Prof. Dr. Radvan über Bücher, das Lesen und den besten Kaffee – Florian Radvan ist seit 2014 Professor für Fachdidaktik Deutsch an der Uni Bonn. Vor seiner Arbeit an der Uni, war er auch als Lehrer tätig. Die akut spricht mit ihm über die jeweiligen Vorteile von der Arbeit an Schule und Uni, guten Kaffee (oder Tee?) und die Gefahren des Lesens.
Interview: Hannah Rapp
akut Wenn die Uni noch ein Kurfürstliches Schloss wäre, welche Position hätten Sie dort am liebsten inne?
Radvan Auch im Kurfürstlichen Schloss wird es eine Art Hausverwaltung gegeben haben, jemanden, der mit dem Herrschaftsinstrument Schlüsselbund ausgestattet ist. Was mich daran interessiert hätte, wäre natürlich der Blick hinter die Kulissen des Gebäudes gewesen, das Wissen um die Verliese im Keller und die Verstecke auf dem Dachboden, um Tapetentüren und geheime Gänge. In großen, auf Repräsentanz angelegten Gebäuden wie dem Schloss, gibt es ja zumeist eine zweite Welt, zu der man für gewöhnlich keinen Zutritt hat, die der ersten Welt des Sicht- und Begehbaren aber auch etwas Kulissenhaftes verleiht.
akut Wo gibt es in Uninähe den besten Kaffee?
Radvan Schon während meiner Schulzeit und später auch zum Studium habe ich einige Jahre in England verbracht – bin also eher als Teetrinker sozialisiert und habe die dortigen Marotten des Teetrinkens lieb gewonnen: So wurde aus mir ein Anhänger des Prinzips ‚Mif‘ (steht für „milk in first“), das in Konkurrenz zu ‚Tif‘ (also „tea in first“) steht. Ich bin also kein Kaffee-Experte, obwohl ich gern zum Arbeiten ins Café gehe. Wenn es in Bonn zwischendurch ein Kaffee sein muss, dann allerdings eher an einem Ort, wo man nicht (oder nur bei gutem Wetter) arbeiten kann: zum Kaffee-Roller.
akut Was ist besonders toll an der Uni Bonn? Gibt es etwas, das Sie gerne verändern würden?
Radvan Toll ist natürlich, dass die Universität sich entschlossen hat, das Lehramtsstudium wieder einzuführen! Am Aufbau der Fachdidaktiken beteiligt zu sein, mit dem Zentrum für schulpraktische Lehrerbildung (ZfsL Bonn) bei der Planung des ersten Praxissemesters zu kooperieren und überhaupt Einfluss auf die Curricula zu haben, ist eines der großen Privilegien meiner Tätigkeit. Die Veränderungswünsche liegen momentan eher im Bereich der Fachdidaktik: Unsere Lehrwerks-Sammlung möchte ich weiter ausbauen, gern mit Unterrichtsmaterialien aus der Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre. Darüber hinaus habe ich mir vorgenommen, eine Ringvorlesung für Fachdidaktik einzurichten und, perspektivisch, auch ein Forschungskolloquium für Deutschdidaktik, etwa wenn es hier die ersten Absolventen unserer Lehramtsstudiengänge gibt.
akut „Digitales Schreiben im Deutschunterricht“ ist der Titel eines Vortrages, den Sie gehalten haben. Wie sehr verändern die Neuen Medien den Deutschunterricht – positiv und negativ?
Radvan Auf eine einfache Formel von besser oder schlechter lässt sich der Einsatz neuer Medien, etwa des Computers, nicht bringen. Eine aktuelle Studie zur Kompetenz von Schülerinnen und Schülern im Bereich der Digitalität besagt, dass die Bundesrepublik bestenfalls Mittelmaß ist. Das hat natürlich viele Gründe: Die IT-Ausstattung an vielen Schulen, fehlende oder nicht konsequent angewendete Unterrichtskonzepte, vielleicht auch eine zu lange Zögerlichkeit in der Fachdidaktik, sich mit computerbasiertem Lernen zu beschäftigen. In Bonn untersuchen wir im Augenblick, welches Fähigkeitsselbstkonzept, d.h. welche persönliche Wahrnehmung Schülerinnen und Schüler in Bezug auf das digitale Schreiben haben. Dabei zeigt sich, dass etwa Neuntklässler ihre Schreibkompetenz als durchweg besser einschätzen, wenn sie mit dem Computer oder auf einem iPad arbeiten – eine Einschätzung, die nicht unbedingt mit den realen Kompetenzen übereinstimmt. Gewinnbringende Möglichkeiten, den Computer im Deutschunterricht einzusetzen, sehe ich etwa bei der Überarbeitung von Texten. Interessant ist auch die Frage, wie sich die Akzeptanz des Computers bei Leistungsüberprüfungen ändern wird. Sprich: Sollten Klassenarbeiten in Zukunft auf dem Notebook geschrieben werden?
akut Was ist der Vorteil der Arbeit an der Universität? Was vermissen Sie an der Arbeit als Lehrer?
Radvan Sicherlich bietet mir die Universität die Möglichkeit, mich über längere Zeit und auch theoretisch mit Fragen zu beschäftigen, die mich als Lehrer praktisch betrafen: der Prozess des Schreibenlernens etwa oder der Umgang mit Texteditionen.
Auf der anderen Seite vermisse ich – ganz klar – die Aufgaben, die man als Klassenlehrer hat. Dabei handelt es sich ja um Aufgaben, die sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen beziehen, sondern primär kommunikative sind: das Herstellen eines guten Klassenklimas und die Bewältigung sozialer Probleme, auch in Zusammenarbeit mit Eltern, etwa bei klassischen Erziehungsfragen.
Häufig ist im Schulalltag eben, zumindest mehr als an der Uni, das Improvisationstalent und eine gute Portion Krisenmanagement gefragt. Dass Schülerinnen und Schüler weniger reserviert, recht unmittelbar in ihrem Verhalten, häufig auch sehr diskussionsfreudig sind, hat mich jedenfalls an der Schule fasziniert.
akut Welches sind die größten Veränderungen in der Deutschdidaktik?
Radvan Eine deutliche Veränderung hat sich vor zehn bis 15 Jahren ergeben, seitdem ist die Deutschdidaktik nicht nur, aber zunehmend eine empirische Wissenschaft. Für das Fach ist es natürlich zentral, so einen Anschluss an die Forschungsmethodiken der Sozialwissenschaften, der Erziehungswissenschaften oder der Psychologie zu gewinnen. Dennoch hatte dieser ‚empirical turn‘ – und ich vermute, nicht nur für mich – zunächst seine Tücken, da ich weder als Student noch als Lehrer mit Methoden zur Datenerfassung und -auswertung jemals in Berührung gekommen war. Sich mit Statistik in Form von Korrelationskoeffizienten oder Faktorenanalysen auseinanderzusetzen, ist eben keine Aufgabe für einen Feierabend.
akut Was war Ihre persönliche Lieblingslektüre im Deutschunterricht?
Radvan Mit dem Begriff Lieblingslektüre tue ich mich schwer, weil er irgendwie impliziert, dass man diese Bücher wieder und wieder liest. Das habe ich in der Schule definitiv nicht getan! Mein persönliches Erweckungserlebnis waren Theatertexte von Bertolt Brecht und zwar nicht unbedingt die, die man als kanonisiert bezeichnen würde. Wir hatten in der Oberstufe eine Deutschlehrerin, die mit uns eine ganze Reihe der kürzeren, zum Teil auch fragmentarisch gebliebenen Stücke Brechts wie „Das wirkliche Leben des Jakob Geherda“ oder „Die Hochzeit“ gelesen hat. Wir haben damit, was in den späten 1980er Jahren noch exotisch war, auch szenisch gearbeitet. Mindestens ebenso haben mich die Gedichte von Brecht begeistert, der als Lyriker in der Schule, denke ich, leider vernachlässigt wird.
akut Finden Sie im Moment Zeit zu lesen? Was ist Ihr Lieblingsbuch von 2014 und warum?
Radvan Ja, zum Lesen nehme ich mir immer Zeit! Während der Weihnachtsferien zum Beispiel ein Buch von Ulrich Raulff, dem Leiter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach: „Erinnerung an die Siebziger“. Es hat den Untertitel „Die wilden Jahre des Lesens“ und schildert, was Raulff als Student in Marburg, Paris und London erlebte. In Frankreich begegnet er den später auch in Deutschland so einflussreichen Philosophen und (Literatur-)Theoretikern wie Foucault oder Roland Barthes. Besonders fasziniert hat mich der Abschnitt über die Bibliothek als Biotop, vielleicht weil uns die Tradition des beinahe zwanghaften Gangs in diese Welt der Bücher und das exzessive Lesen dort gerade verloren gehen. Ganz zu Beginn des Jahres 2014 las ich übrigens (leider viel zu spät) ein Buch von Pierre Bayard, das ein Freund mir zu Beginn meiner Tätigkeit in Bonn geschenkt hatte: „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“.
akut Was wollen Sie den Studierenden bzw. den akut-Leserinnen und Lesern noch mit auf den Weg geben?
Radvan Der Umgang mit Büchern führt zum Wahnsinn. Das hat Erasmus von Rotterdam gesagt und – ganz falsch ist es sicherlich nicht!