New York, New York

Ausstellung»Ich war noch niemals in New York…« – musst Du auch nicht, denn Du bist in Bonn und das hiesige Kunstmuseum zeigt mit »New York Painting« aktuelle Positionen junger aufstrebender Künstler des Big Apple.

von KATI ENGELMANN & JANA KIPSIEKER

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Foto: Kati Engelmann / AKUT

Keine sieben Stunden Flugzeit über den großen Teich, sondern lediglich einen Kurztrip auf die Museumsmeile und schon bist Du mittendrin. Es geht um Pinsel und Farbe, sprich Malerei. Die Bonner Ausstellung ist ein experimenteller Versuch, zu zeigen wie diese am Beispiel der vitalen Künstlerszene New York Citys heute neu interpretiert werden kann.

Es präsentiert sich in Bonn eine neue Generation von elf New Yorker Künstlern, die bereit sind, die Grenzen der Malerei zu ergründen und sie gegebenenfalls zu verwischen. Der Besucher begibt sich auf eine Abenteuerreise durch die verspielten Reflexionen von Urbanität der aufstrebenden Avantgarde unter den zeitgenössischen Pinselakrobaten. Beim Gang durch die Ausstellung stellt sich vermehrt die Frage, was zusammengenähte Stoffformen, an Wänden befestigte Türen, durch die es kein Durchkommen gibt, oder computerdesignte Bilder mit unserer gängigen Vorstellung von Malerei zu tun haben. Wenig. Aber diese Positionen zeigen, dass auch die Malerei flexibel vom digitalen Fortschritt vereinnahmt werden kann. Frei nach dem Motto der Wiener Sezession »Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit« sucht sich auch die Malerei neue Wege im Umgang mit dem kontemporären Fortschritt. Die Exponate der Ausstellung zeugen von einer Lebendigkeit, welche die Konventionalität der Kunsttradition sprengt, um den Geist der Zeit zu treffen. Diese beabsichtigte Konfrontation mit künstlerischen Spielereien soll die Besucher ermuntern sich auf einen individuellen Diskurs mit den Exponaten einzulassen. Offenbleibende Fragen sowie Kritik sind im Konzept der Ausstellung verankert und folglich erwünscht. »New York Painting« läuft noch bis zum 30. August 2015. Studierende (Eintritt 3,50 Euro) jeglichen Faches sind aufgerufen sich mit diesen elf extravaganten Positionen aus Übersee auseinanderzusetzen. Es lohnt sich!

Soziales im Blick

Für soziales Engagement ist in vielen Studiengängen genug Zeit. Wer sich für einen gerechteren Zugang zu Bildung auf der ganzen Welt einsetzen will, ist bei »Weitblick« richtig. Die Initiative bietet motivierten Studierenden die Möglichkeit sich sozial auszutoben.

von LAUREN RAMOSER

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Foto: Lauren Ramoser / AKUT

Wenn studentisches Engagement auf eine gute Idee und ein reales Problem trifft, dann kommt ein Projekt wie »Weitblick« dabei raus. 2008 in Münster gegründet und mittlerweile in 15 Städten bundesweit vertreten. In Bonn hat sich schnell eine Ortsgruppe gefunden und seitdem zahlreiche Projekte umgesetzt. Neben den Patenschaftsprogrammen »BiBo« und »Kombo« gibt es die Auslands- und Kulturgruppe und das Konzept »Aus der Reihe getanzt« in Dransdorf. Studierende engagieren sich sozial und bieten Kindern durch verschiedene Aktivitäten eine Perspektive und Unterstützung im Alltag.

So auch Frank Schlüter. Der 23-Jährige studiert VWL im Master an der Uni Bonn und wollte sich neben seinem Studium sozial engagieren. »Kombo ist ein Projekt, das sich für Bildungsgerechtigkeit mit regionalem Fokus einsetzt.« In Kooperation mit der Realschule Hardtberg und ihren zwei Integrationsklassen werden Schüler, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland leben, mit den Studenten zusammengebracht. In diesen Integrationsklassen sollen die Schüler innerhalb eines Schuljahres auf Regelniveau gebracht werden. »Jedem von uns wird in Absprache mit der Lehrerin nach einem Kennenlern-Nachmittag ein Schüler zugeteilt. Und dann sieht das Konzept vor, einen Nachmittag in der Woche zusammen zu verbringen. Das kann dann jeder selbst gestalten«, erklärt Frank.

Die Kinder haben ganz unterschiedliche Geschichten und politische Hintergründe. Manche sind Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, andere sind mit ihren Eltern aus dem Ausland hergezogen. »Mein Patenkind stammt aus Lettland. Nach anfänglicher Scheu haben wir langsam eine gemeinsame Basis gefunden. Er schlägt jetzt auch vor, wenn er gerne zum Fußballtraining möchte, oder zum Basketball. Manchmal unternehmen wir auch etwas in der Gruppe mit den anderen Paten und ihren Kindern.« Das gemeinsame Erkunden der Stadt und das wachsende Vertrauen seines Patenkinds gefällt Frank am besten.

Philipp Lehmann aus dem Weitblick-Vorstandsteam erklärt: »Bei uns kann sich jeder einbringen, wie er möchte. Ob mit einer Idee oder mit persönlichem Engagement, wir sind da offen für neue Vorschläge.«

Weitblick finanziert sich neben Spenden durch die Stabstelle Integration der Stadt Bonn, die das Projekt seit Jahren unterstützt. Jeden Montag um 20 Uhr finden die Gruppentreffen in der KHG in der Brüdergasse 8-9 statt, zu denen Interessierte jederzeit willkommen sind.

Vamos a la »Flyer«

Ein Selbstversuch Flyer zu Veranstaltungen für einen ganzen Monat sammeln und
dann auch zu jeder Einzelnen hingehen. Ob sich das lohnt und welche Erfahrungen warten,
das habe ich getestet.

von LAUREN RAMOSER

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Foto: Lauren Ramoser / AKUT

Manchmal entsteht das Gefühl an der Uni Bonn, dass das gesamte soziale Leben, jegliche Veranstaltungen, Hinweise, Einladungen und alles andere, das man auf Papier drucken kann, über Flyer organisiert wird. Ob in den Auslagen in den Gebäuden oder als Platzdeckchen in den Mensen, durch professionelle Flyer-Verteiler oder im Flugblattprinzip. Spätestens aber mit einem Fahrradkorb als zentralem Flyer-Anzugs-Ort: Man kommt nicht an ihnen vorbei. Bisher habe ich meistens dankend abgelehnt. Aber was habe ich dadurch eigentlich verpasst? Wie sähe mein Leben in Bonn aus, wenn ich zu jeder Veranstaltung gehen würde, zu der ich so freundlich, bunt bedruckt und wedelnd eingeladen würde?

Das habe ich getestet. Eine Woche lang habe ich Flyer gesammelt. Mein Fahrradkörbchen hat mich dabei tatkräftig unterstützt und am Freitag häufte sich ein Stapel unterschiedlichster Zettel auf meinem Schreibtisch. Der Redaktionsschluss dieser AKUT als Deadline hat die Veranstaltungsdichte kaum eingeschränkt. Meine Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen würden nicht auf einen Flyer passen, dieser Bericht darüber vielleicht schon. Zu Beginn muss ich festhalten: Wir Bonner sind sehr engagiert. Und wer allein ist oder Langeweile schiebt, der ist selbst schuld. Mein Terminkalender ist einen ganzen Monat randvoll. Die Flyer-Idee nimmt also schon mal jede Menge Freizeit in Anspruch. Viele Veranstaltungen habe ich mit Freunden besucht. Quasi zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. So den Nachtflohmarkt im Kult 41. Schnäppchen, Kurioses und allerlei Trödel bei entspannter Musik und mit Bier in der Hand. Eine gelungene Mischung aus Flohmarktbummel und Barabend. Kontrastprogramm hat ein Vortrag über »Vulva – die große Unbekannte« geboten. Vom AStA organisiert, gab es einen feurigen Fürspruch für das oft zu kurz kommende Genital. Penis versus Vulva. Das muss ja auch nicht sein. Ist es nicht viel mehr eine Symbiose?! Es blieb keine Zeit zum Aufregen. Fernseh- und Physiklehrer-Prominenz Ranga Yogeshwar diskutiert in der Vortragsreihe »zwanzig30« die Zukunft der Städte in der Bundeskunsthalle. Was bleibt, ist die Angst vor der Globalisierung, viele schöne Fotografien von Megacities in China und die Erkenntnis über die oscarreife Parodie des Moderators bei »Switch reloaded«.

Bleiben wir in der Bundeskunsthalle: »Modemethode«. Eine ganze Ausstellung über Zeichnungen und Kleider Karl Lagerfelds und die beispiellose Karriere des Katzenliebhabers. Gestalterisch eindrucksvoll bleibt allerdings die Frage nach dem Mehrwert. Die Wege zwischen all diesen Veranstaltungen lege ich mit dem Rad zurück und kann praktischerweise noch beim Stadtradeln mitmachen. Da fahre ich genauso viel Fahrrad wie sonst, bekomme aber noch einen Gewissensbonus, wieviel CO2 ich gespart habe. Lohnend. Beim »fairen.Frühstück« gibt’s ein gratis Frühstück. Das »finanziert« sich durch ein paar gesprochene Gottesworte. Gottes Wege sind unergründlich, aber sättigend. In jeglicher Hinsicht. Ebenso sättigend war das »Culinara festo« in der Mensa Nassestraße. Da gab es für einen kleinen Beitrag ein internationales All-you-can-eat-Buffet mit ansprechender Bühnenshow als krönendes Dessert. Wo gibt’s die Karten fürs nächste Jahr?! »Triff den Ton«. Singen kann ich nicht. Töpfern auch nicht, aber das wollte ich zumindest auf dem Markt am Münster lernen. Das Mitmachangebot galt allerdings leider nur für Kinder. Sechstes Semester hin oder her.

Eine kostenlose Schreibberatung vom Studentenwerk für das Verfassen von wissenschaftlichen Arbeiten hilft immer. Sehr empfehlenswert. Mit #TAUSCHDICHAUS schwimmt auch Greenpeace auf der virtuellen Welle der Coolness mit. Das Prinzip ist einfach. Selfie in neuer Secondhand-Klamotte, Hashtag drunter und ab ins Netz damit. Umwelt retten 2.0. »NY Painting« heißt eine der aktuellen Ausstellungen im Kunstmuseum. Von Bedeutungslosem bis zum Kreuzworträtsellösen mit Jay-Z ist alles dabei. Und zur Ausstellungseröffnung sogar ganz umsonst. Bonn, das Tor zur Welt. Genau wie zur Vergangenheit: »Arthur und Merlin« im Woki zum Studierendenspezialpreis mit anschließendem Clubbesuch. Stimmen im Kopf, das geht ganz leicht bei der Kopfhörer-Party am Alten Zoll. Für jeden die passende Musik. Gemeinsam Einsam trifft es aber auch. SparUni Bonn. Studentisch einfach mal dagegen sein. Und wenn es noch für das eigene Studium ist, umso besser. Auch wenn bei viel Kritik die Verbesserungsvorschläge fehlen.

In den vergangenen knapp drei Wochen hatte ich jede Menge Spaß, trotz terminlichen Engpässen. In abgespeckter Form werde ich das flyergeladene Veranstaltungsbesuchen beibehalten. Mein Fazit auch im Flyer-Stil:

Horizonterweiternd, spannend, kurios, fremdgesteuert. Geht zu allem, was auf Papier gedruckt wird! Es lohnt sich.

»Die Temperatur, die du einstellst, die kriegst du auch«

Ein Kulturcafé-Waschsalon Ein zauberhafter Waschsalon am Kaiserplatz bietet mehr
als eine kühle Atmosphäre bei Neonlicht – ein origineller Platz für Wäsche und für
die, die sie wachen.

von ALINA SABRANSKY

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Foto: Alexander Grantl / AKUT

Originell. Individuell. Zauberhaft. Undifferenziert. Und vielleicht auch ein bisschen »knüselig« – all das ist der Waschsalon, pardon!, das Waschcafé in der Kaiserstraße 1b.

Mitten im Zentrum Bonns, fast beim Hauptbahnhof und keine zwei Minuten Fußweg vom Unihauptgebäude liegt der »Innovation Point«. Man kann dort waschen, Kaffee oder Tee trinken, Kunst sehen und hören oder einfach nur entspannen. Trocknen kann man natürlich auch! Oder für sich trocknen lassen, ganz nach Belieben.

Vor  sieben Jahren hatte Jutta, Gründerin dieses atmosphärischen Ortes, zusammen mit ihrem guten Freund Klaus die Idee, aus dem vorherigen Copyshop etwas anderes, etwas Ungewöhnliches zu machen. Bestimmt auch angeregt durch ihren Mann, hauptberuflich Opern- und Theaterregisseur, hat sich mit den Jahren eine »Kultur« in diesem Waschcafé entwickelt, die mit nichts Anderem zu vergleichen ist und die vor allem auf Sympathisanten aus aller Welt stößt. Touristen aus Amerika, japanische Tänzerinnen, Interessierte aus jeglichen Bundesländern… von überall her kommen sie. Ja, sogar zwei Mädchen aus Madagaskar haben ihren Weg hierher gefunden.

Hauptsächlich sind es aber, neben einigen Alleinstehenden oder Vollzeit-Berufstätigen, Bonner Studierende (was erklärt, warum Samstag der beliebteste Waschtag ist), die dort mit ihrer Wäsche hinkommen. Alleine, oder mit einer Freundin zum Quatschen.

Besonders das Klavier direkt in der Ecke am Fenster lockt viele an: entweder, um selbst darauf zu spielen, oder um anderen einfach nur zuzuhören. Manchmal singt noch jemand  und man bekommt richtig Lust, auch die eigene Gitarre oder Klarinette von zu Hause zu holen und sich einfach dazuzugesellen. Die mitgebrachten Unisachen und der feste Vorsatz, sich intensiv der Seminarwiederholung von letzter Woche zu widmen, sind dabei eher zweitrangig. Sich ins kuschelige Sofa zu fläzen, Tagträumen nachzuhängen, ein gutes Buch zu lesen oder einfach nur zu entspannen, ist aber auch viel schöner! Und, da man sich dort so schnell heimisch fühlt, gar kein Problem. Wie schnell sind da plötzlich drei Stunden um! Zum Abschluss noch ein Stück des selbstgemachten Kuchens, übrigens von einer Italienerin gebacken, und der Nachmittag ist perfekt. Besonders den Apfelkuchen kann ich jedem ans Herz legen!

Auch abends gibt es jetzt immer häufiger Veranstaltungen, die einen Besuch wert sind: Verschiedenste Musiker aus aller Welt treten auf, deren Repertoire von Oper bis hin zu Rock-Pop und Jazz reicht. Es werden Lesungen gehalten und Theaterstücke aufgeführt. Und das alles umsonst!

Es gibt wirklich wenig Orte, die so atmosphärisch und eindrucksvoll sind, wie dieses kleine Waschcafé.

P.S. Liegen gebliebene Wäsche wird übrigens gesammelt. In einer riesigen Badewanne, vor den noch riesigeren Trocknern. Allerdings wird kaum je etwas wieder abgeholt und man kann sich gar nicht vorstellen, was die Leute so alles vergessen: Männerunterhosen zum Beispiel (mit und ohne Kondom), ja sogar ganze Koffer wurden schon dort gelassen! Da fragt man sich doch, wie hat der oder diejenige seine Wäsche wieder mit nach Hause transportiert?

Hausfrau oder Bundeskanzlerin

Bekannte Absolventin Literatur- und Politikwissenschaft hat Andrea Nahles an der Uni Bonn studiert. Mittlerweile ist die 45-Jährige Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Im E-Mail-Interview beschreibt sie ihren Weg von der Uni in die Politik.

Interview JONAS JOSSEN & SOPHIE LEINS

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Foto: Wahlkreisbüro Andrea Nahles

AKUT   Frau Nahles, Sie sind in Weiler (Kreis Mayen – Koblenz) in Rheinland-
Pfalz aufgewachsen. Was hat Sie dazu bewogen, an der Universität Bonn zu studieren?

NAHLES   Es war die nächste Uni mit einer germanistischen Fakultät, die einen guten Ruf hatte.

AKUT   Wie haben Sie Ihre Studienzeit in Bonn in Erinnerung behalten?

NAHLES   Ich habe gute Erinnerungen an meine Zeit im Studentenwohnheim in der Riemenschneiderstraße. Ich habe sehr viel gelernt und bin auch menschlich gewachsen in den Jahren bei Herrn Prof. Fohrmann. Und ich habe immer – von Anfang an – nie nur studiert, sondern schon bald viel Zeit in meine politische Arbeit reingesteckt. Das war manchmal schade, weil: »echtes Studentenleben« gab es bei mir kaum.

AKUT   Stehen Sie heute noch in Verbindung mit der Universität in Bonn?

NAHLES   Ja. Ab und an habe ich Kontakt zu Kommilitonen und natürlich zu Herrn Prof. Fohrmann.

AKUT   Sie sind ein »Arbeiterkind«. Hatte das Auswirkungen auf Ihr Studium? An welchen Stellen? Glauben Sie, dass sich die Chancen, als Kind von Nicht-Akademikern ein Studium zu absolvieren, seit Ihrem Studium in den 1990er-Jahren verbessert haben?

NAHLES   Ich bin nach der Grundschule erst einmal auf die Realschule gegangen, obwohl ich sehr gute Noten hatte. Meine Eltern hatten sich nicht zugetraut, sowohl meinen Bruder als auch mich studieren »zu lassen«. Aus finanziellen Erwägungen! Zum Glück haben sie mich dann aber doch unterstützt.

Leider hat sich die Situation für Arbeiterkinder seitdem noch nicht wirklich verbessert – sie sind an unseren Hochschulen nach wie vor unterrepräsentiert.

AKUT   Sie haben 20 Semester studiert. Heute wird Studierenden oft vermittelt, dass man das Studium möglichst schnell hinter sich bringen muss. Was halten Sie persönlich von dieser Denkweise?

NAHLES   Ich habe nicht wirklich 20 Semester studiert. Ich habe jahrelang mein Studium ausgesetzt, weil ich 1995 zur Bundesvorsitzenden der Jusos gewählt wurde. Das Studium zügig zu machen ist okay. Aber es sollte doch auch Luft für gesellschaftliches Engagement geben – das ist nicht befriedigend gelöst heute, glaube ich.

AKUT   Waren Sie während Ihres Studiums auch in der Hochschulpolitik aktiv?

NAHLES   Nein. Ich habe mich zwar einmal in der Fachschaft der Politikwissenschaften engagiert, doch da ich landespolitisch und später bundespolitisch aktiv war, blieb dafür einfach keine Zeit.

AKUT   Sie selbst haben Literatur- und Politikwissenschaften studiert. Von Vielen sind Fächer dieser Art als »brotlos« verschrien. Was raten Sie angehenden Geistes- und Sozialwissenschaftlern von heute? Würden Sie noch einmal die gleichen Fächer studieren?

NAHLES   Ja. Das war damals auch schon als »brotlos« gebrandmarkt. Alle meine Kommilitonen, die ich kannte, haben aber gute Jobs bekommen. Also: das machen, was einem entspricht, wo man sich gerne für ins Zeug legen will. Alles andere ist Mist!

AKUT   Inwiefern hat Ihr Studium Sie auf Ihre Karriere als Politikerin vorbereitet?

NAHLES   Ich habe »denken« gelernt, wie ich es vorher nie vermittelt bekommen habe. Alles, was ich gelernt habe, brauch’ ich heute jeden Tag.

AKUT   Als Berufswunsch haben Sie als Abiturientin angeblich noch »Hausfrau oder Bundeskanzlerin« angegeben. Heute sind Sie Mutter und Ministerin. Haben sich damit beide Wünsche ein Stück weit erfüllt?

Glauben Sie, dass sich viele Frauen heute noch zwischen Karriere und Kindern/dem Familienleben zu Hause entscheiden müssen?

NAHLES   Ja. Ich bin froh mit meinem Job und Muttersein. Karriere und Kinder sind heute möglich, aber immer noch anstrengend. Es lohnt sich dennoch!  

Mal ein bisschen Jura

Jura als Begleitfach »Was soll das denn bringen?« Das bekomme ich seit Beginn meines Begleitfachstudiums ständig zu hören. Über Sinn oder Unsinn des Begleitfaches Rechtswissenschaft an der Uni Bonn.

von JOHANNA DALL’OMO

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Foto: Alexander Grantl / AKUT

Für mich war von Anfang an klar, dass ich keine 7 Jahre Gesetzesbücher wälzen will und so war das Begleitfach Rechtswissenschaft eine willkommene Alternative. Aus reinem Interesse entschied ich mich, aus dem Pool der Teilgebiete Strafrecht, Öffentliches Recht, Zivilrecht sowie Grundlagen des Rechts, für Strafrecht. Etwas über Mord und Totschlag zu lernen klang für mich aufregend. Leider war ich wohl alleine mit diesem Wunsch, sodass ich in den Genuss kam als einzige Bonner Studentin in meinem Jahrgang diesen Studiengang zu studieren. Aber wann hat man schon mal einen ganzen Studiengang für sich alleine? Auch die Warnungen der »richtigen« Jurastudenten, ich hätte das schwerste und lernintensivste Fach gewählt, konnten mich nicht entmutigen. Obwohl ich alleine in meinem Studiengang war, bekam ich trotzdem keinen Privatunterricht, sondern besuchte die ganz normalen Kurse der Examensstudierenden. Die »Erfinder« des Begleitfachs Jura hatten jedoch nicht bedacht, dass die Vollzeit-Jurastudierenden in den anderen Teilgebieten Stoff lernten, den ich nie zu Gesicht bekam. Die Strafrechtsprofessoren, die meist nichts von meiner Existenz als Begleitfachstudentin wussten,  setzen jedoch genau diesen Stoff als ganz selbstverständlich voraus. Und weil mir die Materialien aus dem Strafrecht natürlich noch nicht genug waren, arbeitete ich mich zusätzlich durch das BGB, übte den Gutachtenstil und lernte jede noch so kleine Definition.

Ein Lichtblick war dann, dass ich dementsprechend eine etwas leichtere Klausur bekommen sollte. Also schnell den Professor über sein Glück, eine zweite Klausur konzipieren zu dürfen, informiert und auf zur Klausur. Stolz auf seine zusätzliche Arbeit rief er mich vor über 200 Studierenden im Prüfungshörsaal auf, ließ mich nach vorne kommen und die leichtere Klausur abholen. Man kann sich vorstellen, wie viele bitterböse Blicke ich auf meinem Rückweg zu spüren bekam. Seitdem ist es immer wieder aufs Neue meine Aufgabe, jedem neuen Dozenten mitzuteilen, dass ich nur im Begleitfach studiere und er daher andere Prüfungsleistungen für mich anfertigen müsse. Außerdem fehlt, ohne Kommilitonen im selben Fach, immer jemand zum Austauschen, Fragen stellen oder gemeinsamen Lernen. Hier hilft die Fachstudienberatung von Jura weiter, die bisher jedes meiner Probleme lösen konnte. Das größte Problem dieses Begleitfaches ist jedoch die Umrechnung  von Jura- in Bachelornoten. Während eine 1 im Bachelor durchaus realistisch ist, sind die magischen 18 Punkte in Jura nicht zu erreichen. Besteht man also in Jura seine Klausur, ist man oft einer der Glücklichen 20% die überhaupt bestehen. Umgerechnet in Bachelornoten sind die 4 Punkte, die zum Bestehen benötigt werden, dann nur eine 4. Es ist also quasi unmöglich eine 1 oder 2 in Bachelornoten zu bekommen.

Wenn man nicht darauf aus ist, Anwalt oder Richter zu werden und trotzdem etwas über Jura lernen will, dann ist dieses Begleitfach genau richtig. Gerade in der Wirtschaft gibt es viele Berufe, in denen Bachelorabsolventen mit Jurakenntnissen einen Vorteil haben können.

Wer bereit ist, viel Arbeit und Fleiß in sein Begleitfach zu stecken, wird mit interessanten und witzigen Erkenntnissen über unser Rechtssystem belohnt. Trotz aller Vorteile steht dieses Begleitfach noch am Anfang seiner Entwicklung und bedarf daher einiger Verbesserungen, wie z.B. in der Notenumrechnung. Ich bereue es trotzdem auch in meinem letzten Semester nicht, dieses spannende Begleitfach gewählt zu haben.

Keine Angst vor Europa

Bonn, deine Lehrenden Prof. Ludger Kühnhardt ist Direktor des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI). Mit der AKUT spricht er über Europa, dessen Chancen und Herausforderungen und über einen beeindruckenden Lebensweg.

Interview FLORIAN ESSER, mit Fragen von VARVARA STEGARESCU

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Foto: Alexander Grantl / AKUT

AKUT   Was hat Sie dazu motiviert, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen?

KÜHNHARDT   Dicke Bretter zu bohren, weiter zu schauen und, hoffentlich, mit Hilfe klarerer Analysen auch in der Lehre die Erkenntnisse, die ich gewinnen durfte, weiter zu geben.

AKUT   Was könnte man bei dieser Lehre – gerade in Bonn – verbessern?

KÜHNHARDT   Die Bonner Lehre in der Politischen Wissenschaft ist im Prinzip in der ganzen Breite des Faches gut aufgestellt. Sie ist in den Traditionen verwurzelt, die hier seit 1959, von Karl Dietrich Bracher begründet, das Profil geprägt haben. Sie hat sich im Laufe der Zeit immer wieder neu erfunden, neue Schwerpunkte gebildet und sich neuen Aufgaben gestellt. Mein Eindruck ist, auch durch das Gespräch mit vielen Studierenden, dass im Grunde das Bonner Lehrangebot in den hier verfügbaren Studiengängen auch auf eine sehr positive und weitgehend zufriedene Nachfrage der Studierenden stößt.

AKUT   Wo Sie gerade von den Studierenden sprechen, gibt es da für Sie einen Unterschied zu Ihrer Generation der Studierenden? Gibt es einen Unterschied im Denken?

KÜHNHARDT   Früher haben wir vermutlich mehr gelesen und nicht immer gleich gefragt, wie viele ECTS-Punkte es für wie viele gelesene Seiten gibt. Früher war der Versuch stärker, im Sinne des klassischen Studium Universale, möglichst viel aus den Erkenntnissen benachbarter Disziplinen oder aus Fächern, die einen auch noch interessieren, mit in das eigene Denken hinein zu nehmen. Dies war ein natürlicher Antrieb des Studiums. Der Zugang zu der Art, wie man überhaupt an Wissen herankommt und sich mit der Frage auseinandersetzt, wie denn neues Wissen auch durch neue Studierendengenerationen in die Welt kommt, hat sich unter den Bedingungen der Digitalisierung und der alles präsenten Informationsflut fundamental geändert.

AKUT   Betrifft das in Ihren Augen nur die Studierenden oder die komplette Gesellschaft, vielleicht sogar ganz Europa?

KÜHNHARDT   Ich sehe das Ganze nicht als einen Abstieg, sondern eher so, dass jede Generation ein Teil von Transformationen ist, in denen wir alle leben. Die großen derzeitigen Transformationen in den Medien und der Kommunikationskultur werden auf Dauer wohl auch eine ganz neue Form der Wissenschaft hervorbringen. Dabei ist gleichzeitig klar, dass Grundfragen und auch Grundkenntnisse sich nicht deswegen überholen, weil sie alt werden. Alt ist ja nicht das Gegenteil von modern. Die Wasserscheide liegt in der Frage, ob sich eine Methode bewährt hat, um sich eine fundamentale Substanz an Wissen anzueignen. Das ist eine Aufgabe, die sich jenseits von allen Generationenwechseln für alle stellt und zwar unabhängig von der Frage, wie man denn an Wissen und Wissensvermehrung auf optimale Weise herankommen kann.

Was Europa angeht, kann man sagen, dass Europa heute zu einer Selbstverständlichkeit im Radarsystem eines jeden Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften geworden ist. Noch in den Zeiten meines Studiums war Europa im Wesentlichen eine kulturwissenschaftliche Kategorie, die uns Auskunft gegeben hat über unsere geistige und kulturelle Herkunft. Heute ist Europa als Thema der Wissenschaft natürlich weiterhin mit diesem Auftrag verbunden, zwingt uns aber zugleich auch eine Auseinandersetzung mit den Fragen unserer politischen, ökonomischen und juristischen Gegenwart auf.

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Foto: Alexander Grantl / AKUT

AKUT   Viele Krisenländer der EU sehen die kommende Generation als verloren an. Sehen Sie das ähnlich oder denken Sie, dass das Potenzial Europas bloß noch nicht ganz ausgeschöpft wird?

KÜHNHARDT   Das ist kein Widerspruch. Die Tatsache, dass sich so viele junge Menschen in Europa, vor allem durch Arbeitslosigkeit, an den Rand gedrängt und nicht einbezogen fühlen in den Mainstream der europäischen Entwicklungen, ist ein bedrückender Zustand, der zugleich darauf verweist, dass wir das Potenzial der jungen Menschen, die sich nicht als Teil des heutigen Europas verstehen, nicht ausreichend nutzen. Deswegen ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu Recht bei allen Politikern kreuz und quer durch Europa, jedenfalls rhetorisch, auf allen Fahnen zu lesen. Die Tatsache, dass es so eine erschreckend hohe Zahl an Jugendlichen gibt, die nach Abschluss einer Ausbildung Schwierigkeiten haben, in den Beruf zu finden, ist ein bedrückendes Problem in der heutigen EU.

AKUT   Welche Möglichkeiten sehen Sie, dieses Problem zu bekämpfen?

KÜHNHARDT   Es geht immer darum, Wachstumskräfte zu fördern, in deren Folge neue und solide Arbeitsplätze geschaffen werden. In einem Europa, dass auf der einen Seite älter wird, gleichzeitig zum Teil eine schrumpfende Bevölkerung hat, und auch an vielen Orten mit Widerständen konfrontiert ist, mehr Migration zuzulassen, muss man diese Frage in einem globalen Kontext völlig neu stellen. Die Frage der Aktivierung von Wachstumspotenzialen in den Gesellschaften Europas kann man nur noch im Kontext der weltweiten Entwicklung sehen. Und da müssten auch in Europa kreativere Gedanken entwickelt werden, in den Wissenschaften, in der Forschung, in der Industrie und in der Politik. Wachstumspotenziale ergeben sich nicht mehr einfach nur dadurch, dass wir die Dinge, die wir in Europa kennen, lieben und schätzen gelernt haben, optimieren und noch die 35. Verfeinerung des Modells unserer Kaffeetassen, Schreibtische oder Krankenhausequipments erzeugen, sondern wir müssen uns mit der Frage befassen: Wie kann Europa seinen eigenen Wohlstand auch dadurch halten und an die nächsten Generationen weitergeben, dass wir innovative Konzepte entwickeln – zum Wohle der Mehrheit in den heute sogenannten »armen Ländern«. Denn ich glaube, das ist das größte Problem, vor dem die junge Generation Europas steht. Wir haben etwa eine Milliarde Menschen rund um Europa, die in armen Ländern leben. Der Bevölkerungsdruck dort ist nicht nur die Folge von Kriegen, die zu Flüchtlingsbewegungen führen, und ist nicht nur die Folge von Armut, die zu Verfallssituationen führt, sondern der Bevölkerungsdruck ist die Folge besser ausgebildeter, junger Generationen gegenüber Zeiten von vor 30 Jahren, die durch die Kommunikationsmittel viel intensiver verknüpft sind – auch mit dem Lebensstil, den wir hier für selbstverständlich halten und die eine Verbesserung ihrer Lebenschancen wünschen. Solange diese Verbesserung bei ihnen zu Hause nicht berechenbar möglich ist, wird es den jetzt allseits sichtbaren Migrationsdruck auf Europa geben.

AKUT   Wo Sie gerade auf Migration und Flüchtlinge zu sprechen kommen: Auf welcher politischen Seite wünschen Sie sich da mehr Engagement?

KÜHNHARDT   Vor dem Engagement steht die Analyse und ich glaube, da haben wir alle in Europa ein Defizit. Bei dem Themenkomplex der Erleichterung legaler Migration, bei gleichzeitiger Bekämpfung der illegalen und kriminellen Schleppervorgänge, die wir erleben und die zu diesen vielen tragischen Todesopfern im Mittelmeer führen, findet kaum eine Auseinandersetzung mit den Ursachen statt. Mit den Ursachen an den Orten, wo Menschen das Recht und die Sehnsucht haben, die gleichen Lebenschancen zu haben, wie wir sie hier in Europa für selbstverständlich halten. Das ist ein Versäumnis der öffentlichen Diskussion in Europa und dies zu ändern ist eine Aufgabe, eine Verantwortung, aller – in allen Parteien, in den Medien – und aller die an den öffentlichen Diskursen teilnehmen – einschließlich der Wissenschaftler.

AKUT   EU-Skeptiker sagen ja, es gäbe eine solche europäische Identität gar nicht. Sehen Sie das auch als Utopie an?

KÜHNHARDT   Das Motto der EU heißt Einheit in Vielfalt. Die europäische, kulturell gewachsene Identität ist eben pluralistisch, die durch nationale, regionale, kulturelle  und viele andere Faktoren bestimmt ist. Mit Bezug auf die politische Identität in Europa hat die EU unterdessen sehr viele Beiträge geleistet, Beiträge, um eine Form der politischen Identität zu bilden, die es erlaubt, dass gemeinsame europäische Institutionen handlungsfähige Antworten und Lösungen geben auf die Fragen die uns alle miteinander berühren, ganz unabhängig von der Frage unserer spezifischen kulturellen Identität. Das ist ein Weg, den man weiter beschreiten wird müssen, wenn dieses europäische Projekt weiter vorankommen soll. Es geht nicht um die Erstellung einer vereinheitlichten, nivellierten kulturellen Identität. Wir werden in 50 Jahren und vermutlich auch in 500 Jahren noch bayerische Schuhplattler haben und Menschen, die auf der anderen Seite der Straße Auto fahren als andere, unterschiedliche Frühstücksgewohnheiten haben und unterschiedliche religiöse und kulturelle Überzeugungen sowie verschiedene Sprachen – all das wird sich nicht vereinheitlichen. Aber es ist mit der EU ein Bewusstsein gewachsen, dass es neben dieser kulturellen Vielfalt auch um eine politische Identität geht. Beides sollte man in der Analyse tunlichst voneinander trennen. Gerade auch die Beiträge vieler Kolleginnen und Kollegen in der Politischen Wissenschaft, die zu diesem Thema arbeiten, geben Hinweise darauf, dass wir es hier mit einer sich im Wandel befindlichen, nicht perfekten politischen Identität zu tun haben, die gleichwohl in der Lage ist, diesem Kontinent kultureller Vielfalt ein einheitliches institutionelles und konstitutionelles Gefüge und Gesicht zu geben.

AKUT   Hatten Sie bei Ihrem persönlichen Werdegang ein Vorbild?

KÜHNHARDT   Maßstabsetzer würde ich sagen, nicht Vorbilder. Das ist etwas Unterschiedliches. Einem Vorbild eifert man nach, wie einem Fußballspieler, weil man auch mal in der Nationalmannschaft spielen möchte. Ich habe eher versucht, mich mit Maßstäben auseinanderzusetzen, wissend, dass ich sie niemals erreichen werde. Aber sie halfen mir, meinem Leben einen Kompass zu geben. Jesus mit seiner Botschaft der Liebe, Mahatma Gandhi mit seiner Botschaft der Gewaltlosigkeit, Martin Luther King mit seiner Botschaft der Versöhnung, Mutter Theresa mit ihrer Botschaft der Barmherzigkeit – das waren Maßstabgeber in meiner Jugend, die mich auch bei der Frage, wer mich in der Politik beeindruckt hat, wieder nach Leuten haben schauen lassen, die ich auf ähnliche Weise als Maßstabsetzer empfunden habe. Jimmy Carter gehört dazu, der sehr unterschätzte amerikanische Präsident mit seinem Menschenrechtsengagement, um nur einen zu nennen aus einer großen Zahl von Menschen, zu denen auch Nelson Mandela gehört, den ich sogar einmal kennen lernen durfte, kurz nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Südafrika. Solche Menschen und ihr Lebenswerk haben mich nicht als Vorbild inspiriert, um ihnen nachzueifern in ihrem konkreten Anliegen, sondern sie haben mich nach Maßstäben fragen lassen, die ich auf eine ganz bescheidene Weise in meinen eigenen Lebensweg mit hineinzunehmen versucht habe und weiter versuche.

AKUT   Mandela war sicher eine beeindruckende Person.

KÜHNHARDT   Zu Mandela muss ich Ihnen eine lustige Geschichte erzählen. Nelson Mandela war natürlich um Lichtjahre bedeutsamer, aber auch einen guten Zentimeter länger als ich. Ich wurde ihm vorgestellt, er sah mich an und fragte mich: »Sind alle Deutschen so groß?« Ich fragte ihn: »Wie kommen Sie darauf?«, und er sagte: »Ja, ich habe gerade vor einer Woche Helmut Kohl getroffen und der war ja auch so groß«. Da habe ich ihm gesagt: »Erstens reden wir hier, jedenfalls in meinem Fall, nur von Länge; zweitens sind Sie auch nicht klein gewachsen und drittens ist Bundeskanzler Kohl bestimmt mindestens so breit wie wir beide zusammen – es gibt also vielerlei Unterschiede.« Da hat er laut gelacht.

AKUT   Von den vielen Personen, die Sie als ihre Maßstabsetzer ansehen – gibt es ein Zitat, welches Sie besonders inspiriert hat?

KÜHNHARDT   Als ich als junger Student die Ehre hatte, Mutter Theresa zu treffen, da habe ich versucht ihr die Welt zu erklären. Ich dachte, ich weiß schon alles und hab da so eine klare Vorstellung, wie sich die Armut in Indien überwinden lässt. Da hat sie mich schnell auf den Teppich zurückgeholt. Sie sagte mir, ich solle das mit Indien erst mal sein lassen und mich zunächst um mein eigenes Leben kümmern, einfach dort, wo mich der liebe Gott hingestellt hat. Den größten Beitrag zu einer besseren und menschlicheren Welt können wir dort leisten, so sagte sie mir, wo wir uns im Leben hingestellt finden. Das war ein Gedanke, der mich damals sehr beeindruckt hat. Und auch heute kommt er mir  noch immer wieder in den Sinn, wenn ich unzufrieden bin mit irgendwelchen Dingen, die ich sowieso nicht ändern kann.

Und vielleicht sehen wir viel zu leichtfertig über die Chancen hinweg, die sich jeweils in eben der Situation ergeben, in die wir gerade hineingestellt werden. Das ist auch für heutige Studierende vielleicht ein guter Gedanke.  Die Situation, in der wir stehen, so ernst zu nehmen, wie sie ist, und das Beste daraus zu machen, denn genau dadurch leisten wir einen Beitrag für eine bessere Welt.  

Vertrauensfragen

Anwesenheitspflicht Noch immer macht die aufgehobene Anwesenheitspflicht Wirbel. Viele Dozenten treten der neuen Situation auch im zweiten Semester seit Eintritt der neuen Gesetzeslage mit Argwohn gegenüber – dabei müssten sie das gar nicht.

von JULIANE SPRICK

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Foto: Naomi Koch

Seit einigen Monaten gibt es sie nun nicht mehr. Die viel diskutierte Anwesenheitspflicht wurde aufgehoben. Lediglich für einige Veranstaltungen, wie für Sprachkurse, Praktika oder sogenannte »praktische Übungen« gibt es Ausnahmen. Jura, Medizin und andere Studiengänge, die mit einem Staatsexamen schließen, sind von dieser landesinternen Regelung allerdings nicht betroffen.

Doch sind die Befürchtungen der Dozenten nun Realität geworden? Bleibt der Großteil der Studierenden seitdem wirklich zu Hause? Lehren die Dozenten seit Aufhebung der Anwesenheitspflicht einsam und verlassen sogar nur noch vor leeren, stillen Bänken?

Noch am Anfang des Semesters kam ein Großteil der Studierenden in den Genuss vielfacher Vorträge, die die Missgunst der Lehrenden gegenüber dem besagten Paragraphen §64 des »Hochschulzukunftsgesetzes« ausdrückten. Es halten sich auch nicht alle Dozenten daran und begeben sich aber damit rechtlich auf dünnes Eis. Nach wie vor gehen beim AStA Beschwerden ein. Am häufigsten wählen die Dozenten dabei die schlichte Weiterführung der Anwesenheitslisten in den Kursen. Doch auch das Verfassen von Protokollen oder schriftlicher Ausarbeitungen als Ersatz für Fehlzeiten häufen sich, vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern. Dies könne allerdings nicht so weitergehen: »Diese Praktiken sind natürlich alle rechtswidrig«, so Martin Commentz, Mitarbeiter des Referats für Hochschulpolitik des AStA. Vereinzelt käme es sogar zur wöchentlichen Benotung der mündlichen Beteiligung.

Fragt man unter den Studierenden selbst, scheinen sich die Dozenten umsonst gesorgt zu haben. Im Gegenteil: Eine rapide Abnahme der Kursteilnehmer ist bisher keinem aufgefallen. Auch nicht in den Kursen, in denen sich die Dozenten an die neue Regelung halten. Viele bemerken keine Veränderung. Andere wiederum begrüßen sie: »Die Zahl der Anwesenden ist in einigen Seminaren zwar gesunken, die Atmosphäre dadurch aber generell besser geworden«, berichtet Rebecca Onckels (Geschichte/Französisch). Die Quote der zwar anwesenden, aber geistig schlafenden Kursteilnehmer sei geringer. Einige merken zudem an, dass sich so nun das allgemeine Wesen der Bildungsinstitution Universität wieder in ein besseres Licht gerückt hat: »Ich persönlich finde es sehr gut, dass keine Anwesenheitspflicht besteht, da die Universität ein Ort frei zugänglicher Bildung bleiben sollte, an dem man sich nicht zwingend physisch aufhalten muss«, findet Julie Krämer (Agrarwissenschaften).

Neben all dem gibt es aber anscheinend auch pragmatische Lösungen seitens der Institute selbst. So wird der vermittelte Stoff einer Vorlesung der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften, bei der zuvor Anwesenheitspflicht galt, ab sofort klausurrelevant. Die Fachschaft Geographie vermeldet indessen, dass von Seiten einiger Dozenten eine Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht in Seminaren geprüft wird. Dazu soll der Hinweis im »Hochschulzukunftsgesetz« genutzt werden, der eine solche Regelung zulässt, wenn der »wissenschaftliche Diskurs« ohne Anwesenheitspflicht gefährdet wäre. Gleichzeitig gäbe es aber im Fach Geographie bisher keine nennenswerten Beeinträchtigungen durch die Abschaffung.

Es herrscht unter den Lehrenden und bei den Leitern der Institute also weiterhin Unsicherheit, wie sie mit der Aufhebung der Anwesenheitspflicht umgehen sollen. Währenddessen fühlt sich die andere Seite mit ihrer neugewonnen Freiheit aber gut. Klar, die Studierenden wünschen sich die alte Regelung nicht zurück, dennoch ist der studentische Tenor unisono: Eigentlich studieren sie alle freiwillig. So merkt auch Janis Meyer (Geschichte) am Ende noch an, weshalb die Sorge einiger unbegründet ist: »Die Dozenten sollten mehr Vertrauen in ihre Lehre haben.«

Über der Uni kreist der Pleitegeier

KOMMENTAR VON FLORIAN ESSER

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Illustration: Florian Eßer / AKUT

Die Plakate dürfte jeder Student und jede Studentin der Uni gesehen haben: Ein deprimierter Albert Einstein präsentiert die leeren Taschen seiner geflickten Hose. Ähnlich, wie wenn man von den Freunden gefragt wird, ob man auch noch ein Bier will. Am Monatsende. Ein demütiger Blick, leere Taschen, hoffen. Drink doch ene met… Kein Geld für Bier, kein Geld für Forschung, kein Geld für Bildung, jedoch aber für Exzellenzinitiativen. Und die Fächer, die nicht dazu zählen, die können gucken wo sie bleiben und die Mülltonnen nach Apfelkittchen und Fischgräten durchstöbern. An der Bonner Universität herrscht daher ein berechtigter Futterneid: Während das Sparschwein der Uni gefüttert wird, drücken sich die hungernden Professuren an der Scheibe die Nasen platt. Dummerweise hat das Schwein aber einen großen Appetit und lässt nur selten etwas unter den Tisch fallen. Dadurch werden 17 Professuren »stillgelegt«, was etwas netter klingt als »gestrichen«, aber eben auch nur einen Euphemismus darstellt. Weniger schönredend sind da schon die Begriffe »Trauermarsch« und »Leichenschmaus«, mit denen das Bündnis »SparUni Bonn« ihre Aktionen betitelt und darauf aufmerksam machen möchte, dass sich die Uni in einer finanziellen Schieflage befindet. So wurden in der Geowissenschaft letztes Jahr bereits zwei Professuren eingespart und die Stellen vieler wissenschaftlicher Mitarbeiter gestrichen. Das macht die Uni aber auch nicht aus purem Sadismus – der Hund liegt in den finanziellen Grundmitteln begraben: Während die Kosten für Sanierung, Strom etc. steigen, bleiben die Grundmittel konstant auf demselben Level. Mit einem Becher Wasser kann man jedoch bekanntlich keinen Swimmingpool füllen und dass fünftausend Menschen von fünf Broten und zwei Fischen satt werden, das funktioniert auf wundersame Weise auch nur in der Bibel. Aber genau das ist es, was die Uni bräuchte. Ein Wunder. Make it rain. Nur wer soll Geld regnen lassen? Das Land? Ein Witz. Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Davon ist die Uni Bonn aber nicht alleine betroffen. Vielen Hochschulen geht es da ähnlich, sie suchen die Schuld bei den Ländern, die wiederum zeigen auf den Bund und der ist auch pleite und keiner will‘s gewesen sein. Scheinbar gibt’s hier viele nackte Männer ohne Taschen. Nun ist die Uni aber auch nicht bloß ein Opfer des finanzpolitischen Strippokers, sondern hätte sie frühzeitig einmal ihre Asse spielen können, um ein komplettes Blankziehen zu verhindern. Die Rede ist immerhin von einem Acht-Millionen-Euro-Defizit jährlich und diese Negativentwicklung hätte den Zuständigen auch gewiss früher auffallen können. Nun aber beschließt Bonns Klein-Griechenland am falschen Ende zu sparen, nämlich an dem Ende, für das eine Universität letzten Endes steht: An der Bildung. Klingt blöd, ist es auch, aber damit nicht genug. Im Jahr 2020 versucht Nordrhein-Westfalen mit einer Schuldenbremse die Katastrophe aufzuhalten und den Kostenzug zu stoppen. Dafür muss man Opfer bringen. Die Mittel für Hochschulen werden noch knapper, und wie die rivalisierenden Banden in einem postapokalyptischen Endzeit-Thriller werden die einzelnen Universitäten um die verbleibenden Ressourcen und Drittmittel kämpfen müssen. Die Bonner Universitätsleitung hat schon jetzt weitere Kürzungen in Erwägung gezogen. Damit Albert aber nicht auch noch sein letztes Hemd abgeben und sich in die lange Reihe der nackten Männer gesellen muss, fordert das Bündnis »SparUni Bonn« ein Ende der Unterfinanzierung mittels einer soliden Grundfinanzierung durch den Bund und das Land NRW. Dafür sollen die Fakultäten gemeinsam auf die Barrikaden gehen und die Flagge des gemeinsamen Streites für eine bessere Hochschulpolitik schwenken – »Die (Finanz-)Freiheit für die Bildung«. Denn, das müssen alle Universitäten, Fakultäten und Fachschaften begreifen: Wir sitzen alle im selben Boot. Und wie schnell das untergehen kann, wenn es einmal Leck geschlagen hat, davon kann die Universität Bonn ein trauriges, trauriges Lied singen.