannender. Das hat sich später als ein Vorteil erwiesen, weil ich ja auch noch ein paar Jahre im Auswärtigen Amt war. Erst in den Neunziger-Jahren packten mich europäische Fragen so richtig.

Sie haben selbst eine Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht und sind ja auch letztendlich an die Universität zurückgekehrt. Was liegt Ihnen näher? Angewandte Politik oder Politische Wissenschaft?

Ich war mit Leib und Seele Politiker, aber als ich vor vier Jahren in Brüssel aufhörte, entschied ich, meine aktive politische Zeit zu beenden. Ich wollte mich jedoch nicht völlig zurückziehen, sondern es reizte mich, mein Wissen an Studenten weiterzugeben. Wenn Sie mich aber fragen, was leichter ist, Politik oder Wissenschaft, kriegen Sie eine klare Antwort: Es ist wesentlich einfacher, über Politik zu schreiben, zu reden, sie zu analysieren und Politiker zu kritisieren, als Politik selber zu machen. Das ist sehr viel schwerer.

Eine letzte Frage: Was ist Ihnen bei Ihrer Studienzeit in Bonn am schönsten in Erinnerung geblieben?

Die Freiheit! Das können Sie sich wahrscheinlich heute so nicht  vorstellen. Das Studium bot große Freiheiten, vielleicht sogar zu viele Freiheiten. Ich hätte etwas zielbewusster arbeiten können, aber ich habe dafür alles Mögliche außerhalb meiner eigenen Fächer gehört, weil es mich schlicht interessierte. Das war sehr bereichernd und ich bin froh, dass ich das machen konnte. Zudem war und ist Bonn wirklich eine sehr schöne Stadt. Ja, meine Studienzeit war toll!

Vielen herzlichen Dank für das Interview, Herr Verheugen!

Zur Person

Günter Verheugen, Jahrgang 1944, war von 1999 bis 2004 EU-Kommissar für Erweiterung, von 1999 bis 2010 EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie und Vizepräsident der Europäischen Kommission. Er studierte nach einer Redakteursausbildung zwischen 1965 und 1969 in Köln und Bonn Politische Wissenschaft, Soziologie und Geschichte. Direkt nach seinem Studium wurde er Referatsleiter für Öffentlichkeit im Bundesinnenministerium unter Hans-Dietrich Genscher, mit dem er später ins Bundesaußenministerium wechselte. 1982 trat der FDP-Politiker aus seiner Partei aus, nachdem diese die sozial-liberale Koalition beendet und eine neue Koalition mit der CDU eingegangen war. Noch im selben Jahr wechselte Verheugen zur SPD. Seit seinem Rückzug aus der Politik im Jahr 2007 ist Günter Verheugen Honorarprofessor für Europäisches Regieren an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.

In Bonn erlebt & In Bonn entdeckt

In Bonn erlebt

Immer wieder ein Erfolg

Wenn Quichotte und René Deutschmann die Glocke zu ihrem berühmten Poetry Slam „Raus mit der Sprache“ in der Beueler Schauspielhalle läuten, so nehmen Heerscharen Kulturwütiger die Mühe auf sich, über die Brücke auf die andere Rheinseite zu radeln. Die Reise an diesem Sonntagabend Ende Mai hat sich gelohnt, in der „Dead or Alive“-Ausgabe des Slams treten drei längst totgeglaubte Dichter der Weltgeschichte gegen vier moderne Slammer an. Und selbst Satan gibt sich die Ehre, steigt mit abgehackten Bewegungen aus den Tiefen der Theaterkulisse empor und rezitiert dabei in verstörendster Manier den Schriftsteller Alfred Döblin. Reihum präsentieren die Künstler ihre gut fünfminütigen Texte. Nachdem das Publikum sich so durch ein abwechslungsreiches Programm geklatscht hat, das einen Bogen von der Liebe, über soziale Tabus, virtuelle Netzwerke, griechische Mythologie bis hin zu experimenteller Lyrik spannt, besteigt am Ende der Finalrunde ein schlaksiger Kerl in Turnhemd und Pluderhose das Podest. Herzlichen Glückwunsch an den barfüßigen Andy Strauß aus Münster! Wir freuen uns, denn es ist irgendwie beruhigend, dass die lebendigen Dichter sich im Kampf um die Gunst der Zuschauer gegen die altehrwürdigen Genies behaupten konnten. Neue, irre Ideen überzeugten auf der kleinen Bühne an diesem Tag mehr als die kunstvolle Ausstaffierung à la William Shakespeare – der nun, wie seine Kollegen, in sein Grab zurücksteigen muss.

Von Hannah Rapp und Laura Breitkopf

In Bonn entdeckt

Zwischen zwei Uni-Seminaren mal schnell etwas essen gehen? Oder hungrig nach einem Stadtbummel irgendwo einkehren? Da habe ich einen Tipp! „Iss dich glücklich“ heißt das kleine Restaurant in der Franziskanerstraße direkt am Koblenzer Tor am Uni-Hauptgebäude. Seit vier Jahren bieten die Inhaber hier schon persische Küche zu moderaten Preisen an. Wer nicht gerade zur Mittagszeit kommt, findet sicher einen Platz. Die Karte bietet warme und kalte Gerichte für drei bis zehn Euro an. Besonders zu empfehlen ist die hausgemachte Curry-Creme- Suppe für vier Euro. Dazu hat der Gast die Auswahl zwischen verschiedenen frischgepressten Säften, die in Smoothie-Konsistenz serviert werden. Die meisten Gerichte haben die Inhaber an den deutschen Gaumen angepasst und bereiten sie fettreduzierter als im Originalrezept zu. Alle Gerichte bieten eine tolle Alternative zu Burger, Pizza und Co.!

Von Lauren Ramoser

Smart phone, dumb people

Alles, was man nicht sieht, wenn man nur aufs Handy schaut

Wenn man ab und an von seinem Smartphone aufsieht, kann man in seiner urbanen Umgebung jede Menge entdecken: Die Rede ist von Streetart – kleine Kunstwerke an Stromkästen, Hausfassaden und Laternenpfählen, mal politisch, mal sozialkritisch, mal einfach nur lustig.

Sie befinden sich auf unseren täglichen Routen durch Bonn. Auf dem Weg zur Uni oder auf dem Weg nach Hause verstecken sie sich vor dem flüchtigen Blick, doch fallen sie eines Tages ins Auge und man fragt sich: Moment, war das schon immer da?

Viele der Streetart-Pieces in Bonn stammen von dem Künstler 1zwo3, der die Straßen der Stadt, und nun auch diese Seite, mit seinen humoristischen Bildern schmückt. Rechtlich bewegt er sich dabei in einer Grauzone. Da er nicht in die Grundstruktur von Gebäuden eingreift, gilt sein Handeln nicht als Vandalismus. „Bilder malen, ausschneiden und nachts an Stromkästen, Unterführungen und Notausgänge kleistern“, gilt als sein Hobby, beruflich ist er im Grafik- und Designbereich tätig. Vorzugsweise zeichnet er Tiere oder Helden, die er mit menschlichen Marotten verbindet. „Vermenschlichung und Alltägliches lassen die Figuren normal erscheinen, was im vollständigen Gegensatz zu dem steht, wie wir sie von Kindesbeinen auf kennen lernen“, so 1zwo3.

Also einfach mal das Handy in der Tasche lassen und Augen auf – denn Streetart ist auf jeden Fall interessanter als das zwanzigste Foto von irgendeinem Mittagessen eines entfernten Bekannten.

In diesem Sinne: Guten Appetit beim Augenschmaus.

Ein Hoch auf Bonn!

Wenn schon nicht Bundeshauptstadt, wenigstens eine Hymne

Jede hippe und junge Stadt braucht heutzutage ein Lied, welches das eigene Lebensgefühl besingt. Da hat nun auch Bonn nachgezogen. Also aufgepasst, Bonn! Hier kommt der Bonn Song!

Mit dem Song feiert die Stadt sich selbst und seine Bewohner, die das Projekt tatkräftig unterstützten. Insgesamt sind im Bonn Song rund 30.000 Stimmen von Bonner Bürgerinnen  und Bürgern zu hören. Daneben griffen auch Lokalberühmtheiten zum Mikro, um ihre Heimat zu besingen. Darunter sind illustre Namen zu finden wie Bernd Stelter, Konrad Beikircher und Bernhard Hoecker.

Damit hat der Bonn Song alles, was eine Hymne braucht:Die Promis für etwas Glamour, Kinder und Senioren für etwas Menschlichkeit, glitzernde Stadtpanoramen für etwas Flair und eine Maultrommel für etwas Beat. Das ist emotional und mitreißend!

Für den Bonn Song wurde die Stadt auf Hochglanz poliert. So gehört es sich natürlich für ein Video, das die Stadt repräsentiert. Ach, wie schön ist Bonn! Der glitzernde Rhein, die glänzende Poppelsdorfer Allee und das strahlende Poppelsdorfer Schloss als Krönung. All das kann man im Musikvideo bewundern. Aber Achtung, wer lichtempfindliche Augen hat, sollte lieber eine Sonnenbrille tragen. Bei all dem Glitzer besteht Blendungsgefahr!

Auch die Universität wird erwähnt, schließlich ist die besungene Stadt ja auch Universitätsstadt. Das muss man natürlich zeigen. So sitzen also gut gelaunte, hübsche Studentinnen auf der Hofgartenwiese, die bezeugen, wie studentisch authentisch man hier lebt.

Und für alle, die Bonn nicht kennen, werden nochmal alle Attraktionen aufgezählt: Der Rhein, der Blick auf das Siebengebirge, die Goldenen Bärchen, Karneval und natürlich Beethoven! Aber auch für die Alteingesessenen gibt es noch einen neuen Fakt im Bonn Song. Die schönste Stadt Italiens ist Bonn am Rhein! Na gut, es gibt eine Menge italienische Restaurants und Eisdielen und betrachtet man die Karte NRWs, liegt Bonn im Süden, also Mailand oder Madrid – oder Bonn – Hauptsache Italien!
Neben Kitsch, Rheinromantik und immer wieder Beethoven hat der Bonn Song aber doch eine Daseinsberichtigung, denn ein Drittel des Erlöses, der durch den Verkauf der CDs erwirtschaftet wird, geht an den Bonner Verein „Bunter Kreis“, der schwerkranke Kinder und deren Familien unterstützt. Also wohl doch: Ein Hoch auf Bonn!

Jenseits der Propaganda

Blick auf die Ukraine-Krise

Wir sitzen zusammen an einem Mittwochabend in der Mensa. Alexander und Iryna sind beide gebürtige Ukrainer. Eugeny, Evgeniya und Boris kommen aus Russland. Yuriy stammt aus Weißrussland. Meine Gesprächspartner studieren Politik oder Volkswirtschaftslehre und haben sich bereit erklärt, über die Ukraine-Krise zu reden. Mein Artikel soll ihre Meinungen zu diesem Thema abbilden und meinen Kommilitonen eine Stimme geben.

Was hat die Ukraine-Krise ausgelöst, möchte ich in erster Linie wissen. War es die Ablehnung des ex-ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen? Alexander schüttelt mit dem Kopf: „Es ging bei den Protesten auf dem Maidan nicht um das Assoziierungsabkommen mit der EU. Die Mehrheit der Ukrainer wusste nicht genau, was dieses Abkommen überhaupt bedeutet.“ Es waren ein paar hundert jungen Menschen, die sich im November 2013 noch vor der geplanten Unterzeichnung des Abkommens mit der EU an Protestaktionen gegen die Regierung beteiligt hatten. Die Regierung von Janukowitsch unterdrückte die Proteste brutal und löste somit eine Wut-Welle der Bevölkerung aus. „Dieses Abkommen ist dann plötzlich zu einem Symbol geworden, zu einem Symbol für die Zukunft, für ein besseres Leben“, so Alexander. Man erklärt mir weiter, dass die wirtschaftliche Lage in der Ukraine inzwischen so miserabel war, dass es auf einmal zu einer Kettenreaktion kam. Die Proteste weiteten sich aus, das ukrainische Volk war sich mehrheitlich einig, dass das Land einen neuen Anfang braucht. Alexander betont, dass es bei dieser Krise nicht alleine um die Orientierung nach Westeuropa geht, es geht darum, dass man das Land ändern möchte. Die EU sei kein Ziel, sondern ein Mittel zum Ziel, und obwohl die Kommilitonen aus der Ukraine nicht genau wissen, was Europa einem bringen wird, sind sie sich jedoch sicher, dass man mit Russland keine Perspektive hat – mit Russland würde alles beim Alten bleiben.

Ich möchte trotzdem wissen, wie meine Gesprächspartner die Abkühlung der Beziehungen zwischen Kiew und Moskau empfinden, schließlich besteht zwischen den beiden Völkern eine besondere Verbindung. Die Antwort kommt prompt und ist eindeutig: Die Abkühlung der Beziehungen mit Russland sei eine natürliche Reaktion auf die Handlung von einem langjährigen Partner und Brudervolk. Im wichtigsten Moment hat Moskau nicht das ukrainische Volk unterstützt, sondern den korrupten Präsidenten, der von dem ganzen Land gehasst wurde. Ein Teil der Ukraine wurde besetzt und annektiert, und in einem anderen Teil des Landes würden dank dem Kreml Kriegszustände herrschen. Wie kann man unter diesen Umständen die Russische Föderation als Partnerland ansehen, fragt man empört.

Die Kommilitonen aus Russland hören aufmerksam zu, und schweigen. Ich weiß nicht, wie ich ihre Zurückhaltung interpretieren soll: als Zustimmung, stillschweigende Ablehnung? Oder ist man überrascht, wie tief der Kreml das ukrainische Volk enttäuscht hat?

Evgeniya meldet sich zwischendurch zu Wort, ich merke, dass sie die Position von Alexander und Iryna deutlich verstehen möchte. Wenn man sich einig ist, dass das Land sich ändern muss, wie soll das erfolgen? Haben die Ukrainer einen Plan? Schließlich wurde in der Runde wiederholt, dass man sich von den Beziehungen zu Russland nichts Gutes erhofft, und für den EU-Markt ist die Ukraine nicht wettbewerbsfähig. Yuriy, der gebürtige Weißrusse antwortet dazu, dass für die Ukraine kurzfristig alle Optionen schlecht seien. Geht man nach Russland, hat man keine Perspektive. Schaut man nach Europa, gibt es wenigstens langfristig eine Perspektive. Und was nützt es einem, dass die Ukrainer ihre Produktion nach Russland exportieren können, schließlich geht es um die Veränderung der Verhältnisse in diesem Land, nicht um Absatzmärkte.

Wir kommen dazu, über die Annexion der Krim zu reden. Alle drei Kommilitonen aus Russland verurteilen Moskaus Vorgehen auf der Krim. Selbst Boris, der offen zugegeben hatte, dass er sich für Politik nur wenig interessiert, war schockiert als die Krim annektiert wurde. Er kann immer noch nicht glauben, dass so etwas im 21. Jahrhundert möglich ist.

Es lässt sich in diesen Momenten deutlich spüren, wie verbittert die ukrainische Seite von diesem Ereignis ist. „Die ganze Welt hat uns in dem Moment verlassen, als die Krim annektiert wurde. Hat jemand interveniert, wo war die Welt?“ fragt Alexander und zeigt Unverständnis dafür, dass gerade der Kreml es gewagt hat, das System, das nach dem zweiten Weltkrieg herrscht, zu zerstören. Eugeny spricht dazu auch Klartext: Die Krim-Annexion ist unrechtmäßig gewesen: „Wir sollten die Krim zurückgeben, das wird aber nicht passieren, solange die Russische Föderation besteht.“
Ich frage nach, ob die Auswirkungen der politischen Spannungen zwischen den beiden Regierungen bereits auf der Völkerebene spürbar sind. Iryna nickt und bedauert gleichzeitig sehr, dass die zwei Völker sich nicht mehr mögen. Es gäbe aber nach wie vor Teile der Bevölkerung, sowohl in der Ukraine als auch in Russland, die sich nicht in einen Hasszustand treiben lassen wollen. Evgeniya betont auch, wie sehr sie sich wünscht, dass die Ukrainer und die Russen sich nicht gegenseitig hassen, auch wenn die Politik falsch ist.

Ich frage in die Runde, ob der Ton, mit dem die öffentliche Debatte um die Ukraine-Krise geführt wird, als angemessen bezeichnet werden kann. Schließlich sind Vergleiche zwischen Hitler und Putin keine Seltenheit mehr. Evgeniya zeigt sich darüber empört: „Ich möchte Putin nicht schützen, aber der Vergleich ist einfach krass. Putin tötet doch keinen.“

Wir reden über die Separatisten in der Ost-Ukraine, und die nächsten Meinungsunterschiede zeichnen sich ab. Eugeny fragt mich: „Warum nennst du sie Separatisten? Man kann sie auch Freiheitskämpfer nennen. Warum werden die Separatisten in Syrien als Freiheitskämpfer bezeichnet, aber diejenigen, die in der Ukraine für ein Stück Land kämpfen, als Terroristen dargestellt? Die Freiheitskämpfer in der Ost-Ukraine müssen auch eine Stimme haben und dürfen nicht abgeschlachtet werden.“ Ich frage nach, ob meine Gesprächspartner einverstanden sind, dass die aktuelle Regierung in Kiew mit den Separatisten nicht verhandeln möchte. Alexander erzählt, dass die Separatisten untereinander sehr gespalten seien. Es gebe niemanden, der sowohl die Bevölkerung dieser Regionen, als auch die anderen „Freiheitskämpfer“ hinter sich habe. Gleichzeitig macht der Student deutlich, dass die Regierung den Separatisten oft genug angeboten habe, die Waffen niederzulegen und den Konflikt zu beenden. „Wenn sie es bisher nicht getan haben, dann sollten die Menschen, die eine Waffe in der Hand haben, militärisch bekämpft werden, weil sie Feinde sind.“

Nach zwei Stunden setzen wir unser Gespräch im Juridicum fort – die Mensa muss schließen. Dabei sind nur noch Alexander, Eugeny und Evgeniya. Was würden sie den verantwortlichen Politikern ausrichten, möchte ich zum Schluss wissen.

Eugeny und Evgeniya sind der Meinung, dass die „Großmächte“ sich in diesen Konflikt am besten nicht einmischen sollten. Für die Ukraine wäre besser, kein Abkommen mit der EU zu unterzeichnen. Das Geld, das von der EU kommt, sei kein Geschenk, sondern es sei ein Kredit, der später mit Zinsen zurückgezahlt werde. Mit Bezug auf unsere Diskussion, zeigt sich Eugeny irritiert, dass im Laufe des Abends niemand erwähnt hat, dass die Proteste auf dem Maidan von dem Ausland finanziert wurden und dass die Kommilitonen aus der Ukraine kein Mitleid für die Kämpfer im Osten der Ukraine gezeigt haben: „Die Ukraine besteht aus zwei Völkern und es sieht so aus, als ob im Moment nur ein Teil der Bevölkerung eine Stimme hat. Das hat mit Demokratie nichts zu tun.“ Evgeniya sagt mir, dass wir im Laufe dieses Abends alles gehört haben, was wir schon tausendmal in den Nachrichten gesehen hätten. Das zeige, wie stark der Einfluss der Propaganda sei, und dass es uns mittlerweile schwer falle, alleine über dieses Thema nachzudenken. Zum Schluss betont sie, dass die Ukrainer selber entscheiden müssten, was sie wollen. Nicht zuletzt bedauert sie, dass man so viel über Politik und so wenig über die Menschen dort geredet habe.

Alexander möchte der russischen Seite ausrichten, dass sie sich für die Interessen des eigenen Volkes und des eigenen Landes einsetzen und nicht den Traum von „Großrussland“ verfolgen sollte. Die neue ukrainische Regierung, die eine große Verantwortung ihrem Volk gegenüber trägt, müsste darüber nachdenken, was sie für ihr Land machen kann – die Hoffnung der Menschen auf dem Maidan darf nicht verraten werden.

Das Krisen-Management des Westens bezeichnet Alexander als schlecht. „Das, was wir in diesem Kampf um die Ukraine sehen, das ist eigentlich eine tiefgründige Existenzkrise der EU. Diese Krise hat für mich das weitere Bestehen dieser Union infrage gestellt. Wenn die EU weiter bestehen möchte, muss sie lernen, Stärke zu zeigen. Die europäischen Politiker müssen begreifen, dass man härter durchgreifen muss, wenn man die eigenen Interessen durchsetzen möchte, auch wenn die eigenen Geschäftsleute flehen, es nicht zu tun. Stärke heißt manchmal: Verzicht auf Rendite.“

Auch das Juridicum muss inzwischen zumachen. Ich danke meinen Kommilitonen, dass sie dabei waren. Wir verabschieden uns mit Handschlag und lächeln dabei, trotz unterschiedlicher Meinungen, trotz verletzter Nationalgefühle.

Darum geht’s

Ende November 2013 kam es in Kiew zu gewaltsamen Protesten gegen die ukrainische Regierung, dessen Präsident, Viktor Janukowitsch, die Unterschreibung eines Assoziierungsabkommens mit der EU abgelehnt hatte. Die Proteste dauerten zwischen November 2013 und Februar 2014 an und erwirkten die Absetzung des Präsidenten und vorgezogene Präsidentschaftswahlen. Ende Februar 2014 verlagerte sich die Ukraine-Krise auf die Halbinsel Krim als Folge des Misstrauens russischer Bevölkerung auf der Krim gegenüber der provisorischen pro-westlichen Regierung in Kiew. Nachdem bei einer Volksabstimmung auf der Halbinsel am 16. März 96,6% der Menschen für einen Russland-Beitritt gestimmt hatten, wurde die Halbinsel Krim von der Russischen Föderation annektiert. Die Ukraine, die USA und die EU betrachten das Referendum als völkerrechtswidrig und erkennen die Abspaltung der Ukraine nicht an. Im Südosten der Ukraine, in den Regionen Donezk und Lugansk kam es ebenfalls zu Konfrontationen zwischen pro-russischen und pro-ukrainischen Kräften. Am 25. Mai fand die Präsidentschaftswahl in der Ukraine statt, bei welcher Petro Poroschenko als Sieger hervorging. Die Auseinandersetzungen zwischen den Separatisten im Osten des Landes und der ukrainischen Armee dauern an, der neue Präsident macht sich stark für ein Ende des Konflikts. Stand: Anfang Juni 2014

Meuterei in der RB 48

(K)ein Kommentar

Über dem Kölner Südbahnhof kreisen die Geier, denn sie riechen die Verzweiflung der Pendler: Ich stehe am Gleis 1 und durch die Kopfhörer läuft „The Hellbound Train“ von Those Poor Basterds, der Regionalexpress hat an diesem Montag mal wieder Verspätung und die einfahrende Regionalbahn 48 ist überfüllter als eine U-Bahn in Tokio. … He blowed the whistle and rung the bell / And the devil says „Boys, the next stop is hell!“ / And all of the passengers yelled with pain / And begged the devil to stop the train …
All diejenigen unter euch, die ebenfalls nach Bonn pendeln, sei es von Köln aus oder von sonstwo, werden das Drama kennen: Die meisten Züge haben Verspätung und wenn sich doch mal einer von ihnen zu einer Haltestelle verirrt, scheint er vor stickiger Luft, verschwitzten Leibern, Grundschülern und Gewaltpotential zu platzen. Nimm einen letzten Mutschluck aus dem Flachmann, fahr die Ellenbogen aus, küsse deine Kinder “Goodbye“ und wirf dich ins Getümmel. Da stehst du dann zunächst einmal nach Luft ringend und eingequetscht zwischen schlecht gelaunten Linksaufstehern und wenn du Glück hast, geht die Fahrt schnell vorbei, doch meistens hat man Pech. Denn um andere Züge vorzulassen, wird die Fahrt immer wieder unterbrochen und die Menschen werden noch genervter und gereizter – Tod und Elend in der RB 48.

Mit einer Stimme, die über die Lautsprecher klingt, wie irgendetwas zwischen einem Funkspruch in den Schützengräben Verduns und Darth Vader, verkündet der Zugführer an diesem Tag, dass „sich die Weiterfahrt aufgrund einer Überholung durch einen verspäteten Zug um einige Minuten verzögern wird“. Wüste Flüche und Schimpftiraden aus den Waggons sind die Antwort. Der arme Mann muss sich fühlen wie Will Bligh, denke ich, Leutnant der legendären Bounty, die er bei einer Meuterei an die Denunzianten verlor, welche ihn daraufhin in einem Beiboot auf dem Südpazifik aussetzten und zum Teufel schickten. Bligh überlebte zwar, aber werden wir heute Morgen genauso viel Glück haben wie er? Was dann nämlich an Bord der Regionalbahn passiert, lässt sich kaum in Worte fassen: „Es war grauenvoll“, soll später ein traumatisierter Fahrgast zu Protokoll geben, der noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen ist. Im ausgebrannten und demolierten Wrack werden Bergungstruppen später das Logbuch des Zugführers finden, aus dem ich, Gott sei seiner Seele gnädig, nun zitieren möchte: >>Station 1: Die Stimmung an Bord wird zunehmend gereizter. Die Menschen, die eng aneinandergedrückt werden, scheinen durch den beißenden Schweißgestank, der die Gesichtszüge entgleisen lässt und sich tief in die Großhirnrinde brennt, langsam kirre zu werden und auch das Zugpersonal wird zunehmend nervöser. … Ich hoffe nur, wir haben noch genügend Orangen gelagert. Station 2: Langsam befürchte ich, dass wir niemals im Bonner Hauptbahnhof einlaufen werden! Der erste Schaffner ist an Skorbut erkrankt und der Rest ist durch die täglichen Anfeindungen der ausgemergelten und aggressiven Fahrgäste bereits fast vollständig demoralisiert. Ich muss mir etwas einfallen lassen; sonst –  beim allmächtigen Herrn – sind wir alle verloren! Station 3: Wie schmerzlich vermisse ich meine Frau und meine Kinder, ich hoffe sehnlichst, sie bald wieder zu sehen, falls wir diese Hölle überstehen. Bei der letzten Station wollte sich eine Frau mit Fahrrad in das überfüllte Fahrzeug drängeln – nur der beherzte Einsatz von Tasern und Pfefferspray konnte den erzürnten Lynchmob von Passagieren davon abhalten, sie bei voller Fahrt durch die notgeöffnete Ein- und Ausstiegsluke gehen zu lassen. Ich habe schon ganz vergessen, wie es ist, frische, unverbrauchte Luft in meinen Lungen spüren … das Festland, das Festland, es fehlt mir so sehr! Station 4: Wir fahren unter schwarzer Flagge! Ich habe mich in der Fahrerkabine verbarrikadiert, die Türe zugenagelt, als sie versucht haben, sie einzutreten. Von draußen dringen Geräusche zu mir durch, die mich nachts nicht schlafen lassen. Schüsse fallen, ich kann sie gedämpft hören, Fingernägel kratzen an der Türe meiner Kabine, die mir nun als Panic Room dient. Meine Konserven gehen zur Neige und wenn ich aus dem Fenster meines Führerstandes schaue, sehe ich dicken schwarzen Qualm aus dem Fahrzeug in die rußige Morgenluft steigen<<. Ich werde im Stehen (man fällt zwischen so vielen Menschen schließlich nicht um) von einer vertrauten Stimme aus meinen fieberhaften Albträumen geweckt: Es ist wieder Darth Vader, der diesmal über die Lautsprecher verkündet, dass wir in Kürze den Bonner Hauptbahnhof erreichen werden. Als es endlich soweit ist und sich die Türen des Zuges öffnen, strömen mir Sonnenstrahlen und Böen frischer Luft entgegen und ich sinke auf die Knie für ein Dankgebet – das Festland, das Festland, es fehlte mir so!