Die Macht der Gene

RUBRIK BONN, DEINE LEHRENDEN Die Forschung von Prof. Dr. Martin Reuter verbindet die Psychologie mit der Molekulargenetik. Im AKUT-Gespräch macht er deutlich, dass die Psychologie schon lange nicht mehr in den psychoanalytischen Kinderschuhen steckt und mittlerweile eine gestandene Naturwissenschaft ist.

INTERVIEW LINNÉA NOETH

 

AKUT Gemeinhin wird die Psychologie nicht unbedingt mit genetischer Forschung assoziiert. Wie passen die beiden Themenfelder zusammen?

REUTER Die Psychologie beschäftigt sich hauptsächlich mit menschlichem Verhalten. Hier setzt auch die Verhaltensgenetik an, die erforscht, inwiefern ein Phänotyp – ein bestimmtes Merkmal eines Menschen – durch Umwelteinflüsse oder eben die Gene beeinflusst wird. Mit Hilfe statistischer Methoden kann man dann die Stärke dieser beiden Varianzquellen schätzen. Eine Determinante, die unser Verhalten entscheidend beeinflusst, ist unsere Persönlichkeit. Erblichkeitsschätzungen für Persönlichkeitseigenschaften, wie z.B. Extraversion oder Ängstlichkeit, liegen ungefähr bei fünfzig Prozent, was belegt, dass die Variation im Verhalten, die man in einer bestimmten Situation zeigen kann, sehr stark von der Persönlichkeit beeinflusst wird. Zum Beispiel wird eine extravertierte Person gewiss eher auf das Angebot eingehen, spontan auf eine Party zu gehen, als eine introvertierte Person.

AKUT Was haben unsere Gene damit zu tun?

REUTER Mittlerweile hat man viel Evidenz, die darauf hinweist, dass Phänotypen wie Persönlichkeit, Intelligenz, aber auch psychopathologische Erkrankungen wie Depression stark genetisch bedingt sind. Deswegen ist es meiner Meinung nach notwendig, zu wissen, welche Gene genau den statistisch errechenbaren „genetischen Anteil“ ausmachen. Wenn man weiß, weshalb Menschen sich in ihrer Anfälligkeit für Krankheiten unterscheiden, kann man auf dieser Basis auch an Medikamenten forschen, die spezifisch zu den Patienten passen.

AKUT Das klingt plausibel. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie in diesem Gebiet forschen?

REUTER Nach meiner Promotion in Würzburg ging ich als Postdoc zurück nach Gießen, wo ich zuvor studiert hatte. Der Lehrstuhlinhaber für differentielle und Persönlichkeitspsychologie hatte zu der Zeit die Vision, die Psychologie und die Molekulargenetik zusammenzuführen und hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ein molekulargenetisches Labor aufzubauen.

AKUT Dann stammt die Idee der Verknüpfung von Molekulargenetik und Psychologie also aus Gießen?

REUTER Nein, es gab schon vorher Kollegen in der Psychologie, die sich mit Molekulargenetik beschäftigt haben. Im Unterschied zu uns haben sie die Gen-Proben aber nicht selbst ausgewertet, sondern haben die Proben zur Analyse in Fremdlabors geschickt. Gerade in der Genetik finde ich es wichtig, dass man weiß, was genau man da macht. Jemand, der sich lediglich theoretisch mit der Thematik auseinandersetzt, der seine Proben zur Analyse an andere Labore schickt, hat überhaupt nicht die Möglichkeit, aktiv am Forschungsprozess mitzuwirken oder neue Ideen zu entwickeln. Man kann sich dann auch nie sicher sein, ob die Ergebnisse, die man von kommerziellen Firmen erhält, korrekt sind. Und das ist ein Risiko, das man nur ungern eingehen sollte.

AKUT Wie ging es für Sie weiter, nachdem Ihre Arbeit in Gießen beendet war?

REUTER Als ich vor zehn Jahren den Ruf nach Bonn erhalten habe, war es für mich klar, dass das ganze Engagement, welches ich in Gießen in die genetische Forschung gesteckt hatte, nicht umsonst gewesen sein sollte. Also habe ich mich um Forschungsgelder bemüht, um hier in Bonn wenigstens auf minimalem Niveau forschen zu können. Mittlerweile sind wir aber so weit, dass wir Massenspektrometrie nutzen oder Klonierungsexperimente durchführen können. Man kann sagen, dass sich der Standard, über den wir hier in Bonn verfügen, deutlich von anderen Laboren in diesem psychologischen Forschungsgebiet abhebt.

AKUT Sie beschäftigen sich mit „Persönlichkeit, Intelligenz und Kreativität“. Wie hängen diese drei Aspekte zusammen?

REUTER Persönlichkeit ist viel mehr als das, was ein Persönlichkeitstest misst. Ähnlich ist es mit Intelligenz. Wer versucht, eine ihm oder ihr bekannte Person zu beschreiben, nutzt dazu auch Worte wie „clever“ oder „schlau“ – doch diese Attribute werden in Persönlichkeitstests kaum gemessen. Wie auch der Persönlichkeitsforscher Guilford schon sagte, gehören aber kognitive Fähigkeiten wie auch Kreativität mit zum Gesamtbild der Persönlichkeit. Auch soziale Intelligenz ist ein wichtiger Forschungsgegenstand – nur ist die Forschung hierzu nicht allzu erfolgreich, weil man sie nicht so gut messen kann. Das, was man gemeinhin als Intelligenz versteht, ist auch interdisziplinär von Belang, wie z.B. für die Ökonomie und Wirtschaftspsychologie, die Arbeits- und Organisationspsychologie. Denn mittlerweile weiß man, dass Intelligenz einer der besten Prädiktoren für Berufserfolg ist.

AKUT Sie wollen Ihre Grundlagenforschung mit Anwendungsfragen verknüpfen, die auch das Arbeitsleben betreffen. Aktuell führen Sie ein Forschungsprojekt zum Thema „Burnout“ durch. Worum geht es da?

REUTER Das Problem ist, dass in den Medien zwar immer wieder über Burnout berichtet wird – dabei ist „Burnout“ bisher noch keine anerkannte Diagnose. Wer den Verdacht hat, an einem Burnout zu leiden, wird von den behandelnden Ärzten oder Therapeuten meist als „depressiv“ eingestuft. Das liegt daran, dass die Krankenkassen die Leistungen nur bei der Diagnose „Depression“, nicht aber bei „Burnout“ übernehmen.

AKUT Glauben Sie, dass sich das in Zukunft ändern könnte?

REUTER Ehrlich gesagt, nein. Es gibt einige Arbeitgeber oder Funktionäre im Gesundheitswesen, die es als nachteilig ansehen würden, wenn sich mehr Patienten mit ihrem Anliegen zum Arzt trauten. Die soziale Stigmatisierung, die die „Depression“ heute immer noch mit sich bringt, entsteht bei Patienten, die davon ausgehen, an Burnout zu leiden, nämlich nicht so schnell. Trotzdem sind viele Psychiater auch davon überzeugt, dass es sich bei Burnout „nur“ um eine Vorstufe der Depression handle, da sich die Symptome teilweise überschneiden.

AKUT Wie sehen Sie das?

REUTER Meiner Meinung nach besteht ein Unterschied zwischen Burnout und Depression. Ein Burnout-Patient wird seine Symptome nämlich immer auf seine Arbeit oder sein Studium zurückführen. Früher unterschied man in der Psychiatrie die „endogene“ von der „exogenen“ Depression; wobei unter die endogene Depression so etwas wie plötzlich auftretende Melancholie fällt. Bei einer exogenen Depression weiß der Patient genau, weshalb es ihm schlecht geht. Er kennt also die Ursache für sein Leiden.

AKUT Gibt es denn eine Methode, um herauszufinden, ob sich Depression und Burnout unterscheiden?

REUTER Genau daran forschen wir aktuell. In unserem Projekt testen wir genetische Marker rein depressiver Patienten gegen die von Burnout-Patienten und solchen, die von beidem betroffen sind. Als Kontrollgruppe nehmen wir eine Stichprobe aus der Bevölkerung. Wobei man die arbeitende Bevölkerung gar nicht so richtig als Vergleich heranziehen kann, weil viele bereits ein Burnout-Problem haben. Wenn es uns gelingen sollte, Genorte zu finden, die ausschließlich bei Patienten mit Burnout vorkommen, aber nicht bei den depressiven oder gesunden Probanden, haben wir zumindest einen Hinweis darauf, dass es sich nicht um dieselbe Erkrankung handelt.

AKUT Was sind die Anzeichen dafür, dass man einen Burnout haben könnte?

REUTER Wenn man bemerkt, dass man seine Emotionen nicht mehr so spürt wie früher, oder plötzlich kein Interesse mehr an Dingen hat, die man vorher gern getan hat. Ein wichtiges Symptom ist, dass man nicht mehr effektiv arbeiten kann und sich antriebslos fühlt. Wichtig ist, dass man so früh wie möglich Hilfe sucht – egal wie unangenehm einem der Arztbesuch vorkommen mag. Stigmatisierung zu fürchten ist in keinem Fall zielführend.

 

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