Jenseits der Propaganda

Blick auf die Ukraine-Krise

Wir sitzen zusammen an einem Mittwochabend in der Mensa. Alexander und Iryna sind beide gebürtige Ukrainer. Eugeny, Evgeniya und Boris kommen aus Russland. Yuriy stammt aus Weißrussland. Meine Gesprächspartner studieren Politik oder Volkswirtschaftslehre und haben sich bereit erklärt, über die Ukraine-Krise zu reden. Mein Artikel soll ihre Meinungen zu diesem Thema abbilden und meinen Kommilitonen eine Stimme geben.

Was hat die Ukraine-Krise ausgelöst, möchte ich in erster Linie wissen. War es die Ablehnung des ex-ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen? Alexander schüttelt mit dem Kopf: „Es ging bei den Protesten auf dem Maidan nicht um das Assoziierungsabkommen mit der EU. Die Mehrheit der Ukrainer wusste nicht genau, was dieses Abkommen überhaupt bedeutet.“ Es waren ein paar hundert jungen Menschen, die sich im November 2013 noch vor der geplanten Unterzeichnung des Abkommens mit der EU an Protestaktionen gegen die Regierung beteiligt hatten. Die Regierung von Janukowitsch unterdrückte die Proteste brutal und löste somit eine Wut-Welle der Bevölkerung aus. „Dieses Abkommen ist dann plötzlich zu einem Symbol geworden, zu einem Symbol für die Zukunft, für ein besseres Leben“, so Alexander. Man erklärt mir weiter, dass die wirtschaftliche Lage in der Ukraine inzwischen so miserabel war, dass es auf einmal zu einer Kettenreaktion kam. Die Proteste weiteten sich aus, das ukrainische Volk war sich mehrheitlich einig, dass das Land einen neuen Anfang braucht. Alexander betont, dass es bei dieser Krise nicht alleine um die Orientierung nach Westeuropa geht, es geht darum, dass man das Land ändern möchte. Die EU sei kein Ziel, sondern ein Mittel zum Ziel, und obwohl die Kommilitonen aus der Ukraine nicht genau wissen, was Europa einem bringen wird, sind sie sich jedoch sicher, dass man mit Russland keine Perspektive hat – mit Russland würde alles beim Alten bleiben.

Ich möchte trotzdem wissen, wie meine Gesprächspartner die Abkühlung der Beziehungen zwischen Kiew und Moskau empfinden, schließlich besteht zwischen den beiden Völkern eine besondere Verbindung. Die Antwort kommt prompt und ist eindeutig: Die Abkühlung der Beziehungen mit Russland sei eine natürliche Reaktion auf die Handlung von einem langjährigen Partner und Brudervolk. Im wichtigsten Moment hat Moskau nicht das ukrainische Volk unterstützt, sondern den korrupten Präsidenten, der von dem ganzen Land gehasst wurde. Ein Teil der Ukraine wurde besetzt und annektiert, und in einem anderen Teil des Landes würden dank dem Kreml Kriegszustände herrschen. Wie kann man unter diesen Umständen die Russische Föderation als Partnerland ansehen, fragt man empört.

Die Kommilitonen aus Russland hören aufmerksam zu, und schweigen. Ich weiß nicht, wie ich ihre Zurückhaltung interpretieren soll: als Zustimmung, stillschweigende Ablehnung? Oder ist man überrascht, wie tief der Kreml das ukrainische Volk enttäuscht hat?

Evgeniya meldet sich zwischendurch zu Wort, ich merke, dass sie die Position von Alexander und Iryna deutlich verstehen möchte. Wenn man sich einig ist, dass das Land sich ändern muss, wie soll das erfolgen? Haben die Ukrainer einen Plan? Schließlich wurde in der Runde wiederholt, dass man sich von den Beziehungen zu Russland nichts Gutes erhofft, und für den EU-Markt ist die Ukraine nicht wettbewerbsfähig. Yuriy, der gebürtige Weißrusse antwortet dazu, dass für die Ukraine kurzfristig alle Optionen schlecht seien. Geht man nach Russland, hat man keine Perspektive. Schaut man nach Europa, gibt es wenigstens langfristig eine Perspektive. Und was nützt es einem, dass die Ukrainer ihre Produktion nach Russland exportieren können, schließlich geht es um die Veränderung der Verhältnisse in diesem Land, nicht um Absatzmärkte.

Wir kommen dazu, über die Annexion der Krim zu reden. Alle drei Kommilitonen aus Russland verurteilen Moskaus Vorgehen auf der Krim. Selbst Boris, der offen zugegeben hatte, dass er sich für Politik nur wenig interessiert, war schockiert als die Krim annektiert wurde. Er kann immer noch nicht glauben, dass so etwas im 21. Jahrhundert möglich ist.

Es lässt sich in diesen Momenten deutlich spüren, wie verbittert die ukrainische Seite von diesem Ereignis ist. „Die ganze Welt hat uns in dem Moment verlassen, als die Krim annektiert wurde. Hat jemand interveniert, wo war die Welt?“ fragt Alexander und zeigt Unverständnis dafür, dass gerade der Kreml es gewagt hat, das System, das nach dem zweiten Weltkrieg herrscht, zu zerstören. Eugeny spricht dazu auch Klartext: Die Krim-Annexion ist unrechtmäßig gewesen: „Wir sollten die Krim zurückgeben, das wird aber nicht passieren, solange die Russische Föderation besteht.“
Ich frage nach, ob die Auswirkungen der politischen Spannungen zwischen den beiden Regierungen bereits auf der Völkerebene spürbar sind. Iryna nickt und bedauert gleichzeitig sehr, dass die zwei Völker sich nicht mehr mögen. Es gäbe aber nach wie vor Teile der Bevölkerung, sowohl in der Ukraine als auch in Russland, die sich nicht in einen Hasszustand treiben lassen wollen. Evgeniya betont auch, wie sehr sie sich wünscht, dass die Ukrainer und die Russen sich nicht gegenseitig hassen, auch wenn die Politik falsch ist.

Ich frage in die Runde, ob der Ton, mit dem die öffentliche Debatte um die Ukraine-Krise geführt wird, als angemessen bezeichnet werden kann. Schließlich sind Vergleiche zwischen Hitler und Putin keine Seltenheit mehr. Evgeniya zeigt sich darüber empört: „Ich möchte Putin nicht schützen, aber der Vergleich ist einfach krass. Putin tötet doch keinen.“

Wir reden über die Separatisten in der Ost-Ukraine, und die nächsten Meinungsunterschiede zeichnen sich ab. Eugeny fragt mich: „Warum nennst du sie Separatisten? Man kann sie auch Freiheitskämpfer nennen. Warum werden die Separatisten in Syrien als Freiheitskämpfer bezeichnet, aber diejenigen, die in der Ukraine für ein Stück Land kämpfen, als Terroristen dargestellt? Die Freiheitskämpfer in der Ost-Ukraine müssen auch eine Stimme haben und dürfen nicht abgeschlachtet werden.“ Ich frage nach, ob meine Gesprächspartner einverstanden sind, dass die aktuelle Regierung in Kiew mit den Separatisten nicht verhandeln möchte. Alexander erzählt, dass die Separatisten untereinander sehr gespalten seien. Es gebe niemanden, der sowohl die Bevölkerung dieser Regionen, als auch die anderen „Freiheitskämpfer“ hinter sich habe. Gleichzeitig macht der Student deutlich, dass die Regierung den Separatisten oft genug angeboten habe, die Waffen niederzulegen und den Konflikt zu beenden. „Wenn sie es bisher nicht getan haben, dann sollten die Menschen, die eine Waffe in der Hand haben, militärisch bekämpft werden, weil sie Feinde sind.“

Nach zwei Stunden setzen wir unser Gespräch im Juridicum fort – die Mensa muss schließen. Dabei sind nur noch Alexander, Eugeny und Evgeniya. Was würden sie den verantwortlichen Politikern ausrichten, möchte ich zum Schluss wissen.

Eugeny und Evgeniya sind der Meinung, dass die „Großmächte“ sich in diesen Konflikt am besten nicht einmischen sollten. Für die Ukraine wäre besser, kein Abkommen mit der EU zu unterzeichnen. Das Geld, das von der EU kommt, sei kein Geschenk, sondern es sei ein Kredit, der später mit Zinsen zurückgezahlt werde. Mit Bezug auf unsere Diskussion, zeigt sich Eugeny irritiert, dass im Laufe des Abends niemand erwähnt hat, dass die Proteste auf dem Maidan von dem Ausland finanziert wurden und dass die Kommilitonen aus der Ukraine kein Mitleid für die Kämpfer im Osten der Ukraine gezeigt haben: „Die Ukraine besteht aus zwei Völkern und es sieht so aus, als ob im Moment nur ein Teil der Bevölkerung eine Stimme hat. Das hat mit Demokratie nichts zu tun.“ Evgeniya sagt mir, dass wir im Laufe dieses Abends alles gehört haben, was wir schon tausendmal in den Nachrichten gesehen hätten. Das zeige, wie stark der Einfluss der Propaganda sei, und dass es uns mittlerweile schwer falle, alleine über dieses Thema nachzudenken. Zum Schluss betont sie, dass die Ukrainer selber entscheiden müssten, was sie wollen. Nicht zuletzt bedauert sie, dass man so viel über Politik und so wenig über die Menschen dort geredet habe.

Alexander möchte der russischen Seite ausrichten, dass sie sich für die Interessen des eigenen Volkes und des eigenen Landes einsetzen und nicht den Traum von „Großrussland“ verfolgen sollte. Die neue ukrainische Regierung, die eine große Verantwortung ihrem Volk gegenüber trägt, müsste darüber nachdenken, was sie für ihr Land machen kann – die Hoffnung der Menschen auf dem Maidan darf nicht verraten werden.

Das Krisen-Management des Westens bezeichnet Alexander als schlecht. „Das, was wir in diesem Kampf um die Ukraine sehen, das ist eigentlich eine tiefgründige Existenzkrise der EU. Diese Krise hat für mich das weitere Bestehen dieser Union infrage gestellt. Wenn die EU weiter bestehen möchte, muss sie lernen, Stärke zu zeigen. Die europäischen Politiker müssen begreifen, dass man härter durchgreifen muss, wenn man die eigenen Interessen durchsetzen möchte, auch wenn die eigenen Geschäftsleute flehen, es nicht zu tun. Stärke heißt manchmal: Verzicht auf Rendite.“

Auch das Juridicum muss inzwischen zumachen. Ich danke meinen Kommilitonen, dass sie dabei waren. Wir verabschieden uns mit Handschlag und lächeln dabei, trotz unterschiedlicher Meinungen, trotz verletzter Nationalgefühle.

Darum geht’s

Ende November 2013 kam es in Kiew zu gewaltsamen Protesten gegen die ukrainische Regierung, dessen Präsident, Viktor Janukowitsch, die Unterschreibung eines Assoziierungsabkommens mit der EU abgelehnt hatte. Die Proteste dauerten zwischen November 2013 und Februar 2014 an und erwirkten die Absetzung des Präsidenten und vorgezogene Präsidentschaftswahlen. Ende Februar 2014 verlagerte sich die Ukraine-Krise auf die Halbinsel Krim als Folge des Misstrauens russischer Bevölkerung auf der Krim gegenüber der provisorischen pro-westlichen Regierung in Kiew. Nachdem bei einer Volksabstimmung auf der Halbinsel am 16. März 96,6% der Menschen für einen Russland-Beitritt gestimmt hatten, wurde die Halbinsel Krim von der Russischen Föderation annektiert. Die Ukraine, die USA und die EU betrachten das Referendum als völkerrechtswidrig und erkennen die Abspaltung der Ukraine nicht an. Im Südosten der Ukraine, in den Regionen Donezk und Lugansk kam es ebenfalls zu Konfrontationen zwischen pro-russischen und pro-ukrainischen Kräften. Am 25. Mai fand die Präsidentschaftswahl in der Ukraine statt, bei welcher Petro Poroschenko als Sieger hervorging. Die Auseinandersetzungen zwischen den Separatisten im Osten des Landes und der ukrainischen Armee dauern an, der neue Präsident macht sich stark für ein Ende des Konflikts. Stand: Anfang Juni 2014

Meuterei in der RB 48

(K)ein Kommentar

Über dem Kölner Südbahnhof kreisen die Geier, denn sie riechen die Verzweiflung der Pendler: Ich stehe am Gleis 1 und durch die Kopfhörer läuft „The Hellbound Train“ von Those Poor Basterds, der Regionalexpress hat an diesem Montag mal wieder Verspätung und die einfahrende Regionalbahn 48 ist überfüllter als eine U-Bahn in Tokio. … He blowed the whistle and rung the bell / And the devil says „Boys, the next stop is hell!“ / And all of the passengers yelled with pain / And begged the devil to stop the train …
All diejenigen unter euch, die ebenfalls nach Bonn pendeln, sei es von Köln aus oder von sonstwo, werden das Drama kennen: Die meisten Züge haben Verspätung und wenn sich doch mal einer von ihnen zu einer Haltestelle verirrt, scheint er vor stickiger Luft, verschwitzten Leibern, Grundschülern und Gewaltpotential zu platzen. Nimm einen letzten Mutschluck aus dem Flachmann, fahr die Ellenbogen aus, küsse deine Kinder “Goodbye“ und wirf dich ins Getümmel. Da stehst du dann zunächst einmal nach Luft ringend und eingequetscht zwischen schlecht gelaunten Linksaufstehern und wenn du Glück hast, geht die Fahrt schnell vorbei, doch meistens hat man Pech. Denn um andere Züge vorzulassen, wird die Fahrt immer wieder unterbrochen und die Menschen werden noch genervter und gereizter – Tod und Elend in der RB 48.

Mit einer Stimme, die über die Lautsprecher klingt, wie irgendetwas zwischen einem Funkspruch in den Schützengräben Verduns und Darth Vader, verkündet der Zugführer an diesem Tag, dass „sich die Weiterfahrt aufgrund einer Überholung durch einen verspäteten Zug um einige Minuten verzögern wird“. Wüste Flüche und Schimpftiraden aus den Waggons sind die Antwort. Der arme Mann muss sich fühlen wie Will Bligh, denke ich, Leutnant der legendären Bounty, die er bei einer Meuterei an die Denunzianten verlor, welche ihn daraufhin in einem Beiboot auf dem Südpazifik aussetzten und zum Teufel schickten. Bligh überlebte zwar, aber werden wir heute Morgen genauso viel Glück haben wie er? Was dann nämlich an Bord der Regionalbahn passiert, lässt sich kaum in Worte fassen: „Es war grauenvoll“, soll später ein traumatisierter Fahrgast zu Protokoll geben, der noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen ist. Im ausgebrannten und demolierten Wrack werden Bergungstruppen später das Logbuch des Zugführers finden, aus dem ich, Gott sei seiner Seele gnädig, nun zitieren möchte: >>Station 1: Die Stimmung an Bord wird zunehmend gereizter. Die Menschen, die eng aneinandergedrückt werden, scheinen durch den beißenden Schweißgestank, der die Gesichtszüge entgleisen lässt und sich tief in die Großhirnrinde brennt, langsam kirre zu werden und auch das Zugpersonal wird zunehmend nervöser. … Ich hoffe nur, wir haben noch genügend Orangen gelagert. Station 2: Langsam befürchte ich, dass wir niemals im Bonner Hauptbahnhof einlaufen werden! Der erste Schaffner ist an Skorbut erkrankt und der Rest ist durch die täglichen Anfeindungen der ausgemergelten und aggressiven Fahrgäste bereits fast vollständig demoralisiert. Ich muss mir etwas einfallen lassen; sonst –  beim allmächtigen Herrn – sind wir alle verloren! Station 3: Wie schmerzlich vermisse ich meine Frau und meine Kinder, ich hoffe sehnlichst, sie bald wieder zu sehen, falls wir diese Hölle überstehen. Bei der letzten Station wollte sich eine Frau mit Fahrrad in das überfüllte Fahrzeug drängeln – nur der beherzte Einsatz von Tasern und Pfefferspray konnte den erzürnten Lynchmob von Passagieren davon abhalten, sie bei voller Fahrt durch die notgeöffnete Ein- und Ausstiegsluke gehen zu lassen. Ich habe schon ganz vergessen, wie es ist, frische, unverbrauchte Luft in meinen Lungen spüren … das Festland, das Festland, es fehlt mir so sehr! Station 4: Wir fahren unter schwarzer Flagge! Ich habe mich in der Fahrerkabine verbarrikadiert, die Türe zugenagelt, als sie versucht haben, sie einzutreten. Von draußen dringen Geräusche zu mir durch, die mich nachts nicht schlafen lassen. Schüsse fallen, ich kann sie gedämpft hören, Fingernägel kratzen an der Türe meiner Kabine, die mir nun als Panic Room dient. Meine Konserven gehen zur Neige und wenn ich aus dem Fenster meines Führerstandes schaue, sehe ich dicken schwarzen Qualm aus dem Fahrzeug in die rußige Morgenluft steigen<<. Ich werde im Stehen (man fällt zwischen so vielen Menschen schließlich nicht um) von einer vertrauten Stimme aus meinen fieberhaften Albträumen geweckt: Es ist wieder Darth Vader, der diesmal über die Lautsprecher verkündet, dass wir in Kürze den Bonner Hauptbahnhof erreichen werden. Als es endlich soweit ist und sich die Türen des Zuges öffnen, strömen mir Sonnenstrahlen und Böen frischer Luft entgegen und ich sinke auf die Knie für ein Dankgebet – das Festland, das Festland, es fehlte mir so!

Kunstecke

Katja Kemnitz

Katja Kemnitz fotografiert so oft wie möglich und wird von allem inspiriert, was ihr begegnet. Ein gutes Foto lasse den Betrachter nicht unbeeindruckt, meint sie, es müsse ihn berühren, nach Möglichkeit überraschen und zum Nachdenken anregen. Das sei wichtiger als Perfektion und ausgefeilte Technik. Obwohl Katjas Fotos sich auch in dieser Hinsicht nicht verstecken müssen.

Diesen Artikel findet ihr aus layouttechnischen Gründen nur in der PDF-Version. Ihr könnt ihn hier aber gern kommentieren.

Editorial

julia-faber-chefredakteurin

Man sagt: „Alles neu macht der Mai.“ Die akut lässt sich nicht lumpen und bringt bereits im April eine neue Ausgabe für euch raus.
Mit dem neuen Semester ist allgemein vieles anders, so sitze auch ich zum ersten Mal auf dem Posten der Chefredakteurin. Hanno Magnus widmet sich vorerst verstärkt den Anforderungen seines Studiums, bei deren Bewältigung ihm die gesamte Redaktion großes Glück wünscht. Völlig neu soll hier aber auch im Mai nicht alles werden. Weiterhin berichtet die akut im Rahmen dreier großer Hauptrubriken über das Geschehen an der Uni Bonn und strebt eine enge Verknüpfung zwischen Uni-Leben und Hochschulpolitik an.

Leitthema dieser Ausgabe ist das momentane Leid-Thema an der Uni: Die geplante Stiftungsprofessur für internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung, die nach dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger benannt ist, sorgt für allerlei Wirbel in Bonn.
Auch im Studierendenparlament geht es zur Zeit hoch her: In der Rubrik interessenVERTRETUNG berichten wir über den versuchten Sturz des SP-Präsidenten. Außerdem haben wir uns in der Stadt auf die Suche nach Bonns berühmtestem Sohn gemacht – und ihn an allerlei Orten nicht allzu versteckt gefunden.

Anregung, Lob, Kritik sowie Initiative zur Mitarbeit sind mehr als gern gesehen und gehen an redaktion@akut-bonn.de.

Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe wünscht

Unterschrift-Julia

Meinungsbild & Stimmungsbild

Meinungsbild

Schlimmer geht immer

Die Wahlen für dieses Jahr sind um.
4.259 abgegebene Stimmen. 13,2 % Wahlbeteiligung. Ein schwaches Ergebnis, wenn man bedenkt, dass 32.265 Studierende wahlberechtigt waren. Unter Berücksichtigung der Wahlergebnisse vergangener Jahre lässt sich also feststellen, dass es wohl doch immer noch eine Steigerung von Desinteresse gibt, und die anscheinend im Blick vieler Studierender auf die Hochschulpolitik zu finden ist.

Fest steht jedenfalls: Es geht weiter, im nächsten Jahr wird erneut gewählt. Und auch er wird wieder dabei sein: Der Wahl-O-Man! Als Wahlhilfeprogramm entwickelte die akut ihn auf Beschluss des XXXV. Studierendenparlaments, um das Zurechtfinden im Dschungel der Hochschulpolitik zu erleichtern, einen Zugang zu ermöglichen. Bis zu 189 Mal am Tag wurde der Wahl-O-Man durchgespielt – auch da ist hinsichtlich der Anzahl Bonner Studierender noch ewig Luft nach oben.
Eine ausführliche Evaluation findet ihr auf unserer Homepage www.akut-bonn.de.
Anmerkungen, Sorgen und Wünsche dazu sind selbstredend herzlichst willkommen!

Stimmungsbild

 

Bild: Ronny Bittner

Bild: Ronny Bittner

Bild: Ronny Bittner

Bild: Ronny Bittner

Bei der Auszählung der Wahl wird die Wahl ausgezählt. Dazu müssen natürlich die Urnen geleert (oben) und ganz genau hingeschaut werden (unten).
Diese Fotos zeigen den Auszählabend der jüngsten SP-Wahl. Bei nur 4.259 abgegebenen Stimmen gab es da recht wenig zu zählen – fürs nächste Jahr ist auf mehr Stimmen zu hoffen.

Hinter verschlossenen Türen

Ein Versteckspiel um die Kissinger-Professur

Die Einrichtung der Kissinger-Professur ist beinahe unbemerkt in vollem Gang – doch auch der Widerstand schläft nicht.

Es rumort an der Universität Bonn. Nachdem ihr im Mai 2013 von der damaligen Bundesregierung die sogenannte Kissinger-Professur, eine  Stiftungsprofessur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung,  zugesprochen worden war (die akut berichtete), ist das Berufungsverfahren für das umstrittene Projekt mittlerweile laut Uni-Pressesprecher Andreas Archut „in vollem Gang“. Die Universität macht anscheinend Nägel mit Köpfen, ohne sich dabei von Kritik und Protesten aus unterschiedlichen Richtungen beirren zu lassen.

Derweil werden immer weitere Details bekannt, auch wenn die Informationsbereitschaft der Universität sich weiterhin in Grenzen hält. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass hier schnell möglichst viel im Hinterstübchen entschieden und über die Bühne gebracht werden soll, bevor es einer merkt und womöglich weitere Stimmen gegen das Projekt laut werden könnten.
Die neu gegründete Professur, die schon ab dem Wintersemester den Lehr- und Forschungsbetrieb aufnehmen wird, wird Informationen der Uni zufolge einer „zentralen wissenschaftlichen Einrichtung für internationale Sicherheit und Governance“ zugeordnet werden. Laut informierten Kreisen ist diese nicht einem bereits existierendem Institut unterstellt, sondern nur dem Rektorat. Die erste Folge daraus war, dass die Mitglieder der Berufungskommission in einem außerordentlichen Verfahren allein vom Rektorat ernannt worden sind und universitäre Gremien wie der Senat nicht daran beteiligt waren. Das Ergebnis: Die Kommission ist eine reine Männerriege mit überwiegend konservativem Hintergrund.

Die Uni lässt nicht viele Informationen zur geplanten Kissinger-Professur nach außen dringen.

Die Uni lässt nicht viele Informationen zur geplanten Kissinger-Professur nach außen dringen.

Ein sogenanntes Direktorium, in dem der Stiftungsprofessor selbst und neun weitere männliche Mitglieder sitzen, die sich größtenteils durch Expertise dafür qualifizieren, wird für die inhaltliche Ausrichtung zuständig sein, ein Geschäftsführer für die Umsetzung der Einrichtung. Zudem wird ein sogenanntes Kuratorium eingerichtet werden, das gewissermaßen als Aufsichtsrat der „zentralen wissenschaftlichen Einrichtung für internationale Sicherheit und Governance“ fungiert. In diesem Kuratorium sitzen auch Vertreter der beiden finanzierenden Ministerien.

Die Stiftungsprofessur soll jährlich mit einem hoch verdienten früheren Diplomaten der USA besetzt werden. Dessen Aufgabe wird es sein, ein Netzwerk zwischen Akteuren der  Sicherheitspolitik und der Wissenschaft zu schaffen. Ziel ist es, dass jedes Jahr ein neuer Gastprofessor mit seinen Kontakten dieses Netzwerk bereichert.

Inhaltlich werden laut Völkerrechtsprofessor Prof. Matthias Herdegen „Fragen der internationalen
Sicherheit in einem weit verstandenen Sinne aus Sicht der Völkerrechtsordnung, der internationalen Beziehungen und der praktischen Politikgestaltung“ im Vordergrund stehen. Dazu gehören nicht nur militärische Bedrohungslagen, sondern auch Entwicklungspolitik, Verteilungskonflikte aus Ressourcenmangel und die Bewältigung von „Konflikten, die mit schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden sind“. Der letzte Punkt spricht ein besonders heikles Thema an, denn bei ihren Gegnern steht die Kissinger-Professur unter anderem deshalb in der Kritik, weil ihrem Namensgeber selbst Menschenrechtsverstöße zur Last gelegt werden.

Doch auch der Widerstand gegen die Professur hat inzwischen Fahrt aufgenommen. Im Oktober letzten Jahres gründete sich die „Initiative Zivile Universität Bonn“, die aus verschiedenen Hochschulgruppen (ghg, Jusos, Piraten und LUST), einem Arbeitskreis von Bündnis 90/Die Grünen und nicht organisierten Mitgliedern besteht. Die Initiative wendet sich weiterhin gegen die Namensgebung, die Finanzierung und die befürchtete Einflussnahme durch die Geldgeber, allen voran durch das Verteidigungsministerium. Darüber hinaus sprechen sich die Mitglieder der Initiative für eine Zivilklausel in der Grundordnung der Uni Bonn aus, welche Forschung und Lehre auf friedliche und zivile Ziele verpflichten würde.
Lukas Mengelkamp, Mitglied der Inititative gegen die Kissinger-Professur, hält es für wichtig, weiterzumachen, auch wenn es momentan so aussieht, als wäre die Professur nicht mehr abzuwenden. Am wichtigsten sei es ihm, die Studierendenschaft zu informieren und wenn möglich größere Medien auf das Thema aufmerksam zu machen, sagt er. Über die Proteste der Grünen Hochschulgruppe berichteten bereits die Welt und die taz. Mengelkamp hält es beispielsweise für „äußerst unwahrscheinlich“, dass die Finanzierung – wie bisher vorgesehen – nach Ablauf der fünf Jahre durch die beiden Ministerien einfach eingestellt werden wird, wenn man sich davor intensiv darum bemüht hat, ein Netzwerk zwischen Sicherheitspolitik und Wissenschaft aufzubauen. Er befürchtet, dass durch eine etwaige Weiterfinanzierung durch die Universität an Forschung und Lehre in anderen Bereichen gekürzt werden wird.

Mengelkamp spricht von vier Ebenen auf denen der Widerstand gegen die Professur aktiv werden kann: auf der universitären setzt die Initiative selbst durch eine Veranstaltungsreihe und weitere Aktionen an. Auf der kommunalen Ebene ist ein Antrag der Grünen und der Linken, die sich dem Aufruf des SP aus dem Oktober anschlossen, an den Stimmen von CDU, SPD, FDP und dem WählerBundBonn mit der Begründung, dass man sich in inneruniversitäre Vorgänge nicht einmischen wolle, im Dezember vorerst gescheitert.

Auf Landesebene steht Forschungsministerin Svenja Schulze (SPD) nach Angaben der Universität uneingeschränkt hinter der Professur, doch auf der Bundesebene wird die Initiative von der Bundestagsabgeordneten Katja Dörner (Grüne) unterstützt, die bereits eine Kleine Anfrage zur Professur im Bundestag gestellt hat.

Als nächste Schritte plant die Initiative einen offenen Brief an Rektor Fohrmann, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, für den auch Unterzeichner aus der Wissenschaft gefunden werden sollen. Immerhin finden sich auch unter Dozenten und Professoren  der Uni ausgesprochene Gegner der Professur.

Aufgeben will Lukas Mengelkamp in Sachen Kissinger-Professur auf keinen Fall: „Selbst wenn man es nicht verhindern kann, kann man sich nicht vorwerfen, nichts getan zu haben!“

Info-Box

Die Einrichtung der Kissinger-Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung an der Universität Bonn wurde im Mai 2013 durch den damaligen Außenminister Westerwelle und den Verteidigungsminister de Maizière bekannt gegeben. Anlass war der 90. Geburtstag des ehemaligen US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsberaters und Außenministers deutscher Herkunft Henry Kissinger. Die Stiftungsprofessur wird für fünf Jahre jährlich durch 250.000 € durch das deutsche Verteidigungsministerium und 50.000 € durch das deutsche Außenministerium gefördert. Bald nach der Bekanntgabe wurde durch verschiedene Hochschulgruppen Kritik laut, da Henry Kissinger selbst Verwicklungen in Menschenrechtsvergehen vorgeworfen werden, u. a. während des Vietnamkriegs und wegen der Unterstützung von Militärregimes in Chile und Argentinien durch die USA. Außerdem wird von dem Gegnern eine Einflussnahme auf die inhaltliche Ausrichtung der Professur durch das Verteidigungsministerium befürchtet und die unklare Weiterfinanzierung nach Ablauf der fünf Jahre kritisiert. Das Studierendenparlament und der AStA fordern die Universität daher dazu auf, von der Namensgebung abzusehen und die Finanzierung sowie die inhaltliche Ausrichtung offen zu legen.

„Schmutziger Krieg“

Kissinger-Professur sorgt für Streit

Am 01.02.2014 bezeichnete der Politikwissenschaftler und Bonner Emeritus Prof. Dr. Hacke die Kritik des AStA und anderer Gruppen an der so genannten „Henry-Kissinger-Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung“ in einem Interview mit dem Deutschlandfunk als „Irrwitz“. Nachdem der AStA-Vorsitz und die Grüne Hochschulgruppe gegen diese Bezeichnung protestiert hatten, erläuterte Herr Hacke diese Äußerung in einem kleinen Aufsatz. Dieser kann in Gänze hier eingesehen werden.

Lukas Mengelkamp, Student an der Uni Bonn, engagiert sich gegen die geplante Stiftungsprofessur und hat sich der Reaktion von Professor Hacke nochmals in kritischer Manier genähert.

Lukas Mengelkamp engagiert sich gegen die geplante Kissinger-Professur an der Uni Bonn.

Lukas Mengelkamp engagiert sich gegen die geplante Kissinger-Professur an der Uni Bonn.

Christian Hacke legt besonderen Wert auf die Beachtung der „geo-strategische[n] und ideologische[n] Aspekte der Weltpolitik und [der] Interessen der USA als führende[n] westliche[n] und anti-kommunistische[n] Weltmacht“, die für Kissinger handlungsleitend waren. Kissingers Politik hatte also zum Ziel, das Machtgleichgewicht in den internationalen Beziehungen zu erhalten und damit eine Ausweitung der Einflusszone des ideologischen Gegners, der Sowjetunion, zu verhindern. Dieser wichtige Aspekt, so Hacke, werde von den Kritikern Kissingers ausgeblendet. Auch würden die Leistungen von Kissingers Außenpolitik nicht gewürdigt, so die Entspannungspolitik. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die Kritiker der Bonner Professur weder die besondere historische Situation des Kalten Krieges ignorieren, noch Henry Kissingers Beitrag zur Entspannungspolitik in Abrede stellen wollen. Die Verwicklung Kissingers in die Massenbombardements über Kambodscha, Laos und Vietnam, seine Unterstützung des Militärputsches in Chile und des „Schmutzigen Krieges“ in Argentinien sind aus Sicht der Kritiker aber zu schwerwiegend, als dass eine Ehrung Kissingers mit einer Professur für Völkerrecht zu rechtfertigen wäre. Insbesondere die Tatsache, dass es in der Regierung Nixon/Kissinger häufig zur Ignorierung oder Falschinformierung des Kongresses kam und Gesetze gebrochen wurden, wiegt in dieser Frage sehr schwer. Geostrategische und ideologische Überlegungen –  welcher Art auch immer – können eklatante Verstöße gegen das Völkerrecht und gegen die Menschenrechte nicht rechtfertigen. Ein enger Mitarbeiter stellte Kissinger diese Frage, als die Unterstützung chilenischer Militärs für einen Putsch gegen Präsident Salvador Allende zur Debatte stand:
„What we propose is patently a violation of our own principles and policy tenets. Moralism aside, this has practical operational consequences. […] If these principles have any meaning, we normally depart from them only to meet the gravest threat to us, e.g. to our survival. Is Allende a mortal threat to the U.S.? It is hard to argue this.“ 1
Die Verletzung der Werte und Prinzipien des Völkerrechts und der universalen Menschenrechte kann und darf niemals zum Vorbild für Politiker und Völkerrechtler erhoben werden, so wie es gerade in Bonn geschieht. Selbst in Zeiten des Kalten Krieges gab es Handlungsalternativen.2 Auch Christian Hacke sieht „Einzelkritik“ an Henry Kissinger vollkommen gerechtfertigt. Nach wie vielen „Einzelkritiken“ aber ist es dann gerechtfertigt, sich ein Gesamturteil zu erlauben?

 

1 Viron P. Vaky, zitiert nach: Kornbluh, Peter: The Pinochet File, A Declassified Dossier on Atrocity and Accountability, New York/London 2003, S. 11.
2 Vgl. etwa die Debatte zwischen Gary J. Bass und Robert D. Blackwill über Nixons und Kissingers Unterstützung für die pakistanische Militärregierung während der Massaker in Ostpakistan/Bangladesch: http://www.politico.com/magazine/story/2014/01/indefensible-kissinger-102123.html, http://www.politico.com/magazine/story/2014/01/indefensible-kissinger-102123.html

Stellungnahme für den AStA Uni Bonn: geplante Kissinger Professur an der Universität Bonn

Hinweis der Redaktion: Diese Stellungnahme ist eine Ergänzung zu diesem Artikel.

 

21.2.2014

Stellungnahme für den AStA Uni Bonn: geplante Kissinger Professur an der Universität Bonn

In einem Interview mit dem DLF hatte ich am 1.2.14 Ihre Kritik an der og. geplanten Professur als „Irrwitz“ bezeichnet. Gern will ich Ihnen diese etwas verkürzte und polemische Äußerung näher erläutern:

1. Zunächst möchte ich Ihnen sagen, dass Einzelkritik an Kissingers Außenpolitik legitim und nachvollziehbar ist. Auch ich halte die Chile Politik der Regierung Nixon – Kissinger in Teilen für sehr problematisch in den Jahren 1970- 1973. Aber Sie suggerieren eine direkte Verantwortung von Henry Kissinger für Menschenrechtsverbrechen in Chile, die so nicht haltbar ist. Fehler und Versäumnisse werden mit Kriegsverbrechen gleichgesetzt, – das ist weder wissenschaftlich plausibel noch politisch haltbar. Ihre extreme Form der Verurteilung wird noch fragwürdiger, wenn man den weltpolitischen Kontext berücksichtigt: es war die Zeit des Kalten Krieges, der amerikanisch – sowjetischen Bipolarität, in der fast alle Ereignisse, auch regionale, in den beiden Haptstädten Washington und Moskau in ein idelologisches Raster gepresst wurde, das einer objektiven Bewertung der Ereignisse nicht selten hinderlich war. Kissinger wie Nixon waren gerade mit Blick auf die Peripherien der Weltpolitik strikt anti-kommunistisch eingestellt und leiteten davon fälschlicherweise ab, dass jede Aktion, die den Kommunismus aufhält, moralisch gerechtfertigt sein. In diese Betrachtungsweise fiel auch die Wahl von Allende. Nach der sog. „sandwich- Theorie“ befürchtete man in Washington, dass nach Kuba nun auch Chile unter kommunistischen Einfluss geraten könnte. Das Dilemma in Latein Amerika bestand ja darin, dass der zu geringe Einfluss bürgerlicher Politik leider zu oft nur die Alternative oder besser: das Dilemma zwischen autoritär- rechten oder sozialistisch – linken Regimes mit sich brachte. Und vor diese Alternative gestellt handelten die Regierungen in Washington oft nach der saloppen Devise von Präsident F. D. Roosevelt: he may be a son of a bitch, but he is OUR son of a bitch! das mag Sie jetzt wissenschaftlich nicht befriedigen, aber dies Dilemma verweist auch auf das realpolitische Dilemma, mit dem Nixon und Kissinger sich konfrontiert sahen: Allende wurde von Kissinger wegen dessen Bewunderung für Fidel Castro und auf Grund seiner sozialistischen Denkhaltung und politischen Verbindungen zu Kuba als Bedrohung der westlichen d.h. amerikanischen Einflusssphäre gesehen. Damit rechtfertige ich nicht die Chile Politik der Regierung Nixon, sondern verweise nur auf zentrale global- strukturellen Erklärungsmuster die über die wichtige Menschenrechtsfrage hinaus führen. Es geht also hier bei der Bewertung von Kissingers Haltung nicht nur um Menschenrechte, sondern noch mehr um geo-strategische und ideologische Aspekte der Weltpolitik und um die Interessen der USA als führende westliche und anti-kommunistische Weltmacht. All diese Überlegungen, die wissenschaftlich, politisch und auch moralisch gesehen unverzichtbar sind, werden von Ihnen völlig negiert. Aber für Kissinger war, nicht völlig unbegründet, Allende ein Bewunderer der kubanischen Diktatur und ein entschiedener Gegner der USA.

2. Ähnlich einseitig beurteilen Sie Kissingers Haltung mit Blick auf Osttimor. Selbst wenn man Kissingers Schweigen gegenüber dem indonesischen Präsidenten bei dessen geplanter Invasion von Osttimor als verhaltene Zustimmung wertet, wofür einiges spricht, so erscheint es doch mehr als fragwürdig Kissinger persönlich für 100.000 Tote in Osttimor verantwortlich zu machen. Das geht eindeutig zu weit. Aber auch hier übersehen Sie bei Ihrer Kritik den politische Kontext: die Entkolonialisierungspolitik Portugals versetzte nicht nur Süd Ost Asien und OstTimor sondern das südliche Afrika in Bewegung, – vor allem die ehemaligen portugisischen Kolonien, wie Angola. Angola war weitaus wichtiger für die USA als OstTimor, denn es wurde nach Rückzug der Portugiesen sofort zum Spielball der Weltmächte. Weil Kissinger in Angola aus innenpolitischen Gründen die Hände gebunden waren, setzten sich in Angola die Marxisten mit massiver Militärhilfe aus Kuba und der Sowjetunion durch. Im Gefolge der Tragödie in Angola drohte weiteren Staaten im Süden Afrikas Gewalt und Aufruhr. Deshalb entwickelte Kissinger eine aktive Afrika Politik mit starker Betonung der Menschenrechte: Kissinger hat großen Anteil, dass das rassistische Regime Smith in Rhodesien weichen musste, dass das Apartheid Regime in Süd Afrika unter Druck geriet, dass sich für Namibia eine Perspektive der Selbstbestimmug abzuzeichnen und dass vor allem die marxistischen Kräfte unterstützt von der Sowjetunion und Kuba keine weiteren Landgewinne im südlichen Afrika für sich verbuchen konnten. Diese Leistungen finden bei Ihnen keinerlei Berücksichtigung. Es ging also nicht nur um Osttimor als koloniales Erbe von Portugal, sondern vor allem in Afrika setzte sich Kissinger mit den geostrategischen und menschenrechtlichen Folgen dieses Prozesses konstruktiv auseinander. All dies sollte auch bei Kissingers Wirken berücksichtigt werden. Negativ fällt für mich ins Gewicht, dass Kissinger das Aufkommen kommunistischer Kräfte in Westeuropa, vor allem auf der iberischen Halbinsel, in Form von „Eurokommunismus“ völlig überschätzte.

3. Die Bombardements von Laos und Kambodscha, denen viel zu viele Zivilisten zum Opfer fielen, werden von Ihnen kategorisch verdammt und Kissinger als Mitverantwortlicher gebrandmarkt. Das ist Ihnen nur schwer zu verdenken. Berücksichtigen Sie bitte aber auch: die Bombardements sind nur im Kontext der amerikanischen Vietnam Politik erklärbar. Kissinger und Nixon versuchten einen Krieg zu beenden, der sich als politisch falsch und strategisch sinnlos erweisen sollte. Beide waren deshalb davon überzeugt, dass es zum Rückzug der amerikanischen Truppen keine Alternative gab. Aber Nixon wollte nicht zum ersten Präsidenten der USA werden, der einen Krieg verliert. Prestige ist also eine Kategorie in Politik und Internationaler Politik, die neben anderen Elementen, wie Menschenrechte, Interesse, Macht, Ordnung und Gerechtigkeit eine zentrale Rolle spielt. Kissinger`s Konzept eines sog. „Ehrenvollen Friedens“ sollte im Lichte dieser Prestige- Notwendigkeiten gesehen werden. Deshalb bedurfte es harter Verhandlungen mit der nordvietnamesichen Führung um Amerikas Prestige zu wahren. Aber es besteht kein Zweifel, dass die Massenbombardements auf Nord- Vietnam, Laos und Kambodscha ein entsetzlich hoher Preis für ein angestrebtes -rein machtpolitisch definiertes- Prestige waren. Vor allem ging dabei auch die strategische Kalkulation von Nixon und Kissinger nicht auf, abgesehen von der Tatsache, dass die USA nicht nur durch diese Bombardements sondern auch durch ihre von Anfang an verfehlte Vietnam Politik an zivilisatorischem, d.h. menschenrechtlich definiertem Prestige einbüssten. Vietnam und die damit verbundenen Bombardements auch in Laos und Kambodscha gehören zu den dunkelsten Kapiteln amerikanischer Außenpolitik im 20. Jahrhundert. Hier wurde besonders deutlich wie irreführend die sog. Domino Theorie gewesen ist. Kissinger macht da keine Ausnahme. Aber auch hier darf neben aller Kritik nicht vergessen werden, dass die ideologisch aufgeladene Atmosphäre des Kalten Krieges besonders militante Auswirkungen hatte. Ich denke, ich bin nicht der einzige, der damals 1966 als junger Offizier der Bundeswehr glaubte, dass in Saigon die Freiheit des Westens verteidigt wird und ich vermutlich als Freiwilliger, wenn ich aufgefordert worden wäre, dort mit gekämpft hätte. Das klingt heute absurd, auch für mich, aber vergessen Sie nicht, dass es eine Sache ist, die Zeit als Zeitgenosse zu erleben und eine andere, im Abstand von Jahrzehnten darüber (halbwegs) objektiv urteilen zu wollen,-zur Objektivität gehört aber auch das Bemühen um Verständnis. Dass wir vor ähnlichen Fehleinschätzungen bis in die Gegenwart nicht frei sind zeigt die deutsche Afghanistan Politik. Noch vor jahren erklärte der Verteidigungsminister struck, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird. Das klingt genau so irreal wie: in Saigon wird die Freiheit des Westens verteidigt. So hiess es in den sechziger Jahren

4. Aber das Hauptmanko Ihrer Stellungnahme: Ihre Kritik an Kissinger ist völlig einseitig. Sie lässt dessen Verdienste unerwähnt,- sowohl als Politiker als auch als Politikwissenschaftler. So hat er ganz wesentlichen Anteil an zentralen Neuerungen, wie z.B. der amerikanischen Entspannungspolitik mit der VR China und der Sowjetunion. So hektisch anti – kommunitisch er oft an den Peripherien der Weltpolitik agierte, so strategisch weitsichtig handelte er auf der Ebene der Groß-oder Weltmachtpolitik.

5. Mit der VRChina gab es seit deren Gründung so gut wie keinen Kontakt. Nixon und Kissinger negierten aber alle innenpolitischen Bedenken und außenpolitische Vorbehalte als sie eine revolutionäre Öffnung gegenüber der zweiten kommunistischen Weltmacht wagten. Nirgendwo fallen außenpolitischer Weitblick, diplomatische Dramatik, geo- strategische Klugheit und weitgehend ent-ideologisierte Interessenkalkül so geglückt zusammen wie in deren Chinapolitik. Nixon und Kissinger legten damit den Grundstein für eine weitsichtige interessen-orientierte nüchterene Kooperation zwischen beiden Ländern, die dem ideologisierten Zeitgeist weit voraus war. Kissingers Geheimdiplomatie und Nixons Besuch in Peking 1972 gehören zu den Meisterleistungen amerikanischer Außenpolitik des 20. Jahrhunderts. Und es lohnt sich gerade hier in Kissingers brillanten Memoiren dies alles nach zu lesen. Die Auswirkungen waren nicht nur für die amerikanisch- chinesischen Beziehungen, sondern auch auf gesamt Asien bezogen sensationell.

6. Vor allem gelang es Kissinger im Zuge dieser sino- amerikanischen Annäherung die Beziehungen zum Hauptrivalen Sowjetunion neu und konstruktiv zu gestalten. Mehr Abrüstung und mehr Menschenrechte waren das Ergebnis- und zwar als Ergebnis von Geheimdiplomatie und nicht von öffentlich moralisierendem Getöse, was die Herrscher im Kreml nur abgeschreckt hätte. In geheimen Abmachungen gelang es Kissinger und Nixon Zehntausende Juden und andere aus der Sowjetunion zur Ausreise zu verhelfen. Im Salt Abkommen von 1972 kam es dann zu bahnbrechenden Durchbrüchen bei der Rüstungskontrolle, die allerdings von den Sowjets unterlaufen wurden als sie dann später gegenüber Europa unterhalb der strategischen Schwelle ihr taktisches Nukleararsenal modernisierten und aufrüsteten, – Stichwort SS- 20 und als Reaktion des Westens auf die drohende Gefahr der NATO Doppelbeschluß.

7. Die Neuordnung der „pentagonalen“ Welt im Rivalitäts – Dreieck USA- Sowjetunion- VRChina ist die zentrale Leistung von Kissinger. Die Neuordnung im Bündnisdreieck USA- Westeuropa- Japan dagegen fällt nüchterner aus, bleibt jedoch respektabel. Vor allem die konstruktive Rivalität zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland in Sachen Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion ist von historischem Gewicht.

8. Vielleicht wird Ihnen mittlerweile deutlich, dass mehr dazu gehört, als nur die berechtigte Kritik, die Sie geäußert haben, um Kissingers Leistungen voll zu würdigen. Viele andere Verdienste muss ich hier aus Zeit- und Platzgründen unerwähnt lassen, wie seine Bemühungen um Frieden in Nah- Ost. Kissingers Schritt-für- Schritt Diplomatie suchte nach dem Yom- Kippur- Krieg die arabisch – israelischen Gegensätze zu überwinden. Gleichzeitig legte Kissinger damit auch den Grundstein für weitere Friedensbemühungen, die dann 1977 in den Camp David Abkommen erste Ergebnisse zeitigte. Und. er war erfolgreich, Ägypten aus dem sowjetischen Einflußbereich zu ziehen und zum Verbündeten der USA zu gewinnen.

9. Was mich persönlich an dieser Außenpolitik fasziniert, war Kissingers Fähigkeit für ein pragmatisches und realpolitisches Verständnis von (amerikanischer) Außenpolitik . Er wie auch Nixon waren Gegner einer anti- kommunistisch aufgeladenen „Roll- Back“ Politik gegenüber den kommunistischen Weltmächten. Wissenschaftlich interessant ist auch, dass der Professor Kissinger zu Beginn seiner Tätigkeit als Nationaler Sicherheitsberater stark duch die wissenschaftstheoretischen Maxime des „Außenpolitischen Realismus“ im Sinne von Hans J. Morgenthau geprägt war, dann aber immer mehr durch die praktischen Erfahrungen von Macht und der Verantwortung geformt wurde. In diesem Sinne entwicklete er zusammen mit dem Präsidenten die sog. „Nixon- Doktrin“ ,- nach der die USA nicht mehr die Rolle des Weltpolizisten spielen sollten, sondern mehr außenpolitische Selbstbeschränkung, mehr Übernahme von Verantwortung durch die Verbündeten und mehr Dialog und Entspannung mit den rivalisierenden kommunistischen Mächten forderte. Das waren große Leistungen, die nicht zuletzt in den USA mit Mißtrauen begleitet wurden, weil Kissinger das amerikanische Sendungsbewusstein zu dämpfen suchte. Vor allem die militanten konservativen Kritiker seiner Politik bezichtigten ihn ständig, er würde amerikanische Sicherheitsinteressen aufs Spiel setzen wenn er den Ausgleich mit den kommunistischen Weltmächten sucht. Dabei war es nicht ohne Tragik, dass Nixon durch den Watergate – Skandal auch außenpolitisch das gefährdete, was er zuvor mit Kissinger gemeinsam aufgebaut hatte: ein neues globales Machtbalance System, das durch Mässigung, Kooperation und nüchternes Interessenkalkül möglichst stabil gehalten werden sollte.

10. Kissinger ist also m.E. nicht nur als Staatsmann sondern auch als Wissenschaftler unter Abwägung aller Argumente eine herausragende Persönlichkeit. Lesen Sie seine Bücher, die alle seit den 50ger Jahren die wissenschaftliche Diskussion über die zentralen Probleme der Internationalen Politik befruchteten. Seine drei monumentalen Erinnerungsbände über die Jahre seiner regierungsverantwortung als nationaler Sicherheitsberater und Außenminister von 1968 bis 1977 suchen ihresgleichen in der Geschichte und Zeitgeschichte. Seine Überlegungen zu grundlegende Fragen der Internationalen Politik sind ebenso lesenswert wie die zu den aktuellen Aspekten und Problemen, mit denen er als Politiker befasst war. Seine Portraits führender Politiker und Staatsmänner sind unübertroffen. Aber auch seine Bücher nach seiner Regierungstätigkeit sind vielfach Standartwerke zu Fragen der Internationalen Politik geworden wie „Die Vernunft der Nationen“ oder seine weiteren Bücher zur amerikanischen Außenpolitik oder über China. Dass bis heute die USA mit Blick auf China eine realistische, d.h. auf Ausgleich und Klugheit bezogene Politik betreiben ist weitgehend Kissingers Verdienst.

 

Lassen sie mich Ihnen zum Abschluss sagen, dass ich hier nur stichwortartig auf Ihre Kritik eingehen konnte. Kissingers Außenpolitisches Denken und Handeln habe ich vor mehr als 30 Jahren in meiner Habilitationsschrift „Die Ära Nixon- Kissinger 1969 – 1974“ abgehandelt(erschienen bei Klett- Cotta, Stuttgart 1983). Manches von dem damals Geschrieben ist noch brauchbar,manches vielleicht überholt. Aber Ihre Kritik war mir ein willkommener Anlass meine Ansichten zu überprüfen, d.h. neuere Literatur nachzulesen und auch mich zu korrigieren.

Doch trotz vieler Fehler und Versäumnisse bitte ich Sie, Ihre kritische Einstellung zu überprüfen, denn m. E. hält sie nicht stand, sie ist zu einseitig und wird den Leistungen Kissingers als Politiker und als Wissenschaftler nicht gerecht.

Meine Empfehlung an Sie lautet deshalb: setzen sie sich für eine Kissinger Professur an der Uni Bonn ein. Aber:

beeinflussen Sue die Besetzung konstruktiv. Setzen Sie sich dafür ein, dass die Professur mit „the best and the brightest“ besetzt wird.

Man wird in der Kommission für eine optimale Besetzung alles tun. In diesem Sinne darf ich noch folgende personelle Anregungen geben:

Die geplante Kissinger Professur sollte mit einer Persönlichkeit besetzt werden, die entweder in Wissenschaft oder Politik (am besten in beiden Bereichen) sich im Verständnis eines „Außenpolitischen Realismus“ ausgezeichnet hat. Am besten schaut man sich, bevor man in die Ferne schweift, zunächst „zu Hause“ um und da werden Sie schon fündig:

– im Bonner Raum lebt der frühere Außenminister H.D. Genscher. Wenn die Professur für ein Jahr ausgeschrieben sein sollte, dann wäre es eine großartige Sache, wenn man Herrn Genscher hierfür gewinnen könnte. Gehen Sie auf ihn zu, fragen Sie ihn. Er hat ein offens Ohr für die Belange junger Menschen also auch der Studenten. Scheuen Sie sich nicht, ich kenne ihn gut und er wird ein Gespräch mit Ihnen nicht ablehnen, da bin ich mir sicher. Und die Berufungskommission wird staunen über Ihren coup..

– Lothar Rühl, Professor an der Uni Köln, auch schon über 80, käme auch in Frage. Er ist hochqualifiziert, ein brillanter Journalist des Spiegel in den 50ger Jahren, später Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Autor hervorragender Bücher zu Fragen der Internationalen Politik, der Außenpolitik der USA und Russlands. Abrüstungsexperte und eine Persönlichkeit die im Sinne des „Außenpolitischen Realismus“ , der sowohl theoretisch zu raisonnieren versteht wie auch praktische Erfahrung in hochrangigen Regierungämtern mit sich bringt. Noch heute schreibt er zu diesen Fragen in der FAZ. Er wohnt in Bonn und wäre eine ausgezeichnete Wahl.

– John Mearsheimer, geschätzter Kollege aus Chicago, villeicht DER wiichtigste Vertreter der realistischen Schule derzeit im Internationalen Vergleich. Herausragende Bücher, das vorletzte war über den Einfluß der jüdischen Lobby auf die amerikanische Außenpolitik. Würde er berufen, wäre dies ein Glücksfall für die Universität.

– Mein Geheimtip: Robert Cooper, britischer Karrierediplomat, außenpolitischer Berater von PM Tony Blair und Chefstratege für eine gemeinsame europäische Außenpolitik vor ca. 10 jahren. Er entwickelte ein faszinierendes Modell der gegenwärtigen weltpolitischen Lage im realistischen Sinne. (das hat mich seinerzeit so beeindruckt, das ich den Versuch unternahm, seine Überlegungen auf die Schlussfolgerungen für die deutsche Außenpolitik hin zu untersuchen in: C.Hacke: mehr Bismarck, weniger Habermas, in: Internationale Politik, Juni 2006) Cooper war auch früher in Bonn stationiert , Professor Kühnhardt kennt ihn gut und kann Ihnen mehr sagen.

Auch sollte nicht vergessen werden, dass im Bonner Raum sehr verdienstvolle Karrierediplomaten, Staatssekretäre u.a. Fachleute der Internationalen Politik wohnen. ich habe seinerzeit als Direktor des Instituts für Politische Wissenschaften Persönlichkeiten wie Staatssekretär Rühl u.a. für Lehrveranstaltungen gewinnen können.

Nun, im Rahmen einer Kissinger Professur könnte man im großen Stil dieses Reservoir von außenpolitischem Sachverstand noch viel besser ausschöpfen. In Bonn könnte Internationale Politik realistisch, erfahrungsgesättigt und praxisbezogen gelehrt werden, wie nirgendwo anders.

Es gäbe noch einige jüngere Wissenschaftler in Deutschland, wie Professor Carlo Masala von der Uni der Bundeswehr in München oder Professor Martin Wagener von der Fachhochschule des Bundes in Brühl. Beide empfehle ich weil sie im Sinne des „Außenpolitischen Realismus“ lehren und forschen.

Darüber hinaus möchte ich Sie daran erinnern, dass Bundespräsident Gauck vor wenigen Wochen auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu Recht eine stärkere Berücksichtigung von außen-und sicherheitspolitisch ausgerichteten Professuren anregt. Diese Rede ist von großer Wichtigkeit, ich empfehle Ihnen die Lektüre nachdrücklich!

Sie sehen also, es hängt auch von Ihnen ab, ob und wie in Zukunft an der Universität Bonn Internationale Politik gelehrt wird.

Von der Entscheidung über und von der Besetzung der Kissinger Professur hängt es auch ab, ob die geplante Kissinger Professur möglicherweise als Provinzposse endet oder ob sie Prestige und Ansehen der Universität steigern wird.

Ein bisschen Schwund ist immer

Mitgliederverschleiß im SP

Alle Jahre wieder im Januar sind an unserer schönen Universität Wahlen zum Studierendenparlament. Die antretenden Listen werfen munter ihre Kandidierenden in den Ring bzw. auf den Stimmzettel, und wer am meisten Stimmen bekommt, darf auf einem der begehrten Sitze im Studierendenparlament Platz nehmen. Wer nicht genug Stimmen ergattert, geht leer aus.
Oder etwa doch nicht? Wir haben uns mal angesehen, wer wann für euch im Studierendenparlament saß, und stellten fest: Es gibt große Unterschiede zwischen den Listen, was die Fluktuation angeht.
Die Daten in den Grafiken zu diesem Artikel basieren auf den Protokollen des XXXV. Studierendenparlaments. Ihr könnt die Grafiken parallel zum Lesen dieses Artikels unter akut-bonn.de/webfeatures/schwund/ in der interaktiven Version bewundern.

Fangen wir bei den Piraten an. Von den drei Kandidaten ist kein einziger zurückgetreten, und die Anwesenheit ist so hervorragend, dass auf der 7. Sitzung sogar drei von zwei Sitzen besetzt waren. (Keine Angst, hier hatte alles seine rechte Ordnung. Einer ging, ein anderer kam.)

Bei der LUST bietet sich ein ähnliches Bild, jedoch mit mehr Personal. Caroline Homm diente offenbar lediglich als Stimmenfängerin, wollte aber gar nicht mehr selbst ins SP einziehen und trat vor der konstituierenden Sitzung zurück. Auch die LUST war fast immer in voller Besetzung vertreten. Mit Kilian Clemens Hoffmeister hatte die Lust sogar einen Spitzenkandidaten, der auf allen Sitzungen anwesend war.

Die Grüne Hochschulgruppe bietet ein interessantes Bild: Innerhalb der Legislaturperiode hat diese Liste ihren „Puffer“ von zehn Personen, die zunächst nicht den Sprung ins SP geschafft hatten, vollständig aufgebraucht. Die Fluktuation spielte sich dabei vorrangig im hinteren Bereich der Liste ab, in dem sich auch die Fehltage häufen. Eine Kandidatin hat es sogar zunächst als Stellvertreterin und dann als Vertreterin geschafft, bei keiner einzigen der 15 SP-Sitzungen auf der Anwesenheitsliste zu landen. Dafür hatte die GHG als größte Liste mit Fabian Rump, Alice Dorothea Barth und dem SP-Präsidenten Marco Penz gleich drei Personen, die jede einzelne SP-Sitzung aufgesucht haben.

Mehr Sitze bedeuten gleichzeitig auch mehr Potenzial für Rücktritte, wie man am RCDS sieht. Insgesamt fünf Abgeordnete gaben diese Tätigkeit in der letzten Legislatur auf, teilweise nachdem sie monatelang erst gar nicht zu den Sitzungen erschienen waren – oder zumindest nicht in der Anwesenheitsliste erfasst wurden. Nach der vierten Sitzung gab es außerdem eine Rücktrittswelle von Personen, die andernfalls auf Stellvertreterplätze nachgerückt wären. Eine andere Abgeordnete hätte seit der 4. Sitzung an SP-Sitzungen teilnehmen sollen, war jedoch offenbar kein einziges Mal anwesend. Jessica Keuler hingegen glänzte mit durchgehender Anwesenheit und anschließendem Wechsel in den Ältestenrat.

Die LHG wiederum hatte keinen Rücktritt zu verzeichnen, schwächelte aber in der zweiten Hälfte der Legislatur ein klein wenig bei der Anwesenheit. Dafür steht auf der 1. Sitzung jemand für die LHG in der Anwesenheitsliste, der nicht einmal Stellvertreter ist. Was ist da denn schief gelaufen?

Bei der Juso-Hochschulgruppe stechen die fünf Kandidierenden ins Auge, die sofort nach der Wahl ihren Rücktritt erklärt haben und offenbar nur als Stimmenfänger arbeiten sollten – mit unterschiedlichem Erfolg. Dafür hatten die Jusos mit Jakob Simon Julius Wolfgang Ma Hansen und Alois B. Hub. Saß auch zwei Abgeordnete mit durchgehender Anwesenheit auf allen Sitzungen.