Vertrauensfragen

Anwesenheitspflicht Noch immer macht die aufgehobene Anwesenheitspflicht Wirbel. Viele Dozenten treten der neuen Situation auch im zweiten Semester seit Eintritt der neuen Gesetzeslage mit Argwohn gegenüber – dabei müssten sie das gar nicht.

von JULIANE SPRICK

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Foto: Naomi Koch

Seit einigen Monaten gibt es sie nun nicht mehr. Die viel diskutierte Anwesenheitspflicht wurde aufgehoben. Lediglich für einige Veranstaltungen, wie für Sprachkurse, Praktika oder sogenannte »praktische Übungen« gibt es Ausnahmen. Jura, Medizin und andere Studiengänge, die mit einem Staatsexamen schließen, sind von dieser landesinternen Regelung allerdings nicht betroffen.

Doch sind die Befürchtungen der Dozenten nun Realität geworden? Bleibt der Großteil der Studierenden seitdem wirklich zu Hause? Lehren die Dozenten seit Aufhebung der Anwesenheitspflicht einsam und verlassen sogar nur noch vor leeren, stillen Bänken?

Noch am Anfang des Semesters kam ein Großteil der Studierenden in den Genuss vielfacher Vorträge, die die Missgunst der Lehrenden gegenüber dem besagten Paragraphen §64 des »Hochschulzukunftsgesetzes« ausdrückten. Es halten sich auch nicht alle Dozenten daran und begeben sich aber damit rechtlich auf dünnes Eis. Nach wie vor gehen beim AStA Beschwerden ein. Am häufigsten wählen die Dozenten dabei die schlichte Weiterführung der Anwesenheitslisten in den Kursen. Doch auch das Verfassen von Protokollen oder schriftlicher Ausarbeitungen als Ersatz für Fehlzeiten häufen sich, vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern. Dies könne allerdings nicht so weitergehen: »Diese Praktiken sind natürlich alle rechtswidrig«, so Martin Commentz, Mitarbeiter des Referats für Hochschulpolitik des AStA. Vereinzelt käme es sogar zur wöchentlichen Benotung der mündlichen Beteiligung.

Fragt man unter den Studierenden selbst, scheinen sich die Dozenten umsonst gesorgt zu haben. Im Gegenteil: Eine rapide Abnahme der Kursteilnehmer ist bisher keinem aufgefallen. Auch nicht in den Kursen, in denen sich die Dozenten an die neue Regelung halten. Viele bemerken keine Veränderung. Andere wiederum begrüßen sie: »Die Zahl der Anwesenden ist in einigen Seminaren zwar gesunken, die Atmosphäre dadurch aber generell besser geworden«, berichtet Rebecca Onckels (Geschichte/Französisch). Die Quote der zwar anwesenden, aber geistig schlafenden Kursteilnehmer sei geringer. Einige merken zudem an, dass sich so nun das allgemeine Wesen der Bildungsinstitution Universität wieder in ein besseres Licht gerückt hat: »Ich persönlich finde es sehr gut, dass keine Anwesenheitspflicht besteht, da die Universität ein Ort frei zugänglicher Bildung bleiben sollte, an dem man sich nicht zwingend physisch aufhalten muss«, findet Julie Krämer (Agrarwissenschaften).

Neben all dem gibt es aber anscheinend auch pragmatische Lösungen seitens der Institute selbst. So wird der vermittelte Stoff einer Vorlesung der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften, bei der zuvor Anwesenheitspflicht galt, ab sofort klausurrelevant. Die Fachschaft Geographie vermeldet indessen, dass von Seiten einiger Dozenten eine Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht in Seminaren geprüft wird. Dazu soll der Hinweis im »Hochschulzukunftsgesetz« genutzt werden, der eine solche Regelung zulässt, wenn der »wissenschaftliche Diskurs« ohne Anwesenheitspflicht gefährdet wäre. Gleichzeitig gäbe es aber im Fach Geographie bisher keine nennenswerten Beeinträchtigungen durch die Abschaffung.

Es herrscht unter den Lehrenden und bei den Leitern der Institute also weiterhin Unsicherheit, wie sie mit der Aufhebung der Anwesenheitspflicht umgehen sollen. Währenddessen fühlt sich die andere Seite mit ihrer neugewonnen Freiheit aber gut. Klar, die Studierenden wünschen sich die alte Regelung nicht zurück, dennoch ist der studentische Tenor unisono: Eigentlich studieren sie alle freiwillig. So merkt auch Janis Meyer (Geschichte) am Ende noch an, weshalb die Sorge einiger unbegründet ist: »Die Dozenten sollten mehr Vertrauen in ihre Lehre haben.«

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