Tintenfische bauen keine Raketen

RUBRIK BEKANNTE ABSOLVENTEN  Wenn es im Fernsehen um Wissenschaft geht, ist Harald Lesch nicht weit. Am Telefon erklärt der Astrophysiker und Fernsehmoderator, warum Physik ohne Philosophie nicht funktioniert und was wir mit Außerirdischen gemeinsam haben.

INTERVIEW ALEXANDER GRANTL

Obenauf – Harald Lesch beim Dreh des Vorspanns von »Leschs Kosmos« in München

Harald Lesch beim Dreh des Vorspanns von »Leschs Kosmos« in München (Foto: ZDF / Jens Hartmann)

AKUT   Wie war Ihre Studienzeit in Bonn?

LESCH   Am Anfang war ich ein bisschen geschockt. Die Uni Bonn war doch deutlich größer als die Uni Gießen, wo ich davor ein Physikstudium begonnen hatte. Die Physik in Gießen hatte eine familiäre, friedliche Atmosphäre, während die in Bonn schon ein echter Brummer war. Und die Vorlesungen waren immer sehr voll – das war mir erst mal alles nicht so geheuer. Aber das wurde immer besser. Nach dem ersten Semester war das Heimweh weg und ich wusste, diese Uni ist ein super Laden.

Und das Rheinland ist zum Studieren einfach die angenehmste Region in Deutschland. Ich bin Oberhesse und dieses rheinländische »Auf einen Zugehen« habe ich sonst nirgendwo in Deutschland erlebt. Wie der Moment, wenn man in der Kneipe steht und einer fragt: »Isch hab disch hier noch nie jesehen, wat machst’n du?« Oder, wenn man neu eingezogen ist, und die Vermieterin gleich mit einem Kaffe vorbeischaut: »Sie haben doch noch sischerlich keinen Kaffee jekocht, isch hab Ihnen da mal wat mitjebracht.« Dabei ist sie eigentlich neugierig und will nur wissen, wer man so ist. Das ist für einen Neuankömmling natürlich wunderbar und hat das Studieren in Bonn unglaublich schön gemacht.

AKUT   Und Sie haben während Ihres Studiums Kabarett gespielt.

LESCH   Ja, an der Volkshochschule in Siegburg. Das Kabarett ist für mich eine höchst moralische Institution, das ist keine Comedy. Alle, die politisches oder literarisches Kabarett machen, wollen der Welt tatsächlich etwas sagen. Entweder zeigen sie nur auf einen Missstand, oder sie sagen gleich, wie es richtig laufen müsste. Das ist also ein höchst normativer Humor – und ich glaube, dass ich das auch bei mir im Fernsehen durchziehe.

Und ich bin das, was man Rampensau nennt. Sie können mich vor ein paar hundert oder tausend Leute stellen – da bekomme ich kein Lampenfieber. Die Fähigkeit, mich auf eine Bühne zu stellen und vor Fremden frei zu sprechen, habe ich erst beim Theaterspielen entwickelt. Daher kann ich allen, die mal als Professor oder Professorin an die Uni wollen, nur raten: Macht vorher ein paar Theaterkurse, spielt Kabarett, stellt fest, ob ihr es aushaltet, von allen angeguckt zu werden. Das ist inhaltlich und methodisch eine echt wichtige und auch vergnügliche Betätigung neben all diesem abstrakten, intellektuellen Zeug.


Harald Lesch ist Professor für theoretische Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und lehrt Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie in München. Seit 2008 moderiert er das Wissenschaftsmagazin »Leschs Kosmos« im ZDF. Von 1981 bis 1984 studierte er an der Uni Bonn, wo er sich 1994 habilitierte.


AKUT   Wenn man Ihren Lebenslauf ansieht, sah das zunächst nach einer ehrenhaften akademischen Karriere aus. Wie kam da auf einmal das Fernsehen rein?

LESCH   Eigentlich sollte ein Kollege vom Max-Planck-Institut Garching dem Bayerischen Rundfunk was über die Pioneer-Sonden erzählen, die damals aus dem Sonnensystem verschwanden. Die Sonden hatten Informationen über die Erde an Bord, falls sie mal von Außerirdischen gefunden werden sollten. Aber der Kollege wollte sich nicht blamieren und schickte den BR zu mir – ich hatte mich in Bonn mit einer öffentlichen Antrittsvorlesung zum Thema »Sind wir allein im Universum?« habilitiert. Dann haben die vom BR mir was in die Hand gedrückt und gesagt, das soll ich mal erklären. Das habe ich auch, nur zwischendrin habe ich mal gesagt »Was das hier ist, weiß ich aber auch nicht so genau.« Ich dachte natürlich, dass die das schneiden. Haben sie aber nicht. Das heißt, die erste Sendung mit mir im BR war eine, wo ich mich vor die Kamera gestellt habe und sagte »Was das hier ist, weiß ich aber auch nicht so genau.« Das fanden die Zuschauer offenbar so schön, dass der BR gefragt hat, ob ich nicht eine Astronomiesendung bei ihnen machen wolle.

AKUT   Sie lehren außerdem Naturphilosophie und versuchen meistens, Naturwissenschaften in den großen Zusammenhang zu stellen. Funktionieren Naturwissenschaften überhaupt ohne Philosophie?

LESCH   Ich glaube das nicht, viele meiner Kollegen sehen das aber wahrscheinlich anders. Ich weise aber darauf hin, dass wir in der Physik sehr viele philosophische Begriffe und Methoden verwenden. Wir thematisieren das nicht mehr, weil es so selbstverständlich geworden ist. Aber die Physik war lange Zeit nur experimentelle Philosophie und ist erst später zu einer selbstständigen Wissenschaft geworden. Vielen meiner Kollegen ist es egal, was jetzt die ontologische Struktur der Welt ist. Die machen ihre Messungen, messen so genau, wie es nur geht. Für mich sind viele Physiker Physikalisten, Scientisten, die nur glauben, was sie messen und dass das alles ist. Aber es gibt eben auch Fragen, die aus den Naturwissenschaften herausführen: Was war der Anfang von allem? Was war vor dem Urknall? Die grundlegenden Fragen, die wir Menschen stellen, lassen sich durch die empirischen Wissenschaften ja gar nicht beantworten. Wenn ein Mensch nach der Welt fragt, fragt er aus subjektiven Gründen, wie Hoffnung, Visionen und Zielen. Das sind Begriffe, die naturwissenschaftlich gar nicht messbar sind.

AKUT   Muss sich das Wechselspiel zwischen Naturwissenschaften und Philosophie auch im akademischen Alltag stärker widerspiegeln?

LESCH   Ich habe eine Zeit lang in Toronto gearbeitet – da gibt es ein erstes Orientierungsjahr an der Uni. In diesem Jahr werden die großen Themen besprochen: die Geschichte der Natur, die Geschichte Kanadas, die Geschichte der europäischen und der abendländischen Kultur und so weiter. Das tut den Studenten unglaublich gut. Und nach diesem Jahr der Orientierung fangen sie dann mit ihren Fächern an. Ich fände es super, wenn man im Rahmen der Bologniarisierung der Universitäten bei uns mal an so etwas gedacht hätte. Ein Studium generale am Anfang, in dem man zum Beispiel etwas über wissenschaftliches Arbeiten, den eigenen Kulturkreis, über das Recht und die Verfassung lernt. Und natürlich auch etwas über die Natur, vielleicht auch die Philosophie. Ein erstes Jahr ohne Prüfungen, in dem man sich einfach bildet und sich erst danach spezialisiert. So ein Orientierungsjahr könnte helfen, aus Schülern Studenten zu machen.

AKUT   Wenn man so viel weiß wie Sie, fühlt man sich dann auch verpflichtet, sein Wissen weiterzugeben?

LESCH   Dass ich gerne über Wissenschaft schwadroniere, hat viel damit zu tun, dass ich in meiner Familie der erste Akademiker war. Ich bin also immer gefragt worden: »Jung, was machst du eigentlich?« Auch deshalb bin ich der klassische Bierdeckel-Erklärer geworden. Ich versuche alles so einfach und wirklichkeitsnah zu erklären, wie es nur irgendwie geht. Und ich verspüre schon so etwas wie eine Bringschuld. Ich bin Jahrgang 1960, das heißt, durch die BAföG-Reform in den Siebzigern ist es mir überhaupt möglich geworden, zu studieren. Dieser Möglichkeit, die der Staat mir eröffnet hat, verdanke ich meine Karriere. Aber ich spüre keine schmerzhafte Verpflichtung, sondern eine, die mir Freude macht, sozusagen eine positive Rückkopplung.

Harald Lesch

Zu 50 % heißt die Sendung wie sein Nachname (Foto: ZDF / Jens Hartmann)

AKUT   Sie sagen, der Mensch ist nicht ganz allein im Universum. Wann werden wir erstmals außerirdisches Leben nachweisen können?

LESCH   Uff, da muss ich mich etwas aus dem Fenster lehnen. Also die Möglichkeiten, extrasolare Planetensysteme zu beobachten, also Planetensysteme um andere Sterne rum, werden immer besser. Und wenn ich sehe, wie wir uns langsam an erdähnliche Planeten heranbeobachten, würde ich sagen, dass wir in den nächsten zehn Jahren einen Planeten entdecken, in dessen Atmosphäre Sauerstoff ist. Und dann muss man sich fragen, wie der Sauerstoff dahin kam. Denn: Würden Sie jetzt die Photosynthese auf der Erde abstellen, wäre unser Sauerstoff bald weg. Die Menge des Sauerstoffs in unserer Atmosphäre würde schnell geringer, weil er zur Oxidation verwendet wird und verschwindet. Entdecken wir auf einem Planeten also Sauerstoff, muss es einen Prozess geben, der ihn nachliefert. Also innerhalb der nächsten zehn Jahre finden wir einen indirekten Beweis, dass wir nicht alleine im Universum sind – schätze ich. Indirekt, weil wir nur über die Gase in der Atmosphäre feststellen können, ob auf einem Planeten Leben ist. Außer es gibt tatsächlich einen Planeten, auf dem sich eine intelligente, kommunikationsbereite Zivilisation durch irgendwelche Funksignale bemerkbar macht. Und das halte ich eher für unwahrscheinlich.

AKUT   Unter außerirdischem Leben stellen Sie sich wahrscheinlich was anderes vor als Hollywood.

LESCH   Als Wissenschaftler halte ich mich an den Satz, dass Naturgesetze, die wir von der Erde kennen, überall im Universum gelten. Und Tintenfische bauen keine Raketen. Die können nichtmal einen Lötkolben halten. Wenn wir heute nach Leben suchen, suchen wir natürlich nach Leben, das uns ähnlich ist. Wir sind Kohlenwasserstoffmoleküle. Das wird bei den anderen wohl genauso sein, da außer Silizium kaum ein Element so Ketten bilden kann wie Kohlenstoff. Silizium kann das auch nur bei sehr niedrigen Temperaturen. Auf einem Planeten mit einer Methan-Atmosphäre könnte man sich zwar auch irgendwelche Lebensformen vorstellen – aber: Solche chemischen Netzwerke sind für uns nur ganz schwer zu entdecken.

AKUT   Wir erleben in Deutschland gerade, dass Journalisten einem großen Legitimationsdruck ausgesetzt sind, auch angefeindet werden. Wo steht die Wissenschaft heute in dieser Gesellschaft?

LESCH   Einerseits gibt es an den Naturwissenschaften ein unglaublich hohes Interesse. Eine Sendung über Schwarze Löcher, Dunkle Energie oder Dunkle Materie hat viele Zuschauer – und zwar viel mehr als eine über Klimawandel oder die Energiewende.

Das heißt: Je konkreter naturwissenschaftliche Erkenntnisse unser alltägliches Leben betreffen, umso größer wird die Skepsis den Naturwissenschaften gegenüber. Es gibt jede Menge Klimawandelskeptiker, aber es gibt keine Gravitationswellenskeptiker. Die Gravitationswellen wurden ja neulich entdeckt, man hat mit wahnsinniger Präzision in 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung zwei verschmelzende Schwarze Löcher aufgespürt. Das muss man sich mal überlegen. Die Begeisterung in den Medien war riesig – doch: Die gleiche Wissenschaft, nämlich die Physik, untersucht auch den Klimawandel. Das läuft zwar unter dem Stichwort Klimaforschung/Meteorologie – aber die Prinzipien und Methoden sind physikalisch! Nur die Ergebnisse, die diese Forschung hervorbringt, die werden plötzlich ganz kontrovers diskutiert. Warum? Weil diese Ergebnisse von uns fordern, dass wir unseren Lebensstil ändern. Und da beginnt die Skepsis.

Auf der einen Seite billigt man den Naturwissenschaften in ihrer Grundlagenforschungsfunktion eine unheimliche Kompetenz zu. Aber nur, solange es unsere Handlungsebene nicht betrifft. In dem Moment aber, wo die Forschung zu sehr in unseren Alltag vordringt, gibt es Kritik. Da herrscht die wirre Vorstellung, dass man Naturgesetze so behandeln, so diskutieren kann wie Gesetze, die von Menschen oder Göttern geschrieben wurden. Das halte ich für ein ganz schlimmes Missverständnis. Ich wundere mich immer wieder, welche unvernünftigen Entscheidungen in politischen Räumen getroffen werden, die in der Öffentlichkeit dann auch noch befürwortet werden.

AKUT   Trägt die Wissenschaft auch Schuld daran?

LESCH   Das rechne ich auf der wissenschaftlichen Seite der zunehmenden Spezialisierung zu. Wir produzieren immer mehr Spezialisten, die so spezialisiert sind, dass sie sich mit anderen Spezialisten gar nicht mehr verstehen. Gleichzeitig haben immer weniger Leute einen generellen Blick über die Wissenschaftslandschaft. Wir müssen häufiger fragen: Wenn man eine Grundlagenkenntnis in Technologie verwandelt und das dann in der Wirklichkeit einsetzt – was heißt das für uns, für den Kontinent, für die Welt? Die Gesellschaft kann es sich eigentlich gar nicht leisten, uns die Grundlagenforschung zu finanzieren, ohne uns immer wieder auszufragen: Was bedeuten eure Ergebnisse? Ihr dürft nicht nur Ergebnisse produzieren! Ihr müsst auch sagen, was sie bedeuten. Wir müssen erklären, welche Risiken und Handlungsoptionen sich daraus ergeben. Wir müssen als Gesellschaft beginnen, bei Technologien offen über Risiken zu sprechen, nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. 


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